Sonntag, September 25, 2005

Bundestagswahl 2005 Teil 8 -- Mögliche Minderheitsregierungen

Gerhard Schröder hat sich heute Abend in einem ARD-Interview auf eine große Koalition festgelegt. Er sagte, er werde alles dafür tun, damit eine solche Koalition zu Stande kommt (SPON). Unklar blieb dabei, ob "alles" auch meint, daß er notfalls zurücktreten wird. Nach wie vor ist die Kanzlerfrage zwischen CDU/CSU und SPD nicht geklärt.

Auch wenn es also momentan unwahrscheinlich erscheint, sei hier noch mal die Möglichkeit einer Minderheitsregierung erläutert. Eine Minderheitsregierung besitzt im Parlament keine eigene Mehrheit, sie muß sie sich bei jeder Abstimmung neu suchen. Es braucht also in der Opposition eine Partei oder doch wenigstens einzelne Abgeordnete, die der Minderheitsregierung bei Abstimmungen ihre Stimme leihen.

Rotgrüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Linkspartei

Alle Parteien haben kategorisch ausgeschlossen mit der Linkspartei zu verhandeln, weil diese nicht "demokratisch genug ist", bzw. Positionen bezieht, die den anderen Parteien als völlig unrealistisch erscheinen. Zwar unkte Schwarzgelb immer wieder, wenn es nach der Wahl keine Mehrheit für Union und FDP gebe, dann würde sich Rotgrün am Ende doch mit der Linkspartei zusammenschließen, aber dies trat nicht ein.

Und auch die Linkspartei selbst hat es von Anfang an deutlich abgelehnt, Mehrheitsbeschaffer für Rotgrün oder Schwarzgelb zu sein. Beide Bündnisse würden dieselbe neoliberale Grundhaltung einnehmen, beide ständen für Sozialabbau und soziale Ungerechtigkeit. Gerade dagegen hatte die Linkspartei ja Stimmung gemacht und so viele Protestwähler für sich gewinnen können. Diese würden sich enttäuscht abwenden, wenn die Linkspartei nun doch zum Steigbügelhalter für Rotgrün mutieren würde.

Kurz nach der Wahl ließen einige Abgeordnete der Linkspartei dann aber gegenüber SPON doch durchblicken, sie könnten sich vorstellen eine rotgrüne Minderheitsregierung zu stützen, wenn Rotgrün seine Sozialpolitik entsprechend ändere. Kurz danach wurden diese Abweichler dann aber wieder von der Parteispitze zurückgepfiffen. Die Linkspartei blieb dabei: keine wie auch immer geartete Unterstützung für Rotgrün (SPON).

Umgekehrt haben dann aber auch einige SPD-Abgeordnete erste Kontakte zur Linkspartei geknüpft, um eine Minderheitsregierung ins Spiel zu bringen (SPON). Allerdings handelt es sich hier nur um fünf bis sieben Personen, die offizielle Linie der SPD schließt nach wie vor jegliche Form der Kooperation mit der Linkspartei oder auch nur einiger ihrer Abgeordneten aus.

Denn selbst wenn einige Linkspartei-Abgeordnete einem Kanzler Schröder zur Mehrheit verhelfen würden, würde sich die Frage stellen, ob sie das auch in Zukunft weiterhin so tun würden. Die Regierung Schröder wäre die ganze Legislaturperiode auf das Wohlwollen einiger Linkspartei-Abgeordneter angewiesen. Oder müßte die Stimmen wahlweise auch mal bei der FDP und/oder der CDU/CSU suchen. Sich für jede abstimmungspflichtige Entscheidung eine parlamentarische Mehrheit suchen zu müssen, ist nicht nur extrem mühsam und nervenaufreibend, es macht auch die Bildung einer stabilen Regierung nahezu unmöglich, weil man als Regierung nie sicher sein kann, ob die Mehrheit nun steht oder nicht (innerhalb der eigenen Koaliton kann man dagegen ganz anders Druck aufbauen).

Rotgrüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die FDP

Selbst wenn die FDP mit Rotgrün keine Ampel bilden möchte, wäre ja denkbar, daß sie zumindest eine rotgrüne Minderheitsregierung stützen. Da aber die FDP nicht mal Sondierungsgespräche mit der SPD und den Grünen aufnehmen wollte, fällt diese Option wohl völlig flach. Das "Nein" der FDP zu Rotgrün war allzu deutlich. Die FDP könnte sich aber natürlich umgekehrt schon vorstellen, sich mit der Union zusammen durch Rot oder Grün stützen zu lassen. Das Zusammengehen mit CDU/CSU in einer Koalition, ist aber unumstößliche Bedingung bei der FDP.

Rotgrüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die CDU/CSU

Auch wäre es theoretisch denkbar, daß Rotgrün sich durch die Union stützen läßt. Aber auch wirklich nur theoretisch. Denn warum sollte die CDU/CSU als stärkste Fraktion und erklärer Gegner der rotgrünen Politik nun ausgerechnet diese aus der Opposition heraus stützen? Als stärkste Kraft in die Opposition verbannt und dann auch noch den Zuarbeiter spielen? Äußerst unwahrscheinlich, daß das passiert.

Schwarzgelbe Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Grünen

Obwohl die Gespräche für eine Jamaika-Koalition aus Union, Liberalen und Grünen wie berichtet am Freitag erst mal gescheitert sind, haben sie doch gezeigt, daß die Beteiligten eine solche Konstellation nicht per se ausschließen würden. Vielleicht wäre also eine Alternative, daß die Grünen nicht direkt in eine Koalition einsteigen, sondern eine schwarzgelbe Minderheitsregierung nur tolerieren.

Das hätte für die Grünen vielleicht den Vorteil, daß man immer noch genug Distanz zu Schwarzgelb hätte, um nicht als "Verräter" vor der eigenen Wählerschaft dazustehen. Dennoch müßten die Grünen natürlich viele Kompromiße eingehen, um am Ende des Tages schwarzgelbe Projekte durch den Bundestag zu winken. Und sind die Grünen nicht direkt an der Koalition beteiligt, können sie Schwarzgelb umso weniger Zugeständnisse abringen.

Umgekehrt wäre es Union und FDP wohl lieber, wenn die Grünen dann wirklich in der Koalition wären. Dann gäbe es einen entsprechenden Koalitionsvertrag, an den die Grünen sich halten müßten (wollten sie die Koalition nicht sprengen). Sind die Grünen aber in der Opposition und bleibt Schwarzgelb von deren Wohlwollen abhängig, bleibt die Situation für Schwarzgelb unberechenbar.

Schwarzgelbe Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die SPD

Eine weitere denkbare Variante wäre natürlich auch eine schwarzgelbe Minderheitsregierung durch Tolerierung durch die SPD. Auch unwahrscheinlich aber insgesamt noch wahrscheinlicher als der umgekehrte Fall einer rotgrünen Regierung mit Tolerierung durch die Union. Denn die SPD ist nur zweitstärkste Fraktion geworden. Zwar ist der Vorsprung der Union denkbar knapp, doch erhält traditionell immer die stärkste Fraktion den Regierungsauftrag.

Da die SPD jedoch mit einer klaren Absage an die Politik von Schwarzgelb in den Wahlkampf gezogen ist, ist es unwahrscheinlich, daß sie diese jetzt aus der Opposition heraus stützt. Eine relativ starke SPD wäre für Schwarzgelb vermutlich auch deutlich schwerer zu handeln, als der "leichtere", grüne, potentielle Tolerierungspartner.

Fazit

Am ehesten haben an einer Minderheitsregierung noch jene Kräfte ein Interesse, die bei einer großen Koalition auf die Oppositionsbank müßten, also Grüne und FDP. Und so ist es nicht verwunderlich, daß der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle erklärte, ihm wäre eine Minderheitsregierung am liebsten (Netzeitung). Gerade weil die FDP im Vergleich zur letzten Wahl stark zulegen konnte, will man natürlich nur ungern in die Opposition. Und da eine Ampel kategorisch ausgeschlossen wird, bleibt eben nur eine Minderheitsregierung, entweder toleriert durch die SPD oder die Grünen.

Die Grünen haben allerdings mehr an eine Jamaika-Koalition gedacht, als an eine Minderheitsregierung, an die dort kaum jemand ernsthaft glaubt. Doch jetzt, wo die Sondierungsgespräche zwischen Union und Grünen für Jamaika gescheitert sind, wie sollte sich da die Union (oder auch die FDP) noch durchringen können, Rotgrün als Minderheit zu stützen?

Die beiden Volksparteien haben dagegen eher weniger Interesse an einer Minderheitsregierung, zu groß die Wahrscheinlichkeit einer Instabilität, zu groß die Angst vor dem Mitwirken einer Oppositionspartei abhängig zu sein. Dann doch lieber die große Koalition, wenn die Optionen Jamaika und Ampel wegfallen.

Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Möglichkeit einer Minderheitsregierung nur in den ersten Tagen nach der Wahl laut angedacht wurde, dann durch die Idee einer Jamaika-Koalition abgelöst wurde und nun am Ende der ersten Woche alle Zeichen auf große Koalition stehen.

Links:

- Schröder will die Große Koalition, in: SPON, 25.09.05
- Wikipedia-Definition von "Minderheitsregierung"
- Linkspartei streitet über Tolerierungs-Modell, in: SPON, 21.09.05
- SPD-Abgeordnete suchen Gespräch mit Linkspartei, in: SPON, 22.09.05
- Westerwelle setzt auf Minderheitsregierung, in: Netzeitung, 20.09.05

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