Montag, September 26, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 9 -- Die Sache mit dem dritten Wahlgang

Nach GG Art. 39 Abs. 2 muß der Deutsche Bundestag spätestens 30 Tage nach seiner Wahl zusammentreten. tagesschau.de setzt diese Frist deshalb auf den 18. Oktober an (Stand: 23.09.2005). Das würde stimmen, wenn man den 18. September als Ausgangsdatum nimmt. Tatsächlich ist die Wahl aber ja erst am kommenden Sonntag (02.10) mit der Nachwahl in Dresden abgeschlossen, daher vermute ich, daß dies das eigentliche Ausgangsdatum ist. Der neue Bundestag müßte also spätestens am 01.11. zusammenkommen.

Nach GG Art. 63 Abs. 1 wird der Bundeskanzler dann auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag gewählt, der Bundespräsident hat hier also das sog. Vorschlagsrecht. Kann der vorgeschlagene Kandidat keine absolute Mehrheit (sog. "Kanzlermerheit") auf sich vereinen, kann innerhalb von 14 Tagen unabhängig vom Bundespräsidenten auch ein anderer mit mehr als der Hälfte der Stimmen (absolute Mehrheit) zum Bundeskanzler gewählt werden (GG Art. 63 Abs. 3).

Wird auch in diesen 14 Tagen kein Bundeskanzler gewählt, kommt es zu einem dritten Wahlgang (GG Art. 63 Abs. 4). Bei SPON wird diese Prozedur wie folgt beschrieben: "Im dritten Wahlgang kommt es darauf an, welche Mehrheit der Kandidat erzielt. Erhält er die Kanzlermehrheit, muss der Bundespräsident den gewählten innerhalb von sieben Tagen ernennen. Falls ein Kandidat im dritten Wahlgang zwar die meisten Stimmen bekommt aber keine Kanzlermehrheit, so liegt die Entscheidung beim Präsidenten: Er kann den Gewählten dann entweder binnen sieben Tagen ernennen oder den Bundestag auflösen." (SPON).

Der Unterschied zu den ersten beiden Wahlgängen liegt also beim dritten darin, daß hier derjenige zum Kanzler gewählt werden kann, der die meisten Stimmen auf sich vereint -- selbst wenn es eben weniger als die Hälfte ist (bzw. nur gerade die Hälfte). Es reicht hier also die relative Mehrheit, die "Kanzlermerheit" ist nicht mehr nötig. Merkel könnte sich so nur mit den Stimmen von Schwarzgelb zur Kanzlerin wählen lassen, weil CDU/CSU und FDP über mehr Mandate verfügen (zusammen 286), als SPD und Grüne (zusammen 273). Rotgrün bräuchte um dies zu verhindern einen Kandidaten, der noch mehr Stimmen auf sich vereinigt (also mindestens 13 Stimmen von der Linkspartei, um einen Patt zu erreichen, 14 Stimmen um den eigenen Kandidaten durchzubringen).

Das ganze wäre für Merkel aber höchstriskant. Einmal weil sie nicht sicher sein kann, daß jeder aus ihrem Trupp zu 100% hinter ihr steht. "Hier könnte sich der Unmut in den eigenen Reihen über die Wahlschlappe breit machen. Verweigern sich nur eine Handvoll von Unionsabgeordneten oder der FDP, wird Merkel nicht mehr zu halten sein" (SPON). Zum zweiten kann aber auch der Bundespräsident wie oben beschrieben eine solche Wahl mit nur relativer Mehrheit verwerfen und dann Neuwahlen anberaumen.

Aber auch für Schröder wäre so ein Vorgang kaum haltbar. Nicht nur, daß er Stimmen aus der Linkspartei benötigt, wenn es zu wenige sind, würde er vielleicht nur mit relativer und nicht absouter Mehrheit gewählt. Eine sehr wackelige Konstellation, zudem die Wahl zum Kanzler ja auch nur der erste Schritt wäre, für zukünftige Beschlüsse braucht es eine stabile parlamentarische Mehrheit, um regieren zu können.

Sollte es auch im dritten Wahlgang zu keiner Wahl eines Bundeskanzlers kommen, so muß der Bundespräsident den Bundestag auflösen und Neuwahlen anberaumen, die innerhalb von 60 Tagen stattfinden müssen (GG Art. 39 Abs. 1).

Links:

- tagesschau.de: Fristen zur Kanzlerwahl, 23.09.05
- Grundgesetz Artikel 39
- Grundgesetz Artikel 63
- Wikipedia-Definition von "Kanzlermehrheit"
- SPON: Machtspiele um den dritten Wahlgang, 20.09.05

Sonntag, September 25, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 8 -- Mögliche Minderheitsregierungen

Gerhard Schröder hat sich heute Abend in einem ARD-Interview auf eine große Koalition festgelegt. Er sagte, er werde alles dafür tun, damit eine solche Koalition zu Stande kommt (SPON). Unklar blieb dabei, ob "alles" auch meint, daß er notfalls zurücktreten wird. Nach wie vor ist die Kanzlerfrage zwischen CDU/CSU und SPD nicht geklärt.

Auch wenn es also momentan unwahrscheinlich erscheint, sei hier noch mal die Möglichkeit einer Minderheitsregierung erläutert. Eine Minderheitsregierung besitzt im Parlament keine eigene Mehrheit, sie muß sie sich bei jeder Abstimmung neu suchen. Es braucht also in der Opposition eine Partei oder doch wenigstens einzelne Abgeordnete, die der Minderheitsregierung bei Abstimmungen ihre Stimme leihen.

Rotgrüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Linkspartei

Alle Parteien haben kategorisch ausgeschlossen mit der Linkspartei zu verhandeln, weil diese nicht "demokratisch genug ist", bzw. Positionen bezieht, die den anderen Parteien als völlig unrealistisch erscheinen. Zwar unkte Schwarzgelb immer wieder, wenn es nach der Wahl keine Mehrheit für Union und FDP gebe, dann würde sich Rotgrün am Ende doch mit der Linkspartei zusammenschließen, aber dies trat nicht ein.

Und auch die Linkspartei selbst hat es von Anfang an deutlich abgelehnt, Mehrheitsbeschaffer für Rotgrün oder Schwarzgelb zu sein. Beide Bündnisse würden dieselbe neoliberale Grundhaltung einnehmen, beide ständen für Sozialabbau und soziale Ungerechtigkeit. Gerade dagegen hatte die Linkspartei ja Stimmung gemacht und so viele Protestwähler für sich gewinnen können. Diese würden sich enttäuscht abwenden, wenn die Linkspartei nun doch zum Steigbügelhalter für Rotgrün mutieren würde.

Kurz nach der Wahl ließen einige Abgeordnete der Linkspartei dann aber gegenüber SPON doch durchblicken, sie könnten sich vorstellen eine rotgrüne Minderheitsregierung zu stützen, wenn Rotgrün seine Sozialpolitik entsprechend ändere. Kurz danach wurden diese Abweichler dann aber wieder von der Parteispitze zurückgepfiffen. Die Linkspartei blieb dabei: keine wie auch immer geartete Unterstützung für Rotgrün (SPON).

Umgekehrt haben dann aber auch einige SPD-Abgeordnete erste Kontakte zur Linkspartei geknüpft, um eine Minderheitsregierung ins Spiel zu bringen (SPON). Allerdings handelt es sich hier nur um fünf bis sieben Personen, die offizielle Linie der SPD schließt nach wie vor jegliche Form der Kooperation mit der Linkspartei oder auch nur einiger ihrer Abgeordneten aus.

Denn selbst wenn einige Linkspartei-Abgeordnete einem Kanzler Schröder zur Mehrheit verhelfen würden, würde sich die Frage stellen, ob sie das auch in Zukunft weiterhin so tun würden. Die Regierung Schröder wäre die ganze Legislaturperiode auf das Wohlwollen einiger Linkspartei-Abgeordneter angewiesen. Oder müßte die Stimmen wahlweise auch mal bei der FDP und/oder der CDU/CSU suchen. Sich für jede abstimmungspflichtige Entscheidung eine parlamentarische Mehrheit suchen zu müssen, ist nicht nur extrem mühsam und nervenaufreibend, es macht auch die Bildung einer stabilen Regierung nahezu unmöglich, weil man als Regierung nie sicher sein kann, ob die Mehrheit nun steht oder nicht (innerhalb der eigenen Koaliton kann man dagegen ganz anders Druck aufbauen).

Rotgrüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die FDP

Selbst wenn die FDP mit Rotgrün keine Ampel bilden möchte, wäre ja denkbar, daß sie zumindest eine rotgrüne Minderheitsregierung stützen. Da aber die FDP nicht mal Sondierungsgespräche mit der SPD und den Grünen aufnehmen wollte, fällt diese Option wohl völlig flach. Das "Nein" der FDP zu Rotgrün war allzu deutlich. Die FDP könnte sich aber natürlich umgekehrt schon vorstellen, sich mit der Union zusammen durch Rot oder Grün stützen zu lassen. Das Zusammengehen mit CDU/CSU in einer Koalition, ist aber unumstößliche Bedingung bei der FDP.

Rotgrüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die CDU/CSU

Auch wäre es theoretisch denkbar, daß Rotgrün sich durch die Union stützen läßt. Aber auch wirklich nur theoretisch. Denn warum sollte die CDU/CSU als stärkste Fraktion und erklärer Gegner der rotgrünen Politik nun ausgerechnet diese aus der Opposition heraus stützen? Als stärkste Kraft in die Opposition verbannt und dann auch noch den Zuarbeiter spielen? Äußerst unwahrscheinlich, daß das passiert.

Schwarzgelbe Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Grünen

Obwohl die Gespräche für eine Jamaika-Koalition aus Union, Liberalen und Grünen wie berichtet am Freitag erst mal gescheitert sind, haben sie doch gezeigt, daß die Beteiligten eine solche Konstellation nicht per se ausschließen würden. Vielleicht wäre also eine Alternative, daß die Grünen nicht direkt in eine Koalition einsteigen, sondern eine schwarzgelbe Minderheitsregierung nur tolerieren.

Das hätte für die Grünen vielleicht den Vorteil, daß man immer noch genug Distanz zu Schwarzgelb hätte, um nicht als "Verräter" vor der eigenen Wählerschaft dazustehen. Dennoch müßten die Grünen natürlich viele Kompromiße eingehen, um am Ende des Tages schwarzgelbe Projekte durch den Bundestag zu winken. Und sind die Grünen nicht direkt an der Koalition beteiligt, können sie Schwarzgelb umso weniger Zugeständnisse abringen.

Umgekehrt wäre es Union und FDP wohl lieber, wenn die Grünen dann wirklich in der Koalition wären. Dann gäbe es einen entsprechenden Koalitionsvertrag, an den die Grünen sich halten müßten (wollten sie die Koalition nicht sprengen). Sind die Grünen aber in der Opposition und bleibt Schwarzgelb von deren Wohlwollen abhängig, bleibt die Situation für Schwarzgelb unberechenbar.

Schwarzgelbe Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die SPD

Eine weitere denkbare Variante wäre natürlich auch eine schwarzgelbe Minderheitsregierung durch Tolerierung durch die SPD. Auch unwahrscheinlich aber insgesamt noch wahrscheinlicher als der umgekehrte Fall einer rotgrünen Regierung mit Tolerierung durch die Union. Denn die SPD ist nur zweitstärkste Fraktion geworden. Zwar ist der Vorsprung der Union denkbar knapp, doch erhält traditionell immer die stärkste Fraktion den Regierungsauftrag.

Da die SPD jedoch mit einer klaren Absage an die Politik von Schwarzgelb in den Wahlkampf gezogen ist, ist es unwahrscheinlich, daß sie diese jetzt aus der Opposition heraus stützt. Eine relativ starke SPD wäre für Schwarzgelb vermutlich auch deutlich schwerer zu handeln, als der "leichtere", grüne, potentielle Tolerierungspartner.

Fazit

Am ehesten haben an einer Minderheitsregierung noch jene Kräfte ein Interesse, die bei einer großen Koalition auf die Oppositionsbank müßten, also Grüne und FDP. Und so ist es nicht verwunderlich, daß der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle erklärte, ihm wäre eine Minderheitsregierung am liebsten (Netzeitung). Gerade weil die FDP im Vergleich zur letzten Wahl stark zulegen konnte, will man natürlich nur ungern in die Opposition. Und da eine Ampel kategorisch ausgeschlossen wird, bleibt eben nur eine Minderheitsregierung, entweder toleriert durch die SPD oder die Grünen.

Die Grünen haben allerdings mehr an eine Jamaika-Koalition gedacht, als an eine Minderheitsregierung, an die dort kaum jemand ernsthaft glaubt. Doch jetzt, wo die Sondierungsgespräche zwischen Union und Grünen für Jamaika gescheitert sind, wie sollte sich da die Union (oder auch die FDP) noch durchringen können, Rotgrün als Minderheit zu stützen?

Die beiden Volksparteien haben dagegen eher weniger Interesse an einer Minderheitsregierung, zu groß die Wahrscheinlichkeit einer Instabilität, zu groß die Angst vor dem Mitwirken einer Oppositionspartei abhängig zu sein. Dann doch lieber die große Koalition, wenn die Optionen Jamaika und Ampel wegfallen.

Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Möglichkeit einer Minderheitsregierung nur in den ersten Tagen nach der Wahl laut angedacht wurde, dann durch die Idee einer Jamaika-Koalition abgelöst wurde und nun am Ende der ersten Woche alle Zeichen auf große Koalition stehen.

Links:

- Schröder will die Große Koalition, in: SPON, 25.09.05
- Wikipedia-Definition von "Minderheitsregierung"
- Linkspartei streitet über Tolerierungs-Modell, in: SPON, 21.09.05
- SPD-Abgeordnete suchen Gespräch mit Linkspartei, in: SPON, 22.09.05
- Westerwelle setzt auf Minderheitsregierung, in: Netzeitung, 20.09.05

Samstag, September 24, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 7 -- Die Israel-Variante bzw. das Job-Sharing-Modell

Nachdem am Freitag die Möglichkeit einer Jamaika-Koalition erst mal geplatzt ist, weil bei Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU und den Grünen offenbar kein Ansatz gefunden wurde, wie man vielleicht übereinkommen könnte, scheint jetzt alles auf eine große Koalition hinauszulaufen.

Nach wie vor ist hier jedoch die Kanzlerfrage das größe Problem. Sowohl Merkel wie auch Schröder beanspruchen für sich das Kanzleramt. Merkel, weil die CDU/CSU stärkste Fraktion ist, Schröder weil die CDU/CSU deutlich schlechter abgeschnitten hatte als allgemein prognostiziert, während die SPD noch mal stark zulegen konnte und Schwarzgelb keine Mehrheit hat.

Wenn sich beide nicht einigen könnten, bestünde die Möglichkeit, daß einer oder beide von ihrer eigenen Partei abgesetzt werden. Daß also entweder die SPD Schröder zum Rücktritt zwingt, die CDU/CSU Merkel, oder beide zusammen abtreten müssen. Wulff hat einer möglichen Kanzlerschaft inzwischen eine klare Absage erteilt, er stehe für das Amt nicht zur Verfügung. Bliebe der hessische Ministerpräsident Roland Koch der dann anstelle von Merkel Kanzler wird, mit Peer Steinbrück, dem ehemaligen Ministerpräsidenten von NRW, als Vize-Kanzler.

Kommt es zwischen Merkel und Schröder zu keiner Einigung und kann weder der eine noch der andere abgesägt werden, bliebe dann als weitere Möglichkeit einer großen Koalition die so genannte "Israel-Variante", bei der Schröder jetzt zunächst noch zwei Jahre im Amt bleibt und dann von Merkel abgelöst wird.

Die "Israel-Variante" geht begriffsgeschichtlich auf ein Abkommen der Arbeiterpartei und der Likud-Partei in Israel zurück. Von 1984 bis 1986 war damals Schimon Peres von der Arbeitspartei Ministerpräsident und wurde dann für die zweite Hälfte der Legistaturperiode von Jitzhak Schamir von der Likud-Partei abgelöst (Kölner Stadt-Anzeiger). Ein ähnliches Rotationsmodell könnten jetzt auch Merkel und Schröder vereinbaren.

Schröder könnte damit vermutlich sehr gut leben, er könnte jetzt noch zwei Jahre bis 2007 regieren und würde dann ohne Wahlniederlage oder Rücktritt einfach in den Ruhestand gehen und wie vereinbart Merkel das Zepter überlassen.

Schwieriger könnte es da schon für Merkel werden: Wie soll sie sich, jetzt wo sie ohnehin schon angeschlagen ist, noch zwei Jahre an der Spitze ihrer Partei halten können ohne Kanzlerin zu sein? Wäre die Wahrscheinlichkeit nicht relativ hoch, daß früher oder später jemand wie Wulff oder Koch nach vorne drängt und sie ablöst? Ein kleiner Fehler ihrerseits würde doch dafür schon reichen. Dann würde die CDU/CSU 2007 zwar den Kanzler stellen, aber der hieße vermutlich nicht Merkel. Ob sich "Angie" also tatsächlich für eine solche Lösung breitquatschen läßt?

Zudem das Zugeständnis Schröder noch zwei Jahre regieren zu lassen dem Eingeständnis der Union gleich käme, nicht sie, sondern die SPD sei der eigentliche Gewinner dieser Wahl. Und was, wenn es sich die SPD 2007 anders überlegt? Dann sprengt sie die Koalition, es gibt wieder vorgezogene Neuwahlen und es wird wieder nichts mit der Kanzlerschaft für die Union. Es sei denn natürlich, sie gewinnt die Neuwahlen. Okay, sagen wir, es gibt bereits 2007 wieder Wahlen, würde die CDU/CSU dann erneut Merkel aufstellen? Vermutlich nicht. Merkel muß klar sein, daß ihre Chancen nicht unbedingt wachsen jemals Kanzlerin dieses Landes zu werden, wenn sie jetzt Schröder seinen Thron läßt.

