Donnerstag, März 30, 2006

... but some are more equal than others

Weil er zum Christentum übergetreten war, drohte dem Afghanen Abdul Rahman in seinem Heimatland die Todesstrafe. Durch internationalen Druck wurde er jedoch freigelassen und erreichte gestern Italien, das ihm Asyl gewährte (SPON). Zunächst wollte der zuständige Richter sich dem Druck von außen nicht beugen (SPON). Doch Hamid Karzais Telefon stand nicht mehr still, Merkel, Rice, Papst Benedikt, etc. pp. klingelten bei ihm durch und gaben ihm zu verstehen, daß man einen Mann nicht hinrichten dürfe, nur weil er die Religion gewechselt hat (SPON). Schließlich diagnostizierte der afghanische Supreme Court Mängel im Prozeß und Rahmann wurde entlassen (SPON). Dann wollte ihn das Parlament wenigstens im Land belassen (SPON), am Ende konnte er dann aber doch nach Italien ausfliegen.

Nach afghanischer Rechtslage wird Religionsfreiheit zwar in der Verfassung garantiert, gleichzeitig darf aber nichts was in der Verfassung steht oder als Gesetz erlassen wird im Widerspruch zur Schari'a stehen. Die interessante Frage ist natürlich, wie eine solche Konstellation bei dem durch den Westen überwachten Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Aghanistan überhaupt zu stande kommen konnte. Stattdessen wird jetzt im Nachhinein dort interveniert, wo eigentlich verfaßtes Recht angewendet werden sollte.

Natürlich kann der Westen nicht einfach unkommentiert zusehen, wie die Afghanen einen Menschen hinrichten, nur weil er vom Islam zum Christentum konvertiert. Trotzdem ist die Art und Weise, wie man sich deswegen öffentlichkeitswirksam in inner-afghanische Prozesse einmischt natürlich verheerend. Denn was lernen die Afghanen aus dieser Polit-Posse?
  1. Afghanistan ist kein souveräner Nationalstaat, was in Afghanistan Recht und was Unrecht ist, das legt im Zweifelsfall das westliche Ausland anhand der eigenen Norm- und Wertvorstellungen fest.

  2. Die Regierung Karzai ist nichts weiter als eine Marionette des Westens, wenn der Westen sagt "Spring, Karzai", dann muß Karzai springen.

  3. Eine Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative existiert in Afghanistan nur auf dem Papier. Wenn die Regierung aufgrund einer internationalen Intervention dies oder jenes veranlaßt, muß sich auch ein vermeintlich unabhängiges Gericht diesem Willen beugen.
Gut, vermutlich lernen sie demnach nichts, was sie nicht auch schon vorher gewußt hätten. Trotzdem dürfte eine derart offene Demontage von Regierung und Parlament der Etablierung von demokratischen Strukturen in Afhganistan nicht eben förderlich sein. Karzais Stellung ist ohnehin schon schwach und sie wird kaum stabiler, wenn auch der letzte Afghane vorgeführt bekommt, das Afghanistan nur auf dem Papier ein autonomer Staat ist, in dem real letztlich vom Westen die Entscheidungsgewalt ausgeht.

Der Verweis auf die "Internationale Menschenrechtskonvention", die auch Aghanistan unterzeichnet hat, mag zurecht erfolgen. Genauso wie zurecht auf Menschenrechtsverletzungen der USA beispielsweise in Guantanamo verwiesen wird. Der Unterschied ist nur der, daß die USA sich dem internationalen Druck nicht beugen müssen, Afghanistan schon. Das mag der Lauf der Dinge sein, nur wird man so eben auch nur schwer Nicht-Demokraten von den Vorzügen der Demokratie überzeugen können.

Man würde sich zumindest wünschen, daß all die Politiker die so eindeutig gegen die drohende Hinrichtung von Abdul Rahman Front gemacht haben, dies mit gleicher Konsequenz auch bei Menschenrechts-Verstößen in westlichen Industriestaaten tun würden. Immer nur dann den Menschenrechtler zu mimen, wenn es um einen Staat geht, den man aufgrund seiner momentan schwachen internationalen Stellung leicht herumschubsen kann, wirkt jedenfalls wenig glaubhaft.

Mittwoch, März 29, 2006

Spieltrieb

Telefon-Quiz-Sendungen im Fernsehen sind wie eine Seuche. Während sie sich zunächst auf Spartensender wie "9live" beschränkten, sind inzwischen fast alle privaten Sender in das nächtliche Raterei-Geschäft eingestiegen. Meist irgendwo im Nacht- oder Spätabend-Programm angesiedelt bieten diese Shows Nachtschwärmern, Schlaflosen und Frühaustehern die Möglichkeit, für teuer Geld bei einem Telefon-Gewinnspiel mitzumachen. In der Regel sind die Rätsel oder Fragen recht leicht zu lösen und der Trick besteht darin, eben nicht den ersten der anruft gleich durchzustellen, sondern möglichst viele Fernsehzuschauer zu animieren, ihr Glück zu versuchen. Diese Sendeformat, bei dem der Zuschauer dazu animiert werden soll, sich via Telefon in welcher Form auch immer kostenpflichtig ins Programm einzubringen, wird oft auch kurz "Call-In" genannt.

Bei den Quiz-Call-In-Sendungen wird dem Zuschauer dabei zielsicher suggeriert, es rufe momentan einfach keiner oder nur ganz wenige Leute an (weil es doch so spät in der Nacht ist), was die Chancen auf einen Gewinn scheinbar zu erhöhen scheint. Tatsächlich bekommt am Ende natürlich nur ein Bruchteil aller Anrufer die Chance am eigentlichen Spiel teilzunehmen. Auf diesem Weg können die ausgeschütteten Gewinnsummen um ein vielfaches durch kostenpflichtige Anrufe wieder eingenommen werden. Das Geschäft muß sehr verlockend sein, wenn man sich die Masse dieser Quiz-Shows ansieht, die es inzwischen meist Nachts im Fernsehen gibt.

Was dabei besonders nervt ist, daß manche dieser Quiz-Sendungen sich mehrere Stunden mit ein und derselbe Fragen beschäftigen, was die Sendungen schnell langweilig macht. Man selbst hat das Rätsel nach einigen Sekunden gelöst (z.B. ein Wortspiel) und wartet bis einer anruft, um die richtige Antwort zu sagen (als durch "Vorsicht Falle!" fernseh-sozialisierter Zuschauer ruft man natürlich nicht selbst an), bevor es dann endlich weitergehen kann. Doch weil die Zuschauer ewig hingehalten werden ("Gleich, gleich isses soweit"), damit möglichst viele Leute zur selben Frage anrufen, zappt man irgendwann genervt weg. Eine halbe Stunde später zappt man dann wieder zurück und muß feststellen, daß sich immer noch nichts getan hat und dasselbe blöde Rätsel zur Diskussion steht.

Die andere Variante ist, das Rätsel so "schwer" zu gestalten, daß mehrere Leute anrufen und fast zwangsläufig etwas falsches sagen müssen. Zum Beispiel wird einfach nur ein schwarzer Fleck ohne besondere geometrische Merkmale gezeigt und der Zuschauer soll einfach frei raten (ohne Multiple Choice Angebot), was die Sendeleitung wohl dahinter versteckt hat. Eine Kuh, ein Schreibtisch, Frau Merkel, Marmelade, ein paar Amöben, usw. -- denkbar wäre aufgrund des hohen Abstraktionsgrades so ziemlich alles.

Als nachtaktiver Mensch lande ich zwangsläufig relativ oft auch vor solchen Quiz-Sendungen. Meist flüchte ich dann in die Musik-Sender, die anders als tagsüber in der Nacht wenigstens noch ein paar Musik-Videos nacheinander spielen. Doch diese Zeiten sind jetzt wohl auch vorbei, denn "VIVA" und "VIVAplus" senden seit dieser Woche nachts auch entsprechende Telefon-Quiz-Shows. Auf "VIVA" werktags von 1 bis 4 Uhr, auf "VIVA Plus" von 22 bis 2 Uhr (dort hat man mit "Get The Clip" schon seit längerem ein alternatives Call-In-Format, bei welchem der Zuschauer via Telefon/SMS seinen Wunsch-Videoclip wählen kann; der meistgewählte Clip wird dann ausgestrahlt). Da VIVA ja inzwischen genau wie MTV zu Viacom gehört, wird es solche Ratespielchen vermutlich auch bald auf MTV geben.

