Freitag, April 14, 2006

"Wir sind das Volk"

SPIEGEL TV (SPTV) hat am letzten Sonntag einen Beitrag ausgestrahlt (Teil 1 und Teil 2), der sich mit einem "Bürgeraufstand" auf einer Informationsveranstaltung im Berliner Ortsteil Heinersdorf, Bezirk Pankow, befaßt. Auf der Veranstaltung ging es um einen geplanten Moscheebau den die Ahmadiyya-Bewegung auf einem ungenutzten Gelände errichten möchte -- sehr zum Unwillen der ortsansässigen Nachbarschaft. Wikipedia definiert die Ausrichtung der Ahmadiyya wie folgt:

"Die Ahmadi-Muslime verstehen sich als Reformbewegung innerhalb des Islam, wobei sie eine Rückbesinnung auf den Kern der islamischen Glaubenslehre anstreben, was von Teilen der islamischen Welt als häretische Anmaßung verstanden wird. Die Ahmadi-Muslime grenzen sich allerdings scharf von militant-fundamentalistischen Strömungen ab und betonen die friedlichen und toleranten Elemente des Islam. Dabei stützen sie sich auf den Koran, die Sammlung der Taten und Aussprüche des Propheten (Hadith) und die Praxis des Propheten (Sunna). Die Ahmadiyya steht der Scharia insgesamt positiv gegenüber und wendet Bestimmungen an, die weitgehend den Hanbaliten entsprechen." (Wikipedia)

Einerseits werden also die friedlichen und toleranten Elementen des Islams betont, andererseits steht man der Scharia positiv gegenüber. Ein recht "durchwachsenes" Gesamtbild. Entsprechend stark umstritten ist die Bewegung auch. Für besondere Furore sorgten hier die Ausarbeitungen der Sozialwissenschaftlerin Hiltrud Schröter, die in den Schriften der Ahmadiyya antidemokratische, antichristliche und antisemitische Auffassungen gefunden haben will (Wikipedia).

Nach Ansicht des Hamburger Verfassungsschutzes, der sich die Bewegung genauer angesehen hat, geht demgegenüber keine Gefahr von den Ahmadi-Muslimen aus:

"Nach Einschätzung des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz handelt es sich bei der Gemeinde um eine missionarisch arbeitende Glaubensgemeinschaft, die derzeit in Deutschland zirka 50 000 aktive Anhänger zählt. Die meisten seien Pakistaner, Bosnier und Albaner, auch einige hundert Deutsche seien dabei. 'Sie betreiben unter anderem in Hamburg zwei Moscheen, doch Auffälligkeiten sind von der Gemeinde bisher nicht ausgegangen', sagt Heino Vahldieck, der den Verfassungsschutz in der Hansestadt leitet." (Berliner Morgenpost)

Daher hatte auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Pankow kein Problem damit, das Bauvorhaben zu erlauben. Der Platz auf dem die Moschee entstehen soll, ist schon lange ungenutzt, die Ahmadiyya erwarb das Grundstück mit ihren Spendengeldern und angeblich hätte dem 1 Millionen Euro Bau nichts mehr im Weg gestanden -- wären da nicht die Vorbehalte in der Bevölkerung.

Denn obwohl die Bewegung als friedlich gilt und nie negativ aufgefallen ist, ist sie in der deutschen Bevölkerung sehr unbeliebt. Präziser ist der Moscheenbau in Deutschland allgemein nicht wohl gelitten, da in großen Teilen der deutschen Bevölkerung Ängste vor Überfremdung vorherrschen. Auch für die Ahmadiyya ist es nicht das erste Mal, daß sie sich gegen starken Widerstand wehren muß. Am besten dokumentiert ist der Fall Schlüchtern in Hessen (siehe dazu die Diplom-Arbeit von René Hohmann).

Doch selbst in Schlüchtern gab es vermutlich keine Szenen wie jene bei besagter Informationsveranstaltung in Berlin-Pankow die von der Polizei aufgelöst werden mußte, bevor sie überhaupt angefangen hatte:

"Bereits auf dem Weg zum Veranstaltungsort, der Turnhalle der Grundschule am Wasser­turm, wird man mit der berüchtigten Berliner Schnauze konfrontiert. Auf die Frage, was hier eigentlich los sei, reagieren angespannte Rentner prompt: 'Das ist eine Demonstration!' Jugendliche mit gefärbten Haaren bekennen: 'Wir wollen hier keine Ausländer!' Eine halbe Stunde vor dem angekündigten Beginn der Ver­anstaltung platzt die Halle aus allen Nähten. Über 700 Leute sitzen und stehen auf engstem Raum beieinander. Niemand darf mehr rein. Der sichtlich verängstigte Vorsteher der BVV, Jens Holger Kirchner von den Grünen, versucht verzweifelt, die völlig aufgebrachten Leute vor der Halle zu beruhigen: 'Ihr Anliegen wird heute live vom RBB übertragen!'" (Jungle World)