Aber warum unbedingt die "Israel Variante"? Es gibt ja auch noch andere Formen des Job Sharing Modells. Claudia Kissling macht den -- sicherlich nicht ganz ernst gemeinten -- Vorschlag, Merkel und Schröder könnten sich ihre Stelle doch teilen. Der eine arbeitet vormittags, der andere nachmittags. So hätten beide mehr Zeit für ihre Familie und bei den Bezügen könnnten sie auch jeweils nur von der Hälfte eines Kanzlergehalts leben. Schröder würde sich außenpolitisch mehr um Chirac und Putin kümmern, Merkel mehr um Bush und Blair. Innenpolitisch nimmt Merkel die Termine mit der Wirtschaft wahr, Schröder die mit den Gewerkschaften, usw. Die perfekte Arbeitsteilung eben :p.

Links:

- Union und Grüne beerdigen Schwampel, in: SPON, 23.09.05
- Christian Wulff lehnt Kanzlerschaft ab, in: SPON, 24.09.05
- Wahl 2005, Überblick: Parteien und Bündnisse, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 20.09.05
- Claudia Kissling: Wie wär's mit Job Sharing? in: Telepolis, 21.09.05

Freitag, September 23, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 6 -- Wie Harald Schmidt die Wahl kommentierte *lacht*

Über den Abgang von Joschka Fischer:
"Ich kann das verstehen, ich hab auch schon mal für immer aufgehört. Es würde mich nicht wundern, wenn Joschka mit langen Haaren und Bart kurz vor Weihnachten im Ersten mit einer neuen Show auftaucht. Ich weiß auch, was die Leute dann sagen: Früher war er besser."


Über den Kanzler in der "Elefantenrunde" am Wahlabend:
"Ich war mir für eine Sekunde nicht sicher: Ist das der Kanzler oder ist das Rudi Assauer. Viele Marxisten haben geweint, als der Kanzler so losgelegt hat, weil sie gesagt haben: Jawohl, es gibt sie doch, die Diktatur der Proletariats."


Zu den Sondierungsgesprächen von Rotgrün:
"Sondierungsgespräche? Moment mal, waren die nicht sieben Jahre zusammen im Kabinett? Doch! Da wird es Zeit, dass man sich mal ein bisschen kennen lernt."


Zur Frage wie Union und Grüne überein kommen könnten:
"Die Grünen dürfen weiterhin Windräder betreiben - allerdings mit Atomstrom."


Über die Wiederwahl Merkels als Fraktionsvorsitzende:
"98,6 Prozent Wahlergebnis bei der Fraktion. Damit wäre sie früher nicht Fraktionsvorsitzende geworden, sondern Staatsratsvorsitzende."


Zitiert nach: SPON, "Wahlanalyse à la Schmidt", 22.09.05

Donnerstag, September 22, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 5 -- Auf welche Koalition tippt ihr?

*lol* Okay, tippen wir. Also nicht welche Koalition ihr gerne hättet, sondern jene, die eurer Meinung nach am wahrscheinlichsten zu stande kommen wird.

TYPUS I, große Koalitionen:

a) Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, Kanzler Schröder

b) Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, Kanzlerin Merkel

c) Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, Merkel und Schröder wechseln sich ab (z.B. nach 2 Jahren)

d) Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, Kanzler Koch/Wulff, Vizekanzler Steinbrück

e) Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, Kanzler Steinbrück, Vizekanzler Koch/Wulff

TYPUS II, Triple-Koalitionen:

f) Jamaika-Koalition (SchwarzGelbGrün)

g) Ampel-Koalition (RotGelbGrün)

h) RotRotGrüne-Koalition

TYPUS III, Minderheitsregierung:

i) RotGrüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Linkspartei

j) RotGrüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die FDP

k) RotGrüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die CDU/CSU

l) SchwarzGelbe Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Grünen

m) SchwarzGelbe Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die SPD

TYPUS IV, Kollaps:

n) Neuwahlen

Ich hoffe ich habe jetzt alle Varianten, ausgelassen habe ich nur die wirklich sehr unwahrscheinlichen (z.B. eine Koalition aus CDU/CSU, FDP und Linkspartei). Falls euch dennoch eine Variante fehlt, ergänzt sie einfach.

Mittwoch, September 21, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 4 -- Jamaika- vs. Kongo-Koalition

Die Schwierigkeiten bei der Bildung einer großen Koalition brachten kurz nach der Wahl auch eine Koalition in Reichweite, die vor der Wahl wohl von den meisten als völlig irreal abgetan worden ist: SchwarzGelbGrün, also eine schwarze Ampel, kurz "Schwampel" genannt.

Dana hat bereits zurecht darauf hingewiesen, daß "Schwampel" ein ziemliches Unwort ist. Zum Glück hat irgend jemand die alternative Bezeichnung "Jamaika Koalition" ins Spiel gebracht. Wikipedia weist als begriffgeschichtlichen Ursprung dieser Bezeichnung die CDU Dormagen aus, wo ein gewisser Reinhard Hauschild sie zum ersten Mal am 7. Oktober 2004 nachweislich gebrauchte. Jamaika ist hier eine Anspielung auf die Farben der jamaikanischen Flagge: schwarz, gelb und grün.

Um diese Jamaika-Koalition ist innerhalb von nur 48 h ein regelrechter Medienhype entstanden, nicht zuletzt, weil es offenbar "hip" erscheint eine Regierung zu haben, die mit einer Karibikinsel assoziiert werden kann. Jamaika steht klischeehaft nicht nur für einen lässigen Lebensstil und Rastalocken, sondern auch für den Konsum von Gras. Da sowohl FDP wie Grüne sich für die Legalisierung von Cannabis-Produkten einsetzen, würde das also ganz gut passen :p.

Der eigentliche Reiz einer Jamaika-Koalition besteht aber wohl darin, daß sie im Moment realistischer erscheint, als eine Ampel. Während die FDP stoisch die Beteiligung an einer Rotgrünen-Koalition ausschließt, ist sie wohl der Schwampel nicht abgeneigt. Jedenfalls hat man hier Gespräche nicht kategorisch abgelehnt, diese müßten dann aber von Frau Merkel initiiert werden. Im Unionslager traten bisher besonders der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber und der bayerische Umweltminister Werner Schnappauf öffentlich für entsprechende Gespräche ein. Bei den Grünen ist man unentschlossen, einerseits will man nicht zum Steigbügelhalter einer neoliberalen Politk von Schwarzgelb werden, gegen die man ja angeblich angetreten war. Andererseits erscheint vielen Grünen eine solche Variante wohl doch angenehmer, als zurück auf die Oppositonsbank gehen zu müssen und einer übermächtigen großen Koalition gegenüber zu sitzen.

Bei den Grünen erklärten sich allen voran Renate Künast und Oswald Metzger zu Gesprächen mit Union und FDP bereit, während andere wie Christian Ströbele davor warnten, eine Jamaika-Koalition könne zu einem "Bermuda-Dreieck" werden, in dem die Grünen sang- und klanglos verschwinden würden. In der Tat würde eine Beteiligung an einer Schwampel-Koalition die Grünen der linken Parteiklientel wohl noch mehr entfremden, als das in 7 Jahren Rotgrün nicht ohnehin schon geschehen ist. Joachim Raschke spricht demgegenüber von der "historischen Chance" der Grünen mit der Jamaika-Koalition "eine Synthese breiter gesellschaftlicher Interessen" zu vollziehen. Die Frage bleibt dennoch, ob die Grünen als Partei innerhalb dieser "Synthese" dann nicht marginalisiert werden.

Käme es zu einer Jamaika-Koalition, dann vermutlich nur unter größeren Zugeständnissen für die FDP und die Grünen, so daß diese ihr Profil wahren können und nicht nur als Sidekicks der CDU/CSU angesehen werden. Es ist jedoch fraglich, ob die Union dafür bereit ist. Davon mal ganz abgesehen sind Koaltionsverhandlungen zwischen drei Beteiligten in der Regel immer noch komplizierter als solche mit nur zwei Beteiligten. Die Jamaika-Koalition wäre etwas ganz neues, Schnittmengen zwischen den Koalitionspartner müßten erst mal "gesucht werden".

Der Hype um die Jamaika-Koalition führte auch zur sporadischen Umbenennung anderer Koalitonen. So erklärte Stefan Raab die Ampel-Koalition zur "Kongo-Koalition", weil die Farben der Kongo-Flagge rot, gelb und grün sind. Dagegen sei ja wohl nichts einzuwenden, schließlich könne Deutschland froh sein, wenn es die Wachstumsrate des Kongos hätte. Das war wohl ironisch gemeint und erntete viele Lacher, ist tatsächlich aber die Realität: die Republik Kongo (nicht zu verwechseln mit der Demokratischen Republik Kongo, die eine ganz andere Flagge hat!) hatte laut Auswärtigem Amt im Jahr 2000 eine Wirtschaftswachstums-Rate von 8%, Deutschland im selben Jahr nur 3%. Im Jahr 2003 konnte die Republik Kongo dann nur noch 2% Wachstum ausweisen, selbst damit lag sie aber vermutlich höher als Deutschland im selben Jahr. Schönes Beispiel, wie bei TV Total Unterhaltung auf Basis von Bildungslücken funktioniert ;).