Während allerdings das "VIVAplus Quiz" recht öde ist, kann man "Spieltrieb" auf VIVA eine gewisse unfreiwillige Komik m.E. nicht absprechen. Gerade erst in dieser Woche angelaufen, bleibt die Show nicht ohne Pannen. In der Show am Dienstagmorgen wurde eine Gewinnerin vom System als Verliererin ausgewiesen, doch die Moderatorin konnte die Anruferin in der Leitung halten und führte mit ihr ein wenig Small Talk über Gott und die Welt, während die Techniker im Hintergrund versuchten die Software in den Griff zu kriegen. Zu einem anderen Zeitpunkt wollte die Moderatorin die Rate-Kategorien vorstellen, stattdessen wurde aber die Einstiegsfrage eingeblendet, so daß einen Moment Verwirrung herrschte, in welcher Reihenfolge das nun ablaufen müßte. Das Ganze gipfelte dann in einem Lach-Flash der Moderatorin. In der Sendung am Mittwochmorgen gab es einen lauten Knall im Studio, der die Moderatorin -- gerade im Gespräch -- zusammenzucken und dann lachen ließ (vermutlich war es ein durchgebrannter Scheinwerfer oder jemand hatte etwas schweres umgeschmissen).

Die beiden Moderatoren, die die Show leiten heißen laut Website "Ben" und "Jeannette" (angeblich also mit Doppel-N, vielleicht ist es aber auch nur ein Tippfehler), wobei bisher nur letztere zu sehen war. Sie werden auf der VIVA-Website bis dato nicht als VJs geführt und es ist selbst mit intensivem Googeln nicht möglich, mehr über sie herauszubekommen (Nachname?, Vita?). Zwar sind Musiksender-Moderatoren sich oft sehr ähnlich (besonders vom Auftritt her) und daher schwer auseinanderzuhalten, Jeanette (ich schreib sie jetzt mit einem N) erinnert aber vielleicht am ehesten noch an eine Mischung aus Mirjam Weichselbraun und Anastasia Zampounidis (also durchaus angenehm). Natürlich redet sie ohne Punkt und Komma, aber das ist nun mal Voraussetzung für diesen Job, bei dem man Leute fortlaufend dazu animieren muß, anzurufen.

Einer der Vorteile von Call-In-Sendungen ist, daß sie wirklich live sind. Pannen oder verpatzte Szenen können nicht einfach rausgeschnitten werden, was die Shows m.E. aber auch authentischer macht als normale Shows, bei denen im Nachhinein dann einfach Unliebsames rausgeschmissen wird. Es ist ja gerade dieser Makel, der den Unterhaltungswert von Call-In-Sendungen ausmacht (wenn man ihnen denn einen solchen zugestehen möchte). Und so wartet man auch bei "Spieltrieb" die ganze Zeit darauf, daß etwas passiert, was so nicht vorgesehen war, daß die Moderatorin durcheinander kommt, einen Lach-Flash bekommt, einen besonders schwierigen oder begriffsstutzigen Anrufer hat, daß die Software abstürzt und die Pause händeringend mit tiefenphilosophischen Fragen überbrückt werden muß, usw. Die Betroffenen im Studio wollen so etwas natürlich vermeiden, für den Zuschauer macht dagegen gerade das den Reiz aus, denn ohne solche "Aussetzer" wäre die Show ziemlich eintönig. Da "Spieltrieb" für eine Call-In-Quiz-Show zudem relativ schnell aufgebaut ist (man muß i.d.R. nicht ewig bis zum nächsten Rätsel warten), kann man sich die Sendung auch anschauen, ohne nach 3 Minuten gleich wieder entnervt wegzuzappen.

Montag, März 27, 2006

Murdermile

"This ain't murdermile,
that's just the way I smile.
You're like hot oil,
got your roots down in a fire.
Spitting shit like a tire.
Got your foot down and your mind down,
to it's last little wire."

"Murdermile", The Kills

Freitag, März 24, 2006

Champagne Pour l’Elite, Cacahuètes Pour Etudiants

Die Vorgeschichte

Ende 2005 kam es in den französischen Banlieues, den Vorstädten mit sozialen Brennpunkten, zu schweren Unruhen. Fast einen Monat dauerte es, bis sich die Lage wieder beruhigte. In diesem Zeitraum gingen unter anderem mehr als 9.000 Autos in Flammen auf. Zwar werden in den französischen Vorstädten immer wieder Autos angezündet, so daß dies dort schon als "normal" gilt, aber dieses Ausmaß war dann doch neu. Neben den Autos wurden zudem auch Gebäude angesteckt oder verwüstet.

Vor diesem Hintegrund hat die französische Regierung unter Dominique de Villepin Anfang dieses Jahres das "Gesetz zur Chancengleichheit" ("Pour l'égalité des chances") auf den Weg gebracht, welches Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirken soll. Etwa durch die Einführung eines "anonymen Lebenslaufs", damit Bewerber um eine Stelle nicht wie bisher schon aufgrund ihres maghrebinisch oder arabisch klingenden Namens oder aufgrund ihres Wohnorts aussortiert werden. Daß jemand allein deswegen nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen wird, weil er die "falsche Adresse" oder den "falschen Namen" hat, war in Frankreich bis dato normal und soll sich jetzt ändern (Freitag).

Der ungeliebte Ersteinstellungs-Vertrag

Teil dieses neuen Gesetzes ist aber auch der stark umstrittene "Contrat Première Embauche" (CPE), der "Vertrag zur Ersteinstellung". Er "ist anwendbar auf Jugendliche unter 26 Jahren in Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern. Während der ersten 2 Jahre des Arbeitsverhältnisses darf der Angestellte ohne Begründung und ohne Vorwarnung entlassen werden" (Wikipedia). Man hofft durch diese Abschaffung des Kündigungsschutzes (für die ersten zwei Jahre) die in Frankreich hohe Jugendarbeitslosigkeit senken zu können.

Ob das aber wirklich so funktionieren kann, ist unter Ökonomen stark umstritten. Die Gefahr besteht natürlich, daß der Arbeitgeber nach Ablauf der zwei Jahre den Jugendlichen einfach durch einen anderen ersetzen, anstatt den alten Vertrag zu verlängern, denn das würde dann Kündigungsschutz bedeuten. Statt zu einer tatsächlichen Mehrbeschäftigung führt dieses Konzept also in erster Linie zu einer höheren Fluktuation -- so einer der Kritikpunkte. Man bekommt vielleicht Arbeit, aber eben nur für den Zeitraum von zwei Jahren. Und selbst dieser zweifelhafte "Fortschritt" ist ja nicht gewährleistet.

Der CPE als Beispiel für Prekarisierung

Diesen sozioökonomischen Prozeß der Zunahme von Arbeitsverhältnissen mit befristeten Verträgen, niedrigem Lohn und mangelndem Kündigungsschutz fast man unter dem Begriff "Prekarisierung" zusammen:

"Prekarisierung oder seltener Prekarität (von prekär lat.-fr.; durch Bitten erlangt; widerruflich, schwierig) bezeichnet die Zunahme von Arbeitplätzen mit geringer Arbeitsplatzsicherheit, niedrigem Lohn, Teilzeitbeschäftigung, befristeten Verträgen und mangelndem Kündigungsschutz, d.h. den Prozess der Zunahme prekärer Arbeitsbeziehungen in der Erwerbsarbeit. Prekäre Arbeitsbeziehungen sind ökonomisch und historisch in Abgrenzung zum Normalarbeitsverhältnis bestimmt. Die immer stärker wachsenden Gruppe von Arbeitnehmern in prekären Arbeitsbeziehungen wird inzwischen häufig auch als Prekariat bezeichnet." (Wikipedia)

Und eben gegen diesen Prozeß der Zunahme von prekären Arbeitsbeziehungen, welcher in Frankreich durch den "Contrat Première Embauche" (CPE) deutlich verstärkt würde, wenden sich die französischen Studenten. Das Akronym "CPE" steht für sie für "Champagne Pour l’Elite" (Champagner für die Elite) und "Cacahuètes Pour Etudiants" (Erdnüßchen für Studenten) (Jungle World). Ein dezenter Verweis darauf, daß eine solche Demontage des Kündigungsschutzes eher den Unternehmern dient, als den jungen Uni-Absolventen oder den ausbildungslosen Jugendlichen in den Banlieues.

