Freitag, Dezember 31, 2004

Joi Ito über die Möglichkeiten von Blogs

"... Weblogs betrachtet Ito als exzellent für die Meinungsbildung, weil sie ein Mittelding darstellen zwischen reinen statischen Websites, auf denen man Besucher nur schwer halten könne, sowie Mailinglisten, die immer wieder die Aufmerksamkeit der Nutzer überstrapazieren würden. Die Online-Journale entsprächen dagegen mit ihren einfachen Schnittstellen für das Hochladen von Inhalten sowie standardisierten Möglichkeiten zur 'Content-Syndication' der 'traditionellen Ethik des Internet'. Vor allem die Trackback-Funktion, mit der Blogger ihre Einträge gegenseitig weitgehend automatisch verlinken, haben laut Ito 'den Internet-Diskurs komplett verändert.' Die Online-Kommunikation gestalte sich nun wie bei einer Cocktail-Party: Wenn etwas interessant sei, werde es sofort in die allgemeine Konversation aufgenommen. Uninteressante Beiträge würden einfach ignoriert..."

Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/54686

Filmzitat des Tages

"You may wonder what woke you up. That was me slitting your throat."

- Jack Nicholson @ Marlon Brando in "The Missouri Breaks"

Mittwoch, Dezember 29, 2004

Brot statt Böller

Kongo, schon mal gehört? Das ist so ein Land im Zentrum von Afrika. Von 1998 bis 2002 gab es dort einen Krieg in dem mehr als drei Millionen Kongolesen starben, in erster Linie natürlich Zivilisten. Nach 2002 verschwand der Kongo vom Radaer der internationalen Berichterstattung. Dabei geht das Gemetzel weiter. Pro Tag (!) sterben im Kongo zur Zeit 1000 Menschen. And no one cares.

Der Planet ist voll von Konflikten, Bürgerkriegen, Hungerkatastrophen. Man kann sich nicht für jedes dieser Probleme engagieren, natürlich nicht. Aber wie kommt es, daß wenn am Indischen Ozean 150.000 Menschen oder mehr sterben, alle entsetzt aufschreien und schockiert ihren Suppenlöffel fallen lassen, aber wenn in Ostafrika Tausende verhungern oder langsam an AIDS zu grunde gehen, davon kaum jemand Notiz nimmt bzw. es unter "ferner liefen" abbucht?

Zunächst einmal wäre da natürlich die Kürze der Zeit, in der diese immense Anzahl an Toten die jetzt am Indischen Ozean zu beklagen sind zu stande gekommen ist. Wenn 150.000 Menschen innerhalb von ein paar Stunden durch eine Naturkatastrophe sterben erregt dies unsere Aufmerksamkeit offenbar eher, als wenn 360.000 Menschen innerhalb eines Jahres in einem Konflikt im tiefsten Afrika umkommen.

Viel wichtiger ist allerdings natürlich die Rolle der Medien. Vom Kongo gibt es eben keine 24h Live-Berichterstattung wie jetzt aus Thailand, Sri Lanka oder Indonesien. Deswegen weiß kaum jemand vom Kongo-Konflikt oder dessen brutaler Intensität (das was dort stattfindet gilt als eines der größten Gemetzel seit dem 2. Weltkrieg). Wenn es dann aber ständig zerstörte Häuser, Leichen, weinende Kinder, verstörte Touristen und verzweifelte Einheimische aus Asien auf NTV und N24 zu sehen gibt, dann legt der deutsche Bundesbürger entsetzt die Butterstulle hin und ihm rollen die Krokodilstränen über die Wangen.

Ja, so ist das mit dem mündigen Bürger. Aufmerksamkeit und Emotionen widmet er einem Sachverhalt immer dann, wenn er über die Medien vermittelt bekommt, daß es mal wieder soweit ist. Dann -- und erst dann -- zückt er auch sein Scheckbuch. Und nein, es ist nichts einzuwenden dem Aufruf unseres Bundesaußenministers zu folgen und das ursprünglich für Silvester-Böller eingeplante Geld lieber den Opfern des Tsunamis zu spenden. Irgendwo muß man ja mal anfangen.

Und wenn dann die Neujahrsnacht hereinbricht und es dunkel bleibt in Deutschland, weil man wie vorgeschlagen sein Geld gespendet hat, dann ist der Bürger wieder mit sich im Reinen, wischt sich schniefend die Tränen weg. Klar, hätte man genauso gut schon vorher etwas für andere Menschen spenden können, z.B. für Hungernde in Afrika. Aber was nicht ist kann ja noch werden und die Medien werden den Konsumenten schon zu verstehen geben, wann es wieder soweit ist. Derweil gilt die Aufmerksamkeit dann erst mal wieder den neusten Geschichten aus dem Big Brother Container.

In Memoriam: Susan Sontag

"... Die Stimmen, die zuständig sind, wenn es gilt, ein solches Ereignis zu kommentieren, schienen sich zu einer Kampagne verschworen zu haben. Ihr Ziel: die Öffentlichkeit noch mehr zu verdummen. Wo ist das Eingeständnis, daß es sich nicht um einen 'feigen' Angriff auf die 'Zivilisation', die 'Freiheit', die 'Menschlichkeit' oder die 'freie Welt' gehandelt hat, sondern um einen Angriff auf die Vereinigten Staaten, die einzige selbsternannte Supermacht der Welt; um einen Angriff, der als Konsequenz der Politik, Interessen und Handlungen der Vereinigten Staaten unternommen wurde? ..."

aus: Susan Sontag, "Die falsche Einstimmigkeit der Kommentare", 15.09.01, vollständig z.B. hier

Dienstag, Dezember 28, 2004

Microsoft vertickt Slate an die Washington Post

1996 von Michael Kinsley gegründet avancierte Slate im englischsprachigen Web schnell zu einem der bekanntesten Magazin neben Wired und salon.com.

Von allen Artikelserien ist sicherlich die über die "Bushisms", die berühmteste. Am Anfang seiner Amtszeit fiel George W. Bush in erster Linie dadurch auf, daß er kaum einen geraden Satz herausbrachte. Viele seiner Aussagen wiesen inhaltliche oder grammatikalische Defizite auf, was streckenweise sehr amüsant war. Der Slate-Redakteur Jacob Weisberg hat dann angefangen, diese sogenannten "bushisms" zu sammeln und die Liste immer wieder zu aktualisieren. Inzwischen hat er dazu geschlagene fünf Bücher herausgebracht, die ihn vermutlich zu einem reichen Mann gemacht haben. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 war es dann in den USA nicht mehr so "en vogue", derart über Bushs sprachliche Fehltritte zu lästern. Faktisch war er immer noch derselbe inkompetente Politclown wie am Anfang seiner Amtszeit, allerdings wurde er nun aufgrund der Ereignisse zunehmend mehr als seriöser Staatsmann wahrgenommen.

Da Slate von Microsoft finanziell abhängig war stand es trotz formal unabhängiger Redaktion immer unter dem Generalverdacht, Artikel nur im Sinne von Microsoft zu verfassen. In der Praxis zeigte sich jedoch, daß dieser Vorwurf so nicht haltbar war. Etliche Artikel richteten sich klar gegen Microsoft, so z.B. die Empfehlung den Browser Firefox anstelle des Internet Explorer zu verwenden. Konsequenterweise dankte jetzt Jacob Weisberg auch Microsoft dafür, daß man immer unabhängig berichten durfte.

Obwohl Slate von Anfang an von Microsoft (bzw. MSN) gehostet wurde, erinnerte diese Kooperation immer irgendwie an eine "Zwangsehe". Das eher liberale und gerne mal provokative Slate paßte nicht zur sicherlich etwas konservativeren Firmenpolitik von Microsoft. Wirklich überraschend kam die Bekanntgabe, daß man Slate an die Washington Post verkaufen will daher nicht, zudem bereits seit längerem Gerüchte in dieser Richtung in Umlauf waren.

Schätzungsweise 20 Millionen US-Dollar hat sich die Washington Post diesen Spaß kosten lassen und will nun mit Slate natürlich auch Geld verdienen, was bei Webmagazinen immer ein schwieriges Unterfangen ist. Es soll jedoch am Aufbau des Magazins erstmal nichts geändert werden, auch die Redaktion bleibt dieselbe. Angeblich soll das Portal sogar weiterhin bei MSN (slate.msn.com) gehostet werden.

Montag, Dezember 27, 2004

Blogs bei MSN Spaces -- annehmbar oder nicht?

(eine Antwort auf die Kommentare zum Beitrag "Teenager als Hauptzielgruppe für MSN Spaces?")


Quote: "Es ist leicht andere Menschen mit klugen, hochgestochenen Worten und sei es mit denen anderer, wirklich kluger Köpfe."

*lacht* "Es ist leicht andere Menschen..."? Da fehlt doch mindestens noch ein Verb, damit der Satz Sinn ergibt. Aber ich will nicht kleinlich sein, ich kann mir ja ausmalen, was es heißen sollte :D.


Quote: "Ich finde Dich, wie Du Dich präsentierst herablassend, und gleichzeitig interessant."

Arroganz ist neben Sarkasmus das Stilmittel schlechthin, um ein wenig zu provozieren. Und Provokation / Sarkasmus tut manchmal ganz gut, um einen Mißstand aufzuzeigen. Und das Niveau auf dem sich die Mehrheit der Blogs bei MSN inhaltlich befinden, ist wirklich ein Mißstand. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, muß man nicht zwangsläufig hochmütig sein, es reicht auch eine nüchterne Bestandsaufnahme. Aber mit der allein eckt man nirgendwo an, animiert man niemanden zum Nachdenken oder zum Kommentieren.


Quote: "... die einkaufen gehen, gerne fotos machen, zum frühstück zeitung lesen..."

Wogegen ja auch nichts einzuwenden ist. Blogging kann -- unter anderem -- auch bedeuten, ganz alltägliche Erlebnisse festzuhalten. Schließlich passieren einem im Alltag manchmal kuriose Dinge, die auch für Dritte unterhaltsam sind. Oder man reflektiert kurz über das Verhalten von Mitmenschen, die man während des Tages getroffen hat. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wie scheinbar ganz banale Vorgänge und Gedankengänge so zu Papier gebracht werden können, daß sie auch für andere interessant und/oder unterhaltsam sind. Die Frage ist: Passiert das auch bei den Blogs, die man hier bei MSN Spaces finden kann? Ich persönlich sehe da im Moment nur sehr wenig Licht.

Alternativ kann man natürlich seinen Blog als reinen "Egotrip" schreiben, wo es einem gänzlich egal ist, ob das noch irgend jemand anderen interessiert oder unterhält. Das ist legitim und durchaus auch Praxis. Doch wenn man den Blog dann öffentlich macht, muß man dann trotzdem damit rechnen, daß Dritte sich zu dem Verfaßten äußern.


Quote: "... und trotzdem ca. 100 seitenbesucher pro tag haben..."

Na ja, die Anzahl der Seitenbesuche als solche sagt wenig aus. Selbst wenn man 1000 oder 10.000 Besucher pro Tag auf seinem Blog hat, erlaubt das ja keine Rückschlüsse auf die Qualität des Inhalts. Tausende Bundesbürger lesen täglich die Bild-Zeitung. Und, belegt dieser Umstand, daß die Bild eine qualitativ hochwertige, lesenswerte Tageszeitung ist?


Quote: "Hmm, die gute alte Provokationstaktik funktioniert immer noch."

Siehe oben. Selbst wenn man die Polemik von meinem Beitrag subtrahiert, bleibt immer noch ein Rest an glatter Tatsachenfeststellung. Sonst klick dich doch einfach mal durch die neuen und aktualisierten Blogs und sag mir, daß du dabei nicht das Grauen kriegst (oder zumindest vor Langeweile gähnst) :D.

Ich sag ja auch nicht, daß mein Blog nun die pure Weisheit oder das pure Entertainment ist. Für klassische Blogs sind einige meine Einträge sicherlich schon wieder zu lang. Aber ich find das halt besser als den umgekehrten Fall, wo man dann fast nichts zu lesen hat und das wenige dann nicht mal einen informativen Charakter hat.


Quote: "Vielleicht sind die etwas älteren Semester zurückhaltender und machen nicht alles jedem zugänglich."

Hm, du meinst die wirklich guten Blogs kriegt man gar nicht zu lesen, weil sie nicht öffentlich sind, sondern höchstens einem kleinen Kreis von Eingeweihten zugänglich gemacht werden? Das kann natürlich sein, aber im Gegensatz zum Tagebuch schreiben ist der Grundgedanke beim Blogging ja gerade, daß man das Verfaßte auch öffentlicht macht. Es wäre schade, wenn du recht hast und die wirklich gut geschriebenen Blogs irgendwo ein einsames Dasein im Dunkeln fristen.

Sonntag, Dezember 26, 2004

Teenager als Hauptzielgruppe für MSN Spaces?

Gehe ich die aktualisierten und neu eingerichteten Blogs bei MSN Spaces durch, sind die Inhaber über den Daumen gepeilt zu 70% zwischen 15-17 Jahre. Wie kommt das? Wird MSN Spaces inzwischen auch bei MTV TRL gezielt beworben? Gib's n Jamba-Update welches MSN Spaces empfiehlt? Oder haben Teenager unterm Strich ganz einfach mehr Zeit für solche Spielereien wie Blogs?

