Dienstag, April 11, 2006

Schwarze Pädagogik als Antwort auf den Rütli-Fall

Zur medialen Skandalisierung des Rütli-Falls

Eigentlich ist die mediale Skandalisierung der Zustände an der Neuköllner Rütli-Hauptschule ein klassischer Sommerlochs-Hype. In Ermangelung wichtigerer Nachrichten wird ein Brandbrief von ein paar überforderten Lehrern an den Berliner Bildungssenator zur halben Staatskrise hochgepusht mit der sich selbst der Bundestag in einer aktuellen Stunde auseinandersetzen muß (Tagesspiegel).

Ganz so, als ob die beschriebene Problematik an der Rütli-Schule etwas völlig Neues wäre, eine Art Naturkatastrophe die die Bevölkerung vom einen auf den anderen Tag unvorbereitet trifft und von der Politik durch hektischen Aktionismus bekämpft werden muß. Dabei sind die Probleme wie sie an der Rütli und an anderen Schulen vorherrschen ja schon lange bekannt. Woher kommt nun also ausgerechnet jetzt dieses mediale Erdbeben? Fassen wir den Ablauf der Geschichte zunächst kurz zusammen.

Seit die Rektorin der Rütli-Hauptschule im Berliner Problembezirk Neukölln wegen Krankheit aus dem Dienst geschieden ist, war diese faktisch ohne Führung, denn ein Nachfolger für den Rektorenposten ließ sich nicht finden. An der Schule ist Gewalt an der Tagesordnung, die Schüler machen was sie wollen und die Lehrer sehen keine Möglichkeit mehr die Lage in den Griff zu kriegen. Also verfassen sie einen Brief an den Berliner Senat, in dem sie die Auflösung der Schule fordern. Doch der zuständige Referent beim Bildungssenator antwortet, daß die Auflösung der Schule keine Lösung sein kann (eine Position die der Senat bis heute vertritt). Die Lehrer sind mit dieser Antwort unzufrieden, die Geschichte landet beim Tagesspiegel, der der Angelegenheit eine Top-Schlagzeile widmet (Tagesspiegel). Tags darauf ist die Geschichte auf jedem Titelblatt, selbst beim Spiegel wird die Geschichte zu einem Aufhänger für eine Titelstory (SPIEGEL).

Fortan ist in den Medien von ausländischen Schülern die Rede, die in ihrer Schule längst die Mehrheit haben, ihre deutschen Mitschüler als "Schweinefleischfresser" beschimpfen, Lehrer bedrohen und beklauen. Die sich vom Medienaufgebot vor ihrer Schule provoziert fühlen und sich mit den Journalisten anlegen (worauf diese nur warten, denn sie sind ja gekommen, um den Krawall zu dokumentieren). SPON berichtete sogar von einem Fall in Hamburg, wo ein ZDF-Team laut Aussage eines Rektors Schüler dafür bezahlt hat, daß sie aufeinander losgehen. Das ZDF bestreitet dies, räumte aber ein, daß einem Jugendlichen eine "Aufwandsentschädigung" von 200 Euro gezahlt worden sei (SPON).

Täter-Fahndung statt Kritik an der Trockenlegung von Integrationsmaßnahmen

In einem Interview mit der taz beschreibt die ehemalige Rektorin der Rütli-Schule, Brigitte Pick, ein etwas anderes Bild. Ihrer Meinung nach übertreiben die Medien die Situation an der Schule massiv:

"Vieles in den Medien ist massiv übertrieben. Auch der Polizeischutz, den Schulsenator Klaus Böger veranlasst hat, war völlig unsinnig. Wenn Pressevertreter Kinder mit Geld zum Steinewerfen animieren, wundert mich nichts mehr. Mir ist sogar zu Ohren gekommen, dass Reporter Steine mitgebracht haben sollen. Das ist keine Terrorschule. Das ist Medienterror." (taz)