Was alle Protestierenden aber besonders erzürnt ist die Tatsache, daß Premierminister de Villepin es nicht mal für nötig hielt, den Gesetzesentwurf mit jenen zu diskutieren, die er unmittelbar betrifft. Es gab weder in der Öffentlichkeit noch im Parlament eine Auseinandersetzung, die der Einführung des Vertrages vorausgegangen wäre. De Villepin hat sein Vorhaben mit seiner Mehrheit im Eilverfahren durchs Parlament gepeitscht. Offenbar hielt er einen Diskurs für überflüssig bzw. wollte sich ihm nicht aussetzen.

Mittelose Vorstadt-Jugend vs. bürgerliche Metropolen-Studentenschaft?

Nachdem der Protest zunächst von Studenten getragen wurde, hat er sich inzwischen auf weitere Gruppen ausgedehnt, besonders die diverse Gewerkschaften beteiligen sich und üben starken Druck auf die französische Regierung aus. Für den kommenden Dienstag (28.03.) wurde sogar ein Generalstreik angekündigt. Immer wieder münden die friedlichen Demonstrationen in Krawalle und handfesten Auseinandersetzungen mit der Polizei. Treibende Kräfte sind hier aber offenbar weder Studenten noch Gewerkschaftler, sondern Jugendliche die die Eskalation suchen. Inzwischen wurde sogar gemeldet, daß jugendliche Kriminelle dabei auch Studenten Kleidungsstücke und Mobiltelefone abnehmen (SPON). Spätestens hier sollte klar werden, daß diese jugendlichen Randalierer nicht viel mit den restlichen Demonstranten gemein haben, ihnen geht es offbar wirklich nur darum Frust abzulassen.

Ob die arbeitslosen Jugendlichen wirklich dasgleiche Interesse an einer Rücknahme des CPE haben wie die Studenten ist indessen umstritten. Einige Beobachter sehen den Skandal gerade darin, daß die Regierung versucht die arbeitslose Jugend aus den Banlieues gegen die bürgerliche Mittelschicht auszuspielen:

"Die Ökonomen stehen Schlange, um zu erklären, dass dieser Anstellungsvertrag auf Gnade bestenfalls nichts am Arbeitsmarkt ausrichtet. Es sind die Jugendlichen in der Banlieue, die erklären, dass ihnen schon alles egal ist, auch eine zweijährige Probezeit, wenn sie nur irgendeinen Job erhielten. Es sind die Schüler und Studenten, die 'weißen' Franzosen, die zusammen mit ihren Eltern auf die Straßen gehen, um gegen eine Regierung zu protestieren, die ihnen eine Zukunft zum Dumpingpreis verkaufen will. Das aber ist die wahre Infamie, die im Arbeitsgesetz des Dominique de Villepin steckt: die mittellose Jugend der Vorstädte gegen die bürgerliche der Metropolen auszuspielen." (Freitag)

Während also der frische Uni-Absolvent dagegen ankämpft in ein prekäres Arbeitsverhältnis abgedrängt zu werden, ist der arbeitslose Jugendliche in der Vorstadt schon so verzweifelt, daß er auch mit zwei Jahren ohne Kündigungsschutz zufrieden wäre, wenn er denn überhaupt nur Arbeit bekommt. Ob die Maßnahme aber tatsächlich dazu führt, daß mehr Ghetto-Kids einen Job bekommen, ist zweifelhaft. Zumindest gibt es andere, wichtigere Faktoren als den Kündigungsschutz die Arbeitgeber davon abhalten, mehr Leute einzustellen.

Davon mal abgesehen kann die Trennung auch nicht so klar vorgenommen werden, denn die arbeitslosen Jugendlichen rotten sich ja keineswegs zu einer Gegendemonstration zusammen, um für den CPE zu protestieren. Sie verstehen sich ebenso wie Arbeiter und Studenten in Opposition zu den Plänen der Regierung. Nur wie oben ausgeführt gibt es trotzdem auch immer wieder Zusammenstöße zwischen Studenten und kriminellen Jugendlichen, letztere sind oft nur auf Krawall aus und ihre Solidarität mit den anderen Demonstranten hält sich in Grenzen.

De Villepin in der Sackgasse

De Villepins Rechnung ging nicht auf und jetzt steckt er in der Klemme. Würde er tatsächlich dem Druck der Straße nachgeben und den CPE wie gefordert zurückziehen, wäre das eine schwere politische Niederlage für ihn. Eine Niederlage, auf die Innenminister Nicolas Sarkozy nur wartet, denn er ist de Villepins stärkster Konkurrent um die Nachfolge von Staatspräsident Chirac. Andererseits kann de Villepin die Krise aber anscheinend auch nicht einfach aussitzen, denn die Proteste scheinen auch nach mehreren Wochen noch nicht abzuflauen.

Daher hat er sich nun erstmals zu Gesprächen mit den Gegnern des CPE bereit erklärt (SPON). Während die Gewerkschaften signalisiert haben diesem Angebot offen gegenüberzustehen, sind die Studenten strikt dagegen, da sie natürlich wissen, daß de Villepin nicht ernsthaft daran denkt den CPE vom Tisch zu nehmen. Dies wäre aber aus ihrer Sicht Voraussetzung bevor überhaupt irgendwelche Gespräche stattfinden können (SPON). Die Studenten wollen also daß der CPE zunächst ausgesetzt wird, bevor sein Für und Wider diskutiert wird. Wohl nicht ganz zu unrecht vermuten sie, daß alles andere nur der Versuch von de Villepin ist, Zeit zu schinden.

Die Protestierenden stoßen nicht nur auf Verständnis

Umfragen zu folge sprechen sich zur Zeit gut 68% der Franzosen gegen den CPE aus, es gibt also eine eindeutige Mehrheit gegen den Vertrag (Wikipedia). Dennoch stößt die Protestbewegung im Land natürlich nicht nur auf Gegenliebe.

Im Fernsehen waren z.B. handfeste Auseinandersetzungen zwischen Studenten zu sehen. Hier ging es besonders um die Besetzung der Unis (landesweit wurde die Mehrheit der Unis bestreikt) durch Protestierende. Außenstehende irritiert es häufig, wenn Studenten ihre eigene Uni bestreiken, denn anders als z.B. bei einem Betrieb gibt es ja hier keine Partei, die man mit so einem Streik unter Druck setzen kann.

Der studentische Streik soll in erster Linie "entlastend" auf zögerliche Kommilitonen wirken. Viele Studenten würden sich zwar gerne am Streik beteiligen, fürchten aber die Probleme die auf sie zukommen wenn sie in der Uni fehlen (heute herrscht in den meisten Unis genau wie in der Schule Anwesenheitspflicht) bzw. Stoff verpassen und hinter den Anwesenden inhaltlich zurückbleiben. Daher wird die Uni besetzt, damit keine Lehrveranstaltungen stattfinden können und die Studenten sich an der Protestbewegung beteiligen können. Zum zweiten muß studentischer Protest auch koordiniert werden, es gibt zudem Workshops, Ideenaustausch, etc. Der Streik dient auch dazu, dafür entsprechende Räumlichkeiten frei zu schaffen. Drittens wird der Besetzung der Uni auch eine symbolische Bedeutung zugeschrieben.

