Sonntag, April 16, 2006

Blog Siesta

Werte Leserschaft, es ist mal wieder soweit, das neue Semester beginnt am Dienstag und wie aufmerksame Leser dieses Blogs wissen bedeutet dies, daß ich vorübergehend aus der Blogosphäre entschwinde. Voraussichtliche Rückkehr wie immer in der Sommersaison: Mitte Juli bzw. Anfang August.

Eine Auswertung der Page Hits ergab, daß der mit Abstand meist frequentierte Eintrag in diesem Blog inzwischen "Spieltrieb" ist. Jedes Mal wenn diese Quiz-Sendung läuft (und das ist momentan werktags jede Nacht), finden sich Besucher ein, die mehr über die beiden Moderatoren der Sendung, Ben und Jeanette, erfahren wollen und dann via Google hier landen. Was damit zu tun hat, daß man bisher nur wenig über die beiden im Netz erfahren kann, selbst die Infos auf der offizielle VIVA-Website sind diesbezüglich bis dato mau. Leider habe auch ich keine näheren Informationen über deren "Vorleben" finden können.

Ansonsten ist jetzt endlich auch der Atom Feed gelinkt, so daß diejenigen unter euch, die mit einem atom-kompatiblen Feed Reader arbeiten, auch auf diesem Weg die aktuellsten Einträge konsumieren können.

Samstag, April 15, 2006

Migrationsdebatte in den USA

Nicht nur in Deutschland wird das Thema "Migration / Integration" zur Zeit heiß diskutiert, auch in den USA gibt es eine ähnliche Debatte, Hunderttausende gehen dort auf die Straße, um für die Rechte von Migranten zu demonstrieren. Auslöser für diese Massendemonstrationen war der im Dezember 2005 vom Repräsentantenhaus verabschiedete "Border Protection, Antiterrorism, and Illegal Immigration Control Act":

"Das Repräsentantenhaus hatte im Dezember einen Gesetzentwurf verabschiedet, der alle Möglichkeiten zur Legalisierung der 'Illegalen' ausklammert. Stattdessen wird darin der Schwerpunkt ganz auf eine verstärkte Absicherung der Grenze zu Mexiko gelegt, über die die meisten 'Illegalen' ins Land kommen. Vorgesehen ist in dem Entwurf unter anderem der Bau eines mehr als tausend Kilometer langen Grenzzauns." (SPON)

Konkret geht es im Moment um den Status von gut 11 Millionen illegal in den USA lebender Hispanics, mehrheitlich wohl Mexikaner. Während illegalen Einwanderern in der Vergangenheit von der Regierung immer wieder die Chance gegeben wurde, ihren Status zu legalisieren, offiziell die us-amerikanische Staatsangehörigkeit annehmen zu können, soll es dies in Zukunft nicht mehr oder nur noch eingeschränkt geben. Inzwischen wurde zwischen den widerstreitenden Parteien im Senat ein Kompromiß ausgearbeitet:

"Der Kompromissvorschlag sieht vor, dass solche illegalen Einwanderer, die bereits mehr als fünf Jahre lang in den USA leben, eine bis zu elfjährige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten und sich dann unter bestimmten Auflagen einbürgern lassen können. Wer sich zwischen zwei und fünf Jahren rechtswidrig im Land aufhält, muss ausreisen, kann aber von seinem Heimatland aus die Teilnahme an einem Gastarbeiterprogramm beantragen. Wer weniger als zwei Jahre ohne Papiere im Land ist, kann an diesem Programm nicht teilnehmen." (SPON)

"Der Senatsausschuss gab den Protesten in dieser Hinsicht zwar nach, stimmte allerdings der Aufrüstung und Militarisierung der Grenze zu Mexiko zu. Die derzeit 11.300 Mann starke Grenzpolizei soll bis zum Jahr 2011 verdoppelt werden, um der weiteren illegalen Zuwanderung einen Riegel vorzuschieben." (Telepolis)

Die Mehrheit der Illegalen würde dieser Regelung zur Folge die Möglichkeit bekommen, ihren Status zu legalisieren. Andererseits soll aber eben auch die Grenze zu Mexiko noch stärker als bisher abgesichert werden. Während es zunächst so aussah, als würde sich dieser Kompromiß-Vorschlag des Justizausschusses im Senat durchsetzen, wurde die Abstimmung inzwischen doch wieder verschoben. Der Senat hat sich bis nach Ostern vertagt. Selbst wenn der Senat sich aber auf einen Kompromiß einigt, muß dieser noch mit dem Repräsentantenhaus abgeglichen werden, das eine ungleich härtere Linie gegenüber den Illegalen verfolgt (siehe besagter "Border Protection, Antiterrorism, and Illegal Immigration Control Act").

Während die Demokraten eine eher liberale Migrationspolitik verfolgen und der Legalisierung der Illegalen offen gegenüberstehen, sind die Republikaner mehrheitlich eher für eine restriktivere Migrationspolitik. So kam auch die Mehrheit für besagten Kompromiß-Vorschlag im Justizausschuss des Senats nur zu stande, weil es republikanische Abweichler gab (SPIEGEL), was in den USA durchaus normal ist, da dort die Bindung einzelner Kongreßmitglieder an eine offizielle Parteilinie deutlich schwächer ist als im deutschen Parlamentarismus (so man denn unterstellt, es gäbe in den USA überhaupt so etwas wie eine offizielle Parteilinie). Auch beim "Border Protection, Antiterrorism, and Illegal Immigration Control Act" des Repräsentantenhauses zeigt sich, daß die Republikaner diejenigen sind, die eine härtere Anti-Migrationsposition beziehen: 92% der Republikaner waren für dieses Gesetz, 82% der Demokraten dagegen. Trotz Abweichlern wie z.B. dem republikanischen Senator John McCain (der mit dem Demokraten Ted Kennedy einen liberaleren Entwurf präferiert), sind in beiden Häusern die Republikaner diejenige Fraktion, die in der Migrationspolitik die härtere Linie verfolgt. Dabei können sie auf gut 70% der us-amerikanischen Bevölkerung setzen:

"Gegendemonstrationen gab es am Montag zwar keine, doch sind laut einer jüngsten Umfrage der Tageszeitung Washington Post und des Senders ABC rund 70 Prozent der US-AmerikanerInnen der Ansicht, dass die Regierung zu wenig gegen illegale Migration unternehme. Nur wenige Politiker äußerten ihre ablehnende Haltung am Montag so offen wie der republikanische Abgeordnete John Allen aus Arizona: 'Die Frage ist doch, wann und wie wir die illegale Migration stoppen. Gegenwärtig ist es so, dass du jeden Morgen aufwachst und es sind noch mehr von ihnen da. Es wird so weiter gehen, bis wir endlich eine gesicherte Grenze haben.'" (taz)

Es ist also eine klare Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht, es werde von der Regierung nicht genug gegen die illegale Einwanderung unternommen. Überfremdungsängste treten angesichts der Tatsache, daß die Hispanics in vielen Regionen der Südstaaten die dominierende Gruppe werden und gar nicht daran denken sich zu integrieren, immer stärker zu tage. Und das obwohl durchaus klar ist, was für eine zentrale Rolle die illegalen Billiglöhner aus Süd- und Mittelamerika in der US-Ökonomie inzwischen spielen und wie wenig gerade deshalb von offizieller Seite dagegen getan wird:

"Tatsächlich hängen ganze Branchen von den billigen Arbeitskräften ab. Illegale zerlegen Rinder in den großen Schlachthöfen des Mittleren Westens, sie waschen Autos, spülen Geschirr in den Restaurants und pflegen die Gärten in den reichen, weißen Vorstädten. Keine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, kein Drängen auf einen Mindestlohn, keine Krankenversicherung -- Amerikas boomende Wirtschaft liebt die Latinos. Auch die Statistik verrät, dass es so etwas wie eine stillschweigende Übereinkunft zwischen dem Staat und den Flüchtlingen gibt: 2004 wurden gerade mal drei US-Betriebe wegen Beschäftigung von Ilegalen bestraft". (SPIEGEL)

Neben den ökonomischen Gründen gibt es zunehmend auch politische Gründe mit einer eher Anti-Migrations-Haltung vorsichtig zu sein. Die immens großen Teilnehmerzahl an den Demonstrationen gegen eine restriktivere Migrationspolitik sind etwas Neues. Allein an den landesweiten Demonstrationen am zum "National Day of Action for Immigrant Justice" erklärten 10. April nahmen mehrere Huntertausend Menschen teil:

"Die ungewöhnlich großen Zahlen der Demonstrationsteilnehmer - gestern waren es allein in Phoenix, Arizona mehr als 100.000, am Sonntag über eine halbe Million in Dallas, Texas - gehen auf die Organisationsfähigkeiten eines losen Bündnisses aus Kirchengemeinden, Gewerkschaften, Studenten, örtlichen 'community agencies' und nicht zuletzt spanischsprachigen Medien zurück." (Telepolis)

Diese Massendemonstrationen fanden in den letzten Wochen regelmässig statt -- bei gleichbleibender oder gar wachsender Anzahl von Teilnehmern. Die bereits in den Staaten lebenden Hispanics setzen sich für ihre eigene Aufenthalts-Legalisierung ein -- oder für die ihrer Verwandten. Um ein noch stäkeres politisches Gewicht zu bekommen, wollen sie natürlich auch das weitere Hispanics einwandern dürfen. Ein ähnliches Interesse hat die katholische Kirche, für die jeder neue Hispanic ein potentielles Kirchen-Mitglied mehr ist. Auch die Gewerkschaften haben ein Interesse daran, daß der Aufenthaltsstatus der Illegalen legalisiert wird, denn dann werden aus den konkurrierenden, illegalen Billiglöhnern potentielle Gewerkschaftsmitglieder. Die 1,8 Millionen Mitglieder starke Dienstleistungsgewerkschaft SEIU wirbt z.B. massiv bei den Illegalen (Telepolis).

Noch mag eine starke Mehrheit der US-Bevölkerung für eine restriktivere Migrationspolitik eintreten, doch im selben Maße wie die "Hispanisierung" der südlichen Regionen der USA weiter voranschreitet, wird auch der politische Einfluß der Hispanics dort steigen -- spätestens mit dem Erwerb der us-amerikanischen Staatsangehörigkeit und damit der Möglichkeit an Wahlen teilzunehmen. Die Losung auf den Demonstrationen lautet ja nicht zufällig "Hoy marchamos, mañana votamos" ("Heute marschieren wir, morgen wählen wir") und "Somos América" ("Wir sind Amerika").

Auch wenn die Hispanics keine homogene Gruppe sind, teilen sich doch unabhängig von ihren verschiedenen Herkunftsländer mehrheitlich ein paar zentrale politische Ziele. Dazu gehört die Erlangung von Macht und Einfluß, was zu vorderst auch eine entsprechende Wählerklientel voraussetzt. Je mehr Hispanics ins Land kommen, desto mehr von ihnen werden über kurz oder lang auch in politische Ämter gewählt und erhalten damit auch die Option, auf die Migrationspolitik einzuwirken und den Zuzug weiterer Hispanics zu fördern.

Links:

Freitag, April 14, 2006

"Wir sind das Volk"

SPIEGEL TV (SPTV) hat am letzten Sonntag einen Beitrag ausgestrahlt (Teil 1 und Teil 2), der sich mit einem "Bürgeraufstand" auf einer Informationsveranstaltung im Berliner Ortsteil Heinersdorf, Bezirk Pankow, befaßt. Auf der Veranstaltung ging es um einen geplanten Moscheebau den die Ahmadiyya-Bewegung auf einem ungenutzten Gelände errichten möchte -- sehr zum Unwillen der ortsansässigen Nachbarschaft. Wikipedia definiert die Ausrichtung der Ahmadiyya wie folgt:

"Die Ahmadi-Muslime verstehen sich als Reformbewegung innerhalb des Islam, wobei sie eine Rückbesinnung auf den Kern der islamischen Glaubenslehre anstreben, was von Teilen der islamischen Welt als häretische Anmaßung verstanden wird. Die Ahmadi-Muslime grenzen sich allerdings scharf von militant-fundamentalistischen Strömungen ab und betonen die friedlichen und toleranten Elemente des Islam. Dabei stützen sie sich auf den Koran, die Sammlung der Taten und Aussprüche des Propheten (Hadith) und die Praxis des Propheten (Sunna). Die Ahmadiyya steht der Scharia insgesamt positiv gegenüber und wendet Bestimmungen an, die weitgehend den Hanbaliten entsprechen." (Wikipedia)

Einerseits werden also die friedlichen und toleranten Elementen des Islams betont, andererseits steht man der Scharia positiv gegenüber. Ein recht "durchwachsenes" Gesamtbild. Entsprechend stark umstritten ist die Bewegung auch. Für besondere Furore sorgten hier die Ausarbeitungen der Sozialwissenschaftlerin Hiltrud Schröter, die in den Schriften der Ahmadiyya antidemokratische, antichristliche und antisemitische Auffassungen gefunden haben will (Wikipedia).

Nach Ansicht des Hamburger Verfassungsschutzes, der sich die Bewegung genauer angesehen hat, geht demgegenüber keine Gefahr von den Ahmadi-Muslimen aus:

"Nach Einschätzung des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz handelt es sich bei der Gemeinde um eine missionarisch arbeitende Glaubensgemeinschaft, die derzeit in Deutschland zirka 50 000 aktive Anhänger zählt. Die meisten seien Pakistaner, Bosnier und Albaner, auch einige hundert Deutsche seien dabei. 'Sie betreiben unter anderem in Hamburg zwei Moscheen, doch Auffälligkeiten sind von der Gemeinde bisher nicht ausgegangen', sagt Heino Vahldieck, der den Verfassungsschutz in der Hansestadt leitet." (Berliner Morgenpost)

Daher hatte auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Pankow kein Problem damit, das Bauvorhaben zu erlauben. Der Platz auf dem die Moschee entstehen soll, ist schon lange ungenutzt, die Ahmadiyya erwarb das Grundstück mit ihren Spendengeldern und angeblich hätte dem 1 Millionen Euro Bau nichts mehr im Weg gestanden -- wären da nicht die Vorbehalte in der Bevölkerung.

Denn obwohl die Bewegung als friedlich gilt und nie negativ aufgefallen ist, ist sie in der deutschen Bevölkerung sehr unbeliebt. Präziser ist der Moscheenbau in Deutschland allgemein nicht wohl gelitten, da in großen Teilen der deutschen Bevölkerung Ängste vor Überfremdung vorherrschen. Auch für die Ahmadiyya ist es nicht das erste Mal, daß sie sich gegen starken Widerstand wehren muß. Am besten dokumentiert ist der Fall Schlüchtern in Hessen (siehe dazu die Diplom-Arbeit von René Hohmann).

Doch selbst in Schlüchtern gab es vermutlich keine Szenen wie jene bei besagter Informationsveranstaltung in Berlin-Pankow die von der Polizei aufgelöst werden mußte, bevor sie überhaupt angefangen hatte:

"Bereits auf dem Weg zum Veranstaltungsort, der Turnhalle der Grundschule am Wasser­turm, wird man mit der berüchtigten Berliner Schnauze konfrontiert. Auf die Frage, was hier eigentlich los sei, reagieren angespannte Rentner prompt: 'Das ist eine Demonstration!' Jugendliche mit gefärbten Haaren bekennen: 'Wir wollen hier keine Ausländer!' Eine halbe Stunde vor dem angekündigten Beginn der Ver­anstaltung platzt die Halle aus allen Nähten. Über 700 Leute sitzen und stehen auf engstem Raum beieinander. Niemand darf mehr rein. Der sichtlich verängstigte Vorsteher der BVV, Jens Holger Kirchner von den Grünen, versucht verzweifelt, die völlig aufgebrachten Leute vor der Halle zu beruhigen: 'Ihr Anliegen wird heute live vom RBB übertragen!'" (Jungle World)

"Um acht steht schließlich ein Polizist am Mikrophon: 'Der Veranstalter', sagt er, 'kann für die Sicherheit in diesem Objekt nicht mehr garantieren. Daher bitte ich Sie, diese Turnhalle und die Schule zu verlassen.' Fäuste werden gereckt, geschrieen wird, Trillerpfeifen trillern; Sprechchöre melden: 'Wir bleiben hier! Wir bleiben hier!' Die Interessen der Bürger würden in diesem Land überhaupt nicht mehr vertreten; 'baulich' sei die Moschee 'nicht passend'; der Bürgermeister solle rauskommen! Ein Mann sein! Man sei das Volk, man sei das Volk, man sei das Volk." (FAZ)