Ich meine, 17 ist keineswegs das Durchschnittsalter der internationalen Blogger Community, das scheint schon eine MSN eigene Erscheinung zu sein. Ansich ist gegen dieses Phänomen ja auch nichts einzuwenden. In Zeiten, in denen Pisa grassiert, wäre es eigentlich positiv, wenn die Kids wenigstens im Web etwas mehr schreiben und kreativ werden. Wenn das Ganze dann aber doch wieder nur im SMS-Slang passiert und bunte Smileys und Schrifttypen im Vordergrund stehen, ist es doch nur wieder die Fortsetzung des Grauens mit anderen Mitteln.

Verzweifelt war ich auf der Suche nach Blogs bei MSN, die ich hier als Favoriten verlinken und empfehlen kann. Allerdings ohne Erfolg, ich habe nicht einen einzigen Blog gefunden, der mir wirklich zusagte. Dabei sind meine Vorstellungen gar nicht so utopisch, ich meine, es geht hier nicht um die Entdeckung eines künftigen Nobelpreisträgers. Aber über den obligatorischen Dreizeiler sollte man vielleicht schon hinaus kommen.

Na ja, MSN Space ist ja noch Beta, vielleicht schafft es wenigstens eine handvoll Blogs auf ein Level, auf dem man überhaupt mal etwas zu lesen findet (und nicht nur Fotogalerien, Smileyketten und "gestern war ich einkaufen" Statements).

Freitag, Dezember 24, 2004

*lacht* Get a haircut, hippie!

Harald Schmidts Rückkehr ins deutsche Fernsehen verlief weitgehend unspektakulär. Es gab kaum wesentliche Änderungen zum altbekannten Aufbau der Show bei Sat1. Die Sendung wird auf 30 Minuten begrenzt, es gibt keine Talkgäste mehr und die Showband muß ohne ihren ehemaligen Chef Helmut Zerlet auskommen. Viel mehr Neues gab es aber auch nicht.

Am auffälligsten war da noch das neue Erscheinungsbild von Schmidt. Mit langen zerzausten Haaren, einem Rauschebart und einer doch sichtbaren Körpergewichtszunahme, wirkte er wie ein der GEW nahestehender Alt-68er-Pädagoge, der sich nachmittags erst mal ein Stündchen hinlegt bevor er Mathe- und Deutscharbeiten korrigiert.

Ansonsten war er aber wie gewohnt scharfzüngig, wobei das Highlight meiner Meinung nach in der Begründung für den Wegfall der Gäste lag: mit VIVA wurde auch Deutschlands größtes "Schlampen Reservoir" (Schmidt) trockengelegt. Eine Anspielung darauf, daß Schmidt sich immer gerne junge VIVA-Moderatorinnen einlud -- nicht unbedingt um einen intellektuellen Diskurs zu pflegen, mehr wegen der Optik.

Donnerstag, Dezember 23, 2004

Die Rückkehr des Late-Night-Gurus

Heute ist es endlich soweit, genau ein Jahr nachdem er seine Kreativpause angetreten hat, kehrt Harald Schmidt ins Fernsehen zurück. Um 21:45 feiert er zusammen mit Sidekick Manuel Andrack in der ARD seine Wiederauferstehung. Diesen Spaß hat sich die ARD was kosten lassen, für das kommende Jahr soll Harald Schmidt 8 Millionen Euro einstreichen -- für 64 Sendungen. Pro Sendung kassiert er damit also 125.000 Euro (bei Sat1 waren es m.E. "nur" 40.000 pro Sendung), die anders als früher nur noch eine halbe Stunde geht. Pro Minute verdient Harald Schmidt damit roundabout 4167 Euro. Traumjob.

Klar das so ein Deal nicht ohne Gezeter über die Bühne geht. So hat die ARD angekündigt Uefa-Pokal-Spiele aufzugeben, um Harald Schmidt sein astronomisches Gehalt finanzieren zu können. Woraufhin Schalke-Manager Rudi Assauer befand, es sei "eine Katastrophe, wenn es damit losgeht, daß Harald Schmidt statt der Vereine die Kohle kassiert" (SPON).

Nun, das ist natürlich Ansichtssache. Ich persönliche ziehe es vor mit meinen GEZ-Gebühren Harald Schmidts dekadenten Lebenswandel zu finanzieren und dafür 2x in der Woche wirklich unterhalten zu werden, statt mir irgendwelche mittelmässigen Fußballspiele von prolligen Ruhrpottmannschaften reinzuziehen. Noch besser wäre natürlich gewesen, den ganzen anderen Müll aus dem Programm zu kloppen, z.B. diese unseeligen Volksmusiksendungen oder diese lausig produzierten Tatort-Folgen jeden Sonntag. Ich würde Harald Schmidt auch 100 Millionen gönnen, nur damit dieser Dreck aus dem Fernsehen verschwindet.

Unabhängig davon, ob man Harald Schmidt nun mag oder nicht, ist es also doch zu begrüßen wenn er so viel Kohle erhält, wenn dadurch andere Sendungen weggespart werden, die wirklich von ausgesprochen mieser Qualität sind.

Weihnachtswahn

Gemeinhin sagt man, der Mensch (im christlich geprägten Abendland) empfindet Weihnachten nur in zwei Phasen seines Lebens als positiv: während er noch selber ein Kind ist und sich auf die Geschenke freut und später wenn er dann selber Familie hat und sich daran erfreut, wie sich seine eigenen Kinder und Enkel für Weihnachten begeistern können. Dazwischen liegt ein Lebensabschnitt in welchem die meisten Menschen Weihnachten als eher nervig oder lästig empfinden. Der Konsumterror, der ganze Kitsch um einen herum, der Streß mit der Familie, das zelebrieren von Riten die man als inhaltslos und oberflächlich erachtet.

Gründet der Mensch keine eigene Familie, hat er kaum Aussichten die zweite Begeisterungsphase zu erreichen und verweilt auf ewig in der Zwischenphase. Oder noch schlimmer, er gründet zwar eine eigene Familie, findet aber "das Fest der Liebe" trotzdem weiterhin zum Kotzen und muß dann gegenüber dem Nachwuchs die Freude umso intensiver vorheucheln.

Kurzum: Ob man Weihnachten mag oder nicht hängt im wesentlichen davon ab, ob man eher ein Familienmensch ist oder nicht, da Weihnachten nun mal das klassische Familienfest schlechthin ist. Zumindest ist es sicherlich der Tag im Jahr, an dem die wenigsten Menschen allein sein möchten.

Einige Mitmenschen planen auch einfach schon weiter und sind in Gedanken beim Jahreswechsel noch bevor Weihnachten vorüber ist. Die Neujahrsnacht ist dann tendenziell auch eher wieder was fürs junge Partyvolk, denn für gereifte Familienmenschen.

Eine Handlungsoption wäre natürlich auch, zwischen Weihnachten und Neujahr überhaupt nicht mehr nüchtern zu werden. Das ganze Prozedere des Jahresausklanges im Vollrausch über sich ergehen zu lassen, erscheint doch irgendwie verlockend, oder nicht? Allein schon um von diesen ganzen Jahresrückblicks-Shows im Fernsehen verschont zu werden :p.

Mittwoch, Dezember 22, 2004

Die deutsch-asiatische MSN Blogger Community

Sieht man sich die Liste mit den aktualisierten und neu eingerichteten deutsprachigen MSN Spaces an, dann fällt auf, daß der Anteil bilingualer deutsch-asiatischer Blogs überdurchschnittlich hoch zu sein scheint. Hier einige Beispiele:

Überwiegend handelt es sich hier um Studenten aus China und Japan, die zur Zeit in Deutschland studieren. Bleibt die Frage, warum gerade diese Gruppe so "blogstark" ist. Vermutlich hat es etwas mit der Kommunikationskultur zu tun und auch mit einer überdurchschnittlich hohen Aufgeschlossenheit gegenüber technischen "Gimmicks" (man bedenke z.B., daß in Japan bereits UMTS eingeführt und erfolgreich vermarktet wurde, als es hier in Europa noch darum ging, welcher Anbieter wie viel für eine Lizenz zahlt).

Ein weiterer Grund könnte aber natürlich auch sein, daß die asiatischen Gaststudenten hier in Deutschland etwas isoliert und nicht wirklich integriert sind, daß sie sich einsam und fremd fühlen. Das ist rein spekulativ, aber so abwegig nun auch wieder nicht. Über das Web ist es einfacher Kommilitonen zu finden, die aus dem gleichen Land und Kulturkreis stammen wie man selbst (und sich in derselben Situation befinden). Das spiegelt sich auch in den Blogs wieder: Deutsch-asiatische Blogeinträge werden vorwiegend von anderen deutsch-asiatischen Bloggern kommentiert. Es bildet sich jeweils eine Art deutsch-chinesische und deutsch-japanische virtuelle Blogger-Community. In der Fremde rückt man näher zusammen, das ist ein natürlicher Prozeß und das Internet vereinfacht die Schaffung eines entsprechenden Netzwerks.

Das Trackback Elend

Heute habe ich zum ersten Mal versucht die Trackback-Funktion zu nutzen, die MSN Spaces hier bereit stellt. Ich habe versucht mittels Trackback-URL auf andere Einträge in anderen Blogs zu verweisen. In dem anderen Blog wird dann im entsprechenden Eintrag angezeigt, daß ich von meinem Blog aus auf ihn verweise. Ansonsten weiß der Besitzer des anderen Blogs ja gar nichts davon, daß ich einen seiner Einträge in einem meiner (themennahen) Einträge verlinkt habe.

Allerdings lief das nicht richtig, wenn die Trackback-Funktion korrekt freigeschaltet ist, erscheint unter jedem Eintrag eigentlich ein Verweis auf die jeweilige Trackback-URL ("Der Trackback-URL für diesen Eintrag ist"). Wenn ich also einen anderen Blogger trackbacke geht das nur unter der Voraussetzung, daß er bei sich in den Einstellungen die Trackback-Funktion aktiviert, was aber kaum jemand macht. Denn die Standardeinstellung legt fest, daß Trackback-Links nur auf andere MSN Blogs verweisen dürfen. Und das müßte eigentlich auch reichen, geht aber trotzdem nicht. Obwohl ich bei mir selbst Trackback aktiviert habe, steht unter keinem meiner Beiträge der Verweis auf die Trackback-URL (die mit "trak" endet). Somit kann niemand auf einen meiner Beiträge verweisen, weil es keine Trackback-URL gibt. Und ich kann umgekehrt auch auf keinen Blogeintrag eines anderen Bloggers verweisen, wenn es dort auch keine Trackback-URL gibt.

Optional könnte ich die Aktivierung noch weiter ausdehnen und auch Trackbacks aus anderen Blogs (außerhalb von MSN Spaces) zulassen. Wobei die eingeschränkte Aktivierung eigentlich ausreichen sollte.

Nachtrag: Okay, es scheint jetzt zu gehen, allerdings wird bei der Einstellung "Trackbacks von anderen MSN Spaces zulassen" weiterhin die Trackback-URL nicht angezeigt, sie existiert allerdings ("entry" in der Permalink-URL durch "trak" ersetzen). Bei der Einstellung "Trackbacks von öffentlichen Websites zulassen" wird die Trackback-URL dagegen korrekt am Ende eines Eintrages angegeben.

Suicide? Blame the web!

Am vergangenen Sonntag lief bei SPIEGEL TV (RTL) ein Beitrag über Suizid-Foren im Internet. Im Mittelpunkt des Beitrages standen zwei Mütter deren Kinder Selbstmord begangen haben. Die beiden Teenager hatten sich im Internet in einem Suizid-Forum kennengelernt und trafen sich zum ersten Mal an dem Tag, an dem sie gemeinsam ihren Suizid begingen. Im Anschluß an die Tat haben sich dann die beiden Mütter zusammengetan um seither Front gegen das böse Internet zu machen, das sie als Ursache für den Selbstmord sehen.

Es mag aus einer psychologischen Sicht verständlich sein, wenn Eltern ihre Wut und Verzweiflung auf das Internet projizieren, weil dies einfacher ist, als sich mit den tatsächlichen Ursachen für den Freitod ihrer Kinder auseinanderzusetzen, an dem sie unter Umständen Mitschuld tragen. Ärgerlich ist dagegen, daß diese Sicht unkritisch und reißerisch in besagten SPIEGEL TV Beitrag übernommen wurde.

Sicher, ohne das Internet und entsprechende Foren hätten sich die beiden Teenager nicht kennengelernt, um gemeinsam ihren Selbstmord zu planen. Aber vielleicht hätten sie auch ohne das Internet jemanden für ihren Selbstmordpakt gefunden oder es dann auch einfach allein durchgezogen. Wenn jemand wirklich so verzweifelt ist, daß er sich selbst umbringen möchte, braucht er dafür sicherlich nichts zwangsläufig das Internet um mit "Gleichgesinnten" Kontakt aufzunehmen. Inzwischen gibt es auch zahlreiche dieser Foren, die professionell von Pädagogen und Psychologen betreut werden und die dann positiv auf Suizidgefährdete einwirken können. Dennoch wird sich natürlich immer wieder ein Forum finden, wo dies nicht der Fall ist.