Natürlich kann nicht irgend eine studentische Gruppe auf gut dünken die Bestreikung der Uni festlegen, darüber wird in einer studentischen Vollversammlung basisdemokratisch abgestimmt. Trotzdem gibt es immer Streik-Gegner, die lieber regulär ihre Lehrveranstaltung besuchen möchten und die Legitimität des Votums in Frage stellen. In Frankreich hat das dazu geführt, daß Streikbrecher teilweise die Streikposten vermöbelt haben und dann ihrerseits die Räumlichkeiten besetzten, um die Lehrveranstaltungen stattfinden zu lassen.

Daneben werden die französischen Studenten auch immer wieder von Rechtsextremisten attackiert. An der Pariser Sorbonne wurden Studierende von Neonazis als "Parasiten" bezeichnet und dann körperlich angegriffen, an der konservativen Uni-Toulouse wurden rechtsextreme Studenten die ihre protestierenden Kommilitonen attackierten sogar von einigen Professoren begrüßt oder ermutigt (Telepolis). Die Angriffe waren so massiv, daß die Besetzenden abziehen mußten, tagsdarauf schloß die Universitätsleitung die Uni dann aber von sich aus (wie es auch in vielen anderen Städten der Fall war).

Insgesamt befinden sich die Protest-Gegner sowohl in der Studentenschaft als auch in der Gesamt-Bevölkerung allerdings in der Minderheit, obgleich eine Mehrheit natürlich die Krawalle am Rande der Demos verurteilt.

Warum passiert so etwas in Deutschland nicht?

Auch SPD und CDU haben sich eine Lockerung des Kündigungsschutzes in ihren Koaltionsvertrag geschrieben, die angeblich weit über das Projekt von de Villepins hinaus geht (taz). Die Frage ist, warum sich dann hier dagegen kein Protest regt. Vielleicht kommt der noch, doch selbst wenn, würden die Gewerkschaften in Deutschland vermutlich nie soweit gehen wie in Frankreich, wo sogar ein Generalstreik in Aussicht gestellt wurde. Für Christian Semler von der taz ist das jedenfalls der zentrale Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich. Er vergleicht den letzten großen Studenten-Streik in Berlin 2003 mit dem aktuellen in Frankreich und kommt zu dem Ergebnis:

"In beiden Fällen vertraten die Protestierenden Schichteninteressen, versuchten aber auch, ein gemeinsames Band mit den abhängig Beschäftigten und den Arbeitslosen zu knüpfen. Nur: Während in Frankreich die Gewerkschaften die studentischen Proteste unterstützen, kann in Deutschland davon keine Rede sein. Das erhellt ein Beispiel schlaglichtartig: Bei der Großdemonstration vom 13.12.2003 in Berlin waren so gut wie keine Gewerkschafter anwesend, obwohl sie doch als gemeinsame Aktion mit den Studierenden konzipiert war." (taz)

Das ist natürlich eine sehr einseitige Darstellung. Tatsächliche streben Studenten formal immer danach, ihren Protest auch in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einzuordnen. Ihre Probleme wollen sie nicht isoliert betrachten, denn sie überschneiden sich oft mit den Problemen von Hartz-IV-Empfängern, abhängigen Beschäftigten, Schülern, Migranten, usw. und haben teilweise dieselbe Ursache. Klar träumen also auch protestierende Studierende in Deutschland den Traum von einem gesamtgesellschaftlichen Widerstand gegen falsche Reformen, der dann auch endlich etwas bewegen würde. Nur, daß der nicht zu stande kommt, liegt eben nicht nur an den Gewerkschaften, sondern z.B. auch den Studenten, die nicht glaubhaft genug herausstellen, daß sie mehr als ihre eigenen Schichteninteressen vertreten. Oft ist die Solidarität mit anderen Bevölkerungsteilen nur ein Lippenbekenntnis, das irgendwo in einem Forderungskatalog auftaucht, aber in der Realität des Protests-Alltags wenig bis gar nicht auftaucht.

Im Telepolis-Forum witzelte ein Leser, die deutschen Studierenden würden sich von einem Reglement wie es der CPE in Frankreich vorsieht schon deshalb nicht tangiert fühlen, weil sie i.d.R. älter als 26 sind, wenn sie aus der Uni kommen (der CPE gilt nur für Personen bis 26). So kann man das natürlich auch sehen, allerdings würden sich wohl auch die meisten Studenten in Deutschland generell gegen ein solches Projekt, das zur Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse führt, aussprechen. Daß der Protest solche Dimensionen wie momentan in Frankreich annehmen würde, ist aber sehr unwahrscheinlich -- unabhängig davon, was die Gewerkschaften machen.

Artikel zum Thema:

Dienstag, März 21, 2006

"Rize" auf MTV

Wem das Fußball-Länderspiel zwischen den USA und Deutschland morgen (22.03.) zu langweilig oder zu grausam wird, kann ja um 21:30 Uhr mal zu MTV rüberzappen, dort gibt es die FreeTV-Premiere von David LaChapelles (nicht zu verwechseln mit Dave Chappelle) Tanzfilm "Rize".

David LaChapelle war bisher eigentlich nur als Fotograf und als Regisseur von Musikvideos bekannt. Beim Dreh von Christina Aguileras Video zu "Dirty" ist er dann auf einen neuen Ghetto-Tanzstil aus L.A. namens "Krumping" gestoßen:

"Krumping ist ein sehr schneller, expressiver Freestyle-Tanz, der viele Elemente des Breakdance und afrikanischer Stammes-Tänze enthält. Die Krump-Tänzer erzählen mit ihren Bewegungen Geschichten oder drücken als ungerecht empfundene soziale Missstände aus. Krumping wird auf offener Straße getanzt und ist "interaktiv", das Publikum wird in das Geschehen einbezogen und zum Mitmachen animiert. Es gibt auch Battles, also tänzerische Wettkämpfe zwischen verschiedenen Crews (auch "Clown-Gangs" genannt). Wichtiges Element des Krump ist die Gesichtsbemalung der Tänzer, welche die Funktion einer Art "Maske" erfüllt und sowohl den Gefühlen der Tänzer Ausdruck verleihen als auch eine die Distanz zwischen der Rolle des Tänzers und dem Menschen hinter der Maske darstellen soll. Die Gesichtsbemalung hat Ihre Urspünge im Clowning, wird aber oft auch mit afrikanischen Stammesriten in Verbindung gebracht.

Krumping ist in den frühen 90er Jahren in Folge der LA Riots in den armen Stadtvierteln von Los Angeles entstanden. Thomas Johnson, ein verurteilter Drogendealer, begann 1992 nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis unter dem Namen Tommy the Clown als tanzender Hip-Hop-Clown aufzutreten. Tommy wurde in der schwarzen Bevölkerung LA's schnell zum Vorbild für Jugendliche und Kinder, die sich um ihn scharten und mit ihm bei Clown-Auftritten tanzten. Nach ein paar Jahren gründete Tommy die "Clown-Dancing-Academy" und nahm einige Jugendliche als feste Crew auf, andere gründeten eigene Tanzgruppen – das Clowning war geboren." (Wikipedia)

Aus dem "Clowning" entwickelte sich das "Krumping", welches noch expressiver und aggressiver ist. Zwischen "Clowns" und "Krumps" bestehen seither Rivalitäten die dann in "Battles" (Tanzwettbewerben) zwischen verschiedenen Teams ausgetragen werden.