Auch zu dem Brief des Lehrer-Kollegiums hat Brigitte Pick eine eher kritische Einstellung:

"Das liest sich in der Tat wie ein Offenbarungseid. Ich bin über die Beweggründe des Kollegiums nicht im Einzelnen informiert. Aber ich kann dazu nur sagen: Wenn ein Lehrer einmal mit einem Handy um Hilfe ruft, kann man nicht so tun, als passiere das ständig." (taz)

Daß es an der Schule Probleme gibt, bestreitet sie nicht, diese hätten aber viele Ursachen:

"Die Schule hat Lehrer, die Jugendliche beim Übergang in das Berufsleben unterstützen. Das Problem im vergangenen Schuljahr war nur: Von rund 60 Abgängern hat kein einziger einen Ausbildungsplatz bekommen. Die Rütli-Schule gehörte zu den Ersten, die Streitschlichter ausbildete. Wir haben die Sprachschulung intensiviert. Wir arbeiten mit dem Quartiersmanagement zusammen. Ich habe immer wieder türkische und arabische Honorarkräfte in die Schule geholt. Es war nicht so, dass die alle aufgegeben haben, weil die Verhältnisse so schlimm waren. Der Grund war die schlechte Bezahlung. Ich hatte Bewerbungen von Lehrerinnen, die sich speziell für die Arbeit in sozialen Brennpunkten interessiert haben. Ich konnte sie aber nicht einstellen, weil wir die Lehrkräfte aus dem Ostteil der Stadt übernehmen müssen. Die Schulen werden dort ja massenweise zugemacht. Man kann nicht sagen, dass all diese Lehrer gerne zur Rütli-Schule gekommen sind." (taz)

Und genau darin sieht der Journalist Peter Nowak den eigentlichen Skandal. Nicht die Kritik an der Zusammenkürzung und Demontage von für die Integration wichtigen Maßnahmen an der Schule (Sprachkurse, Streitschlichter, Einstellung von ausländischen Honorarkräften und spezialisierten Lehrkräften, etc.) stand in der Debatte im Vordergrund, sondern die Fahndung nach Tätern unter den Jugendlichen, nach Belegen für die gescheiterte Integration:

"Unter den Schülern wurden Streitschlichter ausgebildet, Sprachkurse eingerichtet und der Kontakt mit dem Quartiersmanagement im Stadtteil intensiviert. Durch die Politik der Schulbehörden wurden diese Konzepte systematisch finanziell ausgetrocknet und demontiert. Nun stellt sich die Frage, warum nach dem Brief des Lehrerkollegiums diese Politik und ihre Folgen nicht im Fokus der Kritik standen. Darin spiegelt sich zumindest auch die generelle Abwertung des Sozialen im Zeitalter des Neoliberalismus wider. Wenn es Probleme gibt, wird nicht nach den sozialen Hintergründen geforscht, sondern nach Tätern gefahndet. So spricht der Lehrerbrief über renitente Jugendliche auch von Intensivtätern. Auch sonst ist in dem Brief alles enthalten, was man von Neukölln scheinbar schon lange wusste. Ein Stadtteil mit einem starken Bevölkerungsanteil mit migrantischem Hintergrund, dazu noch eine Hauptschule, wo Schüler aus arabischen und türkischen Elternhäusern die Mehrheit bilden. Da brauchte es nicht viel, um die Bilder von Parallelgesellschaften und rechtsfreien Zonen sowie das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft abzurufen." (Telepolis)

Ein reines Integrationsproblem von Schülern mit Migrationshintergrund?