Statt mit dem Finger auf das Web zu zeigen könnte man alternativ ja auch mal die Frage aufwerfen, wieso sich überhaupt Tausende Teenager in diesen Foren tummeln. Symptome mit Ursachen zu verwechseln führt bekanntlich zu keiner Lösung. Laut diesem Fernsehbeitrag denkt in Deutschland jeder vierte Teenager mindestens einmal während seiner Pubertät an Selbstmord. Das hängt natürlich auch mit den Widrigkeiten dieser Lebensphase zusammen. Dennoch steigt die Zahl angeblich beständig an, was dann schon Grund zur Sorge gibt. Plakativ ein Medium wie das Internet ins Zentrum der Problemstellung zu zerren, bringt da wahrscheinlich wenig.

Zumindest bei Volljährigen könnte man darüber hinaus natürlich provokativ fragen, ob es nicht eine Frage des Selbstbestimmungsrechts ist, wenn jemand für sich die Entscheidung trifft, sein Leben zu beenden. Ansichten wie "Es gibt immer eine Alternative" sind vielleicht anmaßend, wenn derjenige sich in einer derart aussichtslosen Lage befindet, daß es aus seiner Sicht wirklich keine tragbare Alternative mehr gibt.

Bhutan verbietet Tabakverkauf

Lydia berichtet in einem Blogeintrag daß Bhutan als erstes Land der Welt den Verkauf von Tabak verboten hat. Stimmt, allerdings darf der Tabak weiterhin für den Eigenbedarf aus dem Ausland eingeführt werden (mit einer horrenden Einfuhrsteuer versteht sich). Es ist also wirklich nur der Verkauf verboten, nicht der Konsum.

Andere Nachrichten aus Bhutan finden dagegen weniger mediale Aufmerksamkeit. Zum Beispiel, daß die Anfang der 90er gestartete massive staatliche Repression gegen die nepalesischen Minderheit immer noch anhält und Hunderte zur Flucht nach Nepal treibt.

Der MSN Wortfilter ist endgültig im Delirium

Neuro dokumentiert in seinem Blog den vergeblichen Versuch, das Wort "wichtiges" im Titel eines Blogeintrages unterzubringen. Ich hatte bisher dahingehend noch keine Probleme, zumindest nicht im Blog.

Allerdings hat der Versuch die Wortfolge "Link unten" in meinem Profile unterzubringen dazu geführt, daß der Filter dann das "k" dem "unten" zugeschlagen hat und so auf "kunt" kam, was nicht geht. Mal abgesehen davon, daß das böse Wort was hier vermutet wird nicht mal mit einem "k" geschrieben wird und zudem der englischen Sprache entlehnt ist, ist auch einfach die Konstruktion völlig absurd. Aber der MSN Filter war schon immer nuts.

Nachtrag:

"... So werden zwar die offensichtlichsten verbalen Missgriffe erkannt und zurückgewiesen, Abwandlungen von legitimen Begriffen lässt das Tool jedoch unbeanstandet passieren. Während die gezielte Umschiffung der Filter für einige Usern eine unterhaltsame Beschäftigung zu sein scheint, wird von anderen der Sinn von Filtern im Allgemeinen in Frage gestellt. 'Wenn man sich in einem Blog nicht frei äußern kann, wieso sollte man dann überhaupt einen haben?', so die Nutzer des konkurrierenden Blogging-Dienstes Boingboing" (Quelle: ZDNet) *lol*

Nachtrag 2:

"... Laut Nathan Weinberg hat man verschiedene Blogs nach Kommentaren bezüglich MSN Spaces durchsucht, und hat beschlossen, die am meisten geforderten Verbesserungen, die auch ohne große Schwierigkeiten hinzuzufügen sind, einzuführen. Dazu gehören laut Inside Microsoft: No censorship, ..." (Quelle: winfuture.de)

Dienstag, Dezember 21, 2004

vroooooomm

Am 12.12.04 haben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) die umfassendste Fahrplanänderung in ihrer Geschichte vorgenommen. Unter dem zunehmenden Druck von Spaßmaßnahmen wurde der gesamte Berliner Fahrplan nach Effizienzdefiziten durchforstet. Linien die zu wenig genutzt wurden, flogen raus, parallel laufende Linien wurden vereint, etc. Nun verkaufen sich Einsparungen bekanntlich schwer, deshalb hat die BVG eine Millionen teure Marketing- und Informationskampagne gestartet, um das refomierte System als Verbesserung anzupreisen.

Kernstück der Reform sind die sogenannten "Metrolinien". Das klingt erst mal ziemlich trendy und neu, bei genauerer Betrachtung geht es dabei jedoch lediglich um einige Bus- und Straßenbahnlinien (Tram, nicht S-Bahn), die größtenteils schon vorher existierten und denen man einfach kurzerhand den Buchstaben "M" zugewiesen hat. Diese Metrolinien sind besonders viel genutzte Strecken und sollen als eine Ergänzung zum U- und S-Bahn-Netz wahrgenommen werden. Anders als vorher ist dabei aber i.d.R. lediglich, daß die Busse und Trams in kürzeren Takten kommen, mindestens alle 10 Minuten. Das gilt jedoch nur für die Stoßzeiten, ansonsten sind es dann wieder 20 Minuten. Auch auf den einzelnen Linien selbst gibt es Unterschiede, bei Haltestellen die an den "Außenpunkten" der Linie stehen, ist der Takt länger als bei jenen Haltestellen die auf der Linie im "Zentrum" stehen. Mit anderen Worten: nicht jeder Bus/Tram fährt die komplette Linie ab.

Generell profitieren Anwohner die in der Innenstadt wohnen von der Reform eher als jene, die in den Außenbezirken leben. Doch selbst aus der Innenstadt häufen sich die Beschwerden über das neue Streckennetz, weil die Taktfrequenz nicht eingehalten wird, die Busse überfüllt sind und keiner adäquat Aukunft geben kann. Die Eigenwerbung -- "vrooooom" und Vergleiche mit der Formel1 -- klingen da wie Hohn und haben für viel Spott gesorgt.

Insgesamt ist das größte Manko sicherlich die schlechte Informationspolitik. Trotz der hohen Summe die für die Informationskampagne ausgegeben wurde, wußten viele Berliner nichts von dem Wechsel und wunderten sich dann, wo ihre alte Linie abgeblieben ist. Selbst jene, die von sich aus um Information baten, erhielten diese oft nicht, weil es nicht genügend der heißbegehrten Informationsbroschüren gab. Die ganze Reform entwickelt sich zum Marketing-GAU und die Berliner Tagespresse quillt über vor bitterbösen Leserbriefen zu den Fahrplanänderungen.

Kleine Sammlung von Tagesspiegel-Artikeln zum Thema:

12.12.04: Künftig heißt es Umsteigen
12.12.04: Kürzer fahren, länger warten
14.12.04: Fahrgäste zeigten Fahrern den Weg
15.12.04: Nur noch alle zwei Stunden ein Bus
15.12.04: Leserbriefe Vol. 1
17.12.04: Sonderurlaub für die ganze BVG gefordert
18.12.04: In fünf Tagen 10 000 Anrufe
18.12.04: Metronetz: BVG übt Selbstkritik
18.12.04: Leserbriefe Vol. 2
19.12.04: Leserbriefe Vol. 3
20.12.04: Leserbriefe Vol. 4
20.12.04: Politiker geben der BVG eine Schonfrist
21.12.04: Leserbriefe Vol. 5

MSN Spaces ist mit dem IE ein Krampf

Nachdem ich mir meinen Blog heute das erste Mal mit dem IE angesehen habe, ist mir ganz schlecht geworden. Ohne aktiviertes ActiveScripting läuft da wenig, da die meisten Funktionen JavaScript voraussetzen (z.B. der Permalink, auch das Bild aus dem Profile wird auf der Startseite nicht angezeigt), beim Mozilla lassen sich die Links auch so auswählen. Selbst mit ActiveScripting funktioniert allerdings der Link auf die Kommentare nicht, meine IE-Einstellungen sind offenbar zu defensiv für eine korrekte Darstellung des Blogs :p.

Die Südsee in der Niederlausitz

Tief in der bradenburgischen Pampa liegen versteckt im Spreewald die kleinen Orte Brand und Krausnick, die sich nicht mal den Luxus einer eigenen Website gönnen. Dort irgendwo im Nirgendwo befindet sich auch das neue "Tropical Islands Resort". Geschlagene 70 Millionen Euro hat der malaysische Investor Colin Au in das Projekt gepumpt, um die ursprünglich für den Bau von Zeppelinen errichtete CargoLifter-Halle in einen Freß-Bade-Freizeit-Erlebnis-Entertainment-Tempel umzubauen.

Wenn man sich die Fotos und Fernsehbeiträge von der Eröffnung ansieht, sich die Artikel in der Tagespresse durchliest, dann fragt man sich schnell, wo diese 70 Millionen dort eigentlich abgeblieben sind. Der Versuch einen Hauch von Südseeatmosphäre in die Niederlausitz zu bekommen, brachte am Ende dann doch nur wieder den Flair einer örtlichen Badeanstalt gepaart mit einer plastenden Currywurst-Buden-Aussstattung hervor. Die Gäste liefen im Pullover rum, weil die zugesagten 25 Grad Dauertemperatur nicht erreicht wurden; der südostasiatische Dschungel wirkt mehr wie eine Ansammlung einzeln stehender Wohnzimmerpalmen (auf deren Blättern noch der Baustaub klebt); in Schnellrestaurants bekommt man Minipizzen für ein paar Euros; das Personal sieht mehr nach einer Flughafen-Putzkolonne, denn nach tahitianischen Badenixen aus. Der ganze Laden wirkt künstlich, steril und ganz einfach billig (was im übrigen auch für die Website gilt).

Dagegen wäre ja nichts einzuwenden, wenn denn die Preisstruktur entsprechend wäre. Aber werktags 15 Euro pro Person für vier Stunden Aufenthaltszeit? Okay, damit stellen sie zumindest sicher, daß das "Resort" nicht zum "Paradies für Arbeitslose" wird, wie manch Beobachter schon hämisch argwöhnte. Dennoch stellt sich ja die Frage, wo sollen die anvisierten 7000 Gäste pro Tag herkommen (die gebraucht werden, damit es sich rechnet), die für vier Stunden 15 Euro Eintritt für dieses Pseudo-Disneyland ausgeben? In Berlin kostet eine 4-Stunden-Karte im Blub werktags z.B. nur 9,20 Euro. Das ist zwar immer noch ein stolzer Preis, aber man muß zumindest nicht erst 60 Kilometer in die Pampa rausfahren, um dort eine äußerst schwache Südsee-Illusion genießen zu können. Und wenn die eingeplanten 2,4 Millionen Besucher pro Jahr nicht hauptsächlich aus Berlin kommen, woher dann? Aus der brandenburgischen Einöde? Aus Dresden oder Leipzig, wo es vermutlich auch ähnliche Freizeitangebote günstiger gibt?

Dr. Dre formulierte einmal -- politisch sicherlich nicht ganz korrekt: You can't make a hoe a housewife. Und man kann eben auch nicht aus einer Lagerhalle in der tiefsten Provinz einen gehobenen Südsee-Freizeitpark aus dem Boden stampfen, der eine solche Preispolitik rechtfertigen würde und über einen entsprechenden Kundenstamm verfügt. Kurzfristig mögen hier sicherlich Arbeitsplätze entstehen, aber das hilft wenig, wenn der Laden in naher Zukunft Konkurs anmelden muß. Zudem fließen -- nach Angaben der brandenburgischen Landtagsabgeordneten Esther Schröder (SPD) -- inzwischen auch schon wieder Millionen öffentlicher Fördergelder in die Erschließung und Umfeldentwicklung des Resorts. Für das Projekt selbst haben die Investoren staatliche Fördergelder in Höhe von 13 Millionen Euro beantragt, diese allerdings noch nicht bewilligt bekommen.

Montag, Dezember 20, 2004

Buchempfehlungen für Weihnachten

Für alle die noch nicht alle Weihnachtsgeschenke zusammen haben (oder noch gar keine, ist ja noch Zeit ;), habe ich hier drei Listen mit Buchempfehlungen zusammengestellt:

  • Klassiker: Hier finden sich einige sozialwissenschaftliche und philosophische Standardwerke (und solche die auf gutem Weg dahin sind). Teilweise sicherlich nicht immer leicht verständlich, sofern man sich nicht vorher schon mal mit der jeweiligen Thematik auseinandergesetzt hat. Der zu Beschenkende sollte sicherlich einen Interessenschwerpunkt in dieser Richtung haben.

  • Romane und Lyrik: Hier geht es um literarische Klassiker, darunter auch einige Meilensteine in der Weltliteratur. Interessant für alle die sich nicht mit Lesetipps von Elke Heidenreich begnügen möchten und solche Schwarten wie "Der kleine Prinz" nicht für das Maß aller Dinge halten :p.