Als David LaChapelle diese Bewegung für sich entdeckte, existierte sie schon gut 10 Jahre und tauchte in den letzten Jahren in verschiedenen Musikvideos auf. Trotzdem hat sich vor ihm noch keiner die Mühe gemacht, diesen Tanzstil und seine historische Entwicklung in einem Dokumentarfilm festzuhalten. Die Idee, daß sozial benachteilige Jugendliche ihre Aggressionen lieber im Tanz statt in handfesten Schlägereien oder gar Schießereien ausleben sollten, ist natürlich nicht neu; offensive "Tanzduelle" gab es zuvor bereits im Breakdance und anderen Tanzstilen. Und ob das mit dieser "Die-Kids-von-der-Straße-wegholen"-Logik tatsächlich immer funktioniert, ist natürlich fraglich. Trotzdem scheint die Rechnung in vielen Fällen aufzugehen. Gerade das gegenüber dem Clowning noch aggressive Krumping taugt offensichtlich ganz gut zum Kanalisieren von Frust und Wut. Inhaltlich werden dabei Alltags-Geschichten aus dem Ghetto dargestellt. Es geht folglich nicht um die Artikulation von Wut als solcher, sondern auch darum über deren Ursachen zu reflektieren.

Dabei begeht David LaChapelle zum Glück nicht den Fehler, sich in allzu viel Sozialromantik zu winden. Er dokumentiert einfach wie der Tanz Jugendlichen dabei helfen kann, besser mit ihrem Alltag zurecht zu kommen und illustriert das mit gut geschnittenen Tanzaufnahmen, die dann natürlich auch musikalisch entsprechend unterlegt sind. Man merkt dem Film in negativer wie positiver Hinsicht schon an, daß er von einem Video- und nicht von einem Doku-Regisseur gedreht wurde.

Freitag, März 17, 2006

Übersicht zur Migrations-Diskussion

Position Bloomsday:

Zunächst Unterscheidung zwischen einer moralisch-humanitären und einer pragmatischen Argumentation, anschließend stärkere Fokussierung der pragmatischen ("Zuwanderung in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit").

Kernthese

Der Überalterung der deutschen Gesellschaft muß unter anderem mit einer verstärkten Migration begegnet werden, um die sozialen Sicherungssysteme am Leben erhalten zu können, bei denen selbst nach einer grundlegenden Reform Einzahler im richtigen Verhältnis zu Empfängern stehen müssen. Da es nicht genug einreisewillige Migranten mit hoher Qualifikation und Startkapital gibt, müssen auch solche ohne Ausbildung, Job und Kapital die Einwanderung bewilligt bekommen. Diese Migranten müssen zunächst vom Staat finanziell unterstützt werden. Die Mittel dazu erhält der Staat entweder aus einer weiteren Verschuldung oder aber durch eine stärkere Besteuerung vermögender Privatpersonen. Mit diesen finanziellen Mitteln wird die Integrationspolitik quantitativ wie qualitativ ausgebaut, so daß auch aus den Transferleistungs-Empfängern später Transferleistungs-Geber werden.

Notwendigkeit der Quotierung von Migration

Obgleich es wünschenswert wäre, alle Migranten einwandern zu lassen, die das möchten, ist dies aus finanziellen Gründen nicht möglich. Ein völlig unreglementiertes Einwandern würde unweigerlich zum Kollaps des Systems führen. Es muß deshalb eine Quotierung gefunden werden, die sicherstellt, daß qualifizierte wie nicht-qualifizierte Migranten gleichermaßen einreisen können. Bei Migranten mit Ausbildung wird diese zum Kriterium, bei Migranten ohne Ausbildung entscheidet schlicht weg das Los (Ausnahmen sind "Härtefälle", zu denen ich z.B. auch die Familienzusammenführung zähle, die in jedem Fall gewährleistet sein muß). Auch wenn es also nicht möglich ist alle aufzunehmen, könnte doch deutlich mehr Migranten eine Einwanderungserlaubnis erteilt werden, als dies bisher der Fall ist (26008).

Verstärkung der Entwicklungshilfe nicht als alternative, sondern als parallele Maßnahme zur Intensivierung von Migration

Das parallel auch die Entwicklungshlfe ausgebaut werden muß (nicht nur von Deutschland), um den Menschen in der Dritten Welt auch vor Ort helfen zu können, bleibt unbestritten. Dies ist aber nicht ein Prozeß, der alternativ zu einer Verstärkung der Migration stattfinden kann. Allein auf eine Intensivierung der Entwicklungshilfe zu setzen reicht nicht, da es selbst bei intensivsten Bemühungen mehrere Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern würde, bis die Lebensverhältnisse in der Dritten Welt so sind, daß der durch Armut ausgelöste Migrationsdruck abnimmt. Für diesen Zeitraum können sich die westlichen Industrieländer nicht einfach nur einigeln und sich bei der Aufnahme von Migranten auf solche beschränken, die in das "Wohlstands-Profil" passen (26036).

Integration setzt Willen und Angebot voraus

Integration ist ein komplexer Prozeß, der nur gelingen kann, wenn beide Seiten ihn auch wirklich wollen. Für den deutschen Staat bedeutet dies, daß er z.B. ein entsprechendes Angebot an Sprachkursen bereitstellen muß. Die Migranten müssen umgekehrt dieses Angebot dann aber natürlich auch wahrnehmen. Wenig hilfreich ist die Forderung, daß die Migranten solche Kurse bereits in ihrem Heimatland besuchen sollen, dies können sich nur finanziell wohlsituierte und bereits ausgebildete Migranten leisten. Wie oben ausgeführt, kann es aber nicht das Ziel einer modernen Einwanderungspolitik sein, sich auf diese Zielgruppe zu beschränken (25444).

(Gegen)positionen:

ditsche:
  • Unterscheidung zwischen Zuwanderung und Einwanderung; bestreitet das Deutschland ein Einwanderungsland ist (25416).
  • Führt die Gefahr der Ausnutzung der sozialen Sicherungsnetze durch Ausländer an (25416).
  • Migranten sollten, wie dies auch in anderen Ländern üblich ist, nachweisen können, daß sie in der Lage sind sich selbst zu versorgen (25416).
Artheon:
  • Migranten sollten "Startkapital" oder eine "gesuchte Qualifikation" mitbringen (25878).
  • Strikte Ablehnung der Idee, auch geringqualifizierte Migranten ohne Ausbildung einwandern zu lassen, da diese die ohnehin schon niedrigen Löhne in diesem Segment noch weiter drücken würden (25953).
  • Betonung der Notwendigkeit Armut vor Ort zu bekämpfen, demgegenüber: "Die Armen der Welt auf die die Armen im eigenen Land zu hetzen und sie zu nötigen, mit ihnen billige Jobs und billigen Wohnraum zu teilen, und dies in wachsendem Maße, kann doch nur vom rationalen her idiotisch sein" (26080).
sieglind:
  • Bringt Fallbeispiel der "Ertricksung" von Sozialleistungen durch Ausländer in den Diskurs ein (25809).
  • Vorgeschlagenes Verfahren der Quotierung per Los abgelehnt, da ungerecht (26024).
  • Stattdessen: Intensivierung der Entwicklungshilfe: Statt mehr Migranten einreisen zu lassen, sollte lieber stärker vor Ort in den Heimatländern dieser Migranten interveniert werden (26024).
  • Führt weiterhin die kulturellen Entwurzelung an, mit denen Migranten zu kämpfen haben, wenn sie ihre Heimat verlassen müssen (25980).
mona:
  • Verweis auf die Belastung der (kommunalen) Kassen durch die Integrations-Kosten (25390).
  • Das bisherige System ist einfach nicht mehr tragfähig: "Von diesen türkischen Arbeitnehmern ist großer Teil bereits in der dritten oder vierten Generation hier integriert. So sieht m.E. Migration aus - Migration als lebbarer lebensimmanenter dynamischer Ablauf. Aber: Es gibt bei uns sehr offensichtlich keine Möglichkeit mehr, solchermaßen oder ähnlich gestaltete Migration lebbar werden zu lassen" (25801).
  • Aus dem nicht funktionieren des deutschen Systems wird die Absurdität über dieses System auch noch die Integrationskosten laufen lassen zu wollen hergeleitet: "Und dann holen wir Einwanderer dazu, deren Primärversorgung in eben jenes schräg angelegte Modell integriert werden soll?" (25933).
  • "Einwanderung als politischer Grundsatz ist im derzeitigen D nicht möglich" (26021).
  • Stattdessen: Glaube an die unsichtbare Hand des Marktes (der zunächst geschaffen werden müßte); aus dem "Bedarf" ergibt sich, für welche Migranten hier eine "Nische" vorhanden ist und für welche nicht: "Sobald in D der Markt frei gelassen werden würde (was das im einzelnen bedeutet, wäre gesondert aunzuschauen), das Besteuerungs- und Subventionssystem entsprechend ausgerichtet wäre, ergäbe sich Migration aufgrund von Bedarf, also Mangel und Notwendigkeiten (das ist die Nische, die nützliche :))" (25933).
  • Betonung der Notwendigkeit, Migrationsmodelle so anzulegen, daß sie hier in Deutschland mehrheitsfähig sind: "Nur, weil du dies nun mal so so willst, wirst du eine Akzeptanz für Einwanderung bei einer Bevölkerung nicht erreichen. Und ohne Akzeptanz bei den Menschen, die dies außer Deiner Person auch noch was angeht, wirst du die glasklare Erfordernis von Einwanderungen auch zu deinen Lebzeiten nicht umgesetzt sehen" (25934).
Sri:
  • Skizziert deutsche Eigenart: In Deutschland wird bestritten, daß man ein Einwanderungsland ist und angenommen, daß die Migranten schon "germanisiert" und "leitkulturisiert" sein müssen, wenn sie ins Land kommen (26019).
  • Schließung der demographischen Lücke durch Intensivierung von Migration (unter anderem) keine langfristige Lösung (25388).
  • Stattdessen Änderung des Systems als solches (25453).
  • Hält härtere Besteuerung von Reichen zur Finanzierung der Integration für unrealistisch (25926).
  • Lehnt rigidere Maßnahmen die Kapitalflucht zu unterbinden ab (26037).
Hartzog:
  • Zeichnet die tatsächliche Situation in punkto Entwicklungshilfe nach: "Natürlich müssen sich primär die Bedingungen in den Heimatländern ändern, woran die westliche Wirtschaft aber wenig Interesse hat, lieber geht sie buchstäblich über Leichen. Diese Raffgier und Skrupellosigkeit (kein Brot für die Welt, aber Torte für mich) gutzuheißen und Flüchtlinge in diese Bedingungen zurück zu schicken, hat wenig mit Toleranz zu tun" (25967).
  • Erläutert aber auch denkbare, bereits existierende Lösungskonzepte hinsichtlich der Entwicklungshilfe (25914).
So, ich hoffe, ich habe alle zentralen Punkte erwähnt.

