Sonntag, Oktober 10, 2004

Wie Steuerfundamentalisten in den USA Lobbyarbeit betreiben

Im Montag erscheinenden SPIEGEL ist ein Artikel über den zunehmenden Einfluß der sogenannten "Steuerfundamentalisten". Gemeint ist eine Gruppe von Lobbyisten bei den Republikanern, die sich massiv dafür einsetzen, daß Steuersätze sich auf keinen Fall mehr erhöhen, sondern im Gegenteil immer weiter heruntergefahren werden.

Dabei geht es nicht nur darum, daß der Bürger mehr Geld in der Tasche behält, sondern auch um ein wesentlich weiter gefaßtes, strategisches Ziel: der Staat als solcher soll geschwächt werden. Die Idee dahinter ist, daß Steuern der Lebensnerv des Staates sind, ohne sie kann der Staat sich nicht mehr Dinge einmischen, die ihn nach Ansicht vieler US-Bürger nichts angehen.

Und so finden sich in dieser Lobbygruppe die unterschiedlichsten Leute wieder, der SPIEGEL schreibt:

"(...) Was sie eint, sagt er, ist das Misstrauen gegenüber jeder Regierung. Die Waffenbesitzer wollen keine Kontrolle darüber, was sie an schwerem Geschütz mit sich herumschleppen, die christlichen Fundamentalisten wollen keine Aufsicht, wie sie ihre Kinder zu Hause unterrichten, die Liga der Geschäftsleute will keine Vorschriften zu Mindestlöhnen und Gewerkschaftsvertretung. (...)"

Was sich also zunächst positiv anhört (denn es ist hier die Rede von einer generellen Steuersenkung, die alle betreffen würde, nicht nur die Reichen), führt wenn man es zu Ende denkt in einen Kollaps des Systems: da es kein Geld mehr für öffentliche Schulen gibt, erhalten nur noch jene Bildung die es sich leisten können Privatschulen zu besuchen; da kein Geld mehr für Behörden bereisteht, genießen nur diejenigen Schutz, die sich einen privaten Sicherheitsapparat leisten können, usw. Der alte libertäre Traum von der de facto Abschaffung des Staates mutiert so sehr schnell zum Albtraum für alle, die nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen.

Nun ist das alles nichts Neues, doch der Artikel beschreibt detailliert, wieweit der Einfluß dieser Lobbygruppe inzwischen reicht und das fand ich dann schon erschreckend. So sollen alle Republikaner einen "Eid" ablegen, daß sie niemals in ihrer politischen Laufbahn an irgend einer Stelle für eine Steuererhöhung stimmen werden. Weigert sich ein Republikaner diesen Eid abzulegen oder bricht er ihn, dann wird er von den eigenen Leute regelrecht zerlegt. Selbst einflußreiche Senatoren sind davon nicht ausgenommen. So ist inzwischen eine deutliche Mehrheit aller Republikaner mit Einfluß auf dieser "Niemals-eine-Steuererhöhung-Schiene".

Und die Demokraten, was sollen sie tun? Sich vielleicht für Steuererhöhungen einsetzen, wenn die Republikaner für deren Senkung eintreten? Das läßt sich -- besonders in den USA -- nur schwer vermitteln. Sie versuchen sich dann herauszulavieren, unterm Strich können sie sich diesem Trend aber auch nicht widersetzen.

In den USA ist zur Zeit ein Buch mit dem Titel "Neoconomy" besonders beliebt, in dem der Autor an Bushs Steuerpolitik nachzuweisen versucht, wieweit der Einfluß dieser Steuerfundamentalisten inzwischen geht. Wobei hier allerdings der Tenor eher in eine klar ökonomische Richtung geht, dernach man versucht die Sparqoute durch Steuersenkung zu erhöhen. Ideologische Hintergedanken im Sinne von "Weniger Steuern = weniger Staat = mehr Freirraum für Kreationisten, Abtreibungsgegner, Kapitaleigner, Waffenbefürworter, etc." kommen da eher weniger zur Sprache.

Links:

- Der Artikel über die Steuerfundamentalisten im SPIEGEL, 11.10.04
- Der Artikel über das Buch "Neoconomy" in SPON, 17.09.04

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