  • Cyberspace: Hier handelt es sich überwiegend um Fachbücher, die sich mit den sozialen Aspekten des Internets befassen. Es werden dabei Bereiche wie Soziologie, Psychologie, Kommunikations-, Medien- und Rechtswissenschaften gestreift. Die Werke sind jedoch auch für den Laien verständlich und interessant, sofern er sich für Kommunikationsstrukturen und Verhaltensmuster im Web interessiert.
Sofern das Urheberrecht auf das jeweilige Werk erloschen ist (was in Deutschland bei Werken die älter als 70 Jahre sind der Fall ist) oder nie existiert hat, stehen diese auf Websites wie dem Project Gutenberg oder der Freien Digitalen Bibliothek zum Download bereit. Ansonsten verweist der jeweilige Link auf eine Rezension des Buches, z.B. bei perlentaucher.de oder Wikipedia.

Natürlich sind diese Bücher auch noch über Weihnachten hinaus interessant ;-). GGf. werde ich die Listen auch noch weiter ausbauen. Der Blog wirkt zwar dadurch noch textlastiger (weil ich die Listen ja auf der Startseite links und rechts positioniert habe), bietet aber vielleicht gerade dadurch einen interessanten Gegenpol zu den Klickibunti-Blogs mit ihren Urlaubsfotos und Gif-Smiley-Orgien :D.

Ab 1. Januar 2005 gilt die TKÜV

In der Jungle World beschreibt Carsten Schnober die Konsequenzen der am 1. Januar 2005 in Kraft tretenden Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV). Mit dieser Verordnung werden Internet Service Provider (ISP) dazu verpflichtet, aus eigener Tasche technisches Gerät zur lückenlosen Überwachung ihrer Kunden bereitzustellen. Die TKÜV legt dabei lediglich die praktische Umsetzung des bereits 1998 in Kraft getretenen Telekommunikationsgesetz (TKG) fest, welches den Anbietern die Finanzierung staatlicher Überwachungen vorschreibt.

Die Kosten die dabei für den jeweiligen Provider anfallen werden auf 10.000 bis 50.000 Euro geschätzt und werden früher oder später sicherlich über die Tarife an die Kunden "weitergereicht". Neben Kosten für Anschaffung und Installation fallen zusätzliche Kosten für Reparaturen und Wartung an. Ausgenommen von dieser Regel sind nur Provider mit weniger als 1.000 Kunden. In Kraft getreten ist die TKÜV allerdings schon Anfang 2002, die Provider hatten also fast drei Jahre Zeit sich auf diese Mehrkosten einzustellen.

Die an die Infrakstruktur des Providers angehängte Box loggt dann bei Bedarf alles mit, was der zu überwachende Internetbenutzer so treibt (gemeint sind hier wohl in erster Linie Emails, dazu unten mehr). Einer richterlichen Kontrolle unterliegen zumindest Verfassungsschutz, BND und MAD dabei nicht, ein "konkreter Anhaltspunkt" auf eine schwere Straftat reicht aus. Problematisch ist hier, daß immer die Tendenz besteht die Gruppe der Zuüberwachenden auszudehnen, weil schnell die Frage auftaucht, warum so etwas nur bei "schweren Straftaten" durchgeführt werden soll.

Neu ist dabei ab Januar lediglich, daß die Sicherheitsbehörden den Provider nicht mehr zur Mitarbeit anhalten müssen. Die Beamten bleiben in ihren Büros und klinken sich bei Bedarf einfach in die Kommunikation des Verdächtigen ein, ohne daß weder der Provider noch der Verdächtige davon etwas mitbekommen. Das potentielle Mißbrauchsrisiko steigt damit, weil der Provider als "Mitwisser" aussteigt und es somit keine "Zeugen" mehr gibt, falls die jeweilige Sicherheitsbehörde ihre Befugnisse überschreitet.

Das Hauptziel der in der TKÜV definierten Abhöraktionen sind nach Schnober allerdings Emails. Neben den oben bereits erwähnten Anbietern mit weniger als 1000 Kunden sind auch solche Provider ausgenommen, die reine Internet-Zugangdienste anbieten (also ohne Zusatzdienste wie Email). Begründung: Wer seine Kunden ausschließlich Zugang zum Internet gewährleistet, leitet Daten lediglich weiter, ohne sie zu speichern (wie es etwa bei Emails der Fall ist). Natürlich kann die entsprechende Behörde auch Surf-Sessions im Web mitprotokollieren, allerdings dienen dazu angeblich nicht besagte Boxen die Provider nun ab Januar bereitstellen müssen.

Für jene, die staatlichen Behörden skeptisch oder kritisch gegenüberstehen, bietet sich als "Gegenmaßnahme" z.B. die Verschlüsselung von Emails an.

Sonntag, Dezember 19, 2004

Wer kokst, lernt nichts mehr dazu *rofl*

Andrea Naica-Loebell berichtet in einem Telepolis-Artikel über einen in Science veröffentlichen Artikel über Kokain-Sucht von A. David Redish. Redish will herausgefunden haben, daß Koks die Abhängigen nicht nur irrational macht, sondern durch die verursachte Dauerausschüttung von Dopamin auch ihre Lernfähigkeit systematisch verhindert. Gleichzeitig führt das Koks dazu, daß sich die Konsumenten dieser Lernblockade nicht bewußt sind.

Kurzfristig muß Kokain aber scheinbar doch die Kreativität anheizen, so berichtet Naica-Loebell z.B. daß Robert Louis Stevenson seinen Roman "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" vollgekokst in nur sechs Tagen geschrieben hat *rofl*.

Laurenz Meyer kassierte dreifach

Der Generalsekretär der CDU, Laurenz Meyer, steht wegen seiner Bezüge von RWE weiter unter Druck. Wie der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe berichtet hat Meyer zeitweise sogar dreifach kassiert: "Anders ausgedrückt: Für einige Monate bezog Meyer wohl drei Gehälter. Die CDU bezahlte ihn als Generalsekretär, RWE honorierte den Manager, und Nordrhein-Westfalen überwies dem Landtagsabgeordneten sein Geld."

Jaja, die Gier... :D

Samstag, Dezember 18, 2004

Traditionelles Weihnachtsintermezzo

Wie jedes Jahr nutze ich auch in diesem die Weihnachtsferien für ein kleines Intermezzo in den MSN Groups. Voll da bin ich dann allerdings erst wieder im Frühjahr, wenn die nächsten Semesterferien anstehen :D.

Residiert der Axel Springer Verlag bald in der Rudi-Dutschke-Straße?

Die taz hat eine Initiative gestartet, um die Kreuzberger Kochstraße in Berlin in Rudi-Dutschke-Straße umzubenennen. Ausgerechnet jene Straße, in der der Axel Springer Verlag residiert (wobei der Haupteingang inzwischen in der Axel-Springer-Straße liegt), der ja bekanntlich ein etwas angespanntes Verhältnis zur 68er Revolte hat. Ein Antrag zur Umbenennung wurde inzwischen bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg gestellt.

Wie nicht anders zu erwarten formieren sich auf beiden Seiten die "üblichen Verdächtigen". CDU und Springer sind dagegen, SPD und Grüne weitgehend dafür.

Plärrende Kinder im Restaurant

Neulich bin ich beim Zappen in die Talk-Sendung von Johannes B. Kerner geraten. Der Themenüberbau dieser Ausstrahlung ist mir unbekannt, aber zu diesem Zeitpunkt ging es gerade darum, ob es typisch Deutsch ist, wenn Gäste in einem Restaurant lärmende Kinder als Zumutung empfinden. Die Rede war von Italien, wo angeblich gerade deutsche Urlauber wert darauf legen, daß es in den Restaurants ruhig und gesittet zugeht, weil zu laute Kinder das mediterrane Ambiente stören würden (bzw. das, was sich die Touristen darunter vorstellen). Wenn die Italiener dagegen unter sich sind, ist es kein Thema, daß die Kinder immer mit dabei sind und es dann eben auch etwas wilder zugeht. Das wurde einem Deutschen anvertraut, der irrtümlich für einen Italiener gehalten wurde. Alle Anwesenden in der Talkrunde stützten dieses Bild des latent kinderfeindlichen Deutschen.

Ist wirklich ein Zeichen von mitteleuropäischer Spießbürgerlichkeit oder gar eine gewisse Form von Misanthropie, wenn man Abends bei Tisch gesittet eine Mahlzeit zu sich nehmen will? Es kommt sicherlich auch immer auf die Lokalität an. Natürlich gibt es typische "Familien-Restaurants", die Pizzeria nebenan oder ähnliches, wo man damit rechnen muß, daß toskanaverliebte Pädagogen-Clans und andere der Mittelschicht angehörige Kleinfamilien einfallen und dann eben eine entsprechende Geräuschkulisse entfalten. Aber es gibt auch andere Restaurants, mit vielleicht etwas gehobenem Preis- und Qualitätsniveau, wo solche Kleinfamilien dann schon negativ auffallen. Ich meine, ist man wirklich ein Unmensch, wenn man sein Carpaccio und einen guten Roten in einer Atmosphäre kredenzen will, die ohne einen überhöhten Lautstärkepegel und ohne Herumgetobe auskommt?

Sonntag, Oktober 10, 2004

Wie Steuerfundamentalisten in den USA Lobbyarbeit betreiben

Im Montag erscheinenden SPIEGEL ist ein Artikel über den zunehmenden Einfluß der sogenannten "Steuerfundamentalisten". Gemeint ist eine Gruppe von Lobbyisten bei den Republikanern, die sich massiv dafür einsetzen, daß Steuersätze sich auf keinen Fall mehr erhöhen, sondern im Gegenteil immer weiter heruntergefahren werden.

Dabei geht es nicht nur darum, daß der Bürger mehr Geld in der Tasche behält, sondern auch um ein wesentlich weiter gefaßtes, strategisches Ziel: der Staat als solcher soll geschwächt werden. Die Idee dahinter ist, daß Steuern der Lebensnerv des Staates sind, ohne sie kann der Staat sich nicht mehr Dinge einmischen, die ihn nach Ansicht vieler US-Bürger nichts angehen.

Und so finden sich in dieser Lobbygruppe die unterschiedlichsten Leute wieder, der SPIEGEL schreibt:

"(...) Was sie eint, sagt er, ist das Misstrauen gegenüber jeder Regierung. Die Waffenbesitzer wollen keine Kontrolle darüber, was sie an schwerem Geschütz mit sich herumschleppen, die christlichen Fundamentalisten wollen keine Aufsicht, wie sie ihre Kinder zu Hause unterrichten, die Liga der Geschäftsleute will keine Vorschriften zu Mindestlöhnen und Gewerkschaftsvertretung. (...)"

Was sich also zunächst positiv anhört (denn es ist hier die Rede von einer generellen Steuersenkung, die alle betreffen würde, nicht nur die Reichen), führt wenn man es zu Ende denkt in einen Kollaps des Systems: da es kein Geld mehr für öffentliche Schulen gibt, erhalten nur noch jene Bildung die es sich leisten können Privatschulen zu besuchen; da kein Geld mehr für Behörden bereisteht, genießen nur diejenigen Schutz, die sich einen privaten Sicherheitsapparat leisten können, usw. Der alte libertäre Traum von der de facto Abschaffung des Staates mutiert so sehr schnell zum Albtraum für alle, die nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen.

Nun ist das alles nichts Neues, doch der Artikel beschreibt detailliert, wieweit der Einfluß dieser Lobbygruppe inzwischen reicht und das fand ich dann schon erschreckend. So sollen alle Republikaner einen "Eid" ablegen, daß sie niemals in ihrer politischen Laufbahn an irgend einer Stelle für eine Steuererhöhung stimmen werden. Weigert sich ein Republikaner diesen Eid abzulegen oder bricht er ihn, dann wird er von den eigenen Leute regelrecht zerlegt. Selbst einflußreiche Senatoren sind davon nicht ausgenommen. So ist inzwischen eine deutliche Mehrheit aller Republikaner mit Einfluß auf dieser "Niemals-eine-Steuererhöhung-Schiene".

Und die Demokraten, was sollen sie tun? Sich vielleicht für Steuererhöhungen einsetzen, wenn die Republikaner für deren Senkung eintreten? Das läßt sich -- besonders in den USA -- nur schwer vermitteln. Sie versuchen sich dann herauszulavieren, unterm Strich können sie sich diesem Trend aber auch nicht widersetzen.

In den USA ist zur Zeit ein Buch mit dem Titel "Neoconomy" besonders beliebt, in dem der Autor an Bushs Steuerpolitik nachzuweisen versucht, wieweit der Einfluß dieser Steuerfundamentalisten inzwischen geht. Wobei hier allerdings der Tenor eher in eine klar ökonomische Richtung geht, dernach man versucht die Sparqoute durch Steuersenkung zu erhöhen. Ideologische Hintergedanken im Sinne von "Weniger Steuern = weniger Staat = mehr Freirraum für Kreationisten, Abtreibungsgegner, Kapitaleigner, Waffenbefürworter, etc." kommen da eher weniger zur Sprache.

Links:

- Der Artikel über die Steuerfundamentalisten im SPIEGEL, 11.10.04
- Der Artikel über das Buch "Neoconomy" in SPON, 17.09.04

Freitag, Oktober 01, 2004

Wie Gore Vidal aus Charlton Heston einen schwulen Ben Hur machte

Heute habe ich mal wieder ein Interview mit dem us-amerikanischen Intellektuellen Gore Vidal im Tagesspiegel gelesen. Es ging um die Bush-Administration und wie furchtbar sie ist, inhaltlich ziemlich langweilig.