Mittwoch, März 15, 2006

Der ultimative Deutschland-Test

Nachdem Muslime die sich um einen deutschen Paß bewerben in Baden-Württemberg bereits seit dem 1. Januar einen Gesinnungstest absolvieren müssen ("Gesprächsleitfaden" siehe taz), will nun auch Hessen mit einem "Wissens- und Wertetest" nachziehen (100 Fragen als Grundlage für den noch einzuführenden Test, siehe ZEIT). Wobei es sicherlich auch interessant wäre festzustellen, was wohl der 08/15-Deutsche auf Fragen wie "Der deutsche Maler Caspar David Friedrich malte auf einem seiner bekanntesten Bilder eine Landschaft auf der Ostseeinsel Rügen. Welches Motiv zeigt dieses Bild?" antwortet.

Solche Tests kommen nicht nur in Deutschland in Mode, auch in den Niederlanden gibt es inzwischen einen entsprechenden Fragebogen. Dort werden dann Fragen wie z.B. "Wer war Wilhelm von Oranien?", "Bereitet man Tee mit heißem oder kaltem Wasser zu?", "Wie lange braucht ein Zug von Amsterdam nach Enschede?" oder "In welchen Müll gehört Frittierfett?" gestellt (SPON).

Von all diesen vielen Testfragen, habe ich mich zum ultimativen Deutschland-Test inspirieren lassen:

1) Deutschland hat...

[ ] ... ca. 62 Millionen Wahlberechtigte und 12 Millionen Bildleser.
[ ] ... das höchste pro Kopf Einkommen der Welt.
[ ] ... den weltweit höchsten Bierverbrauch pro Kopf.
[ ] ... 10 Literatur-Nobelpreisträger hervorgebracht.

2) Was ist das schwierigste Problem, mit dem Deutschland zur Zeit zu kämpfen hat?

[ ] Die Arbeitslosigkeit.
[ ] Die Überalterung der Gesellschaft.
[ ] Die große Koalition.
[ ] Jürgen Klinsmann.

3) Welche Jahreszahl paßt nicht in diese Reihe?

[ ] 1914.
[ ] 1939.
[ ] 1954.
[ ] 1999.

4) Was versteht man unter "Dunkeldeutschland"?

[ ] Die DDR (heute Ost-Deutschland).
[ ] Die Fläche der CDU regierten Bundesländer.
[ ] Einen rassistisch konnotierten Begriff, der Wohngebiete bezeichnet, in denen vorwiegend Afrodeutsche leben.
[ ] Eine Region südlich Norddeutschlands, in der es so wenig Licht gibt, daß man nicht einmal weiß, ob man im Nebel steht (Kamelopedia).

5) Welche wichtige deutsche Errungenschaft wird mit dem Münchener Oktoberfest assoziiert?

[ ] Brezn und Weißwurst.
[ ] Bier saufen bis zum Umfallen.
[ ] Kellnerinnen mit muskulösen Unterarmen.
[ ] Der interkulturelle Austausch mit Vertretern anderer Nationen.

6) Wie viel Wörter umfaßt der Wortschatz von Lukas Podolski? (Schätzfrage)

[ ] 100.
[ ] 500.
[ ] 800.
[ ] Mehr als 1000.

7) In welche Recycling-Tonne muß eine Verpackung geschmissen werden, die Polysemie enthält?

[ ] In die grüne Tonne.
[ ] In die türkisblau-bordeauxrot-karierte Tonne.
[ ] In die Tonne meines Nachbarns.
[ ] In die Tonne für Polysemie-Verpackungen.

8) Wer war Adolf Hitler?

[ ] Ein bekannter deutscher Politiker.
[ ] Ein übler Diktator.
[ ] Ein übler Diktator österreichischer Abstammung.
[ ] Ein verkannter Maler.

9) Wie lange braucht ein ICE von Berlin nach Hamburg?

[ ] 1,5 h.
[ ] 2,0 h.
[ ] 2,5 h oder mehr.
[ ] Das ist Glückssache.

Freitag, März 10, 2006

Adam Green riecht nach alten Burritos *rofl*

SPON:: "Ein Frauenmagazin kürte Sie kürzlich zum König der 'Whimpsters', der Weicheier - angeblich eine Gattung, die hilflos wirkt und Muttergefühle auslöst. Kompliment? Oder eher eine Beleidigung?"

Green: "Ich gehe nicht zur Maniküre, hasse Parfüm, meine Haare sind schmierig, und manchmal rieche ich nach alten Burritos. Natürlichkeit ist meine Maxime. Wenn Mütter das toll finden, dann habe ich Angst um unsere guten amerikanischen Kinder."

Adam Green in einem SPON-Interview, 10.03.06

Donnerstag, März 09, 2006

Trash-Kultfilm: "Heat"

Für den Zeitraum März/April hat arte Trash-Filme zum Schwerpunkt erklärt. Jede Woche kann man dort in der Nacht von Donnerstag auf Freitag einen alten Trash-Kultstreifen sehen. arte beschreibt das Anliegen wie folgt:

"Es werden Filme wieder zugänglich gemacht, die zur Zeit ihrer Entstehung und ihrer Erstauswertung den herrschenden Normen widersprachen und heute noch widersprechen: den offiziellen Zensurvorschriften, dem Geschmack der etablierten Filmkritik, den dominierenden politischen und gesellschaftlichen Strömungen. Die Filme, die ARTE präsentiert, sind schriller, bunter, frecher, direkter, provokativer als der Mainstream. Oft schnell und billig produziert und gedreht, nehmen sie keine große Rücksicht auf handwerkliche oder soziale Konventionen." (arte)

Heute Nacht wird der zweite Filme der Reihe, "Die Stunde, wenn Dracula kommt", gezeigt. Ich werde hier jedoch den Film von letzter Woche, "Heat", etwas detaillierter vorstellen, der morgen (10.03.) um 01:10 Uhr wiederholt ausgestrahlt wird.