Wenn dann keiner der Abgänger einen Ausbildungsplatz findet, wirkt das auf die nachfolgenden Schüler auch nicht besonders motivierend. Denn sie müssen sich dann natürlich fragen, wozu sie sich überhaupt anstrengen sollen, einen Abschluß zu erwerben. Dieser Zusammenhang von Perspektivlosigkeit und Fehlverhalten wirft die Frage auf, ob es hier wirklich primär um eine Integrations-Problematik geht oder nicht doch eher um ein allgemeines Problem mit dem deutschen Schulsystem. Immerhin haben ja nicht nur Hauptschulen mit hohem Ausländeranteil das Problem, daß die Schüler aus Frust über ihre Lebenssituation zur Gewalttätigkeit, zum Stören und zum Schwänzen neigen. Eine Rektorin aus Ostdeutschland berichtet anonym bei SPON:

"Heute liegt der Anteil der Kinder, die aus sozialschwachen Familien kommen, oft bei 80 Prozent. Die Eltern haben seit vielen Jahren keine Arbeit. Die Kinder sind die einzigen, die morgens aufstehen. Für sie ist es eine große Leistung, wenn sie verspätet, ohne Frühstück und unvorbereitet überhaupt in die Schule kommen. Wie dann der Tag abläuft, hängt davon ab, was sie in der Nacht erlebt haben: Wurde zu Hause getrunken, haben sich die Eltern gestritten oder gab es Prügeleien, dann sind sie unausgeschlafen, apathisch oder aggressiv. Gestern hat ein Schüler seiner Mitschülerin einen Stuhl an den Kopf geworfen, weil sie ihn ausgelacht hatte: Er hatte statt seiner Schultasche nur einen Beutel bei sich. Es stellte sich heraus, dass in der Nacht zuvor das Jugendamt ihn und seine vier Geschwister aus der Familie geholt und in ein Heim gebracht hatte." (SPON)

In der Debatte sollte es also nicht nur um Schüler mit Migrationshintergrund im Speziellen gehen, sondern um Schüler aus sozialschwachen Familien im Allgemeinen. Der in den Medien erkennbare Trend, die Diskussion auf den hohen Ausländeranteil in einigen Schulen (und auf die daraus folgenden Problemen) reduzieren zu wollen, greift also zu kurz. Will man Chancengleichheit erreichen oder sich ihr zumindest annähern, muß man Kinder aus sozial benachteiligten Schichten entsprechend fördern -- sein sie nun Deutsche oder Ausländer. Sie müssen in jedem Fall eine berufliche Perspektive haben, ansonsten wird es immer an Motivation mangeln.

Blame Game

Im Konservativen-Lager sieht man das naturgemäß etwas anders, Rudolf Maresch, der "Quoten-Reaktionär" beim linken Netz-Magazin Telepolis beklagt die allgemeine "Verluderung von Sitten und Gepflogenheit" und die mangelnde Bereitschaft sich "anzustrengen und aus seinem Leben etwas machen zu wollen":

"Ethnische Dominanz, die kulturelle Kluft, mangelhafte Sprachkenntnisse, und Macho-Gehabe vornehmlich bei jungen männlichen Migranten sind nur das eine und allenfalls ein Teil des Problems; die Verrohung des Umgangs, mangelnder Respekt vor dem anderen, Einhalten und Akzeptieren von Mindestregeln des Anstands sowie die wachsende Verluderung von Sitten und Gepflogenheiten, die von Medien und Unterschichtenfernsehen, von ständig wechselnden Bezugspersonen und desolaten Familienverhältnissen unterstützt und gefördert werden, aber auch der mangelnde Wille, sich überhaupt anzustrengen und aus seinem Leben was machen zu wollen, aber das andere und übergeordnete Problem." (Telepolis)

Das Problem ist hier also nicht die Zusammenstutzung der Integrationsmaßnahmen, sondern der Migrant selbst, der sich -- genau wie andere Sozialschwache -- einfach nicht anstrengen möchte. Natürlich sind dann auch die Zuwendungen aus dem Sozialsystem kontraproduktiv, da sie nur "das Abwarten" und "das Nichtstun" begünstigen:

"Woran es in Deutschland oder überhaupt in Alteuropa mangelt, ist ein kreativer Umgang mit dem so genannten 'Münchhausen-Dilemma'. Es fehlt an einer Kultur des 'Sich-selbst-aus dem-Sumpf-ziehen-Wollens'. Das Sozialsystem fördert das Abwarten, das Nichtstun, das Warten auf den Messias, wofür der Staat steht, statt das Individuum zur Aktivität zu stimulieren." (Telepolis)

Daß es zur Überwendung der von Maresch genannten Problemen (z.B. "desolate Familienverhältnisse") nicht weniger, sondern mehr finanzielle Unterstützung braucht, will dieser nicht wahr haben. Er flüchtet sich lieber in einen Kulturpessimismus, beklagt den allgemeinen Werteverfall und reduziert den sozialen Abstieg auf ein "Sich-nicht-anstrengen-wollen" der Betroffenen. Demgegenüber betont Sabine Kebir im Wochenmagazin "Freitag" die (auch finanzielle) Verantwortung der öffentlichen Hand die Voraussetzungen für Chancengleichheit zu schaffen:

"Obwohl es noch nicht lange her ist, dass Soziologie, Sozialpsychiatrie und andere Humanwissenschaften genau herausgearbeitet haben, für welche Umstände die öffentliche Hand sorgen muss, damit Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und vom Bildungsgrad der Eltern vernünftig erwachsen werden können, wurden diese Umstände - wo sie existierten - durch Unterfinanzierung seit Jahren systematisch zerstört." (Freitag)

Trotz dieses Zusammenhangs beschränken sich konservative Politiker wie Wolfgang Schäuble, Edmund Stoiber, Wolfgang Bosbach und Friedbert Pflüger in der aktuellen Debatte darauf die Migranten öffentlich anzuklagen, ihnen mit finanziellen Sanktionen und Abschiebung zu drohen, wenn sie sich nicht integrieren lassen (SPON). Tanjev Schultz faßt diese Rhetorik in der Süddeutschen Zeitung wie folgt zusammen:

"Die einfallslosen Reaktionen vieler Politiker folgen dabei dem gleichen Muster des Unsichtbarmachens: Wer aufmuckt, soll einfach verschwinden. Die einzige Pädagogik, die Politiker wie Edmund Stoiber und Wolfgang Bosbach beherrschen, ist schwarze Pädagogik. Drohen, verbieten, wegsperren, rauswerfen." (Süddeutsche Zeitung)

Die Konservativen wittern im medialen Rütli-Gewitter Aufwind und versuchen sich gegen integrationsunwillige Migranten und gutmenschelnde Linke zu profilieren. So sagt der Historiker Arnulf Baring in einem Bild-Interview:

"Multi-Kulti ist gescheitert – weil die Ausländer die deutsche Kultur neben ihrer eigenen nicht akzeptieren oder auch nur dulden wollen. Das war allerdings schon seit Jahren abzusehen, wurde aber bewußt verschwiegen und kleingeredet. Nicht die Deutschen sind die Deppen, sondern diejenigen Politiker und Gutmenschen, die sich jahrzehntelang multikulturellen Träumen hingegeben haben." (Bild)

Demgegenüber betont Claus Christian Malzahn in SPON, daß "Multikulti" längst unverrückbare Realität sei, das man ohnehin nicht rückgängig machen könnte, selbst wenn man wollte. In deutlichen Worten stellt er ferner fest, daß weder Rotgrün noch naive Gutmenschen die Hauptschuld an der Integrationskrise tragen, sondern die Regierung Kohl:

"Es ist deshalb höchste Zeit, mit ein paar Mythen aufzuräumen: Weder Rot-Grün oder die naiven Multikulti-Befürworter tragen die Hauptschuld an der jetzigen Integrationsmisere. Der Mann heißt Helmut Kohl. Einwanderungspolitik hat diesen Kanzler, der das Land immerhin von 1982 bis 1998 regierte, trotz türkischer Schwiegertochter nicht interessiert. Eisern wurde am deutschen Blutrecht festgehalten, Einwanderung wurde nicht gesteuert, sondern entwickelte sich anarchisch über das Asylrecht oder den Nachzug von Gastarbeiter-Familien. Für in Deutschland lebende ausländische Kinder galt damals nicht einmal grundsätzlich die Schulpflicht - wer nur "geduldet" wurde, brauchte ja nicht Lesen und Schreiben zu lernen." (SPON)