Doch erinnerte mich das an ein etwas älteres Vidal-Interview, welches ebenfalls im Tagesspiegel erschien. Damals besuchten die Redakteure Vidal in seinem Haus in Italien. Es war das Jahr 2000 und der mit Gore Vidal verwandte Al Gore schickte sich an, US-Präsident zu werden. Das hat nicht geklappt wie wir wissen. Das Interview mit Vidal zählt trotzdem zu den herrlichsten die je im Tagesspiegel erschienen sind. Hier einige Auszüge:

(...)

tagesspiegel: Romane, Essays, Drehbücher und Ihre historischen Geschichten: Was, würden Sie sagen, ist das Erbe von Gore Vidal?

Gore Vidal: Wenn durch einen glücklichen Zufall die Menschheit in 100 Jahren noch existiert, und wenn durch einen weiteren Zufall die gesamte Literatur verschwunden wäre, außer meinen etwa 60 Büchern - dann könnte man ganz gut nachvollziehen, worüber wir nachgedacht haben, vom 5. Jahrhundert bis hin zu George W. Bush.

(...)

tagesspiegel: Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte bei Ihnen Urlaub machen.

Gore Vidal: Die italienische Regierung fragte, ob ich für sehr viel Geld zehn Tage lang ausziehen könne, für einen bedeutenden Staatsgast. Ich habe abgelehnt, ich wollte nicht aufräumen. Ich sah später in der Zeitung, dass Schröder in genau diesen zehn Tagen im Nachbarort war. Er hatte etwas an der Hauptstraße gefunden, auch nicht schlecht.

(...)

tagesspiegel: Sie sollen Heston, als Drehbuch-Schreiber des Films [Ben Hur], heimlich Zitate aus der Schwulen-Szene in seinen Text geschrieben haben.

Gore Vidal: Sehen Sie dieses braune Buch da im Regal? Eine ganz fürchterliche Biografie über mich, die gerade erschienen ist. Ich kann nicht ertragen, darin zu lesen. Können Sie das Buch nehmen? Suchen Sie die Seiten mit Heston, dort ist die Korrespondenz zwischen dem Produzenten des Films und mir abgedruckt.

tagesspiegel: Auf welcher Seite?

Gore Vidal: Seite 342 etwa. Jedenfalls habe ich in seinen Dialogen eine zweite, homoerotische Ebene eingebaut, und er hat nichts kapiert. Lesen Sie die Stelle bitte vor!

tagesspiegel: "Lieber Gore, Du hättest sehen sollen, wie Charlton all diese hübschen Jungs umarmen musste in einer Szene! Alle am Set mussten die ganze Zeit lachen, nur er merkte nichts. Schade, dass Du nicht mehr hier bist. Du hättest Dein Vergnügen daran gehabt."

Gore Vidal: Hmm, aah, köstlich. Charlton Heston ist ein Witz, aber heute ist er ein gefährlicher Witz. Er ist Vorsitzender der National Rifle Association, der mächtigen Waffen-Lobby in den USA. Er repräsentiert den neuen amerikanischen Faschismus. Es gibt heute etwa 210 Millionen Schusswaffen im Privatbesitz in unserem Land, auf jeden Einwohner fast eine Waffe.

(...)

Das komplette Interview kann man hier nachlesen.

Dienstag, September 14, 2004

Andrei Nekrasovs "Disbelief"

in der nacht vom 8. zum 9. september 1999 gab es in moskau einen bomben-anschlag, der so heftig war, daß er ein ganzes wohnhaus wegriß. es bleibt nicht der einzige anschlag dieser art, auch in wolgodonsk explodiert ein ganzes wohnhaus. 240 menschen kommen bei diesen anschlägen ums leben. den hintergründen zu dieser anschlagsserie geht der russische regisseur andrei nekrasov in seinem dokumentarfilm "disbelief" (zu deutsch also "ungläubigkeit" oder in diesem fall noch besser "mißtrauen") nach.

die anschläge wurden schnell tschetschenischen rebellen zugeschrieben, man nahm einige tatverdächtige fest, preßte ihnen unter folter geständnisse ab, mußte sie danach aber trotzdem wieder laufen lassen. scheinbar war die beweislage doch alles andere als eindeutig. dennoch blieb die russische regierung dabei, daß "die tschetschenen" verantwortlich seien.

wirklich brisant wird das ganze, wenn man sich die damalige politische situation in rußland vor augen führt. damals war jelzin noch präsident, das land mitten in einer schweren wirtschaftskrise und jelzin selbst in eine korruptionsaffäre verwickelt. der anschlag kam ihm daher sicherlich durchaus nicht ungelegen: so hatte man eine legitimation für den zweiten tschetschenien-krieg, der unmittelbar nach den anschlägen von den russen begonnen wurde. der krieg als solcher war dann wiederum praktisch, um von oben genannten problemen abzulenken. und das russische volk, das eigentlich vom ersten tschetschenien-krieg noch die nase voll hatte, konnte im zuge dieser anschläge umgestimmt werden. zumindest stieg dadurch sicherlich die zustimmung für eine erneute intervention, da man ja "irgend etwas machen müsse".

doch der krieg nutzte nicht nur jelzin. auch putin, damals noch ministerpräsident, "avancierte als vaterlandsretter und banditenbekämpfer zum präsidialen favoriten" (die welt; link siehe unten). putin hat dann also später jelzin als präsidenten beerbt, in dem er sich als harter macher verkaufen konnte, der in der not durchgreift und die tschetschenischen terroristen zur strecke bringt, indem er einen neuen krieg im kaukasus vom zaun bricht.

schnell kamen daher erste gerüchte auf, daß die anschlagsserie gar nicht von tschetschenischen rebellen zu verantworten sei. der russische geheimdienst FSB habe die wohnblöcke selbst in die luft gesprengt, um damit der regierung einen kriegsvorwand zu liefern. ganz schön harter tobak, aber genau diese these vertritt andrei nekrasov in seinem film.

was zunächst wie eine äußerst abwegige verschwörungstheorie klingt, nimmt in "disbelief" erschreckend realistische dimensionen an. der regisseur begleitet tatjana und aljona morosowa, zwei schwestern die ihre mutter beim moskauer anschlag verloren haben, und versucht anhand von video-aufnahmen der explosion zu rekonstruieren, wer wirklich für die anschläge verantwortlich war. er zeigt, wie die russischen behörden behaupten die täter zu ermitteln, aber in wahrheit nichts tun, sondern sich immer nur wieder auf die aussage zurückziehen, es sein tschetschenische terroristen gewesen.

nekrasov gelingt es natürlich nicht eine beteiligung des FSB zu beweisen, umgekehrt können aber auch die russischen behörden nicht beweisen, daß es tschetschenen waren. die welt faßt zusammen:

"der hauptverdächtige wurde alsbald überfahren, zwei männer wurden erschossen, als sie nachzuforschen begannen, und der anwalt, mit dessen hilfe tatjana näheres über ihre mutter zu erfahren sucht, sitzt für vier jahre im gefängnis".

in jedem fall ist der film also allein schon deshalb sehenswert, weil er die russischen verhältnisse dokumentiert, in denen unbequemen fragen immer noch mit äußerst unbequemen maßnahmen entgegen getreten wird.

disbelief wurde mit fahrenheit 9/11 verglichen. genau wie michael moore in fahrenheit 9/11 zeigt nekrasov den schmerz der angehörigen und wie diese sich vom staat allein gelassen fühlen oder in ihm gar einen mittäter erkennen. genau wie fahrenheit 9/11 hat auch disbelief eine stark propagandistische intention. doch sonst haben die filme nicht sonderlich viel gemein. der beißende sarkasmus von moore ist nekrasov völlig fremd, bitter beschreibt er das kartell des schweigens und der vertuschungen.

- IMDb-Eintrag zum Film
- Offizielle Website des Films

weitere quellen:

- taz: Die Nacht der kurzen Zündschnüre, 10.09.04
- Die Welt: Man starrt ins Unscharfe, 10.09.04
- DeutschlandRadio Berlin: "Disbelief - Wer die Gewalt sät", 07.09.04

Sonntag, September 12, 2004

"Herr Wichmann von der CDU" erstmals im Fernsehen

in "herr wichmann von der cdu" dokumentiert andreas dresen -- der spätestens seit "halbe treppe" zu den fähigsten deutschen regisseuren gezählt werden muß -- den bundestagswahlkampf des CDU-kandidaten hendryk wichmann.

2002 nimmt sich wichmann der an der HU in berlin jura studiert extra ein urlaubssemester um in seiner heimat, der uckermark, für ein bundestagsmandat zu kandidieren. obwohl er selbst aus der region kommt und daher bestens mit den problemen und der mentalität der leute vetraut sein sollte, ist er von anfang an chancenlos, da er ein nobody ist, während der etablierte spd-kandidat markus meckel wesentlich bekannter ist und wohl auch diesmal das rennen machen wird.

dresen dokumentiert nun den drögen wahlkampfalltag von wichmann, wie er tag für tag immmer wieder seinen wahlkampfstand in der fußgängerzone oder auch einfach an irgend einer imbißbude aufbaut und versucht die leute zu bequatschen, sie mit den immergleichen wahlkampfparolen zu überzeugen, ihnen irgendwelche cdu-souvenirs in die hand zu drücken. das klingt zunächst wenig spannend. doch zu sehen, wie wichmann sich scheinbar beständig selbst vorführt sorgt für zahlreiche lacher. er ist eine art lebendes klischee, eben so wie man sich einen bürgerlichen aus provinz immer vorstellt.

erst auf den zweiten blick offenbart sich dann, daß der film nicht nur klamauk ist. dresen geht es nicht darum, seinen hauptprotagonisten vorzuführen. er dokumentiert ganz allgemein wie so ein wahlkampf aussieht, mit seinen immer wieder abgespulten, oberflächlichen standard-parolen, der ganzen heuchelei, dem anbiedern selbst an leute die einen beschimpfen und nicht zuletzt auch der einsamkeit. nebenher bekommt man so auch einen realistischen, düsteren einblick in die lebensverhältnisse, wie sie in gebieten wie der uckermark mit 20% arbeitslosigkeit vorherrschen.

"herr wichmann von der cdu" läuft heute am sonntagabend um 22:40 uhr im BR zum ersten mal im fernsehen.

- IMDb-Eintrag des Films
- Offizielle Website des Films

Weitere Kritiken:

- http://www.filmszene.de/kino/w/wichmann.html
- http://www.br-online.de/kultur-szene/film/tv/0407/03380/
- http://www.hochschulfilmclub.de/sites...

Mittwoch, September 08, 2004

Warum sich der Westen nicht mit dem Osten solidarisieren will

während im osten der republik menschen gegen hartz IV auf die straße gehen, ist die teilnahmebereitschaft im westen eher gering. zwar finden sich auch hier menschen jeden montag zum demonstrieren zusammen, deren anzahl ist aber verhältnismäßig klein. neusten umfragen zu folge steigt im westen sogar langsam aber sicher die akzeptanz gegenüber den reformen [a], streckenweise ist bereits von einem abebben der proteste die rede [b]. ohne ein mitziehen des westens ist der protest im osten in jedem fall zum scheitern verurteilt, da nur ein gesamtdeutscher massenprotest wirklich zur rücknahme von hartz IV führen kann. anlaß genug, mal nach den gründen zu suchen, warum die protestbereitschaft im westen so schwach ist.

gliederung:

1) hartz IV trifft den osten wesentlich härter als den westen

2) abnehmende bereitschaft im westen den osten weiter "durchzufüttern"

3) im westen haben die "montagsdemos" keine tradition und es gibt dort auch nicht das gefühl "bürger zweiter klasse" zu sein

4) die entwertung der montagsdemo-tradition als beleg für die mangelnde demokratische reife der ostdeutschen

5) die "wir sind das volk"-rhetorik wird in der west-linken auch heute noch als nationalistische parole wahrgenommen

6) der westen ist nüchterner und realistischer als der osten

7) fazit

8) quellen

1) hartz IV trifft den osten wesentlich härter als den westen

der offensichtlichste punkt ist wohl jener, daß man im westen von den reformen nicht so hart getroffen wird, wie im osten. auch hier herrscht arbeitslosigkeit, allerdings nicht in den ausmaßen wie im osten. im osten sind prozentual mehr menschen arbeitslos und damit ist die bevälkerung auch stärker betroffen. es fehlen hier außerdem die im westen über jahrzehnte hinweg privat akkumulierten finanziellen rücklagen, die die kürzungen im sozialbereich ggf. abfedern können.

während es im westen tatsächlich noch einige arbeitsplätze geben mag, die unbesetzt sind, weil es an der bereitschaft von arbeitslosen mangelt, sie in anspruch zu nehmen, ist das im osten eher nicht der fall. der verstärkte druck auf arbeitslose sich auch unliebsame arbeit zu suchen (wie er durch hartz IV ausgelöst wird), kann nur da wirken, wo wirklich noch welche vorhanden ist. und das ist im westen sicherlich eher der fall als im osten. wenngleich natürlich auch im westen eine reform die keine neuen arbeitsplätze schafft, sondern nur druck ausübt unbesetzte arbeitsplätze zu besetzen, keine wirkliche lösung des problems darstellt. im westen werden also unbeliebte arbeitsplätze besetzt, im osten gibt es so gut wie keine mehr, die "sanktionen" der neuen gesetzgebung greifen hier viel stärker und belasten die bevölkerung.