"Ein gediegener älterer Herr, erinnert sich Jens-Holger Kirchner, Vorsitzender des Bezirksparlaments, habe ihn sogar persönlich bedroht. 'Das überlebst du nicht', habe der Mann zu ihm gesagt, 'morgen bist du einen Kopf kürzer.' Tage später bekam er einen Anruf, eine offenbar ältere Frau schrie: 'Die Moschee wird brennen!' Zwei Tage nach der Radau-Veranstaltung zog die NPD mit 200 Personen durch den Ort, Motto 'Keine Moschee in Pankow'. (SPON)

Die Leute die in dieser Veranstaltung sitzen und davon reden, daß es ein "böses Ende gibt, wenn die ganzen Kameltreiber nach Pankow kommen", daß es einen schlechten Eindruck macht, wenn Touristen von der Autobahn aus als erstes großes Bauwerk in der deutschen Hauptstadt eine Moschee sehen, daß "wir dann morgen die ganzen Türken hier haben und die Russen und alles andere, die schon die ganzen Häuser hier aufgekauft haben", usw. usf. (SPTV), sind keineswegs nur rechte Skinheads sondern der ganz normale Querschnitt durch die Pankower Bevölkerung: Rentner, Jugendliche, Familienväter.

Nachdem diejenigen, die wegen Platzmangels vor der Tür bleiben mußten damit drohten, die Veranstaltung zu stürmen, mußte diese von der Polizei unter dem "Wir sind das Volk"-Gejohle der Anwesenden aufgelöst werden. Der Iman, der extra gekommen war um sein Projekt vorzustellen und sich der Diskussion zu stellen, mußte unter Polizeischutz aus dem Gebäude geleitet werden. Ein weitere Informationsveranstaltung wird es nicht geben, da man in Sorge ist, diese könnte ähnlich enden. Stattdessen wird jetzt erwogen, den Bau der Moschee komplett unter Polizeischutz zu stellen, da es bereits diverse Anschlagsdrohungen gegeben hat:

"Die Moschee der Ahmadiyya Muslim Gemeinde an der Tiniusstraße in Pankow-Heinersdorf soll nach Informationen der Berliner Zeitung unter Polizeischutz gebaut werden. Die Mitarbeiter aller beteiligten Firmen müssten sich somit beim Betreten des Baugeländes von der Polizei untersuchen lassen, Fremde dürften das Gelände nicht betreten. Die Polizei wollte sich gestern nicht dazu äußern. (...) Die Polizei reagiert damit auf Drohungen von Anwohnern, die den Bau mit allen Mitteln zu verhindern suchen." (Berliner Zeitung)

Fürs erste wurde der Bau aber aufgeschoben, die Ahmadiyya-Gemeinde möchte abwarten, da der sofortige Baubeginn in der jetzigen Phase unweigerlich in eine weitere Eskalation münden würde. Auch sieht man natürlich die Gefahr, daß die verantwortlichen Politiker irgendwann dem öffentlich Druck nachgeben könnten, wie es ähnlich auch schon in Hessen passiert ist:

"In Hessen änderte die Politik einfach den Bebauungsplan, um eine Moschee zu verhindern. Dabei gilt diese Glaubensgemeinschaft unter Verfassungsschützern weder als gewaltbereit noch als extremistisch. Islam-Experten stufen die Ahmadis als erzkonservativ und sehr missionarisch ein, aber auch als friedliebend." (SPON)

Es bleibt daher zu hoffen, daß das Moschee-Bauprojekt in Pankow nicht das gleiche Schicksal ereilt. Denn auch wenn die Gleichsetzung der Eskalation auf der Informationsveranstaltung mit Hoyerswerda (Jungle World) unverhältnismäßig ist, wäre das Signal das von einer politischen Revision der ursprünglichen Pro-Bau-Entscheidung ausgehen würde, doch fatal. Es würde bedeuten, daß eine Bevölkerungsgruppe sich nur zu einem Mob zusammenfinden muß, der ausgiebig ausländerfeindliche Parolen und Überfremdungsängste artikuliert, um eine nichtchristliche Religionsgemeinschaft vom Bau eines Glaubenshauses abzuhalten.

Links:

Donnerstag, April 13, 2006

Euromayday in Berlin?

Europaweit findet seit einigen Jahren in verschiedenen Metropolen am 1. Mai der so genannte "Euromayday" statt. Eine Demonstration, die sich für soziale Rechte einsetzt und die sich gegen "unzumutbare Lebens- und Arbeitsbedingungen" (berlin.euromayday.org) wendet, also gegen Prekarisierung. Unter "sozialen Rechten" wird dabei z.B. verstanden:

  • "Das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen.
  • Das Recht auf dauernden Aufenthalt für alle, die hier leben wollen.
  • Das Recht auf gebührenfreie Bildung.
  • Das Recht auf selbstbestimmtes Leben und freie Nutzung des öffentlichen Raums." (berlin.euromayday.org)
Als erste deutsche Stadt veranstaltete im letzten Jahr Hamburg eine Mayday-Parade, an der sich immerhin über 4.000 Menschen beteiligten, was keine Menschenmassen waren, aber immerhin ein Anfang, an den man in diesem Jahr in der Hansestadt anknüpfen will. Insgesamt nahmen in ganz Europa im letzten Jahr 200.000 Menschen in 19 Städten am Euromayday teil (taz).

Die Gruppe "Für eine linke Strömung" (kurz: FelS) möchte nun auch in Berlin einen Mayday (nicht zu verwechseln mit der jährlich stattfindenen, gleichnamigen Techno-Party in Dortmund) veranstalten. Auf diesem Weg soll den traditonellen 1.-Mai-Protesten in Berlin wieder mehr politischer Inhalt gegeben werden, man möchte weg vom entpolitisierten, ritualisierten Krawall genauso wie vom "Myfest" der Bezirksverwaltung, das einen reinen "Befriedungscharakter" hat. Doch die Idee stößt in der linken Szene nicht nur auf Gegenliebe, die taz faßt zusammen:

"Während einige linke Gruppen das Mayday-Konzept daher begrüßen, wird es in Diskussionsforen im Internet von anderen Teilen als zu 'zahm' und 'reformistisch' abgelehnt. Auch mit den Globalisierungskritikern von Attac wollen nicht alle Autonomen gemeinsam demonstrieren (...) Schon im vergangenen Jahr gab es auch für Berlin erste Pläne für den Mayday. Die Umsetzung scheiterte jedoch am Widerstand großer Teile der linken Szene." (taz)

Ob die Demo überhaupt stattfindet (bisher ist nur die traditionelle 13-Uhr-Demo angemeldet) und wenn ja, wie viele Leute sich dort dann tatsächlich beteiligen, ist noch völlig unklar. Die Idee, den 1. Mai wieder zu re-politisieren und von unproduktiven Gewaltexzessen zu befreien ist sicherlich richtig, solange aber verschiedene linke Gruppen mit verschiedenen Protest-Konzepten in Konkurrenz zueinander treten, dürfte sich das schwierig gestalten.

Links:

- "1. Mai: Parade statt Parolen", taz, 08.04.06
- Zentrale Euromayday Website
- Berliner Euromayday Website
- Hamburger Euromayday Website
- Website der Gruppe "Für eine linke Strömung" (FelS)
- Wikipedia-Eintrag zum Stichwort "Prekarisierung"
- Wikipedia-Eintrag zum Stichwort "Grundeinkommen"
- Wikipedia-Eintrag zum "Tag der Arbeit"
- Wikipedia-Eintrag zur Geschichte der Ausschreitungen am 1. Mai in Berlin

Mittwoch, April 12, 2006

18.000 Lira

"Yeah, we've got guns, but they're antiques.
They're rusted and they're broken.
The Red Brigade made us give our bomb back.
But we're going to do this bank job
and we're going to do our very best."

"18.000 Lira", Art Brut

Dienstag, April 11, 2006

Schwarze Pädagogik als Antwort auf den Rütli-Fall

Zur medialen Skandalisierung des Rütli-Falls

Eigentlich ist die mediale Skandalisierung der Zustände an der Neuköllner Rütli-Hauptschule ein klassischer Sommerlochs-Hype. In Ermangelung wichtigerer Nachrichten wird ein Brandbrief von ein paar überforderten Lehrern an den Berliner Bildungssenator zur halben Staatskrise hochgepusht mit der sich selbst der Bundestag in einer aktuellen Stunde auseinandersetzen muß (Tagesspiegel).