Doch ist die Kongo-Koalition tatsächlich eine Alternative zur Jamaika-Koalition? Während Westerwelle Gespräche für eine Schwampel zumindest nicht ausschließen will, gibt es von Seiten der FDP weiterhin ein klares Nein zur Ampel. Offenbar will die FDP auf keinen Fall ihrem Image als "Umfallerpartei" gerecht werden. Wechseln dagegen die Grünen von Rot nach Schwarzgelb, wären sie die "Umfaller", womit sie offenbar deutlich weniger Probleme haben als umgekehrt die FDP. Falls Schröder mit seiner Siegesgewißheit am Wahlabend darauf spekulierte, die FDP würde doch noch einknicken, scheint er sich getäuscht zu haben. Er kann letztlich nur auf eine große Koalition unter seine Führung hoffen, weil eine Ampel im Moment weiter entfernt denn je erscheint und bei einer Schwampel die SPD ja ohnehin auf die Oppositonsbank müßte.

Links:

- Dana wählt "Schwampel" in ihrem MSN Space zum Unwort
- Wikipedia-Eintrag zur Jamaika-Koalition
- Übersicht der "Cannabis-Poltik" der FDP
- Übersicht der "Cannabis-Politik" der Grünen
- FDP und Grüne wollen sich teuer verkaufen, SPON, 20.09.05
- Joachim Raschke: Der Kompromiss, taz, 20.09.05
- Wikipedia-Eintrag zur Republik Kongo
- Wikipedia-Eintrag zur Demokratischen Republik Kongo
- Informationen zur Republik Kongo beim Auswärtigen Amt

Dienstag, September 20, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 3 -- Die Krux mit der großen Koalition

Unmittelbar nach der Wahl schien eine große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD unausweichlich, weil die FDP darauf insistierte, auf keinen Fall mit Rotgrün eine Ampel bilden zu wollen, an die Schwampel in den ersten Stunden noch keiner ernsthaft glaubte und Schröder kategorisch ein Zusammengehen mit der Linkspartei ausschloß.

Doch da die CDU/CSU unerwartet schlecht abgeschnitten hatte und der SPD unter Schröder eine grandiose Aufholjagd gelungen war, verkündete der Kanzler noch am Wahlabend selbstbewußt, eine stabile Regierung sei nur unter seiner Führung machbar. Merkel ist angeschlagen und ging in den "Elefantenrunde" am Wahlabend endgültig unter, während Schröder zur Bestform auflief und die ARD-Moderatoren zerlegte als sei er der Sieger dieser Wahl ("Sie können nicht..." -- "Wohl kann ich das"). Eine große Koalition also nur unter einem Kanzler Schröder? Obwohl Merkel stark angeschlagen ist und ihre "Parteifreunde" schon in Lauerstellung sind, bleibt der Fakt, daß die CDU/CSU drei Mandate mehr hat als die SPD und damit stärkste Fraktion ist. Klar, daß Merkel da nicht so ohne weiteres einknicken wird.

Das Zustandekommen einer großen Koalition scheitert im Moment also im wesentlichen daran, daß die Kanzlerfrage nicht gelöst werden kann, inhaltliche Differenzen wären dem gegenüber vermutlich nicht mal das größte Problem. Sowohl Schröder wie Merkel wollen diese Koalition führen und keiner würde sich dem anderen als Nummer 2 unterordnen. Wird Merkel Kanzlerin, verschwindet Schröder auf der Hinterbank und vice versa. Angedacht wurde auch die Variante, daß Schröder noch zwei Jahre Kanzler bleibt und dann den Posten für Merkel räumt. Nur könnte sich die angeschlagene Merkel kaum zwei Jahre in "Warteposition" halten, dazu ist ihr Fundament in der eigenen Partei zu schwach. Umgekehrt könnte Schröder auch nicht zwei Jahre aussetzen und dann auf einmal für noch mal 2 Jahre zurückkommen, das ließe er wohl nicht mit sich machen.

Wollte die SPD also als Juniorpartner in eine große Koalition mit der CDU/CSU unter Merkel gehen, müßte sie Schröder erst absetzen. Der ist aber nach seinem Comeback stärker als je zuvor in den eigenen Reihen und kann so wohl kaum zum Rücktritt gedrängt werden. Da ist es schon wahrscheinlicher, daß die CDU/CSU Merkel absetzt, Schröder Kanzler wird, die Mehrheit der Ministerposten aber an die CDU/CSU fällt. So eine Art Kuhhandel der CDU/CSU: "Wir lassen Schröder Kanzler bleiben, dafür fallen die wichtigsten Ministerien uns zu". Dennoch bleibt hier ein nicht zu unterschätzendes Problem: Wie soll die CDU/CSU Merkel abservieren, ohne dabei ihr Gesicht zu verlieren? Tut sie das, räumt sie offen ein, die Wahl verloren zu haben obwohl sie stärkste Kraft geworden ist. Das würde nur die SPD beflügeln und diese wäre in den Koalitonsverhandlungen noch schwieriger zu "sättigen".

Diskutiert wird auch die verwegene Variante, daß einfach beide Volksparteien ihre Spitzenleute absägen, daß also sowohl Schröder wie Merkel zurücktreten und dann dem Duo Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) platz machen, wobei Koch Kanzler und Steinbrück Vize-Kanzler werden könnte. Die Koaltionsverhandlungen leiten würden dagegen Müntefering und Stoiber, die im Hintergrund die Fäden ziehen.

Links:

- Machtspiele um den dritten Wahlgang, SPON, 20.09.05

Montag, September 19, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 2 -- Kampf um Erststimmen in Berlin

Zu einem Desaster artete die Wahl für die CDU in Berlin aus. Nur in einem einzigen Bezirk, dem gutbürgerlichen Steglitz-Zehlendorf konnte sich der Direktkandidat der CDU, Karl-Georg Wellmann, knapp gegen den SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter durchsetzen. Es war das erste Direktmandat das die CDU in Berlin seit 1994 ergattern konnte, 1998 und 2002 konnte sich kein einziger Direktkandidat durchsetzen (Tagesspiegel). Noch vor einigen Monaten sah das ganz anders aus, erst in den letzten Wochen wurde es in einigen sicher geglaubten Bezirken für die CDU noch mal knapp, bis sie sie dann gestern verlor.

Denn in Neukölln, Reinickendorf und Tempelhof-Schöneberg gab es ein ähnliches Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU- und SPD-Kandidaten, doch überall konnte sich dort die SPD am Ende durchsetzen. Besonders bitter war hier die Niederlage für den ehemaligen Berliner CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen, der im Bundestag sein Comeback feiern wollte, jedoch in Neukölln dem SPD-Kandidaten Ditmar Staffelt mit 39,4 zu 36,5 Prozent unterlag (Tagesspiegel).

Besonders hart umkämpft war der Osterberliner Bezirk Pankow. Hier konnte sich Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) unerwartet deutlich gegen den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke (CDU), den Wahlanfechter Werner Schulz (Grüne) und den Shooting Star der Linkspartei in Berlin, Stefan Liebich, durchsetzen. Der "Querulant" Werner Schulz ist damit nicht mehr im Bundestag (Tagesspiegel), Günter Nooke steht vor dem Ende seiner Karriere (Tagesspiegel).

Ein anderer "Querulant" hat es dagegen wieder geschafft: Christian Ströbele von den Grünen konnte sein Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg verteidigen, es dürfte republikweit das einzige Direktmandat der Grünen bleiben. Er erreichte 43,7 Prozent der Stimmen, während Ahmet Iyidirli von der SPD nur 21 Prozent einfahren konnte und PDS-Kandidatin Cornelia Reinauer sich mit 17,8 Prozent zufrieden geben mußte (Tagesspiegel). Ähnlich wie in Pankow hatte man eigentlich auch hier ein knapperes Ergebnis erwartet, weil Ströbeles Popularität sich im wesentlichen auf Kreuzberg beschränkte, während er in Friedichshain wirklich um Stimmen kämpfen mußte und wenig Zugang zu den Wählern fand.

Die Linkspartei war wie immer besonders im Ostteil der Stadt besonders stark, hier konnten sich wie erwartet Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf und Gesine Lötzsch in Lichtenberg mit jeweils deutlich über 40% klar durchsetzen. Beide hatten schon 2002 zwei Direktmandate geholt, waren im Bundestag aber ziemlich einsam, da die Linkspartei damals noch nicht über 5% kam, also nicht in Fraktionsstärke einziehen konnte. Knapper fiel das Ergebnis in Treptow-Köpenick aus, wo sich aber dennoch Gregor Gysi gegen Siegfried Scheffler (SPD) durchsetzen konnte (Tagesspiegel). Jenseits von Berlin hatten einige Linkspartei-Größen weniger Glück, so unterlag Lothar Bisky in Frankfurt/Oder dem relativ unbekannten SPD-Kandidaten Jörg Vogelsänger mit 35,5 zu 33,3 Prozent (Tagesspiegel).