2) abnehmende bereitschaft im westen den osten weiter "durchzufüttern"

während die demonstranten im osten laut "wir sind das volk" schreien, scheinen sie bisweilen zu vergessen, daß das volk nicht nur aus ihnen, sondern auch aus jenen besteht, die für die sozialleistungen aufkommen müssen. hier entsteht in deutschland ein nord-süd-gefälle, das aber oft noch als ost-west-gefälle wahrgenommen wird. die bevölkerung im westen hat also einerseits selbst immer weniger in der tasche, muß dabei aber andererseits mitansehen, wie viele der finanziellen mittel in den noch ärmeren osten fließen, ohne daß sich die lage im osten dabei sichtlich bessern würde.

im westen verstärkt sich also der eindruck, daß der osten endlich lernen muß auf eigenen füßen zu stehen. das kürzen der sozialleistungen bedeutet auch, daß diejenigen die in letzter konsequenz für diese sozialleistungen aufkommen müssen, nun weniger für sozialleistungen "spenden" müssen. daß ihnen das mehr in der eigenen tasche dann vom staat unter umständen an anderer stelle wieder abgenommen wird, steht auf einem anderen blatt.

die bereitschaft von erwerbstätigen sich mit arbeitslosen zu solidarisieren, ist schwach. zwar ist fast jeder von einer drohenden arbeitslosigkeit betroffen, doch solange die anzahl der arbeitslosen nur eine -- trotz allem immer noch deutliche -- minderheit gegenüber den erwerbstätigen ausmacht, wird es keine echte "revolution" gegen hartz IV geben.

3) im westen haben die "montagsdemos" keine tradition und es gibt dort auch nicht das gefühl "bürger zweiter klasse" zu sein

der protest gegen die demontage des sozialstaates äußert sich -- bislang -- im wesentlichen nur durch allwöchentlichen demos am montag. diese stehen in der tradition der "montagsdemos", die 1989 in der ddr enstanden und sich gegen das SED-regime und seine politik richteten. eine vergleichbare tradition gibt es im westen nicht. obwohl also die reformen auch den westen betreffen, werden diese demos hier als primär rein "ostdeutsches ding" wahrgenommen. zwar gibt es inzwischen auch entsprechende demos im westen, diese erreichen aber bei weitem nicht den zulauf wie im osten.

auch geht es im ostdeutschland nicht mehr nur um die hartz-gesetze, das unmutsgefühl sitzt viel tiefer. hartz IV ist hier nur der gipfel einer ganzen kette von prozessen und fakten. es werden westbeamte von der telekom in den osten geholt, damit diese hier arbeitslose beim ausfüllen der hartz-IV-bögen helfen; die löhne sind immer noch nicht vollständig an das westniveau angeglichen; usw. so ensteht bei vielen ostdeutschen der eindruck, "bürger zweiter klasse" zu sein. ein gefühl, daß es so aber nun mal im westen nicht gibt und dort dann den eindruck verstärkt, es ginge hier in wahrheit eigentlich um rein ostdeutsche minderwertigkeitskomplexe [c], für die man sich als westdeutsche aber wenn überhaupt nur sehr bedingt verantwortlich sieht.

4) die entwertung der montagsdemo-tradition als beleg für die mangelnde demokratische reife der ostdeutschen

historisch betrachtet, ist der begriff "montagsdemonstration" ein eindeutig konnotierter begriff. er bezeichnet die demonstrationen der ostdeutschen gegen das unrechtsregime in der ddr 1989. reaktivieren die ostdeutschen nun diese tradition im zuge der anti-hartz-proteste, rücken sie damit automatisch -- gewollt oder ungewollt -- die schröder-regierung in die nähe des SED-regimes. die montagsdemos richteten sich eben ursprünglich dezidiert gegen die ddr-diktatur und sollten daher nicht zu einer allgemeinen protestform gegen soziale ungerechtigkeiten verklärt werden. bei allem verständnis für die wut über die reformen: es besteht ein unterschied zwischen einer demokratisch gewählten regierung die den sozialstaat demontiert und einem unrechtsregime, das u.a. menschen an der landesgrenze erschießen ließ.

manche ostdeutsche mitbürger sehen wohl wirklich parallelen zwischen der ddr 1989 und der brd 2004, die mehrheit ist sich jedoch -- hoffentlich -- über den unterschied und die unvergleichbarkeit der beiden situationen im klaren. maßgeblich ist allerdings nicht nur wie etwas gemeint ist, sondern auch wie es aufgefaßt wird. und im westen wird die reaktivierung einer tradition die sich ursprünglich gegen eine sozialistische diktatur gerichtet hat, als zumindest "pietätlos" aufgefaßt. nicht zuletzt gegenüber jenen ostdeutschen bürgerrechtlern, die als vorreiter 1989 gegen die ddr-diktatur zu felde zogen und heute von einigen ostdeutschen als angepaßte und satte CDUler und SPDler verunglimpft werden.

für die einen ist der umstand, daß sich die ostdeutschen endlich wehren und aus ihrer lethargie erwacht sind also ein beleg für das funktionieren von demokratischen mechanismen. skeptiker sehen darin eher das unvermögen der ostdeutschen zwischen einer diktatur und einem demokratischen rechtsstaat zu differenzieren, weil sie heute dieselbe symbolik auffahren wie 1989 als es gegen die SED ging. was im westen also zumindest in einigen kreisen bitter aufstößt, ist weniger der umstand, daß es im osten einen protest gegen den sozialabbau gibt, sondern mehr die art und weise wie er von statten geht, welcher symbolik sich hier bedient wird.

5) die "wir sind das volk"-rhetorik wird in der west-linken auch heute noch als nationalistische parole wahrgenommen

während die protestler offensichtlich weniger probleme mit dem slogan "wir sind das volk" haben, ruft er bei teilen der linken -- besonders im westen -- eher unbehagen hervor [d]. dort wird das neu erwachte, nationale wir-gefühl von 1989/90 nicht nur mit der wiedervereinigung assoziiert, sondern auch mit den unmittelbaren folgeerscheinungen. dieser deutschtrunkene taumel in schwarz-rot-gold endete anfang der 90er jahre schließlich in rostock-lichtenhagen und hoyerswerda. "wir sind das volk" wird in der westlinken (und nicht nur da) als nationales exklusionskriterium wahrgenommen, denn "wir" beinhaltet auch immer, daß es andere geben muß, "die" eben nicht dazugehören, was bei einem völkisch bezogenem "wir"-begriff besonders kritisch zu sehen ist.

verstärkt wird dieser eindruck durch die berichte von rechtsextremen auftritten auf den "montagsdemos". von vielen ostdeutschen demoteilnehmern als panikmache der medien verworfen, ist es doch tatsache, daß zumindest in einigen städten rechtsextreme auf den demos toleriert werden. man möchte so viele menschen wie möglich ansprechen und auf den demos sehen, die politische ausrichtung ist dann sekundär, solange einen die gemeinsame abneigung gegen die reformen eint. diesem mangel an nötiger differenzierung, wer da nun eigentlich auf der demo erscheint, wirken glücklicherweise viele demo-teilnehmer und -veranstalter entgegen. dennoch sieht man in der westlinken mit diesen demos wohl auch das wiedererwachen des "häßlichen ostdeutschen", wie man ihn vom anfang der 90er jahre in erinnerung hat. dieser eindruck wird sich wahrscheinlich noch verstärken, sollte es der NPD bei den landtagswahlen in sachsen am 19. september tatsächlich gelingen [e], in den landtag einzuziehen.

6) der westen ist nüchterner und realistischer als der osten

letztlich ist im osten der republik der glauben wohl deutlich stärker, mit diesen protesten etwas bewegen zu können, als im westen. viele ostdeutsche scheinen nach dem motto zu verfahren "was einmal klappte, klappt auch ein zweites mal". nur gerade weil eben die situation von 1989 nicht mit der von 2004 vergleichbar ist, ist es unwahrscheinlich, daß durch diese "latschdemos" eine rücknahme der reformen herbeigeführt wird oder ein beitrag zum sturz der regierung geleistet werden kann.

entscheidend ist hier auch die frage nach den alternativen. während der westen eher bereit ist die hartz-gesetzgebung als alternativlos zu schlucken, will man dies im osten nicht akzeptieren. allerdings werden hier dann auch keine alternativen genannt. alle schreien die parolen von den PDS-plakaten nach; daß auch die PDS keine realpolitisch umsetzbare und wirksame alternative zu hartz IV auf der pfanne hat, scheint hier wenig zu stören. einfach nur gegen etwas zu sein, ist immer der einfachere schritt. alternativen zu entwerfen ist dagegen wesentlich schwieriger, gerade auf einem so komplexen feld wie der arbeitsmarktpolitik.

und "schröder muß weg" bedeutet in letzter konsequenz dann eben eine neue schwarz-gelbe regierung und ob diese dann reformen durchsetzt die "humaner" sind als die hartz-konzepte, muß doch stark bezweifelt werden.

im westen scheint sich also der realismus durchzusetzen, daß der beste protest nichts nutzt, wenn es keine greifbaren alternativen gibt. demgegenüber reicht den ostdeutschen das einfache dagegen sein, um auf die straße zu gehen. zwar gibt es auch einige anti-hartz-initiativen, die vielleicht einmal ein konstruktives gegenkonzept ausarbeiten, doch momentan fristen sie eher ein schattendasein hinter den montagsdemos. und spätestens wenn sich dann diese demos nicht mehr im zentrum des medieninteresses bewegen können [f], droht die gesamte protestbewegung als bald kein thema mehr zu sein.

7) fazit

anhand meiner ausführungen habe ich versucht deutlich zu machen, warum der -- sicherlich nicht unberechtigte -- protest gegen die hartz-gesetzgung zum scheitern verurteilt ist. grundvoraussetzung für einen erfolg wäre erstens ein überschwappen der bewegung in den westen, was bisher aber nur recht kläglich gelungen ist, woran sich aus oben genannten gründen kaum etwas ändern dürfte. zum zweiten bräuchte der protest in naher zukunft deutlich mehr inhaltliche substanz, um erfolg haben zu können. es müßten realistische alternativen entwickelt werden (und so zu tun, als lebe man noch im fordismus [g] und als gäbe es keine globalisierung, ist sicherlich nicht realistisch). auch das scheint sich aber nicht herauszukristallisieren.

8) quellen

[a] Politbarometer: Zustimmung zu Reformen steigt, Tagesspiegel, 27.08.04
[b] Protestwelle ebbt ab, SPON, 24.08.04
[c] Psychologe Maaz sieht im Osten "Kränkungswut", Tagesspiegel, 02.09.04
[d] Unmögliche Dialektik, Jungle World Nummer 38, 08.09.04
[e] Comeback der Nationalsozialen, Jungle World Nummer 38, 08.09.04
[f] Wann kommt Milbradt?, Telepolis, 12.08.04
[g] Fordismus Definition bei Wikipedia

Donnerstag, September 02, 2004

Die Medien und der Anti-Hartz-Protest

im zuge des anti-hartz-protestes nehmen die medien auch zunehmend die eigene rolle (bzw. die der konkurrenz, denn es sind natürlich immer die anderen) unter die lupe. dazu zwei aktuelle artikel.

Jungle World: Der deutsche Einheitsbrei, 01.09.04
in der jungle world beschreibt thomas gesterkamp noch mal ganz treffend, wie in den medien vor den reformen immer fleißig gegen vermeintliche "sozialschmarotzer" gehetzt wurde und die regierung dazu angehalten wurde, ihre reformen um jeden preis durchzuziehen, komme was da wolle. erst jetzt, wo die gesetze in kraft treten (bzw. unmittelbar davor stehen in kraft zu treten) vollziehen die medien eine 180° wendung und machen auf einmal stimmung gegen reformen und kürzungen im sozialbereich. nicht nur, aber besonders hat der autor hier die springerpresse im visier. gesterkamp bezieht sich dabei auf kommunikationswissenschaftler, deren these es ist, daß boulevardzeitungen keine trends schaffen können, sondern nur bereits bestehende verstärken; daß sie also bewußt ihre fahne nach dem wind richten. es ginge nicht darum die regierung stürzen zu wollen, sondern einzig allein um die rettung der eigenen, seit jahren rückläufigen auflage. schröder kam damit nicht klar, mal war die bild-zeitung auf seiner seite, dann beim gleichen thema auf einmal nicht mehr. bedingt durch diesen hickhack hat er dann entnervt beschlossen, der bild keine interviews mehr zu geben, was sich nach meinung des autors als strategischer fehler erwies.

junge Welt: Herrschaftspresse, 01.09.04
während man in der jungle world also noch davon ausgeht, daß die medien nach ihrem sommerumschwung weiterhin auf der Seite der protestierenden stehen, skizziert arnold schölzel in der jungen welt ein anderes bild. hier wittert man eine verschwörung von presse und regierung gegen das volk. die mehrheit der bundesdeutschen printpresse verteidige inzwischen die agenda 2010, was sich exemplarisch unter anderem darin erkennen ließe, daß lafontaine hier fast ausnahmslos als populist und nicht als wirkliche alternative dargestellt würde (die junge welt hat beschlossen, in einer artikel-serie eine art verteidigungslinie für oskar zu bilden). die bundespresse verkennt nach meinung des redakteurs die ostdeutsche wirklichkeit und verbündet sich dabei mit der herrschenden kaste: "daß die zahl der demonstranten minimalisiert wird, ist staatsauftrag."