Ganz so, als ob die beschriebene Problematik an der Rütli-Schule etwas völlig Neues wäre, eine Art Naturkatastrophe die die Bevölkerung vom einen auf den anderen Tag unvorbereitet trifft und von der Politik durch hektischen Aktionismus bekämpft werden muß. Dabei sind die Probleme wie sie an der Rütli und an anderen Schulen vorherrschen ja schon lange bekannt. Woher kommt nun also ausgerechnet jetzt dieses mediale Erdbeben? Fassen wir den Ablauf der Geschichte zunächst kurz zusammen.

Seit die Rektorin der Rütli-Hauptschule im Berliner Problembezirk Neukölln wegen Krankheit aus dem Dienst geschieden ist, war diese faktisch ohne Führung, denn ein Nachfolger für den Rektorenposten ließ sich nicht finden. An der Schule ist Gewalt an der Tagesordnung, die Schüler machen was sie wollen und die Lehrer sehen keine Möglichkeit mehr die Lage in den Griff zu kriegen. Also verfassen sie einen Brief an den Berliner Senat, in dem sie die Auflösung der Schule fordern. Doch der zuständige Referent beim Bildungssenator antwortet, daß die Auflösung der Schule keine Lösung sein kann (eine Position die der Senat bis heute vertritt). Die Lehrer sind mit dieser Antwort unzufrieden, die Geschichte landet beim Tagesspiegel, der der Angelegenheit eine Top-Schlagzeile widmet (Tagesspiegel). Tags darauf ist die Geschichte auf jedem Titelblatt, selbst beim Spiegel wird die Geschichte zu einem Aufhänger für eine Titelstory (SPIEGEL).

Fortan ist in den Medien von ausländischen Schülern die Rede, die in ihrer Schule längst die Mehrheit haben, ihre deutschen Mitschüler als "Schweinefleischfresser" beschimpfen, Lehrer bedrohen und beklauen. Die sich vom Medienaufgebot vor ihrer Schule provoziert fühlen und sich mit den Journalisten anlegen (worauf diese nur warten, denn sie sind ja gekommen, um den Krawall zu dokumentieren). SPON berichtete sogar von einem Fall in Hamburg, wo ein ZDF-Team laut Aussage eines Rektors Schüler dafür bezahlt hat, daß sie aufeinander losgehen. Das ZDF bestreitet dies, räumte aber ein, daß einem Jugendlichen eine "Aufwandsentschädigung" von 200 Euro gezahlt worden sei (SPON).

Täter-Fahndung statt Kritik an der Trockenlegung von Integrationsmaßnahmen

In einem Interview mit der taz beschreibt die ehemalige Rektorin der Rütli-Schule, Brigitte Pick, ein etwas anderes Bild. Ihrer Meinung nach übertreiben die Medien die Situation an der Schule massiv:

"Vieles in den Medien ist massiv übertrieben. Auch der Polizeischutz, den Schulsenator Klaus Böger veranlasst hat, war völlig unsinnig. Wenn Pressevertreter Kinder mit Geld zum Steinewerfen animieren, wundert mich nichts mehr. Mir ist sogar zu Ohren gekommen, dass Reporter Steine mitgebracht haben sollen. Das ist keine Terrorschule. Das ist Medienterror." (taz)

Auch zu dem Brief des Lehrer-Kollegiums hat Brigitte Pick eine eher kritische Einstellung:

"Das liest sich in der Tat wie ein Offenbarungseid. Ich bin über die Beweggründe des Kollegiums nicht im Einzelnen informiert. Aber ich kann dazu nur sagen: Wenn ein Lehrer einmal mit einem Handy um Hilfe ruft, kann man nicht so tun, als passiere das ständig." (taz)

Daß es an der Schule Probleme gibt, bestreitet sie nicht, diese hätten aber viele Ursachen:

"Die Schule hat Lehrer, die Jugendliche beim Übergang in das Berufsleben unterstützen. Das Problem im vergangenen Schuljahr war nur: Von rund 60 Abgängern hat kein einziger einen Ausbildungsplatz bekommen. Die Rütli-Schule gehörte zu den Ersten, die Streitschlichter ausbildete. Wir haben die Sprachschulung intensiviert. Wir arbeiten mit dem Quartiersmanagement zusammen. Ich habe immer wieder türkische und arabische Honorarkräfte in die Schule geholt. Es war nicht so, dass die alle aufgegeben haben, weil die Verhältnisse so schlimm waren. Der Grund war die schlechte Bezahlung. Ich hatte Bewerbungen von Lehrerinnen, die sich speziell für die Arbeit in sozialen Brennpunkten interessiert haben. Ich konnte sie aber nicht einstellen, weil wir die Lehrkräfte aus dem Ostteil der Stadt übernehmen müssen. Die Schulen werden dort ja massenweise zugemacht. Man kann nicht sagen, dass all diese Lehrer gerne zur Rütli-Schule gekommen sind." (taz)

Und genau darin sieht der Journalist Peter Nowak den eigentlichen Skandal. Nicht die Kritik an der Zusammenkürzung und Demontage von für die Integration wichtigen Maßnahmen an der Schule (Sprachkurse, Streitschlichter, Einstellung von ausländischen Honorarkräften und spezialisierten Lehrkräften, etc.) stand in der Debatte im Vordergrund, sondern die Fahndung nach Tätern unter den Jugendlichen, nach Belegen für die gescheiterte Integration:

"Unter den Schülern wurden Streitschlichter ausgebildet, Sprachkurse eingerichtet und der Kontakt mit dem Quartiersmanagement im Stadtteil intensiviert. Durch die Politik der Schulbehörden wurden diese Konzepte systematisch finanziell ausgetrocknet und demontiert. Nun stellt sich die Frage, warum nach dem Brief des Lehrerkollegiums diese Politik und ihre Folgen nicht im Fokus der Kritik standen. Darin spiegelt sich zumindest auch die generelle Abwertung des Sozialen im Zeitalter des Neoliberalismus wider. Wenn es Probleme gibt, wird nicht nach den sozialen Hintergründen geforscht, sondern nach Tätern gefahndet. So spricht der Lehrerbrief über renitente Jugendliche auch von Intensivtätern. Auch sonst ist in dem Brief alles enthalten, was man von Neukölln scheinbar schon lange wusste. Ein Stadtteil mit einem starken Bevölkerungsanteil mit migrantischem Hintergrund, dazu noch eine Hauptschule, wo Schüler aus arabischen und türkischen Elternhäusern die Mehrheit bilden. Da brauchte es nicht viel, um die Bilder von Parallelgesellschaften und rechtsfreien Zonen sowie das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft abzurufen." (Telepolis)

Ein reines Integrationsproblem von Schülern mit Migrationshintergrund?

Wenn dann keiner der Abgänger einen Ausbildungsplatz findet, wirkt das auf die nachfolgenden Schüler auch nicht besonders motivierend. Denn sie müssen sich dann natürlich fragen, wozu sie sich überhaupt anstrengen sollen, einen Abschluß zu erwerben. Dieser Zusammenhang von Perspektivlosigkeit und Fehlverhalten wirft die Frage auf, ob es hier wirklich primär um eine Integrations-Problematik geht oder nicht doch eher um ein allgemeines Problem mit dem deutschen Schulsystem. Immerhin haben ja nicht nur Hauptschulen mit hohem Ausländeranteil das Problem, daß die Schüler aus Frust über ihre Lebenssituation zur Gewalttätigkeit, zum Stören und zum Schwänzen neigen. Eine Rektorin aus Ostdeutschland berichtet anonym bei SPON:

"Heute liegt der Anteil der Kinder, die aus sozialschwachen Familien kommen, oft bei 80 Prozent. Die Eltern haben seit vielen Jahren keine Arbeit. Die Kinder sind die einzigen, die morgens aufstehen. Für sie ist es eine große Leistung, wenn sie verspätet, ohne Frühstück und unvorbereitet überhaupt in die Schule kommen. Wie dann der Tag abläuft, hängt davon ab, was sie in der Nacht erlebt haben: Wurde zu Hause getrunken, haben sich die Eltern gestritten oder gab es Prügeleien, dann sind sie unausgeschlafen, apathisch oder aggressiv. Gestern hat ein Schüler seiner Mitschülerin einen Stuhl an den Kopf geworfen, weil sie ihn ausgelacht hatte: Er hatte statt seiner Schultasche nur einen Beutel bei sich. Es stellte sich heraus, dass in der Nacht zuvor das Jugendamt ihn und seine vier Geschwister aus der Familie geholt und in ein Heim gebracht hatte." (SPON)

In der Debatte sollte es also nicht nur um Schüler mit Migrationshintergrund im Speziellen gehen, sondern um Schüler aus sozialschwachen Familien im Allgemeinen. Der in den Medien erkennbare Trend, die Diskussion auf den hohen Ausländeranteil in einigen Schulen (und auf die daraus folgenden Problemen) reduzieren zu wollen, greift also zu kurz. Will man Chancengleichheit erreichen oder sich ihr zumindest annähern, muß man Kinder aus sozial benachteiligten Schichten entsprechend fördern -- sein sie nun Deutsche oder Ausländer. Sie müssen in jedem Fall eine berufliche Perspektive haben, ansonsten wird es immer an Motivation mangeln.

Blame Game

Im Konservativen-Lager sieht man das naturgemäß etwas anders, Rudolf Maresch, der "Quoten-Reaktionär" beim linken Netz-Magazin Telepolis beklagt die allgemeine "Verluderung von Sitten und Gepflogenheit" und die mangelnde Bereitschaft sich "anzustrengen und aus seinem Leben etwas machen zu wollen":

"Ethnische Dominanz, die kulturelle Kluft, mangelhafte Sprachkenntnisse, und Macho-Gehabe vornehmlich bei jungen männlichen Migranten sind nur das eine und allenfalls ein Teil des Problems; die Verrohung des Umgangs, mangelnder Respekt vor dem anderen, Einhalten und Akzeptieren von Mindestregeln des Anstands sowie die wachsende Verluderung von Sitten und Gepflogenheiten, die von Medien und Unterschichtenfernsehen, von ständig wechselnden Bezugspersonen und desolaten Familienverhältnissen unterstützt und gefördert werden, aber auch der mangelnde Wille, sich überhaupt anzustrengen und aus seinem Leben was machen zu wollen, aber das andere und übergeordnete Problem." (Telepolis)

Das Problem ist hier also nicht die Zusammenstutzung der Integrationsmaßnahmen, sondern der Migrant selbst, der sich -- genau wie andere Sozialschwache -- einfach nicht anstrengen möchte. Natürlich sind dann auch die Zuwendungen aus dem Sozialsystem kontraproduktiv, da sie nur "das Abwarten" und "das Nichtstun" begünstigen:

"Woran es in Deutschland oder überhaupt in Alteuropa mangelt, ist ein kreativer Umgang mit dem so genannten 'Münchhausen-Dilemma'. Es fehlt an einer Kultur des 'Sich-selbst-aus dem-Sumpf-ziehen-Wollens'. Das Sozialsystem fördert das Abwarten, das Nichtstun, das Warten auf den Messias, wofür der Staat steht, statt das Individuum zur Aktivität zu stimulieren." (Telepolis)

Daß es zur Überwendung der von Maresch genannten Problemen (z.B. "desolate Familienverhältnisse") nicht weniger, sondern mehr finanzielle Unterstützung braucht, will dieser nicht wahr haben. Er flüchtet sich lieber in einen Kulturpessimismus, beklagt den allgemeinen Werteverfall und reduziert den sozialen Abstieg auf ein "Sich-nicht-anstrengen-wollen" der Betroffenen. Demgegenüber betont Sabine Kebir im Wochenmagazin "Freitag" die (auch finanzielle) Verantwortung der öffentlichen Hand die Voraussetzungen für Chancengleichheit zu schaffen:

"Obwohl es noch nicht lange her ist, dass Soziologie, Sozialpsychiatrie und andere Humanwissenschaften genau herausgearbeitet haben, für welche Umstände die öffentliche Hand sorgen muss, damit Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und vom Bildungsgrad der Eltern vernünftig erwachsen werden können, wurden diese Umstände - wo sie existierten - durch Unterfinanzierung seit Jahren systematisch zerstört." (Freitag)

Trotz dieses Zusammenhangs beschränken sich konservative Politiker wie Wolfgang Schäuble, Edmund Stoiber, Wolfgang Bosbach und Friedbert Pflüger in der aktuellen Debatte darauf die Migranten öffentlich anzuklagen, ihnen mit finanziellen Sanktionen und Abschiebung zu drohen, wenn sie sich nicht integrieren lassen (SPON). Tanjev Schultz faßt diese Rhetorik in der Süddeutschen Zeitung wie folgt zusammen:

"Die einfallslosen Reaktionen vieler Politiker folgen dabei dem gleichen Muster des Unsichtbarmachens: Wer aufmuckt, soll einfach verschwinden. Die einzige Pädagogik, die Politiker wie Edmund Stoiber und Wolfgang Bosbach beherrschen, ist schwarze Pädagogik. Drohen, verbieten, wegsperren, rauswerfen." (Süddeutsche Zeitung)

Die Konservativen wittern im medialen Rütli-Gewitter Aufwind und versuchen sich gegen integrationsunwillige Migranten und gutmenschelnde Linke zu profilieren. So sagt der Historiker Arnulf Baring in einem Bild-Interview:

"Multi-Kulti ist gescheitert – weil die Ausländer die deutsche Kultur neben ihrer eigenen nicht akzeptieren oder auch nur dulden wollen. Das war allerdings schon seit Jahren abzusehen, wurde aber bewußt verschwiegen und kleingeredet. Nicht die Deutschen sind die Deppen, sondern diejenigen Politiker und Gutmenschen, die sich jahrzehntelang multikulturellen Träumen hingegeben haben." (Bild)

Demgegenüber betont Claus Christian Malzahn in SPON, daß "Multikulti" längst unverrückbare Realität sei, das man ohnehin nicht rückgängig machen könnte, selbst wenn man wollte. In deutlichen Worten stellt er ferner fest, daß weder Rotgrün noch naive Gutmenschen die Hauptschuld an der Integrationskrise tragen, sondern die Regierung Kohl:

"Es ist deshalb höchste Zeit, mit ein paar Mythen aufzuräumen: Weder Rot-Grün oder die naiven Multikulti-Befürworter tragen die Hauptschuld an der jetzigen Integrationsmisere. Der Mann heißt Helmut Kohl. Einwanderungspolitik hat diesen Kanzler, der das Land immerhin von 1982 bis 1998 regierte, trotz türkischer Schwiegertochter nicht interessiert. Eisern wurde am deutschen Blutrecht festgehalten, Einwanderung wurde nicht gesteuert, sondern entwickelte sich anarchisch über das Asylrecht oder den Nachzug von Gastarbeiter-Familien. Für in Deutschland lebende ausländische Kinder galt damals nicht einmal grundsätzlich die Schulpflicht - wer nur "geduldet" wurde, brauchte ja nicht Lesen und Schreiben zu lernen." (SPON)

Rotgrün habe das Staatsbürgerrecht immerhin modernisiert, wenngleich auch nur sehr halbherzig. Statt wie die Konservativen in der Debatte immer nur von "Abschiebung" zu reden, sollte die große Koalition "die republikanische Einheit der Einwanderungsrepublik Deutschland" anstreben. Malzahns Appell an Konservative, Sozialdemokraten und die große Koalition:

"Liebe Konservative: Kapiert endlich, dass dieses Herkunftsland Deutschland heißt. Multikulti ist eine Realität. Es gibt keinen Weg zurück zu einem "ethnisch begradigten" Deutschland. Liebe Große Koalition: Ihr seid dabei, die Chance auf die zweite deutsche Einheit zu verspielen - die republikanische Einheit der Einwanderungsrepublik Deutschland. Liebe Sozialdemokraten: Wie soll man eigentlich Euer dröhnendes Schweigen in dieser wichtigen Zukunftsdebatte deuten? Es gibt Wege aus der Multikulti-Krise. Man muss sie nur gehen wollen. Wie wäre es denn mal mit einem Gesetz zur automatischen Einbürgerung jedes in Deutschland geborenen Kindes? Das wäre doch mal ein echtes Angebot. Warme Worte hat es in der Vergangenheit genug gegeben. Was die Republik jetzt braucht, ist eine ehrliche, selbstkritische Bilanz. Weder multikulturelle Verklärung noch hysterische Warnrufe helfen weiter. Wer sagt, dass mit den Ausländern etwas falsch läuft, denkt immer noch in den alten Kategorien von 'Die' und 'Wir'. Er vergisst beispielsweise, dass die Leidtragenden der Bildungsmisere an Lehranstalten wie der Rütli-Schule in erster Linie die Kinder und Jugendlichen aus Einwandererfamilien sind." (SPON)