Rotgrün habe das Staatsbürgerrecht immerhin modernisiert, wenngleich auch nur sehr halbherzig. Statt wie die Konservativen in der Debatte immer nur von "Abschiebung" zu reden, sollte die große Koalition "die republikanische Einheit der Einwanderungsrepublik Deutschland" anstreben. Malzahns Appell an Konservative, Sozialdemokraten und die große Koalition:

"Liebe Konservative: Kapiert endlich, dass dieses Herkunftsland Deutschland heißt. Multikulti ist eine Realität. Es gibt keinen Weg zurück zu einem "ethnisch begradigten" Deutschland. Liebe Große Koalition: Ihr seid dabei, die Chance auf die zweite deutsche Einheit zu verspielen - die republikanische Einheit der Einwanderungsrepublik Deutschland. Liebe Sozialdemokraten: Wie soll man eigentlich Euer dröhnendes Schweigen in dieser wichtigen Zukunftsdebatte deuten? Es gibt Wege aus der Multikulti-Krise. Man muss sie nur gehen wollen. Wie wäre es denn mal mit einem Gesetz zur automatischen Einbürgerung jedes in Deutschland geborenen Kindes? Das wäre doch mal ein echtes Angebot. Warme Worte hat es in der Vergangenheit genug gegeben. Was die Republik jetzt braucht, ist eine ehrliche, selbstkritische Bilanz. Weder multikulturelle Verklärung noch hysterische Warnrufe helfen weiter. Wer sagt, dass mit den Ausländern etwas falsch läuft, denkt immer noch in den alten Kategorien von 'Die' und 'Wir'. Er vergisst beispielsweise, dass die Leidtragenden der Bildungsmisere an Lehranstalten wie der Rütli-Schule in erster Linie die Kinder und Jugendlichen aus Einwandererfamilien sind." (SPON)

Die SPD in der Defensive

Wie soll man das "dröhnende Schweigen" der Sozialdemokraten erklären, fragt Malzahn. Vielleicht damit, daß CDU/CSU nur zu gut wissen, daß sie im Volk mit ihrer Hardliner-Rhetorik gegenüber Migranten durchaus auf offene Ohren stoßen und daß die Umfragewerte der SPD noch weiter abstürzen würden, wenn sie sich allzu deutlich von den konservativen Stammtisch-Parolen distanziert. Alke Wierth führt in der taz aus:

"Dass manche der Forderungen, die die CDU in Sachen Integration besetzt, auch unter Sozialdemokraten Zustimmung finden, macht die Lage nicht leichter. Denn Positionen wie jene, die Böger am Mittwoch im Bundestag vertreten hat, sind vielen Teilen der überwiegend deutschstämmigen Wählerschaft erheblich schwerer zu vermitteln als die Abschiebe-Parolen der CDU. Der Schulsenator hatte dort gesagt: 'Wir müssen diese Kinder als unsere Kinder annehmen und nicht wegschicken!'" (taz)

Daß eine Intensivierung der Abschiebung nicht die Antwort auf verfehlte Integrationspolitik sein kann, ist der deutschen Stammwählerschaft also nur schwer zu vermitteln, was es der SPD so schwer macht, gegen die CDU mit ihren Parolen anzukommen. Harald Neuber verwies dazu erst vor kurzem in einem Telepolis-Artikel auf eine Bielefelder Langzeitstudie:

"Hentges plädiert daher wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen für eine 'Debatte über rechtspopulistische Trends sowohl in den Medien als auch in der politischen Bildung'. Sie verweist auf eine Langzeitstudie des Bielefelder Politologen Wilhelm Heitmeyer, der zufolge 36 Prozent der Befragten dafür plädierten, Ausländer bei knapper werdenden Arbeitsplätzen in ihr Heimatland zurückzuschicken. 60 Prozent waren der Meinung, dass in Deutschland generell zu viele Ausländer lebten. Der Titel der Studie: 'Deutsche Zustände'." (Telepolis)

Ein weiteres Problem der SPD besteht natürlich darin, daß es im Fall Berlin der rotrote Senat war, der den Absturz der Rütli-Schule durch einen sukzessiven Abbau der Integrationsmaßnahmen begünstigte.