Freitag, Juli 30, 2004

Doku-Sommer 2004: The Corporation

in ihrer kapitalismuskritischen dokumentation "the corporation" zeichnen die drei kanadier mark achbar, jennifer abbot und joel bakan anhand von einigen fallstudien die häßliche fratze der globalisierung nach. ein paar "lefties" aus dem untergrund prangern das geschäftsgebaren von großkonzernen an. ein nicht gerade neues konzept. dennoch ist the corporation ein sehenswerter und interessanter film.

die ausgangssituation gestaltet sich wie folgt: seit anbeginn des kapitalismus sind unternehmen immer mächtiger und einflußreicher geworden. juristisch gesehen ist das unternehmen dabei nach wie vor eine person. denkt man dieses konzept von einem unternehmen als "person" nun weiter und untersucht die person medizinisch, kommt man zu dem ergebnis, daß man einen psychopathen vor sich hat.

der film versteht sich also eine art "psychologische untersuchung" eines patienten namens "unternehmen" und kommt dabei (wie nicht anders zu erwarten) zu bitteren ergebnissen. wie psychopathen handeln unternehmen desktruktiv und ohne gewissen, sie besitzen zwar eine rechtspersönlichkeit, aber keine staatsbürgerlichen und sozialen pflichten, streben nur nach profit und entfalten dabei eine äußerst zerstörerische kraft.

um das zu untermauern kommen im film gleichermaßen globalisierungsbefürworter wie -kritiker zu worte. die interviewten werden dabei vorher darüber aufgeklärt, was die intention des films ist und werden dann anschließend in die zange genommen. an ganz konkreten fallbeispielen wird außerdem verdeutlicht, wie die multis überall auf der welt menschen ausbeuten. das ist ansich nichts neues, aber die einzelnen beispiele sind so noch nicht alle bekannt gewesen und in der tat äußerst erschreckend.

chancen auf veränderung sehen die autoren nicht, da das kapitalistische system keine alternative, sozialere, dem unternehmen entsprechende organisationsstruktur zuläßt. so gesehen betreibt der film eine art "verkürzte kapitalismuskritik": im fokus der kritik liegen nur die unternehmen, nicht das system als solches, in dem die unternehmen eingebettet sind. der film bietet also keinen lösungsvorschlag an (mal abgesehen vom klassischen, globalisierungskritischen aktivismus einiger NGOs, der aber auch nur sehr beschränkt wirkt), er analysiert zunächst nur das problem oder zumindest einen teil des problems. im späteren verlauf werden dann leider nur noch die verfehlungen des "patienten unternehmen" aufgelistet, während die analyse seiner "psychopathischen persönlichkeit" immer weiter im hintergrund verschwindet.

der anspruch den die drei filmmacher hegen beschränkt sich nach eigener aussage in erster linie darauf, dem zuschauer zu verdeutlichen, wie sehr die großkonzerne meinungsfreiheit und menschenrechte gefährden. und zumindest das gelingt dem film durchaus. so ist es ausgesprochen erschreckend zu sehen, wie etwa ein konzern wie bechtel in bolivien sein recht auf jeden regentropfen durchsetzt oder wie monsanto jede kritische berichterstattung über seine medikamente zu unterdrücken weiß.

the corporation läuft zur zeit in einigen wenigen us-kinos, ob der film auch in deutschland zu sehen sein wird, ist noch nicht bekannt.

- Offizielle Homepage des Films
- IMDb-Eintrag

Weitere Informationsquellen dieses Eintrags:

- http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,304353,00.html
- http://www.heise.de/tp/english/inhalt/kino/17830/1.html

Donnerstag, Juli 29, 2004

Doku-Sommer 2004: Super Size Me

in seinem film "super size me" ernährt sich der regisseur morgan spurlock einen monat lang, drei mal täglich ausschließlich von fast food bei mcdonalds. er dokumentiert seinen körperlichen wie psychischen verfall und fühlt zeitgleich der lebensmittel-industrie in den usa auf den zahn; verdeutlicht wie amerikaner schon als kinder vom fast food abhängig gemacht werden.

zunächst erscheint das ganze nicht so sonderlich interessant. ich meine, daß der übermässige konsum -- oder der konsum von fast food überhaupt -- nicht sonderlich gesund sein kann, das wußten wir auch vorher schon und das erahnen selbst die amerikaner, die dieses zeug noch weitaus exzessiver in sich reinschauffeln, als der durchschnittseuropäer.

aber, daß es SO gefährlich ist, wie es im film verdeutlicht wird, das war vorher wohl nur den wenigstens klar. spurlock geht vor seinem experiment zu drei verschiedenen ärzten, die ihm unabhängig voneinander bestätigen, daß er kerngesund und topfit ist (noch weit über dem amerikanischen durchschnitt). nur drei wochen später wird ihm geraten, das experiment sofort abzubrechen. seine werte sind derart katastrophal, daß sein körper droht irreperablen schaden zu nehmen. doch spurlock zieht sein experiment weiter durch, insgesamt volle vier wochen lang.

natürlich kann man keinen film allein darüber machen, wie ein mensch drei mal pro tag fast food in sich hineinstopft. spurlock durchleuchtet das problem genauer. er zeigt auf, daß die lebensmittel-industrie gar kein interesse daran hat, gesünderes essen herzustellen, daß kinder schon in der schul-kantine mit fast food vollgestopft werden. bei einem test erkennen nur wenige kinder george washington auf einem bild wieder, jeder erkennt dagegen sofort ronald mcdonald.

spurlock zeigt menschen auf dem krankenbett, die kurz davor stehen sich den magen verkleinern zu lassen, weil sie 8 liter softdrinks pro tag trinken und zeitgleich entsprechende massen an fettreicher nahrung zu sich nehmen. das problem ist, daß man überall in den usa das fast food auch in größe "super size" bekommt, was dem kunden für ein paar cent mehr offeriert wird. und jeder bestellt seine pommes dann "supersized", obwohl eine einfache portion zur sättigung völlig reicht (zwischen normal und supersized gibt es wohlgemerkt noch 2 oder 3 weitere zwischengrößen). selbst getränkehalter in autos mußten inzwischen vergrößert werden, weil die amerikaner sich 2 liter becher mit cola gönnen.

den irrsinn kann spurlock aber auch ganz trivial aufzeigen, wenn er z.b. auf einer karte von manhattan markiert, wie viele mcdonalds filialen es dort gibt. mit dem resultat, daß die karte in einem meer von roten fähnchen verschwindet. es sind diese szenen, die einem das meiste gruseln verursachen, weil man es es sich in dieser extremen form nicht hat vorstellen können.

er beleuchtet aber auch die klage von kunden gegen mcdonalds, die anführen, daß sie von mcdonalds systematisch abhängig gemacht wurden und niemand sie über die folgewirkungen aufgeklärt hätte. hier geht es also um den streitpunkt, wo hört die eigenverantworlichkeit des individuums auf, wo muß man die unternehmen in verantwortung nehmen. die klage wurde schließlich abgewiesen. anders als bei den tabakkonzernen kann die lebensmittelindustrie in den usa nicht belangt werden, obwohl es hier durchaus parallelen gibt, wie der film deutlich macht.

trotz mehrfacher versuche hat spurlock niemanden von mcdonalds zu einem interview bewegen können. nach veröffentlichung seines films, wurden aber zumindest die super size angebote aus dem programm genommen (fürs erste) und mcdonalds bietet jetzt verstärkt salate an, deren dressing dann aber wieder mehr kalorien enthält, als ein bigmäc. er hat außerdem das mcdonalds-argument als falsch entlarvt, demnach die mehrheit der ernährungsberater in den usa fast food als ungefährlich einstuft. das genaue gegenteil ist der fall.

super size me läuft seit dem 15. juli in den deutschen kinos.

- Offizielle Homepage des Films (de)
- IMDb-Eintrag

Weitere Informationsquellen dieses Eintrags:

- http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/kino/16627/1.html
- http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/kino/17882/1.html
- http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,308796,00.html
- http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,308577,00.html

Dienstag, Juli 27, 2004

Doku-Sommer 2004: The Backyard

paul hough zeigt in seinem film "the backyard" eine art jackass für fortgeschrittene: perspektivlose, weiße jugendliche veranstalten im hinterland und auf hinterhöfen eine extreme form des aus dem fernsehen allgemein bekannten wrestlings. man bekommt einblicke in eine subkultur in der ritualisierte gewalt derart selbstverständlich geworden ist, daß einem angst und bange werden kann.

mit stacheldraht bestückte baseballschläger, ein mit glasscherben und reißzwecken überzogener boden und eine alu-leiter von der aus man springen kann, sind die grundutensilien dieses neuen freizeitvergnügens. wie im fernsehen springen die kontrahenten aufeinander rum und drangsalieren sich mit diversen gegenstände. nur, daß der backyard die realität ist, in der echtes blut spritzt. je mehr, desto besser. die akteure berichten sogar, daß man vor dem kampf idealerweise aspirin nimmt, weil dies angeblich das blut soweit verdünnt daß es anschließend umso intensiver fließt, wenn man sich eine platzwunde zuzieht.

die gleichsetzung von gewalt mit unterhaltung und freizeitspaß ist hier so tief in den köpfen verwurzelt, daß sie nicht mal mehr von den erwachsenen hinterfragt wird. zwar werden im film auch eltern gezeigt, die schwer schockiert sind und in tränen ausbrechen, wenn sie sehen was ihre kinder dort treiben, doch die mehrheit feuert sie an, ist stolz darauf was der eigene nachwuchs dort veranstaltet. und selbst wenn nicht, lautet der tenor zumindest: besser sie prügeln sich bis das blut in strömen fließt, als daß sie drogen nehmen oder den ganzen tag nur auf der straße rumlungern. und -- man mag es kaum glauben -- selbst die schule beteiligt sich und nimmt das backyard-wrestling kurzerhand in den leistungskurs auf.

fast alle protagonisten äußern den traum es auf diesem weg in eine der teuren profi-wrestling-schulen zu schaffen, obwohl das was dort gelehrt und anschließend im fernsehen zelebriert wird, nicht viel mit dem backyard-wrestling zu tun hat. das ist ihre vision eines sozialen aufstiegs. und wenn ihnen das nicht gelingt, dann bleibt ihnen zumindest die anerkennung der freunde, der familie und der nachbarschaft. eventuelle spätfolgen des harten körpereinsatzes sind ihnen dagegen völlig gleich. anders als fight club ist "the backyard" nicht fiktiv und die motivation der kämpfer ist kein aus dekadenz herausgeborener selbstfindungstripp, sondern schlicht das anerkennungsbedürfnis einer sozialbenachteiligten bevölkerungsschicht.

the backyard läuft seit dem 22. juli in den deutschen kinos.

- Offizielle Homepage des Films (de)
- IMDb-Eintrag

Weitere Informationsquellen dieses Eintrags:

- http://www.schnitt.de/filme/artikel/the_backyard.shtml
- http://www.kino-zeit.de/filme/artikel/1229_the-backyard.html
- http://www.br-online.de/kultur-szene/film/kino/0406/03221/

Montag, Juli 26, 2004

Doku-Sommer 2004: Ken Park

"ken park" paßt nicht wirklich in diese reihe, weil es ein spielfilm ist, keine dokumentation im herkömmlichen sinne. allerdings nimmt der film für sich in anspurch durchaus die realität zu dokumentiern. in vier episoden (die alle auf wahren begebenheiten beruhen sollen) erzählt der film von problemen die jugendlichen heute in der pubertät haben und dokumentiert dabei ihre sexuellen erfahrungen. wobei hier negative entwicklungen im vordergrund stehen, es geht darum, dysfunktionen in der gesellschaft aufzuzeigen.

die expliziten sexszenen machten den film schon früh zum skandal und der regisseur larry clark wurde seinem ruf als provokateur mal wieder gerecht. bekannt geworden ist clark durch seinen kultfilm kids, der eine gruppe von teenagern in new york zeigt, wie sie sich sorglos durchs leben feiern und dabei mit HIV infizieren. ein bedrückender und erschütterner film.

von der metropole new york ist clark diesmal in die us-amerikanische provinz gezogen und verdeutlich in ken park die doppelmoral und prüderie der bigotten us-gesellschaft. auch wenn der film formal über das leben heranwachsender berichtet, zielt seine kritik doch auf das verhalten der erwachsenen ab, deren fehlverhalten sich dann in den verhaltensmustern der jugendlichen widerspiegelt.

inwiefern es wirklich nötig ist, sexuelle erfahrungen derart freizügig darzustellen ist natürlich umstritten. manche kritiker halten den film einfach nur für pornographie, andere halten die darstellung des realismus wegen für richtig, weil hierüber auch die unsicherheit der protagonisten transportiert wird. besonders die allerletzte szene (eine orgie) wird jedoch als völlig überzogen und unnötig gewertet.

dennoch wird gerade die "skandalisierung" des films zu PR-zwecken ausgeschlachtet, so wirbt die offizielle website z.b. damit, daß der film in den usa zensiert und in australien ganz verboten wurde.

ken park läuft seit dem 22. juli in den deutschen kinos.