"Heat" (1972) ist nach "Flesh" (1968) und "Trash" (1970) der letzte Teil der Trash-Trilogie von Andy Warhol (Producer) und Paul Morrissey (Regie, Drehbuch). Wie schon in den zwei vorhergehenden Teilen spielt auch hier Joe Dallesandro die Hauptrolle. In "Heat" mimt er "Joey Davis", einen Schauspieler der obwohl noch relativ jung seine Karriere faktisch schon hinter sich hat.

Joey wurde als Kind durch eine Serie zum Hollywood-Star, bekommt jetzt als Erwachsener aber keine Angebote mehr. Er versucht einen Einstieg in die Musikbranche, welcher aber mehr schlecht als recht verläuft. Alles was ihm bleibt um wieder nach oben zu kommen, ist Kapital aus seinem austrainierten Körper zu schlagen (zu deutsch: sich nach oben zu vögeln). Er läßt sich in einem billigen Motel nieder, daß von der übergewichtigen Lydia (Pat Ast) geführt wird, die sehr direkt, selbstbewußt und aggressiv auftritt. Sie ist dann auch die erste, mit der Joey in die Kiste steigt, damit diese ihm einen Mietnachlaß gewährt.

Ebenfalls wohnhaft im Motel ist die etwas verrückte Jessica Todd (Andrea Feldman), ständig knapp bei Kasse teilt sie sich ihr Zimmer mit ihrem kleinen Baby und ihrer Lebensabschnittsgefährtin. Zwischen Motel-Eigentümerin Lydia und Jessica gibt es ständig Streit, weil Jessica nie die Miete rechtzeitig zahlt und in den Augen von Lydia auch ziemlich unverschämt ist. Jessica ist finanziell von ihrer Mutter, Sally Todd (Sylvia Miles), abhängig. Sally ist eine berühmte Schauspielerin die aber den Zenit ihrer Karriere auch schon längst überschritten hat. Sie ist es leid ihre Tochter durchzufüttern und ständig besorgt, daß deren lesbische Liaison und das uneheliche Baby an die Öffentlichkeit kommen könnten. Denn nichts fürchtet die Hollywood-Kennerin Sally mehr, als in Negativ-Schlagzeilen zu geraten.

Am Pool des Motels lernen sich dann Joey und Jessica kennen, es stellt sich heraus, daß Jessicas Mutter (Sally) früher mal eine Gastrolle in der Serie gespielt hat, in der auch Joey als Kind eine Rolle hatte. Jessica schlägt vor, daß Sally und Joey sich wiedersehen sollten und lädt diesen in ihr Zimmer ein, auf dem sie ihre Mutter erwartet. Joey ist zunächst dagegen, läßt sich dann aber breitschlagen. Die "Reunion" von Sally und Joey bleibt dann aber zunächst nur recht flüchtig, beide geben sie höflich aber reserviert.

SPOILER WARNING

Das ändert sich, als Jessica tagsdarauf Joey mit zu dessen Plattenfirma nehmen will. Auf dem Weg zur Plattenfirma schauen die beiden noch schnell bei Sally vorbei, die in einer riesigen prunkvollen Villa lebt (die sie kaum noch unterhalten kann). Natürlich geht es mal wieder um Geld, das Jessica ihrer Mutter aus der Tasche leiern möchte. Doch als ihre Freundin anruft und mit Selbstmord droht, nur weil Jessica Joey ein Stück mitgenommen hat, muß Jessica das Anwesen vorzeitig verlassen und läßt Joey mit ihrer Mutter zurück. Die erwartet zwar ihren Anwalt, will Joey aber vorher noch durch das Haus führen, wobei sich beide erstmals näher kommen.

Sally, die schon vier Ehen hinter sich hat, ist krank vor Einsamkeit und hat wahnsinnige Angst, daß Joey sie wieder verlassen wird. Der verspricht sich jedoch von seiner Affäre mit ihr endlich wieder eine Rolle zu bekommen und bleibt daher bei ihr. Und Sally läßt tatsächlich alle ihre Connections spielen, um ihm den beruflichen Wiedereinstieg zu ermöglichen -- allerdings erfolglos. Die Produzenten suchen für ein neues Projekt einen Ostküsten-Intellektuellen, der frisch von Harvard kommt. Mit dem langhaarigen Joey, der vor Jahren mal in einer Rancher-Serie mitgespielt hat, können sie nichts anfangen.

Nachdem Jessica herausgefunden hat, daß sie doch nicht lesbisch ist, zieht sie zusammen mit ihrem Baby in das Haus ihrer Mutter, wo sie sofort versucht Joey zu verführen. Der weiß natürlich, daß es nicht gut gehen kann, wenn er zeitgleich etwas mit Mutter und Tochter anfängt -- zudem noch im selben Haus. Seine Abwehrversuche sind allerdings nur recht halbherzig, es scheint, als sei er einfach zu müde, sich Jessica wirklich vom Hals zu halten. Als Sally die beiden während einem von Jessicas Annäherungsversuchen in flagranti ertappt und dann auch noch rausfindet, daß Joey zeitgleich etwas mit Motel-Besitzerin Lydia hatte, rastet sie aus, kann aber nicht anders, als an Joey festzuhalten.

Als sich Sally mit ihrem letzten Ex-Mann in dessen Haus trifft, kommt es zwischen den beiden zu einem lautstarken Streit. Der Ex-Mann ist bereit Geld an Sally abzudrücken, will aber nicht, daß dies am Ende in Joeys Taschen landet. Während die beiden sich in ein anderes Zimmer begeben und dort weiterstreiten, kommen Joey und der schwule Lover des Ex-Manns von Sally sich näher. Beide werden während des Akts überrascht und Sally rastet erneut aus. Schließlich ist es jedoch Joey, der sie verläßt, als ihm klar wird, daß sie nichts für seine Karriere tun kann. Sally ist am Boden zerstört und wahnsinnig vor Wut. Sie gibt zunächst Jessica die Schuld, greift dann aber zur Waffe, um Joey zu erschießen. Sie findet ihn am Pool des Motels (wo Joey inzwischen wieder wohnt), doch zu dessen Glück ist der Revolver nicht geladen und Sally schmeißt die Waffe irritiert in den Pool, um dann zu verschwinden.

Obgleich sehr unterschiedlich haben alle Charaktere in dem Film doch eines gemeinsam: sie befinden sich auf einem absteigenden Ast, was sie teilweise einfach nicht wahrhaben möchten bzw. sie versuchen zwar diesem Abstiegs-Prozeß entgegenzuwirken, bleiben dabei aber erfolglos. Der Film skizziert die Schattenseite des Hollywood-Lifestyles und lebt dabei von vielen unfreiwillig komischen Dialogen (zum Glück strahlt arte den Film im Original mit deutschen Untertiteln aus, bei einer synchronisierten Fassung würde vieles verloren gehen) und einer schauspielerischen Leistung der Akteure, die gerade durch ihre Mittelmäßigkeit originell rüberkommt. Das Script war sehr locker gehalten, was den Schauspielern Raum zu Improvisationen gab. Auch davon lebt "Heat", der schnell zum Kultfilm avancierte.

Mittwoch, März 08, 2006

Rechtes Denunziantentum in den USA

In den USA wurde vor kurzem der High-School-Lehrer Jay Bennish im Bundesstaat Colorado suspendiert, da er im Unterricht Parallelen zwischen George Bush und Adolf Hitler gezogen hatte. Bushs Rede zur Lage der Nation hatte er mit den Worten kommentiert:

"Klingt sehr nach dem, was Adolf Hitler gesagt hat, wir sind die einzigen, die Recht haben, alle anderen sind rückständig und unser Job ist es, die Welt zu erobern." (zitiert nach SPON)

Bush in die Nähe zu Hitler zu rücken ist politisch immer gefährlich, in Deutschland stand Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin nach der Bundestagswahl 2002 nicht mehr für ihr Amt zur Verfügung -- angeblich ein Resultat eines Hitler-Bushs-Vergleichs, den sie während des Wahlkampfs gezogen haben soll.