Insgesamt fallen von den 12 Direktmandaten in Berlin 7 an die SPD, 3 an die Linkspartei und jeweils eines an Grüne und CDU. Aber auch das Zweitstimmen-Resultat ist für die CDU in Berlin verheerend, mit 21,4% fuhr sie das schlechteste Ergebnis in der Geschichte des Landesverbandes ein (Tagesspiegel).

(Durch Fettmarkierung hervorgehoben sind jene Protagonisten mit "Bundesrelevanz", deren Schicksal also auch Leser dieses Blogs jenseits von Berlin interessieren könnte)

Links:

- Direktkandidaten: Die SPD hat erfolgreich gebangt, Der Tagesspiegel, 19.09.05
- Diepgen zieht in Neukölln den Kürzeren, Der Tagesspiegel, 19.09.05
- Wahlanfechter Werner Schulz scheitert, Der Tagesspiegel, 19.09.05
- Nooke vor dem Ende seiner Karriere, Der Tagesspiegel, 19.09.05
- Ströbele holt wieder das Mandat, Der Tagesspiegel, 19.09.05
- Auch bekannte PDS-Namen haben verloren, Der Tagesspiegel, 19.09.05
- CDU im tiefen Tal der Verlierer, Der Tagesspiegel, 19.09.05

Sonntag, September 18, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 1 -- Zwischenstand nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis

Gutes Abschneiden der FDP bereits bei TV Total zu sehen

Am Samstagabend lief auf Pro7 das relativ kurzfristig anberaumte Special zur Wahl von Stefan Raab. Während die geladene "Elefantenrunde" (Müntefering für die SPD, Wulff für die CDU, Westerwelle für die FDP, Trittin für die Grünen und Beckstein für die CSU) nach einer verhältnismäßig kurzen "Diskussion" (wenn man es denn so nennen kann) zum Thema "Bildung" das Studio bereits wieder verließ, ging es den Rest des Abends um eine eher öde (weil zu langwierige) telefonische Wahlabstimmung nach Bundesländern.

Das überraschende Ergebnis dabei: Besonders Linkspartei und FDP hatten insgesamt die stärksten Zugewinne im direkten Vergleich mit der realen Bundestagswahl von 2002. Nun bemühte sich Co-Moderator Peter Limbourg die ganze Zeit ein Mindestmaß an Seriösität zu wahren und betonte, so eine Telefonabstimmung von TV-Total-Zuschauern sei nur ein Spaß und keinesfalls repräsentativ. Womit er natürlich recht hatte, dennoch stellte sich dann am Sonntag heraus, daß besonders das von den Demoskopen so nicht erwartete starke Abschneiden der FDP auch bei der tatsächlichen Bundestagswahl zu erkennen war.

Gewinner? Welche Gewinner?

Wer Gewinner und wer Verlierer ist, läßt sich auch nach Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses nicht so ohne weiteres klar sagen. Faktisch haben alle Parteien verloren.

Die FDP hat eines der stärksten Ergebnisse in ihrer Geschichte eingefahren (obwohl sich die Zweistelligkeit der ersten Hochrechnungen ja jetzt wohl doch nicht bewahrheitet hat), muß aber höchstwahrscheinlich trotzdem in die Oppositon, weil es für Schwarzgelb nicht reicht und eine Ampel oder Schwampel relativ unwahrscheinlich ist (zumindest im Moment noch).

Die CDU/CSU ist zwar wie es im Moment aussieht stärkste Fraktion, knapp vor der SPD, liegt aber deutlich hinter den letzten Umfragergebnisse und hat den unlängst noch sicher geglaubten Sieg von Schwarzgelb verspielt. Scheiterte Stoiber 2002 nicht zuletzt an einer zu schwachen FDP, war es diesmal genau umgekehrt: Die FDP ist stark, doch die CDU/CSU zu schwach für eine gemeinsame Koalition.

Rotgrün hat keine Regierungsmehrheit mehr, das war zwar nicht anders zu erwarten, ist aber trotzdem natürlich eine Bankrotterklärung -- und zwar trotz der unerwartet gut gelaufenen Aufholjagd. Die SPD hat im Vergleich zu 2002 mehr Prozentpunkte verloren als die CDU/CSU und ist nicht mehr stärkste Fraktion (2002 war sie es ja nur Dank Überhangsmandaten noch geworden). Die Grünen konnten sich stabilisieren, sie werden aber im wahrscheinlichen Fall einer Großen Koalition auch die Oppositionsbank drücken müssen und wurden damit aus der Regierung gewählt.

Die Linkspartei hat mit Abstand am meisten hinzugewonnen, noch mehr als die FDP (allerdings hatte das im Gegensatz zur Linkspartei von der FDP keiner geglaubt). Bedenkt man aber, daß die Linkspartei im Sommerhoch schon mal bei 11% angelangt war, schrumpfen die 8,7% die sie jetzt tatsächlich erreicht hat ziemlich zusammen. Auch war die Linkspartei im Osten in den Umfragen ja kurzweilig die stärkste politische Kraft, heute erreicht sie dort zwar stattliche 25%, steht damit aber immer noch hinter SPD und CDU zurück. Weiterhin träumte sie davon insgesamt drittstärkste Fraktion im Bundestag zu werden, das ist aber zur Überraschung aller die FDP geworden. Die Linkspartei wollte zwar von Anfang an nichts anderes als Opposition, die Frage ist dann nur, was sie dort bewirken kann -- so ziemlich nichts. Was bleibt ist die Gewißheit, Schwarzgelb verhindert zu haben.

Sieht man sich dieses Resultat an, läßt sich beim besten Willen kein eindeutiger Gewinner dieser Wahl erkennen.

Die CDU/CSU hat nur drei Mandate mehr als die SPD

Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kommt die SPD auf 34,2% und 222 Sitze, während die CDU/CSU 35,2% erhält und damit 225 Sitze für sich verbuchen kann. Damit beträgt der Vorsprung der CDU/CSU vor der SPD also gerade mal drei Mandate. Mit einbezogen sind dabei die Überhangmandate, von denen die SPD 8 gewinnen konnte, die CDU/CSU nur 6 (soweit ich erinnere).

Kein Wunder also, daß Schröder selbstbewußt von sich behauptet, er bliebe weiter Kanzler, obwohl die CDU/CSU unter Merkel stärkste Fraktion geworden ist. Taktisch wäre es von Schröder falsch gewesen, bereits am Wahlabend die weiße Fahne zu schwenken. Das Ergebnis ist zu knapp und neben der Großen Koalition besteht noch die Möglichkeit einer RotGelbGrünen-Ampel. Die Linkspartei schließen beide großen Parteien als Gesprächspartner aus, die sogenannte "Jamaika- oder auch Schwampel-Koalition" aus SchwarzGelbGrün ist denkbar, aber unwahrscheinlich.

Doch die FDP macht keine Anstalten mit Rot und Grün ins Boot zu steigen. Was plant also Schröder? Verzögerungstaktik, in der Hoffnung die SPD wird doch noch stärkste Fraktion oder zieht zumindest mit der CDU/CSU gleich? Nur dann könnte Schröder in einer Großen Koalition ja vermutlich weiterhin Kanzler bleiben. Oder spekuliert er, die FDP könnte doch noch einknicken und Ja zur Ampel sagen?

Die SPIEGEL TV Sendung am Sonntagabend endete mit der Bekanntgabe, daß in Berlin zur Zeit das Gerücht kursiert, Merkel spiele mit dem Gedanken zurückzutreten. Offenbar weil das Ergebnis der CDU/CSU (in Relation zu den Umfragen der letzten Wochen und in Relation zur letzten Wahl 2002) so lausig ist. Nur ein Gerücht, aber wie lange kann sich eine so geschwächte Merkel tatsächlich in ihrem eigenen Trupp halten? Wäre es am Ende gar denkbar, daß Schröder in einer Großen Koalition Kanzler bleibt, obwohl die CDU/CSU stärkste Farktion geworden ist? Unwahrscheinlich, nicht undenkbar.

Der Dresden-Faktor

Die Frage ist, wer knickt als erstes ein? Schröder, weil er einsehen muß, daß die SPD in einer Großen Koalition nur Juniorpartner sein wird und er sich sicherlich nicht einer Kanzlerin Merkel unterordnen wird? Oder Merkel, die erkennen muß, daß sie diese Wahl zu deutlich verloren hat, weil Schwarzgelb nicht machbar ist und die CDU/CSU mit nur 35,2% hinter dem erwarteten Ergebnis doch deutlich zurückgeblieben ist?

Entscheidend könnte die Nachwahl in einem Wahlkreis in Dresden sein, die in zwei Wochen am 2. Oktober ansteht. Immerhin 200.000 Wähler sind dort stimmberechtigt. Das kann das knappe Ergebnis doch noch mal verändern. Nicht, daß es dann doch noch für Schwarzgelb oder Rotgrün reichen würde. Nein, denkbar wäre aber, daß die SPD doch noch mit der CDU/CSU gleichziehen kann -- eine rein rechnerische, unwahrscheinliche Option (SPON). Umgekehrt könnte aber auch die CDU/CSU ihren Vorspung ausbauen und die Luft für Schröder würde noch dünner.