Die SPD in der Defensive

Wie soll man das "dröhnende Schweigen" der Sozialdemokraten erklären, fragt Malzahn. Vielleicht damit, daß CDU/CSU nur zu gut wissen, daß sie im Volk mit ihrer Hardliner-Rhetorik gegenüber Migranten durchaus auf offene Ohren stoßen und daß die Umfragewerte der SPD noch weiter abstürzen würden, wenn sie sich allzu deutlich von den konservativen Stammtisch-Parolen distanziert. Alke Wierth führt in der taz aus:

"Dass manche der Forderungen, die die CDU in Sachen Integration besetzt, auch unter Sozialdemokraten Zustimmung finden, macht die Lage nicht leichter. Denn Positionen wie jene, die Böger am Mittwoch im Bundestag vertreten hat, sind vielen Teilen der überwiegend deutschstämmigen Wählerschaft erheblich schwerer zu vermitteln als die Abschiebe-Parolen der CDU. Der Schulsenator hatte dort gesagt: 'Wir müssen diese Kinder als unsere Kinder annehmen und nicht wegschicken!'" (taz)

Daß eine Intensivierung der Abschiebung nicht die Antwort auf verfehlte Integrationspolitik sein kann, ist der deutschen Stammwählerschaft also nur schwer zu vermitteln, was es der SPD so schwer macht, gegen die CDU mit ihren Parolen anzukommen. Harald Neuber verwies dazu erst vor kurzem in einem Telepolis-Artikel auf eine Bielefelder Langzeitstudie:

"Hentges plädiert daher wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen für eine 'Debatte über rechtspopulistische Trends sowohl in den Medien als auch in der politischen Bildung'. Sie verweist auf eine Langzeitstudie des Bielefelder Politologen Wilhelm Heitmeyer, der zufolge 36 Prozent der Befragten dafür plädierten, Ausländer bei knapper werdenden Arbeitsplätzen in ihr Heimatland zurückzuschicken. 60 Prozent waren der Meinung, dass in Deutschland generell zu viele Ausländer lebten. Der Titel der Studie: 'Deutsche Zustände'." (Telepolis)

Ein weiteres Problem der SPD besteht natürlich darin, daß es im Fall Berlin der rotrote Senat war, der den Absturz der Rütli-Schule durch einen sukzessiven Abbau der Integrationsmaßnahmen begünstigte.

Abstract

Fassen wir also kurz zusammen: Die Antwort der Konservativen auf den Skandal um die Rütli-Schule besteht darin, eine härtere Gangart gegenüber integrationsunwilligen Migranten zu fordern. Es geht also nicht darum, was man dafür tun kann, daß sich der Integrationprozeß verbessert (Anreize schaffen, Förderung intensivieren), sondern allein darum, wie man unwillige Migranten schnellstmöglich wieder loswird. Es wird nicht etwa über die eigenen Versäumnisse in der Integrationspolitik reflektiert, sondern die Schuld allein bei den Migranten und dem politischen Gegner (den "Gutmenschen") gesucht. Statt sich bewußt zu werden, daß das unliebsame Verhalten des Migranten auch ein Produkt seiner integrations-feindlichen Umgebung ist, wird das Verhalten lieber als eigenständig betrachtet, womit man dann auch einfacher legitimieren kann, den Migranten bei Fehlverhalten auszuweisen.

Die Mehrheit der SPD teilt die Hardliner-Position der Union nicht, tritt aber auch nur recht verhalten dagegen auf. Zum einen, weil die SPD weiß, daß sie dann in den Umfragen noch weiter sinken würde, da die Union mit ihren Stammtisch-Parolen in der deutschen Wählerschaft durchaus auf Zustimmung stößt. Zum anderen, weil die verfehlte Integrationspolitik zu teilen auch auf die Kappe der SPD geht, wie der Rütli-Fall in Berlin exemplarisch zeigt. Dort wurden Maßnahmen zur Verbesserung der Integration vom rotroten Senat abgebaut.

Ein weiteres Problem der Debatte bestand darin, daß man sich zu sehr auf den Faktor "Ausländer" in der deutschen Schulmisere konzentriert hat. Tatsächlich haben auch Hauptschüler deutscher Herkunft ähnliche Probleme. Obwohl sie z.B. in der Regel (noch) besser Deutsch sprechen, als ihre Mitschüler mit Migrationshintergrund, sind ihre Berufsaussichten auch nicht wesentlich besser. Sozialbenachteiligte Deutsche und Migranten leiden gleichermaßen unter einer verfehlten Bildungspolitik. Sinnvoll wäre es daher gewesen, die Schwächen des deutschen Schulsystems als solches zu diskutieren, anstatt sich nur auf die Integrationsproblematik zu konzentrieren. Teilweise ist dies auch geschehen, z.B. mit der Diskussion über das Für und Wider einer vollständigen Abschaffung der Hauptschulen.

Eine eher unrühmliche Rolle spielten die Medien im Rütli-Fall. Systematisch wurde der Fall aufgebauscht, statt einer Sachdiskussion dominierte in der Berichterstattung das Stereotyp vom kriminellen Ausländer, der in seinem jungen Leben nichts anderes anstrebt, als Gewalt auszuüben und den Schulunterricht zu demontieren. Das ganze wurde dann verschärft, indem man die Jugendlichen dazu animierte und provozierte, vor laufender Kamera Dinge zu tun, die diesem Stereotyp entsprechen. Erst im späteren Verlauf gab es dann eine zunehmend differenziertere Berichterstattung, die auch bemüht war die Hintergründe der Integrationsproblematik zu schildern und die Gefahr erkannte, daß der öffentliche Diskurs ansonsten auf ein einfaches "Ausländer raus" hinauslaufen würde.

Artikel

Montag, April 10, 2006

My way or the highway

Jürgen Klinsmanns Ruf, einsame, unbequeme Entscheidungen zu treffen, eilt ihm voraus. Wenn man aufzählt, mit welchen Entscheidungen er in seiner Funktion als Bundestrainer bisher immer wieder halb Fußballdeutschland gegen sich aufgebracht hat, kommt so einiges zusammen. Er hat...

  • ... die Leitung der Mannschaft mit ihm als Trainer, Oliver Bierhoff als Manager und Joachim Löw als Co-Trainer drei geteilt.

  • ... einen Chefscout aus der Schweiz, einen Psychologen von der Uni Heidelberg und einen Fitnesstrainer aus Arizona engagiert und damit eine kontroverse Debatte ausgelöst, wie optimales Fußballtraining und -management heutzutage eigentlich auszusehen hat.

  • ... Sepp Maier nach 17 Jahren als Bundestorwarttrainer entlassen, weil der zu eindeutig an Oliver Kahn als erstem Keeper geklebt hat.

  • ... Christian Wörns aus dem Kader der Nationaelf gekickt, nachdem dieser sich despektierlich über seine Nichtnominierung bei einem Spiel geäußert hatte.

  • ... sich mehrmals den Ärger Beckenbauers zugezogen, zuletzt durch sein Fernbleiben beim WM-Workshop in Düsseldorf, an dem eigentlich alle Trainer aller WM-Mannschaften teilnehmen sollten.