- Offizielle Homepage des Films (de)
- IMDb-Eintrag

Weitere Informationsquellen dieses Eintrags:

- http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,309770,00.html
- http://www.wams.de/data/2004/07/18/306798.html
- http://www.filmstarts.de/kritik/ken%20park.html

Freitag, Juli 23, 2004

Doku-Sommer 2004: Gunner Palace

wem filme wie "fahrenheit 9/11" oder "outfoxed" zu einseitig und zu plakativ sind, der findet vielleicht gefallen an michael tuckers "gunner palace". von der FASZ ausgegraben und vom SPIEGEL übernommen, wird gunner palace zu einer art "anti-moore-film" deklariert, der die us-truppen in einem ganz anderen licht erscheinen läßt.

tucker nimmt die position eines "embedded journalists" ein, der mit den soldaten unterwegs ist und so einen hautnahen eindruck ihres alltags, ihrer verhaltenweisen und ansichten bekommt. dabei hat er nicht anspruch, objektiv zu sein, sondern räumt offen ein, daß er am ende nicht mehr "sie", sondern "wir" gesagt hat, sich also als ein teil der einheit gefühlt hat, die er begleitet hat. das wirkt sich durchaus positiv auf den film aus, weil tucker im umkehrschluß von den soldaten nicht mehr als fremder, als beobachter wahrgenommen wird, sondern als einer der ihren. das sind ideale voraussetzungen, wenn man soldaten in ihrem normalen verhalten beobachten will ohne daß der eindruck entsteht, sie spielten jetzt etwas vor, weil die kamera mitläuft.

obwohl tucker nichts inszenieren will, wirkt der film kritikern zufolge dennoch oft genau so. zum beispiel, wenn soldaten in ihrem verhalten ganz bewußt posen nachahmen, wie sie sie aus vietnam-filmen kennen. der regisseur muß also nichts inszenieren, weil sich die protagonisten auch ohne sein zutun in ihrem alltag ständig selbst inszenieren, egal ob da nun eine kamera läuft oder nicht. es sind einfach bestimmte posen und riten, die sie übernommen haben und fortführen.

man könnte tucker vielleicht vorwerfen, er würde den alltag verharmlosen. während immer wieder neue foltervorwürfe auftauchen, filmt er beispielsweise, wie die soldaten höflich und zuvorkommend mit ihren gefangenen umgehen. oder daß er irgendwelche rührseligen szenen aus dem privatleben der soldaten zeigt und so mißstände kaschiert, indem er sie mit der message "soldaten sind auch nur menschen" überplättet. höchstwahrscheinlich menschelt es an allen ecken und enden in seinem film. dennoch wirken die szenen angeblich selten übertrieben pathetisch und auf polemik wie sie als stilmittel in einem moore-film unerläßlich ist, verzichtet tucker ganz. ein abschließendes urteil kann ich mir allerdings erst bilden, wenn ich den film gesehen habe.

bisher konnte tucker noch keinen verleih für seinen film finden, momentan sind filme die den irak-krieg in ein positives licht rücken, nicht sonderlich beliebt. besonders nicht in deutschland, wo michael tucker zur zeit lebt. auf seiner website finden sich jedoch zumindest trailer.

- Offizielle Homepage des Films
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Weitere Informationsquellen dieses Eintrags:

- http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,309205,00.html

Donnerstag, Juli 22, 2004

Doku-Sommer 2004: Outfoxed

in "outfoxed -- rupert murdoch's war on journalism" beleuchtet der regisseur robert greenwald die methoden des einflußreichen us-fernsehsenders "fox news". fox news gehört zum netzwerk des erzkonservativen medienmoguls rupert murdoch und ist während des irak-krieges endgültig zu einem reinen propaganda-kanal der republikaner verkommen, so der vorwurf von greenwald.

dabei stört ihn nicht, daß der sender konservativ ist, sondern daß dort nur noch einseitig wahlwerbung für die republikaner gemacht wird, während man zeitgleich von sich behauptet, überparteilich und unabhängig zu sein. von einer ausgewogenen berichterstattung kann aber in den nachrichtensendungen von fox news keine rede sein. da wird die wiederwahl von bush im november schon mal zum tatbestand erklärt, mitarbeiter kriegen konkrete anweisungen wie sie über den krieg zu berichten haben (das positive ist zu betonen), der patriotismus von bush-kritikern wird permanent in frage gestellt, studiogäste kommen mehrheitlich fast ausschließlich aus dem konservativen lager, gäste mit abweichender meinung dürfen nicht ausreden oder werden ausgeblendet, usw., usf.

greenwald macht dabei keinen hehl daraus, daß sein film von demokraten finanziert wurde. für sich selbst nimmt er im gegensatz zu den fox news auch gar nicht in anspruch, objektiv zu sein. systematisch zerlegt er das programm des senders, zeigt auf, wo und wie wahlwerbung für die konservativen gemacht wird und wie das dann als neutrale berichterstattung verkauft wird.

eher linksliberal orientierte sender wie cnn oder cbs mußten während des krieges dann auf den patriotismus-zug der fox news aufspringen, um nicht als vaterlandsverräter denunziert zu werden und an quote zu verlieren. gewonnen hat das rennen um die quote dann am ende trotzdem fox news, das heute der meistgesehene nachrichtenkanal der usa ist.

anders als etwa moores "fahrenheit 9/11" gibt es "outfoxed" jedoch nicht im kino zu sehen, sondern nur auf dvd zu bestellen. was sich für die macher als glücksgriff erwies, der film führt die dvd-charts in den usa teilweise sogar an. auch wenn es den film in deutschland noch nicht gibt, kann er übers internet in den usa bestellt werden, z.b. bei amazon. allerdings weiß ich nicht, ob so eine dvd in europäischen dvd-playern abspielbar ist, da gibt's ja immer noch diese hürde mit den ländercodes.

- Offizielle Homepage des Films
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Weitere Informationsquellen dieses Eintrags:
- http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/17932/1.html
- http://www.dradio.de/dlf/sendungen/marktundmedien/286694/

Mittwoch, Juli 21, 2004

Doku-Sommer 2004: Fahrenheit 9/11

michael moore hat es mal wieder geschafft: sein neuster film "fahrenheit 9/11" bricht in den usa alle rekorde und wird wohl auch hier in europa einen ähnlichen siegeszug antreten. ursächlich dafür ist weniger die brisanz des inhalts, als viel mehr der medienhype der um diesen film herum entstanden ist.

eigentlich geht es in diesem film um das mißmanagement der us-administration nach den anschlägen vom 11. september 2001, es geht um die verbindungen der familien bush und bin laden, es geht um die ökonomische ausbeutung des landes durch bush und seine kaste, es geht um kriegsführung aus einer fragwürdigen motivation heraus, es geht um macht und interessenvertretung. doch liest man sich die diversen artikel zu diesem film durch, dann fällt auf, daß der film dort wenn überhaupt dann nur am rande inhaltlich diskutiert wird. vielmehr geht es darum, wer für diesen film ist und wer gegen ihn, wer und was ihn zu bremsen versucht, wer und was ihn fördert. der film ansich ist zum politikum geworden, dahinter steht der eigentliche inhalt immer weiter zurück.

dafür kann man einige gründe anführen, z.b.: der film sagt inhaltlich nicht viel aus, was dem aufgeklärten und informiertenm bürger nicht ohnehin schon klargewesen wäre. der film erscheint -- wohl nicht ganz zufällig -- mitten im us-präsidentschaftswahlkampf. er wird in folge dessen von kritikern und bush-sympathisanten als einseitiger propaganda-streifen wahrgenommen, dessen einziges ziel es ist, bush aus dem amt zu bekommen (was moore wahrscheinlich nicht mal abstreiten würde). in einer phase, in der sich bush-gegner und -befürworter angespannter und aggressiver denn je gegenüberstehen, mutiert ein film wie "fahrenheit 9/11" schnell zum gegenstand eines regelrechten "kulturkampfes".

so läßt sich auch die geschichte des films in mehreren "hype-stufen" nachzeichnen:

1. hype-stufe: der film wird von miramax produziert, das aber zu disney gehört. bei disney erkennt man die vermeintliche politische brisanz des films und will ihn kippen. es riecht nach zensur, was moore für sich und seinen film PR-wirksam zu nutzen weiß. schließlich erscheint der film dann direkt bei miramax.

2. hype-stufe: der film gewinnt in cannes die goldene palme, was seit knapp 50 jahren keinem dokumentarfilm mehr vergönnt war. nun reißen sich die vorher verhaltenen us-verleiher auf einmal um den film.

3. hype-stufe: einige republikaner versuchen eine kampagne gegen den film zu starten und denunzieren ihn als unpatriotisch und amerikafeindlich. doch der schuß geht nach hinten los, der film erhält in der öffentlichkeit jetzt nur noch umso mehr aufmerksamkeit. den glühenden gegnern stellen sich ebenso glühende moore-unterstützer entgegen.

4. hype-stufe: der film wird in den usa erst ab 17 jahren freigegeben. zunächst ein rückschlag für moore, weil das die anzahl der potentiellen zuschauer einschränkt. doch am ende spielt auch das moore nur wieder in die hände, weil sich in der öffentlichkeit der eindruck verstärkt, der film solle mit allen mitteln und tricks kleingehalten werden.

5. hype-stufe: moore erklärt öffentlich, daß er kein problem damit habe, daß der film über tauschbörsen im internet weiterverteilt wird. schließlich ginge es ihm um aufklärung, nicht darum noch mehr geld zu scheffeln. auf seiten des studios sieht man das verhaltener, muß dann aber notgedrungen auf moores linie schwenken. der rest der filmindustrie läuft sturm gegen diesen vorstoß von moore, sieht sie so doch alle bemühungen die illegale weiterverbreitung von filmen einzudämmen und das ökonomisch wie moralisch zu begründen, konterkariert.

6. hype-stufe: wann immer sich moore-befürworter im falschen gefilde outen, gibt es einen einen kleinen eklat und damit auch wieder eine neue pressemeldung. so wurde die country sängerin linda ronstadt nach einem auftritt in einem hotel vom überwiegend konservativen publikum rüde beschimpft und ausgebuht, weil sie geäußert hatte, man solle sich "fahrenheit 9/11" unbedingt ansehen, es sei ein film der die wahrheit dokumentiere.

egal was versucht wurde, den hype um "fahrenheit 9/11" einzudämmen, stets gab es die umgegekehrte wirkung: moore bekam nur noch umso mehr aufmerksamkeit in der öffentlichkeit, was dann wiederum den bekanntheitsgrad des films immer weiter nach oben trieb und damit am ende auch die zuschauerzahlen. dennoch bleibt natürlich die anzahl der kinos in denen der film in den usa zu sehen ist klein, verglichen mit "normalen" filmen wie shrek2 oder spiderman2, die man in nahezu jedem kino zu sehen bekommt. umso wichtiger war der medienhype für den erfolg von "fahrenheit 9/11" in den usa.

fahrenheit 9/11 läuft seit dem 29. juli in den deutschen kinos.

- Offizielle Homepage des Films
- IMDb-Eintrag

Weitere Informationsquellen dieses Eintrags:

- SPON: Disney blockiert die Bush-kritische Doku "Fahrenheit 9/11"
- SPON: Goldene Palme für Moores "Fahrenheit 9/11" in Cannes
- SPON: US-Verleiher reißen sich um Moore-Film nach Cannes
- SPON: Miramax kauft "Fahrenheit 9/11" von Disney zurück
- SPON: US-Patrioten rufen zum Boykott von "Fahrenheit 9/11" auf
- SPON: "Fahrenheit 9/11" in den USA erst ab 17 freigegeben
- SPON: US-Presseschau zu "Fahrenheit 9/11"
- SPON: "Fahrenheit 9/11" bricht Kassenrekord für Dokumentarfilme
- SPON: "Fahrenheit 9/11" mobilisiert die Massen
- SPON: Moore gibt seinen Film zur Weiterverbreitung im Netz frei
- SPON: Ronstadt wegen "Fahrenheit 9/11" Unterstützung ausgebuht
- SPON: Bilder wie Bomben
- SPON: Zur Deutschlandpremiere von "Fahrenheit 9/11"
- SPON: Moores vereinfachte Welt
- Jungle World: Günter Wallraff über Michael Moore
- Der Tagesspiegel: Was Europäer von "Fahrenheit 9/11" lernen können
- Telepolis: Bei Disney mag man mit Michael Moore nichts zu tun haben
- Telepolis: Ist die Irak-Politik von Bush nicht jugendfrei?
- Telepolis: Moore: "Raubkopieren ist erlaubt, solange niemand daran verdient"
- Telepolis: Über die "geheime Europapremiere" von "Fahrenheit 9/11" in Berlin