Abstract

Fassen wir also kurz zusammen: Die Antwort der Konservativen auf den Skandal um die Rütli-Schule besteht darin, eine härtere Gangart gegenüber integrationsunwilligen Migranten zu fordern. Es geht also nicht darum, was man dafür tun kann, daß sich der Integrationprozeß verbessert (Anreize schaffen, Förderung intensivieren), sondern allein darum, wie man unwillige Migranten schnellstmöglich wieder loswird. Es wird nicht etwa über die eigenen Versäumnisse in der Integrationspolitik reflektiert, sondern die Schuld allein bei den Migranten und dem politischen Gegner (den "Gutmenschen") gesucht. Statt sich bewußt zu werden, daß das unliebsame Verhalten des Migranten auch ein Produkt seiner integrations-feindlichen Umgebung ist, wird das Verhalten lieber als eigenständig betrachtet, womit man dann auch einfacher legitimieren kann, den Migranten bei Fehlverhalten auszuweisen.

Die Mehrheit der SPD teilt die Hardliner-Position der Union nicht, tritt aber auch nur recht verhalten dagegen auf. Zum einen, weil die SPD weiß, daß sie dann in den Umfragen noch weiter sinken würde, da die Union mit ihren Stammtisch-Parolen in der deutschen Wählerschaft durchaus auf Zustimmung stößt. Zum anderen, weil die verfehlte Integrationspolitik zu teilen auch auf die Kappe der SPD geht, wie der Rütli-Fall in Berlin exemplarisch zeigt. Dort wurden Maßnahmen zur Verbesserung der Integration vom rotroten Senat abgebaut.

Ein weiteres Problem der Debatte bestand darin, daß man sich zu sehr auf den Faktor "Ausländer" in der deutschen Schulmisere konzentriert hat. Tatsächlich haben auch Hauptschüler deutscher Herkunft ähnliche Probleme. Obwohl sie z.B. in der Regel (noch) besser Deutsch sprechen, als ihre Mitschüler mit Migrationshintergrund, sind ihre Berufsaussichten auch nicht wesentlich besser. Sozialbenachteiligte Deutsche und Migranten leiden gleichermaßen unter einer verfehlten Bildungspolitik. Sinnvoll wäre es daher gewesen, die Schwächen des deutschen Schulsystems als solches zu diskutieren, anstatt sich nur auf die Integrationsproblematik zu konzentrieren. Teilweise ist dies auch geschehen, z.B. mit der Diskussion über das Für und Wider einer vollständigen Abschaffung der Hauptschulen.

Eine eher unrühmliche Rolle spielten die Medien im Rütli-Fall. Systematisch wurde der Fall aufgebauscht, statt einer Sachdiskussion dominierte in der Berichterstattung das Stereotyp vom kriminellen Ausländer, der in seinem jungen Leben nichts anderes anstrebt, als Gewalt auszuüben und den Schulunterricht zu demontieren. Das ganze wurde dann verschärft, indem man die Jugendlichen dazu animierte und provozierte, vor laufender Kamera Dinge zu tun, die diesem Stereotyp entsprechen. Erst im späteren Verlauf gab es dann eine zunehmend differenziertere Berichterstattung, die auch bemüht war die Hintergründe der Integrationsproblematik zu schildern und die Gefahr erkannte, daß der öffentliche Diskurs ansonsten auf ein einfaches "Ausländer raus" hinauslaufen würde.

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