Als letzte Option blieben dann immer noch erneute Neuwahlen. Nur, was sollten die dann bringen?

Links:

- Vorläufiges amtliches Endergebnis, SPON, 19.09.05
- Wahl ohne Ergebnis, SPON, 19.09.05
- Pressestimmen: "So spannend kann Demokratie sein", Financial Times Deutschland, 09.09.05

Nachtrag:

"Mit einbezogen sind dabei die Überhangmandate, von denen die SPD 8 gewinnen konnte, die CDU/CSU nur 6 (soweit ich erinnere)."

Tatsächlich hat die SPD 9 Überhangmandate gewonnen, die CDU/CSU wie beschrieben 6. Dies kann sich durch die Nachwahl in Dresden theoretisch noch ändern.

"Auch war die Linkspartei im Osten in den Umfragen ja kurzweilig die stärkste politische Kraft, heute erreicht sie dort zwar stattliche 25%, steht damit aber immer noch hinter SPD und CDU zurück."

Tatsächlich ist die Linkspartei in Ostdeutschland zweitstärkste Kraft hinter der SPD geworden und nicht nur drittstärkste, wie es zwischenzeitlich hieß. Dennoch wurde sie aber ja in den Umfragen auf dem Höhepunkt des Hypes mal an erster Stelle verortet.

Samstag, September 17, 2005

Die Wasserschlacht auf der Oberbaumbrücke

Alljährlich gibt es auf der Oberbaumbrücke in Berlin eine Wasserschlacht (eigentlich ist es eher eine Gemüseschlacht, aber der Begriff gehört schon den Hannoveranern, wo sich die Stadtteile Linden und Nordstadt jedes Jahr "bearbeiten") zwischen "Spaßguerilla-Trupps" aus dem Ostbezirk Friedrichshain und dem Westbezirk Kreuzberg. Diese Fehde geht angeblich auf die Zwangsfusion von Kreuzberg und Friedrichshain im Jahre 2001 zurück, seitdem streiten Xberger und F'hainer um die Vorherschaft im neuen Bezirk. Tatsächlich wird dieses Duell aber schon seit 1998 jährlich ausgetragen, die Wasserschlacht ist somit älter als die Bezirksfusion.

Daß ausgerechnet die Oberbaumbrücke für dieses Ritual gewählt wird, ist natürlich kein Zufall: die Brücke ist die einzige Verbindung zwischen den Stadtteilen Friedrichshain und Kreuzberg, die ansonsten durch die Spree getrennt sind (es gibt in Berlin natürlich noch weitere Brücken über die Spree, aber eben nicht innerhalb des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg).

Im Gegensatz zur alljährlichen Randale am 1. Mai kommt die Wasserschlacht auf der Oberbaumbrücke ohne Gewaltexzesse und Sachbeschädigungen aus (allerdings brannten 2005 erstmals auch Autos). Ziel der beiden Fraktionen ist es, die jeweils andere von der Brücke in ihren Stadtteil zurückzudrängen und diesen dann zu "besetzen". Neben faulem Gemüse kommen dabei auch Eierkatapulte, selbstgebasteltete Wasserwerfer, Mehlbomben und Schaumstoffschlagstöcke zum Einsatz. "Erlaubt ist alles, was matschig ist, glibbert, wabbelt und stinkt" (Wikipedia). Härtere Geschosse wie z.B. Pflastersteine werden dagegen natürlich nicht verwendet, da es sich um eine reine Spaßveranstaltung handelt und man sich nicht ernsthaft verletzen möchte.

Es gibt verschiedene "Kampfverbände", die sich in erster Linie durch das persiflieren bekannter Akronyme hervortun. Die beiden einflußreichsten sind die "Wasserarmee Friedrichshain" (WAF) und die "KPD/RZ" (Kreuzberger Patriotische Demokraten / Realistisches Zentrum). Weitere Gruppen sind z.B. "Total Krasse Kreuzberg-Gegner" (TKKG), "Friedrichshainer Feministische Frauen-Front" (FFFF), "Anarcho Zynistische Offensive Berlin Fraktion Friedrichshain" (AZOB-FF), usw. usf.

In der Regel rufen sich beide Seiten zum Sieger der Schlacht aus, so daß es im darauffolgenden Jahr wieder einen Anlaß gibt "endgültig" zu klären, ob Friedrichshain nicht eigentlich Unterkreuzberg ist oder ob umgekehrt Kreuzberg nicht viel mehr Süd-Friedrichshain ist.

Das Ganze ist natürlich eine Parodie auf die auch 15 Jahre nach der Wiedervereinigung bestehenden Spannungen zwischen Ost- und Westdeutschland, die sich auch in Berlin nach wie vor erkennen lassen. Auch wenn die Sache nur spaßig gemeint ist, ist die soziale Struktur und Lebenskultur in Xberg und F'hain immer noch recht unterschiedlich. Das merken in der Regel auch immer wieder Lokalpolitiker auf Bezirksebene, die meistens immer nur in einem der beiden Unterbezirke etwas zu melden haben.

Die Option, die Oberbaumbrücken-Schlacht zu einem Ost-West-Duell stilisieren zu können rief in diesem Jahr noch ganz andere Protagonisten auf den Plan. So hat ja die vom Satiremagazin Titanic gegründete PARTEI das erklärte Ziel, die Mauer wieder aufzubauen. Entsprechend groß war dann auch die Bereitschaft, die Wasserschlacht auf der Oberbaumbrücke für Wahlkampfzwecke zu instrumentalisieren (wie man auch ganz frei heraus einräumte :D). Herausgekommen ist dabei ein Video, das zumindest auch Außenstehenden recht plastisch verdeutlicht, was jedes Jahr auf der Oberbaumbrücke abgeht :p.

Links:

- Wikipedia-Eintrag zum Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
- Wikipedia-Eintrag zur Oberbaumbrücke
- Wikipedia-Eintrag zur Wasserschlacht auf der Oberbaumbrücke in Berlin
- Wikipedia-Eintrag zur Gemüseschlacht in Hannover
- Wikipedia-Eintrag zur KPD/RZ (Kreuzberger Patriotische Demokraten / Realistisches Zentrum)
- Wikipedia-Eintrag zur PARTEI
- Video der PARTEI zur Wasserschlacht 2005
- Website der Wasserarmee Friedrichshain (WAF)
- Fotos von der zweiten Schlacht im Jahr 1999
- Mündliche Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zur Oberbaumbrücken-Schlacht aus dem Jahre 2003 *rofl*
- taz: Gemüse fliegt, Spaß siegt, 28.08.04
- taz: F'hain gewinnt Gemüseschlacht, taz, 12.09.05
- Berliner Morgenpost: Gemüseschlacht auf der Brücke, 12.09.05

Berichte und Fotos bei Indymedia zum Schlachtverlauf von 2004:
- oberbaumbrücke bleibt stadtringlücke, 29.08.04
- fotos berlin - oberbaumbrücke, 29.08.04
- Kreuzberg schlägt Friedrichshain vernichtend, 29.08.04
- "Kreuzberg": der Barbarei ein Ende setzen!, 28.08.04
- Brückenschlacht-News: 1:0 für Kreuzberg!, 27.08.04

Berichte und Fotos bei Indymedia zum Schlachtverlauf von 2005:
- Berlin: Schlacht auf der Oberbaumbrücke, 11.09.05
- Kreuzberg vernichtend geschlagen!, 11.09.05
- Wasserschlacht in Berlin, 11.09.05
- W-Schlacht-fotos, 12.09.05

Mittwoch, September 14, 2005

Wird Kirchhof stollmannisiert?

Vor den Bundestagswahlen 1998 war der Unternehmer Jost Stollmann für das Schattenkabinett Gerhard Schröders als zukünftiger Wirtschaftsminister vorgesehen. Das sollte damals der Medien-Coup schlechthin werden, ein parteiloser (bis 1987 war er noch in der CDU Mitglied gewesen) "Jung-Unternehmer" der Millionen in der zukunftsträchtigen IT-Branche verdient hatte, dynamisch und voller Zuversicht, den typisch deutschen Pessimismus ausschimpfend. Man könnte sagen, Jost Stollmann war für Schröder, was Lars Windhorst einst für Kohl war :p, ein Vorzeigedeutscher der den Aufstieg geschafft hat, eine ideale Symbolfigur für den herbeigesehnten ökonomischen Aufschwung.

Doch nach der gewonnen Wahl schmiß Stollmann hin, nachdem die Kompetenzen des Wirtschaftsministeriums zugunsten von Lafontaines Finanzministerium stark beschnitten wurden. Einem solchen Rumpf-Minsterium wollte Stollmann nicht vorsitzen, er zog sich zurück, umsegelte zweimal die Welt und ließ sich in Australien nieder, wo er ein Unternehmen für Kreditkartenabrechnungen gründete (Wikipedia).

SPON titelte nun bereits Mitte August "Endet Kirchhof als Merkels Stollmann?". Damals stand im Mittelpunkt der Spekulationen, daß Stoiber immer noch mit dem Amt des Finanzminister liebäugeln würde oder aber die FDP das Amt zuegschanzt bekäme, womit Kirchhof hinten runterfallen würde.

