Dienstag, September 14, 2004

Andrei Nekrasovs "Disbelief"

in der nacht vom 8. zum 9. september 1999 gab es in moskau einen bomben-anschlag, der so heftig war, daß er ein ganzes wohnhaus wegriß. es bleibt nicht der einzige anschlag dieser art, auch in wolgodonsk explodiert ein ganzes wohnhaus. 240 menschen kommen bei diesen anschlägen ums leben. den hintergründen zu dieser anschlagsserie geht der russische regisseur andrei nekrasov in seinem dokumentarfilm "disbelief" (zu deutsch also "ungläubigkeit" oder in diesem fall noch besser "mißtrauen") nach.

die anschläge wurden schnell tschetschenischen rebellen zugeschrieben, man nahm einige tatverdächtige fest, preßte ihnen unter folter geständnisse ab, mußte sie danach aber trotzdem wieder laufen lassen. scheinbar war die beweislage doch alles andere als eindeutig. dennoch blieb die russische regierung dabei, daß "die tschetschenen" verantwortlich seien.

wirklich brisant wird das ganze, wenn man sich die damalige politische situation in rußland vor augen führt. damals war jelzin noch präsident, das land mitten in einer schweren wirtschaftskrise und jelzin selbst in eine korruptionsaffäre verwickelt. der anschlag kam ihm daher sicherlich durchaus nicht ungelegen: so hatte man eine legitimation für den zweiten tschetschenien-krieg, der unmittelbar nach den anschlägen von den russen begonnen wurde. der krieg als solcher war dann wiederum praktisch, um von oben genannten problemen abzulenken. und das russische volk, das eigentlich vom ersten tschetschenien-krieg noch die nase voll hatte, konnte im zuge dieser anschläge umgestimmt werden. zumindest stieg dadurch sicherlich die zustimmung für eine erneute intervention, da man ja "irgend etwas machen müsse".

doch der krieg nutzte nicht nur jelzin. auch putin, damals noch ministerpräsident, "avancierte als vaterlandsretter und banditenbekämpfer zum präsidialen favoriten" (die welt; link siehe unten). putin hat dann also später jelzin als präsidenten beerbt, in dem er sich als harter macher verkaufen konnte, der in der not durchgreift und die tschetschenischen terroristen zur strecke bringt, indem er einen neuen krieg im kaukasus vom zaun bricht.

schnell kamen daher erste gerüchte auf, daß die anschlagsserie gar nicht von tschetschenischen rebellen zu verantworten sei. der russische geheimdienst FSB habe die wohnblöcke selbst in die luft gesprengt, um damit der regierung einen kriegsvorwand zu liefern. ganz schön harter tobak, aber genau diese these vertritt andrei nekrasov in seinem film.

was zunächst wie eine äußerst abwegige verschwörungstheorie klingt, nimmt in "disbelief" erschreckend realistische dimensionen an. der regisseur begleitet tatjana und aljona morosowa, zwei schwestern die ihre mutter beim moskauer anschlag verloren haben, und versucht anhand von video-aufnahmen der explosion zu rekonstruieren, wer wirklich für die anschläge verantwortlich war. er zeigt, wie die russischen behörden behaupten die täter zu ermitteln, aber in wahrheit nichts tun, sondern sich immer nur wieder auf die aussage zurückziehen, es sein tschetschenische terroristen gewesen.

nekrasov gelingt es natürlich nicht eine beteiligung des FSB zu beweisen, umgekehrt können aber auch die russischen behörden nicht beweisen, daß es tschetschenen waren. die welt faßt zusammen:

"der hauptverdächtige wurde alsbald überfahren, zwei männer wurden erschossen, als sie nachzuforschen begannen, und der anwalt, mit dessen hilfe tatjana näheres über ihre mutter zu erfahren sucht, sitzt für vier jahre im gefängnis".

in jedem fall ist der film also allein schon deshalb sehenswert, weil er die russischen verhältnisse dokumentiert, in denen unbequemen fragen immer noch mit äußerst unbequemen maßnahmen entgegen getreten wird.

disbelief wurde mit fahrenheit 9/11 verglichen. genau wie michael moore in fahrenheit 9/11 zeigt nekrasov den schmerz der angehörigen und wie diese sich vom staat allein gelassen fühlen oder in ihm gar einen mittäter erkennen. genau wie fahrenheit 9/11 hat auch disbelief eine stark propagandistische intention. doch sonst haben die filme nicht sonderlich viel gemein. der beißende sarkasmus von moore ist nekrasov völlig fremd, bitter beschreibt er das kartell des schweigens und der vertuschungen.

- IMDb-Eintrag zum Film
- Offizielle Website des Films

weitere quellen:

- taz: Die Nacht der kurzen Zündschnüre, 10.09.04
- Die Welt: Man starrt ins Unscharfe, 10.09.04
- DeutschlandRadio Berlin: "Disbelief - Wer die Gewalt sät", 07.09.04

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