"Um acht steht schließlich ein Polizist am Mikrophon: 'Der Veranstalter', sagt er, 'kann für die Sicherheit in diesem Objekt nicht mehr garantieren. Daher bitte ich Sie, diese Turnhalle und die Schule zu verlassen.' Fäuste werden gereckt, geschrieen wird, Trillerpfeifen trillern; Sprechchöre melden: 'Wir bleiben hier! Wir bleiben hier!' Die Interessen der Bürger würden in diesem Land überhaupt nicht mehr vertreten; 'baulich' sei die Moschee 'nicht passend'; der Bürgermeister solle rauskommen! Ein Mann sein! Man sei das Volk, man sei das Volk, man sei das Volk." (FAZ)

"Ein gediegener älterer Herr, erinnert sich Jens-Holger Kirchner, Vorsitzender des Bezirksparlaments, habe ihn sogar persönlich bedroht. 'Das überlebst du nicht', habe der Mann zu ihm gesagt, 'morgen bist du einen Kopf kürzer.' Tage später bekam er einen Anruf, eine offenbar ältere Frau schrie: 'Die Moschee wird brennen!' Zwei Tage nach der Radau-Veranstaltung zog die NPD mit 200 Personen durch den Ort, Motto 'Keine Moschee in Pankow'. (SPON)

Die Leute die in dieser Veranstaltung sitzen und davon reden, daß es ein "böses Ende gibt, wenn die ganzen Kameltreiber nach Pankow kommen", daß es einen schlechten Eindruck macht, wenn Touristen von der Autobahn aus als erstes großes Bauwerk in der deutschen Hauptstadt eine Moschee sehen, daß "wir dann morgen die ganzen Türken hier haben und die Russen und alles andere, die schon die ganzen Häuser hier aufgekauft haben", usw. usf. (SPTV), sind keineswegs nur rechte Skinheads sondern der ganz normale Querschnitt durch die Pankower Bevölkerung: Rentner, Jugendliche, Familienväter.

Nachdem diejenigen, die wegen Platzmangels vor der Tür bleiben mußten damit drohten, die Veranstaltung zu stürmen, mußte diese von der Polizei unter dem "Wir sind das Volk"-Gejohle der Anwesenden aufgelöst werden. Der Iman, der extra gekommen war um sein Projekt vorzustellen und sich der Diskussion zu stellen, mußte unter Polizeischutz aus dem Gebäude geleitet werden. Ein weitere Informationsveranstaltung wird es nicht geben, da man in Sorge ist, diese könnte ähnlich enden. Stattdessen wird jetzt erwogen, den Bau der Moschee komplett unter Polizeischutz zu stellen, da es bereits diverse Anschlagsdrohungen gegeben hat:

"Die Moschee der Ahmadiyya Muslim Gemeinde an der Tiniusstraße in Pankow-Heinersdorf soll nach Informationen der Berliner Zeitung unter Polizeischutz gebaut werden. Die Mitarbeiter aller beteiligten Firmen müssten sich somit beim Betreten des Baugeländes von der Polizei untersuchen lassen, Fremde dürften das Gelände nicht betreten. Die Polizei wollte sich gestern nicht dazu äußern. (...) Die Polizei reagiert damit auf Drohungen von Anwohnern, die den Bau mit allen Mitteln zu verhindern suchen." (Berliner Zeitung)

Fürs erste wurde der Bau aber aufgeschoben, die Ahmadiyya-Gemeinde möchte abwarten, da der sofortige Baubeginn in der jetzigen Phase unweigerlich in eine weitere Eskalation münden würde. Auch sieht man natürlich die Gefahr, daß die verantwortlichen Politiker irgendwann dem öffentlich Druck nachgeben könnten, wie es ähnlich auch schon in Hessen passiert ist:

"In Hessen änderte die Politik einfach den Bebauungsplan, um eine Moschee zu verhindern. Dabei gilt diese Glaubensgemeinschaft unter Verfassungsschützern weder als gewaltbereit noch als extremistisch. Islam-Experten stufen die Ahmadis als erzkonservativ und sehr missionarisch ein, aber auch als friedliebend." (SPON)

Es bleibt daher zu hoffen, daß das Moschee-Bauprojekt in Pankow nicht das gleiche Schicksal ereilt. Denn auch wenn die Gleichsetzung der Eskalation auf der Informationsveranstaltung mit Hoyerswerda (Jungle World) unverhältnismäßig ist, wäre das Signal das von einer politischen Revision der ursprünglichen Pro-Bau-Entscheidung ausgehen würde, doch fatal. Es würde bedeuten, daß eine Bevölkerungsgruppe sich nur zu einem Mob zusammenfinden muß, der ausgiebig ausländerfeindliche Parolen und Überfremdungsängste artikuliert, um eine nichtchristliche Religionsgemeinschaft vom Bau eines Glaubenshauses abzuhalten.

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