Inzwischen ist die Situation eine etwas andere, das eigentliche Problem an der "Nominierung" Kirchhofs fürs Schattenkabinett ist, daß es der SPD gelungen ist, ihn öffentlich weitgehend zu demontieren. Die Anti-Kirchhof-Kampagne war eben so platt wie effizient, sie trug maßgeblich zu einem zwischenzeitlichen Höhenflug der SPD bei (inzwischen konnte die CDU diesen Trend ja wieder stoppen, in den letzten Umfragen war es wieder ein Patt zwischen Schwarzgelb und Rotrotgrün).

Der Trick: Friedrich Merz wurde aus der Kiste geholt und verdrängt nun langsam aber sicher Kirchhof aus den Schlagzeilen. Der sprach gestern zwar davon mit Merz ein Tandem bilden zu wollen, aber es wird deutlich, daß man in der CDU offenbar auf Distanz zu Kirchhof geht. Denn wenn man Merz als ausgewiesenen Finanzexperten hat, was braucht es dann noch Kirchhof? Sicher, offiziell gilt Kirchhof immer noch als der Mann, aber Merkel kann sich allein aus taktisch Gründen auch kaum die Blöße geben und ihn nach dem Versuch ihn als Coup zu präsentieren jetzt auf einmal offiziell "kaltstellen". Die taz brachte das in ihrer gestrigen Karikatur sicherlich ganz treffend auf den Punkt.

Was war aber nun das eigentliche Problem? Ist Kirchhof das Opfer von sozialdemokratischem "Negative-Campaigning" geworden oder fehlte ihm (und Merkel) nicht auch ganz einfach das politische Gespür dafür, was man im Wahlkampf laut aussprechen sollte und was lieber nicht (er wurde ja nicht nur von der Gegenseite kritisiert)? Sind Kirchhofs Pläne wirklich so unsozial wie Rotgrün unterstellt oder liegt es vielleicht einfach am alten Paradox, daß der Wähler zwar ständig mehr Ehrlichkeit von den Politikern einfordert, dann aber nicht die Wahrheit erträgt, wenn sie jemand ausspricht? Oder kommen die Unkenrufe zu früh und Kirchhhof wird doch noch Finanzminister?

Links:

- Wikipedia-Eintrag zu Jost Stollmann
- Wikipedia-Eintrag zu Lars Windhorst
- Endet Kirchhof als Merkels Stollmann?, SPON, 18.08.05
- Kirchhof will Tandemlösung mit Merz, SPON, 13.09.05
- taz-Karikatur vom 13.09.05
- Wikipedia-Definition von "Negative Campaigning"

Sonntag, September 11, 2005

Im Gedenken an 9/11

Seit 2003 platziere ich jedes Jahr am 11.09. einen Thread in den MSN Groups (2003, 2004, 2005), der den Titel "Im Gedenken an 9/11" trägt. Das Ausgangspostings enthält nichts weiter als ein Bild von Salvador Allende. Zwar erkennt natürlich nicht jeder sein Gesicht, aber aus dem Namen der entsprechenden Jpeg-Datei geht hervor, wer die Person ist. Nicht ganz klar ist den meisten, was nun Allende mit "9/11" zu tun hat, denn die meisten assoziieren mit dem 11. September natürlich den Terroanschlag von 2001 und nicht den Putsch von 1973 in Chile (in den die USA verwickelt waren).

Ursprünglich entstanden ist diese "Tradition" heraus als Persiflage der pathos-triefenden 9/11-Gedenkpostings in den MSN Groups (mit protzigen, animierten Gifs, usw.). Zwar ist natürlich generell nichts gegen Trauer und Gedenken zu sagen, die Frage stellt sich aber dennoch: Warum wird jedes Jahr der Opfer vom 11.09.2001 gedacht, aber nicht der vom 11.09.1973 (bzw. der Folgeopfer in der Pinochet-Diktatur)?

Hier das Posting vom letzten Jahr aus meinem alten Nucleus-Blog:

Im Gedenken an den 11.09. ...

seit den anschlägen in new york 2001 wird weltweit alljährlich am 11.09. der opfer dieses terrors gedacht. bei all dem tamtam verliert man schnell aus den augen, daß sich am 11.09. auch noch ganz andere historische ereignisse jähren.

so wurde z.b. vor 31 jahren am 11.09.1973 der chilenische präsident salvador allende im zuge eines putsches ermodert. ihm folgte die diktatur pinochets, der bis zu ihrem ende etwa 3000 menschen zum opfer fielen. allende war demokratisch gewählt, stand jedoch als kommunist den interessen der us-regierung entgegen, so daß dann wohl auch die CIA in den sturz allendes mitverwickelt war. völlig unverblümt brachte das der spätere us-außenminister henry kissinger 1970 auf den punkt, als er im hinblick auf den bevorstehenden wahlsiegs allendes in chile sagte: "I don't see why we need to stand by and watch a country go communist because of the irresponsibility of its own people."

wenn also in einem land eine kommunistische regierung frei gewählt wird, dann zeugt das von der unverantwortlichkeit der bevölkerung in diesem land und die USA müssen dies nicht hinnehmen. so wurde die beteiligung am putsch legitimiert und die rechtsgerichtete diktatur unter pinochet gut geheißen, weil sie aus sicht der USA eine angenehmere alternative zu einer allzu linksgerichteten regierung war.

wenn sich die welt nun jährlich an die opfer von 2001 in new york erinnert, aber keiner an diesen blutigen putsch, was bedeutet das dann? daß ein us-bürger, der von islamistischen terroristen ermordert wurde, eher betrauert werden sollte, als ein chilenischer bürger der in einer diktatur umgekommen ist, die von den USA mitinstalliert wurde? oder liegt es daran, daß es von 1973 keine so medienwirksamen bilder gibt, wie von 2001? oder einfach daran, daß 2001 kürzer zurück liegt und immer noch aktuell ist, während die süd-amerika-politik der USA im kalten krieg keinen mehr interessiert?

"selektive geschichtswahrnehmung" bedeutet, man nimmt nur den teil der vergangenheit wahr, der ins eigene, aktuelle weltbild paßt. der unangenehme rest wird ausgeblendet, wenn er im pathosschweren und patriotismustrunkenden gedöns keinen platz mehr findet.

Zum Nachlesen:

- taz, 1998: Der Putsch in Chile
- Telepolis, 2003: Der Putsch in Chile
- Telepolis, 2003: Der erste 11. September
- Freitag, 2003: Zusehen, wie ein Land kommunistisch wird?
- Historische Übersicht über US-Militärinterventionen in Amerika
- Chile Documentation Project (CIA-Papiere zu Chile)

Freitag, September 09, 2005

MTV2 verschwindet

Ab Montag gibt es auch in Deutschland wieder den Kindersender "Nickelodeon". Nachdem der erste Versuch Nickelodeon hierzulande zu etablieren nach drei Jahren 1998 scheiterte, versucht es Viacom jetzt im zweiten Anlauf.

In einem Artikel der "epd medien" (Evangelischer Pressedienst) vom 6. Juni 1998 wird das damalige Scheitern analysiert. Der Artikel ist offenbar online nicht mehr verfügbar, die wesentlichen Auszüge können aber in einem Kommentar eines Blog-Eintrags bei der NRW-SPD nachgelesen werden.

Ob Viacom diesmal mehr Erfolg haben wird sich gegen die Konkurrenz von SuperRTL und Kika durchzusetzen, bleibt abzuwarten. Bedauerlich ist aber, daß ausgerechnet MTV2 seinen Sendeplatz dafür räumen muß. VivaPlus teilt sich hier bei uns den Sendeplatz mit EuroSport und ist somit nur Nachts zu sehen. Es bleiben VIVA und MTV als Musikkanäle, die aber noch penetranter nerven als ihre kleineren Brüder. Bei VivaPlus und MTV2 war der Anteil von Musikvideos noch etwas höher, während auf den Hauptsendern mehrheitlich irgend etwas anderes läuft (Shows, Promi-Dokus, Animes, usw.).

Mein Traum ist nach wie vor ein Musiksender im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Ohne nervige Klingeltöne zwischendurch, ohne irgendwelche überflüssigen Shows ("Wie viel Geld hat Britney Spears und was kann sie sich davon alles kaufen?" usw.) und mit einer größeren Bandbreite an Videos, eben nicht nur das was gerade in den Charts läuft aber video-ästhetisch nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit ist.

Also mehr Vielfalt statt dem ewigen Einheitsbrei. Und besonders natürlich auch eine Programmgestaltung, die sich als Zielgruppe nicht nur Teenager aussucht. Es muß doch auch möglich sein Leute anzusprechen, die älter als 18 sind. Wenn man durch VIVA und MTV zappt hat man oft das Gefühl, es würde sich kein Mensch für Musik und Musikfernsehen interessieren, der älter als 20 ist.