  • ... Jens Lehmann zur Nummer Eins im deutschen Tor erklärt, nachdem diese Position lange Zeit Oliver Kahn zugestanden hatte.
Alle diese Entscheidungen und Maßnahmen (es wären vermutlich noch ein paar weitere zu nennen) haben nicht eben zu einer Steigerung von Klinsmanns Beliebtheit beigetragen. Vielen Deutschen gilt er als zu arrogant, zu eigensinnig. Insbesondere, daß er trotz Bundestrainer-Tätigkeit in den USA lebt und seinen Trainingsstil amerikanisiert hat (Psychologe, spezieller Fitness-Coach, etc.) hat ihm viele Sympathiepunkte gekostet. Zudem wagt er es immer wieder sich gegegen die drei großen "B"s im deutschen Fußball aufzulehnen: Beckenbauer, Bayern, Bild. Und jetzt auch noch die Enthronisierung Kahns. Thomas Pany faßt es in einem Telepolis-Artikel wie folgt zusammen:

"Damit hat sich Kalifornien-Jürgen selbst zum kühnen Helden gemacht, weil er gewagt hat, was sich deutsche Führungs-Politiker nicht trauen: Der Bildzeitung einen Handschuh hinwerfen - und gleich ein ganzes Paar, lässig. (...) Auch der Engländer Lehmann hat bei Bild keine so guten Freunde wie der deutsche Titan. Kahn kann auf Bild-Kaiser Beckenbauer zählen und die Bild affinen Bayern-Fürsten, die Klinsmann jetzt wohl noch weniger mögen. Jüngste Äußerungen der Bayern-Granden machten klar, dass sie Klinsmann als Ärgernis empfinden. Man muss nicht weit suchen, um die Quelle des Ärgernisses zu finden: gelassene Unabhängigkeit." (Telepolis)

Klinsmann also als Underdog, der sich wacker der Übermacht aus Kaiser, Bayern-Fürsten und Bild-Redaktion entgegenstemmt? Es gibt natürlich auch eine andere Darstellung der Geschichte, die Klinsmanns eigenes, als sehr einflußreich geltenes Netzwerk betont. So schreibt etwa Wolfram Eilenberger in Cicero über Klinsmanns Firma "Soccersolutions":

"In Kalifornien war er vor allem Fußball-Geschäftsmann. Gemeinsam mit dem ehemaligen Adidas-Manager Warren Mersereau und Mick Hoban – einem weiteren Schwergewicht im globalen Fußballgeschäft – ist Klinsmann Inhaber der Firma 'Soccersolutions'. Soccersolutions besteht aus einer Website, drei E-Mailadressen und einem globalen Netzwerk von Freundschaften und langjährigen Geschäftsbeziehungen. Die Fäden reichen vom Sitz des Brasilianischen Fußballverbandes bis ins Zentrum des amerikanischen Nike-Konzerns. Die gesamte Konzeption, die Klinsmann für die Zukunft des Deutschen Fußballs erdacht hat, ist ein Werk dieses Dreigespanns. Weshalb nicht wenige in der Frankfurter Zentrale des DFB befürchten, in Gestalt Klinsmanns von einem Netzwerk ferngesteuert zu werden, dessen Interessen weder durchschaut noch kontrolliert werden können." (Cicero)

Also "Soccersolutions" als einflußreiches Gegengewicht zur "Triple-B-Allianz"? Zumindest im Inland sind die drei großen Bs tonangebend, insofern kann man Klinsmanns Entscheidung Pro-Lehmann schon als mutig bezeichnen. Endgültig klar ist damit aber auch, daß Klinsmann nichts mehr zu melden haben wird, wenn die deutsche Elf den Titel nicht tatsächlich holt. Aber das war vielleicht schon von Anfang an klar. Klinsmanns Vertrag läuft im Juli 2006 aus und er hat bisher keine Anstalten gemacht, ihn verlängern zu lassen. Es wäre dann aber immerhin der vielleicht erste Vertrag, den er nicht vorzeitig kündigt:

"Da scheint es auf, das Muster aus Perfektionismus, sozialem Engagement und radikalem Eigensinn, für das der Bundestrainer schon als Spieler berüchtigt war. My way or the highway. Tatsächlich hat Jürgen Klinsmann in seinen 15 Jahren als Spitzen-Profi keinen einzigen Vertrag erfüllt. Ob in Stuttgart, Mailand, Monaco, London, München und Genua, stets ging der Weltklassestürmer vor der Zeit. Von Streit hat Klinsmann indes nie gesprochen. In seiner Welt heißt das 'andere Vorstellungen'. Meist waren es finanzielle." (Cicero)

Ob die Entscheidung Lehmann den Vorzug vor Kahn zu geben sachlich richtig war, ist auch bei den Kommentatoren umstritten. Die meisten tendieren aber soweit ich es überlicke dazu, Klinsmann recht zu geben, da Kahn in den letzten Wochen deutlich geschwächelt hatte, während sich sein Konkurrent Lehmann in Topform präsentierte. Achim Achilles frotzelt in seiner SPON-Kolumne:

"Unser Olli, das ist so ein tragischer Testosteron-Fühler. Fletscht und brüllt und fuchtelt und hüpft immer noch herum wie ein wilder Stier. Aber es ist nicht mehr so wie früher. Auch wenn er es so gern will. Es ist leider nur noch so-tun-als-ob. So wie Klaus Meine von den 'Scorpions': Schwarze Mütze über der Halbglatze, Lederhose mit Elastikbündchen und 'Wind of Change', lebenslänglich. Nun also unser Olli. Noch so einer, der die Kurve nicht im richtigen Moment gekriegt hat. Morbus Scharping. Einer, der sich öffentlich demütigen lassen muss, weil er Stolz und Dickköpfigkeit verwechselt und einfach nicht merken will, wann es genug ist." (SPON)

Achilles beschreibt Kahn als jemand der seinen Zenit überschritten hat, der seinen Testosteron-Fluß vortäuschen muß, weil dieser längst ausbleibt. Kahn ist einfach zu alt. Was Achilles dabei wissentlich oder unwissentlich außen vor läßt ist, daß Lehmann genau wie Kahn Jahrgang 1969 ist. Lehmann mag vielleicht zur Zeit in besserer Form sein, jünger und "testosteronreicher" ist er damit nicht. Die jW-Autorin Uschi Diesl ist mit Klinsmann Entscheidung weniger zufrieden als der SPON-Kollege und schreibt bissig:

"Unverbrauchter Offensivfußball ist Klinsmanns Markenzeichen. Wer gute Erfahrungen mit der gegenteiligen Auffassung gemacht hat, daß Hauptsache hinten die Null steht, der nervt und muß weg. Weil der deutsche Fußball vor Klinsmann defensiv ausgerichtet war, nervt im Prinzip jeder erfahrene Spieler. Lehmann kommt nicht auf ein Drittel der Länderspieleinsätze von Kahn, und spielt im Gegensatz zu diesem liebend gern mal vorne mit. Während Kahn Fehler nur aus übersteigertem Perfektionsanspruch macht, ist Lehmann für großkotzigen Leichtsinn bekannt. Kahn hält eher zu wenig von sich, Lehmann eher zu viel. Deswegen paßt er besser ins System Klinsmann." (junge Welt)

Mit "großkotziger Leichtsinn" ist hier vermutlich Lehmanns "libero-artiges Spiel außerhalb des Strafraums" (Wikipedia) gemeint, das ihm schon mehrere Gegentore eingebracht hat.

Auffällig ist, daß solche ja eigentlich sachlichen Fragen in der öffentlichen Diskussion nicht mal im Vordergrund stehen. Es geht immer nur darum, ob die ganze Sache nicht ein abgekartetes Spiel war, ob für Klinsmann nicht von Anfang an klar war, daß es Lehmann wird, ob Klinsmann von Anfang an Kahn systematisch demontiert hat oder ob nicht umgekehrt Beckenbauer und Co. ständig versucht haben Klinsmann zu diskreditieren und dieser einfach reagieren mußte. Oder gab es vielleicht ganz andere, ökonomische Interessen? Rudi Brückner schreibt in einer eurosport.de-Kolumne:

"Dass der frühere Berater von Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff seit längerer Zeit schon der Berater von Jens Lehmann ist und dieser selbstverständlich ein persönliches Interesse an großer Vermarktung seines Schützlings hat und seinen 'guten Draht' zu seinem früheren Schützling genutzt hat, sei hier nur am Rande dieses abgekarteten Spiels erwähnt." (eurosport.de)

Und wie passen eigentlich Klinsmanns Ambitionen die er mit seiner Firma "Soccersolutions" hegt in dieses Spiel? etc. pp. Die Mutmaßungen und Verschwörungstheorien sprießen, die Kommentatoren spalten sich in ein Pro- und ein Kontra-Klinsmann-Lager.

Die Frage ist, ob der Zeitpunkt richtig gewählt war. Hätte Klinsmann noch bis nach dem Bremen-Spiel warten sollen? Auch das wäre von Kahn-Befürwortern doch als unpassend gewertet worden, weil es dann geheißen hätte, Klinsmann nimmt das eine schlechte Spiel gegen Bremen zum Anlaß. Hätte er die Entscheidung noch länger hinauszögern sollen? Es waren doch gerade die Bayern, die Druck machten, daß er sich endlich entscheiden sollte. Christian Gödecke schreibt bei SPON:

"Liebe Bayern, wer hat denn diese schnelle Entscheidung gefordert? Wer hat den öffentlichen Druck entfacht? Die Antwort sind die Münchner selbst, und die Erkenntnis daraus so ironisch wie bitter zugleich. Mit ihren an Penetranz grenzenden Zwischenrufen nach einer Entscheidung pro Kahn und den ungefragt geäußerten Schutzbehauptungen im Anschluss an jeden Fehler ihres Keepers (Tenor: Kahn patzt, weil er seinen Stammplatz im DFB-Team nicht sicher hat) haben die Bayern-Verantwortlichen ihrem Torwart mehr geschadet als genützt." (SPON)

Sicher wurden Kahn und Lehmann durch dieses Hinhalten, das nicht-endgültig-festlegen-wollen unter Druck gesetzt. Doch gerade darum ging es doch, festzustellen, wie sich die beiden unter Druck verhalten. Denn der Druck, dem der Keeper dann während der WM im eigenen Land ausgesetzt ist, dürfte noch mal ungleich höher sein. Die letzten Wochen haben gezeigt, daß Lehmann offenbar besser unter Druck spielen kann, als Kahn -- obwohl dies ja eigentlich besonders dessen Stärke sein soll.

Und ein Bundestrainer, der sich in seiner Entscheidungsfindung nach Bild, Beckenbauer oder dem Volksmund richtet, wäre uns das tatsächlich lieber? Man sollte Klinsmann machen lassen, ob er mit seinen Entscheidungen richtig lag oder nicht, wird sich ohnehin erst im Sommer endgültig klären lassen.

Eher Pro-Klinsmann-Artikel:
- Thomas Pany, "Nur einer ist Titan: Klinsmann", TP, 08.04.06
- Achim Achilles, "Ollis Testosteron-Nostalgie", SPON, 08.04.06
- Christian Gödecke, "Die Rache des Dickschädels", SPON, 08.04.06

Eher Kontra-Klinsmann-Artikel:
- Wolfram Eilenberger, "Looking for Jürgen", Cicero, 03/06
- Uschi Diesl, "Ausgebufft ausgebootet", junge Welt, 08.04.06
- Rudi Brückner, "Brückners Breitseite", eurosport.de, 08.04.06

Donnerstag, April 06, 2006

Frieda und die Bomben

"Eine kleine Stadt,
die Häuser viel zu klein
und bis oben hin vollgestopft mit Träumen und mit Hoffnungskram.
Auf der zu kleinen Straße
vor dem Gartentor
steht ein kleines Scheißauto
und das ist nicht von dir!"

"Frieda und die Bomben", Beatsteaks vs. Turbostaat

Mittwoch, April 05, 2006

Trash-Kultfilm: "Supervixens"

Wie unlängst bereits berichtet, hat arte für den Zeitraum März/April Trash-Filme zum Schwerpunkt gemacht. Nachdem ich den ersten Film der Reihe, "Heat", vorgestellt habe, werde ich heute einen weiteren empfehlen: "Supervixens" (Donnerstag, 6. April, 0:25 Uhr, arte).

Bei "Supervixens" handelt es sich um einen von Russ Meyers berühmt-berüchtigten Softcore-Filmen. Meyers "Vixen-Reihe" umfaßt in etwa fünf Filme: "Vixen!" (1968), "Megavixens" (1970; a.k.a "Cherry, Harry & Raquel!"), "Hollywood Vixens" (1970; a.k.a. "Beyond the Valley of the Dolls"), "Supervixens" (1975) und "Beneath the Valley of the Ultra-Vixens" (1979). In allen Teilen geht es um nyphomanische Frauen mit einer großen Oberweite -- das war stets Russ Meyers Markenzeichen.

"Vixen" steht im Englischen hierbei nicht für das, für daß es sich im Deutschen anhört. Vixen bedeutet "Füchsin" oder "zänkisches Weib", "Drachen". Bei Meyer sind Vixen unkontrollierbare Hexen, SM-besessene Nyphomaninnen, die über Männer herfallen und nie genug kriegen. Er gilt als Erfinder des Softcore-Films, der in seiner Darstellung weniger explizit ist als der Porno. Anläßlich von Meyers Tod im Jahre 2004 schreibt Peter V. Brinkemper in einem lesenswerten Artikel:

"Russ Meyers dezidiert vorpornografische Lustspielfilme muss man im Autokino, auf der ganz großen Leinwand, erlebt haben, um diese sonderbare Mischung aus comicartiger Rabiatesse und schwelgender Hingabe an die Aura des Nackten zu erfahren: diesen rasenden Voyeurismus eines Speedy Gonzales, der in immer tiefere Täler und absurdere Regionen der Begierde vordringt, im harten Schnitt zwischen dem Close-Up der Mammalia, hervorspringenden und über das Bild hinweg springenden Riesenbrüsten mit üppigen Warzenhöfen, und der schizophrenen Totale von Westernwüsten, deren steinerne Aussichts-'Peaks', die Lust an der üppigen Fleischesschau schroff kontrapunktieren, bis man in der Ferne die Nackedeis weiter herumspringen und ringen sieht." (Telepolis, 23.09.04)

Lyrisch vollendeter kann man es wohl nicht auf den Punkt bringen. Die Story von "Supervixens" ist indes schnell erzählt: Hauptdarsteller Clint Ramsey (Charles Pitts) arbeitet in einer Autowerkstatt und trifft dort auf jede Menge attraktive Frauen, was seine rasend eifersüchtige Freundin SuperAngel (Shari Eubank) gar nicht gut findet. Schließlich reichen Clint irgendwann SuperAngels Wutausbrüche und er verprügelt sie kurzer Hand. Hilfe bekommt diese vom Polizisten Harry Sledge (Charles Napier), dem sie sich anschließend an den Hals wirft. Doch der impotente Psychopath Harry kann die sexbesessene SuperAngel nicht befriedigen und bringt diese aus Frust um. Der Mord wird Clint in die Schuhe geschoben, der sich nun auf seiner Flucht quer durch die Staaten fortwährend mit Schlägertypen und Nyphomaninnen auseinandersetzen muß. Am Ende findet er seine Traumfrau, die SuperAngel zum Verwechseln ähnlich ist, hat aber immer noch Harry an der Backe, etc., pp. arte faßt Meyers Anliegen wie folgt zusammen:

"Die Story über einen jungen Mann auf der Flucht vor der Polizei nach Westen diente Meyer in erster Linie dazu, die sexuellen Sehnsüchte seiner Zuschauer zu verspotten, indem er sie ihnen - gewaltig übertrieben und bösartig zugespitzt - auf der Leinwand präsentierte: Sex und Sadismus in Reinkultur, auf bissige Weise vorgeführt. Sein Film ist gespickt mit Querverweisen und Zitaten auf Kinogeschichte, vom James-Bond-Film bis zum Italo-Western, von Federico Fellini bis Andy Warhol. In interessantem Kontrast zum nackten Fleisch und Lustgeschrei steht die Musik des Films: Klassische Märsche, Wiener Walzer und der republikanische Schlachtgesang der Amerikaner 'Battle Hymn of the Republic' dienen zur Illustrierung der Szenen, die ebenso fantastisch übertrieben wirkt wie die Oberweiten von Meyers Darstellerinnen." (arte)

Noch schöner wäre es freilich gewesen, wenn arte den bekanntesten und legendärsten von Meyers Filmen gezeigt hätte: "Faster, Pussycat! Kill! Kill!" (mit dem denkwürdigen deutschen Titel "Die Satansweiber von Tittfeld"). Ein echter Klassiker mit der unvergleichlichen, männerprügelnden Tura Satana in der Hauptrolle. So aber muß der geneigte Zuschauer mit "Supervixens" vorlieb nehmen, was auch kein Beinbruch ist.