Aber einen solchen öffentlich-rechtlichen Musikkanal der sich aufs wesentliche beschränkt wird es wohl kaum je geben. Obwohl es eigentlich relativ kostengünstig sein müßte, einfach ein Video ans andere zu hängen und auszustrahlen. Und wenn man sich dann überlegt, für was so alles GEZ-Gebühren verwendet werden, kann es doch nicht so verwegen sein, das Geld sinnvoller in den Aufbau eines echten Musiksenders zu stecken.

Immerhin soll bei MTV und VIVA ja jetzt bald die Klingeltonwerbung eingeschränkt werden. Bei MTV soll es ab Oktober keine Klingeltonwerbung mehr zwischen 16 und 23 Uhr geben, bei VIVA ab März nächsten Jahres. Allerdings sind Klingeltonanbieter wie Jamba offenbar zu gute Werbekunden, als daß Viacom sie ganz abstoßen könnte. So soll sich offenbar nur die Verpackung der Werbung ändern, diese wird zukünftig in Sendeformaten wie "Mini-Chart-Shows" angeboten.

Links:

- Wikipedia-Eintrag zu "Nickelodeon"
- "Aus MTV2 Pop wird im September Nickelodeon", Blog der NRW-SPD, 02.04.05
- "MTV und Viva wollen Klingeltonwerbung verbannen", SPON, 20.08.05
- "Jamba und MTV Networks bleiben Partner", Heise newsticker, 09.09.05

Donnerstag, September 08, 2005

Rückkehr der Sopranos auf Kabel1

Endlich kehren die "Sopranos" zurück. Die mit 5 Golden Globes und 17 Emmys ausgezeichnete US-TV-Serie wurde vor zwei oder drei Jahren schon mal im ZDF ausgestrahlt. Nachdem die Sendeuhrzeit immer wieder variierte und die Serie zu spät am Abend ausgestrahlt wurde, setzte sie das ZDF nach zwei Staffeln wegen mangelndem Zuschauerinteresse wieder ab.

Nachdem nun Staffel drei und vier in Deutsch auf DVD erschienen sind (die aktuelle Staffel in den USA ist die Fünfte) bringt jetzt KABEL1 die Serie wieder neu ins Programm. Ab dem 16.09. wird um 23:10 Uhr jeden Freitag zunächst Staffel 1 und 2 wiederholt (was natürlich jene nervt, die das damals schon im ZDF gesehen haben). Das eine solche Kultserie irgendwo im Spätabendprogramm auf einem Randsender wie Kabel1 ausgetrahlt wird ist natürlich ziemlich bitter (denn im Gegensatz zu den normalen Kabel1-Serien sind die Sopranos noch relativ frisch), aber besser als nichts.

Im Mittelpunkt der Serie stehen die beiden Familien von Tony Soprano (in seiner mit Abstand besten Rolle: James Gandolfini). Einmal seine tatsächliche Familie um seine Frau, seine Tochter und seinen Sohn und zum anderen eine kleine Mafia-Gang der er als Capo vorsteht. Im Gegensatz zu berühmten Filmen wie "Der Pate" wird der Mafia-Alltag bei den Sopranos wesentlich unromantischer und weit weniger preziös dargestellt.

Das besondere an den Sopranos ist, daß sie natürlich auch konventionelle Darstellungen des Mafia-Lifestyles karikiert, dabei aber nie lächerlich wirkt. Die Serie ist zwar komisch, aber eben keine Comedy. Das hat natürlich auch etwas von einer Soap, weil es viel um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Allerdings auf einem deutlich höheren Niveau als in gängigen Soaps, am ehesten vergleichbar vielleicht noch mit "Six Feet Under", wo auch soziale Beziehungen im Vordergrund stehen, ohne daß die Darstellung kitischig, langweilig oder zu eindimensional wirkt. Was nicht bedeutet, daß da nur gelabert wird, im Gegenteil, die Serie hat durchaus auch viel Action. Voraussetzung für ein Gefallen an der Serie ist aber natürlich schon, daß man eine ausgereiftere, subtilere Ausgestaltung von Charakteren als interessant empfindet.

Der größte Schwachpunkt der Serie ist, daß die Folgen wie bei fast allen komplexeren Serien eng miteinander zusammenhängen. Soll heißen, wer mal ein paar Folgen verpaßt, hat kaum noch eine Chance wieder vollständig in die Gesamthandlung reinzukommen. Wer die Serie aber liebt, der wird auch darauf achten, nach Möglichkeit keine Folgen zu verpassen und dann macht die Serie wirklich Spaß.

Links:

- IMDb-Eintrag zu "The Sopranos"
- IMDb-Eintrag zu James Gandolfini
- 3. Staffel bei Amazon.de
- 4. Staffel bei Amazon.de

Mittwoch, September 07, 2005

In Memorandum: Tim Speedle

Ausgerechnet Tim Speedle (Rory Cochrane) wird in der ersten Folge der neuen "CSI Miami" Staffel erschossen. Und natürlich ist er selbst bei seinem Abgang seiner Figur des immer etwas verpennt wirkenden Detectives gerecht geworden. Schuld an seinem Tod war eine Fehlfunktion seiner Waffe (er konnte nicht auf seinen Gegner feuern, als dieser auf ihn schoß), die -- auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird -- wohl auf mangelnde Wartung der Waffe seinerseits zurückzuführen ist.

Diese "gelebte Lässigkeit" wird ja schon vorbereitend in der Folge noch einmal dadurch dokumentiert, daß er sich die Lampe seiner Kollegin Calleigh "ausgeliehen" hat (und anschließend nicht mal wieder aufgeladen hat), weil er offenbar seine eigene Ausrüstung mal wieder nicht beisammen hatte.

Gerade dieser Gegensatz zwischen Speedle, der immer so aussah als wäre er gerade erst dem Bett entstiegen oder hätte die Nacht gleich durchgemacht, und seinem peniblen, aus dem Ei gepellten Partner Eric Delko (Adam Rodriguez), hat den Reiz dieses "Jung-Duos" bei CSI Miami ausgemacht. Aber na ja, es hätte auch schlimmer kommen können. Der Verlust der waffengeilen Vorzeigeblondine Calleigh Duquesne (Emily Procter) hätte der Serie z.B. deutlich mehr geschadet :p.

Links:

- IMDb-Eintrag zu "CSI Miami"
- IMDb-Eintrag zu Rory Cochrane
- IMDb-Eintrag zu Adam Rodriguez
- IMDb-Eintrag zu Emily Procter

Montag, September 05, 2005

Das Duell geschwänzt

Ich habe gestern mit voller Absicht das Fernsehduell zwischen Schröder und Merkel "verpaßt". Gerade wenn das auf vier Kanälen zeitgleich übertragen wird und wohl so ziemlich jeder Bundesbürger es sich antut, sollte man vielleicht bewußt darauf verzichten.

Andere Duelle, wie z.B. eines zwischen Lafontaine und Stoiber wären meiner Ansicht nach sehenswerter gewesen. Aber in dieser verkrampften Atmosphäre, wie sie zwischen den beiden Kanzlerkandidaten herrscht, wirkt alles gestelzt und wahnsinnig künstlich. Jedes Subdetail ist doch da minutiös festgelegt und geplant, kein Raum für Ausbrüche und echte Rededuelle gegeben. Und dann gleich vier Moderatoren (weil es nur ein Duell gibt und nicht wie letztes Mal zwei, wollte jeder Kanal einen Mann / eine Frau dabei haben), was für ein Irrsinn.

Und mal ehrlich, was sollte es denn neues bringen, was nicht ohnehin schon bekannt gewesen ist? Die ersten Umfragen nach dem Duell sollen Schröder vorne gesehen haben, so what? Das hatte bereits jeder vorher so erwartet und es wird kaum etwas am Ausgang der Wahl ändern. Inhaltlich sind die Positionen ohnehin schon sattsam bekannt.

Da guck ich mir doch lieber an, wie Heath Ledger im Sudan ein wenig Kloppe bekommt *lacht*.

Gmail ist unerbittlich *lacht*

Gmail, der Email-Dienst von Google, scannt alle Mails die man bekommt oder rausschickt nach Schlüsselwörtern / -formulierungen und versucht danach passende Google Ads einzublenden. Wenn ich also z.B. eine Mail erhalte, in der das Wort "Schraubenzieher" auftaucht, dann blendet Google dazu Werbelinks auf Websites ein, auf denen man Werkzeug kaufen kann.

Wie man sich vorstellen kann, führt das manchmal auch zu absurden und nicht unbedingt schmeichelhaften Resultaten. So bekam ich heute z.B. Sponsored Links zum Thema "Ich-AG" und "Dysmorphobie" (der Angst vor Entstellung) eingeblendet. Letzteres erkläre ich mir durch einen Absatz über Fotos und wie unterschiedlich man darauf aussehen kann. Aber "Ich-AG"? Das paßte nun gar nicht mit dem Mailinhalt zusammen. Tips wie man am schnellsten ans "Überbrückungsgeld" kommt, usw., sollte das ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen sein? Demnächst tauchen dann z.B. beim Wort "Langzeitstudent" vielleicht auch gleich Hartz IV Tips oder ähnliches auf, das wäre doch was *lacht*.