Auch sonst geraten Politiker schnell unter Druck, wenn sie ihre Abneigung gegenüber Bush allzu deutlich öffentlich zum Ausdruck bringen. Ende 2002 wurde die damalige oberste Regierungssprecherin Kanadas entlassen, weil sie Bush als "Schwachsinnigen" bezeichnet hatte (SPON). Besser erging es dem berühmten Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, der Bush als "die größte Gefahr für das Leben auf dem Planeten" bezeichnete, trotz Kritik blieb diese Äußerung über Bush für ihn ohne politische Konsequenzen. Im September 2005 sagte der baden-württembergische Sozialminister Andreas Renner über Bush (wegen dessen schlechten Hurrikan-Katastrophenmanagements), dieser "gehöre abgeschossen". Renner konnte sich trotz Kritik halten und trat erst 2006 wegen einem anderen Disput zurück.

In den USA endet die Meinungsfreiheit schnell, wenn man gegen das Land, den Präsidenten und die Regierungspolitik wettert. Jay Bennish hatte in seinem Unterricht nicht nur Bush in die Nähe zu Hitler gerückt, sondern sich auch sonst ziemlich unpatriotisch verhalten und z.B. auch die us-amerikanische Kuba-Politik verdammt. Zwar hatte Benish gegenüber den Schülern betont, daß dies seine persönliche Meinung sei, die sie nicht zu teilen bräuchten, aber das half ihm auch nichts mehr, als ein Schüler den Vortrag mitschnitt und dieser dann über seinen Vater an die Medien gelangte.

Wie nicht anders zu erwarten, war dann die über die Medien geschürte öffentliche Empörung groß, die Schulleitung sah sich veranlaßt Bennish vom Dienst zu suspendieren. Auch Solidaritätsbekundungen der Schüler halfen da nichts. Nun will Bennish gegen seine Entlassung klagen, schließlich stünde in den Grundsätzen der Schule, daß im Unterricht pluralistische Meinungsvielfalt herrschen soll (SPON).

Dies erinnert an den erst kürzlich auch in deutschen Presselandschaft diskutierten Fall des republikanischen UCLA-Absolventen Andrew Jones. Dem ist die links-kritische Ausrichtung seiner Universität, der "University of California in Los Angeles" (UCLA), ein Dorn im Auge. Daher hat er kurzerhand die "Bruin Alumni Assocation" ins Leben gerufen. Wie der Name schon suggeriert, eine Alumni-Organisation. Ihr erklärtes Ziel: "anti-amerikanische" und "anti-kapitalische" Einflüße an der Uni zu bekämpfen.

Dazu sollen Studierende "belastende" Äußerungen ihrer Professoren mitschneiden und das dann auf der Website "UCLAProfs" melden. Auf dieser Website werden alle Professoren gelistet, die sich unamerikanischer Umtriebigkeit schuldig gemacht haben. Als Deckmantel für die Verfolgung linksliberaler Professoren dient natürlich der Kampf gegen den Terrorismus, für dessen Erfolg das ganze Land zusammenstehen muß und der in seiner Ausprägung auch nicht kritisiert werden darf. Sieht man sich die Liste mit den "bösen" Professoren etwas genauer an, fällt allerdings auf, daß z.B. bereits eine allzu feministische Position als "very radical" und damit als verdammenswert gilt (Telepolis). Es geht demnach also eben nicht nur um Professoren, die eine kritische Einstellung gegenüber der Bush Politik haben, sondern die ganz generell mit ihrer politischen Position nicht ins Weltbild der Konservativen passen.

Um nun die Studenten der UCLA richtig zum Denunzieren ihrer Profs motivieren zu können, war zunächst geplant, ihnen für jeden Mitschnitt 100 Dollar zu zahlen. Finanziert werden sollte das über Spenden, die die "Bruin Alumni Assocation" auftreibt, was im Januar 2006 immerhin schon 22.000 Dollar waren. Inzwischen mußte Andrew Jones jedoch diesbezüglich einen Rückzieher machen, die Denunziation soll zukünftig freiwillig erfolgen, Geld kriegen die Studenten keines mehr. Auch haben inzwischen drei prominente Mitglieder aus Empörung den Beirat der "Bruin Alumni Association" verlassen, unter ihnen ein ehemaliges US-Kongressmitglied (SPON).

Das Projekt ist kein Einzelfall, bereits 2004 richteten republikanische Collegestudenten an der University of Colorado eine Website für "Beschwerden" über liberale (im us-amerikanischen Sinne) Professoren ein (SPON). Und schon 2002 wurde die Website "Campus Watch" von Daniel Pipes (ein der Bush-Regierung nahestender Nahostexperte und Direktor des Middle East Forums) ins Leben gerufen, um "Universitäten und Dozenten unter Beobachtung zu stellen, die den Islam verharmlosen oder einseitig Anti-Israelisches bzw. Pro-Arabisches vertreten" (Rötzer in Telepolis).

Artikel:

Montag, März 06, 2006

"Good bye, Lenin" auf arte

Heute Abend läuft auf arte um 20:40 Uhr die "FreeTV-Premiere" (bei arte heißt es vermutlich noch "Fernseh-Erstausstrahlung") von Wolfgang Beckers Kultfilm "Good bye, Lenin".

Darin spielt Daniel Brühl den 21-jährigen Alex Kerner, dessen Mutter (Katrin Sass) kurz vor der Wiedervereinigung ins Koma fällt. Nach der Wende wacht sie zwar wieder auf, ist aber stark angeschlagen und darf sich auf keinen Fall aufregen. Daher versucht Alex seiner Mutter das Fortbestehen der DDR vorzugaukeln. Als überzeugte DDR-Befürworterin würde sie ansonsten -- so die Befürchtung -- den Schock nicht überleben, nun auf einmal im Kapitalismus zu leben. Doch mit zunehmender Zeit wird es für Alex immer schwieriger, die Farce aufrecht zu erhalten.

Obwohl es auf den ersten Blick darum geht, die Mutter vor der neuen Realität zu beschützen, dokumentiert der Film auf den zweiten Blick eigentlich Alex' Kraftanstrengung sich von der Vergangenheit zu lösen. Er ist es, der sich von seiner Jugend und der DDR langsam abkoppeln muß. Vesucht er das alte System am Leben zu erhalten, dann nicht nur für seine Mutter, sondern auch für sich selbst.

"Good bye, Lenin" ist dabei insgesamt subtiler und unterhaltsamer als "Sonnenallee" von Leander Haußmann. Die Charaktere sind ausgereifter, das Leben in der DDR wird nicht ganz so klischeehaft verarbeitet. Zudem die DDR bzw. die Wiedervereinigung hier ja auch nur einen äußeren Rahmen für die Handlung vorgeben, eigentlich geht es in "Good bye, Lenin" um die Substanz einer Mutter-Sohn-Beziehung und um das Erwachsenwerden.

Anschließend zeigt arte um 22:35 Uhr mit "Der Schmerz geht, der Film bleibt" die Entstehung von "Good bye, Lenin". Dieser Dokumentarfilm ist allerdings mehr als nur ein einfaches "Making of". Statt der üblichen Selbstbeweihräucherung wie sie für "Making of"s typisch ist, wird hier schonungslos veranschaulicht, was für teilweise weitreichende Probleme es beim Filmen von "Good bye, Lenin" gab. Einen Monat lang regnete es ununterbrochen, die Dreharbeiten wurden einfach nicht fertig, zwischen den Beteiligten gab es starke Spannungen, während der Dreharbeiten gab es zahlreiche Pannen, usw. Das alles wird in Form eines Video-Tagebuchs festgehalten; wirklich sehenswert, weil man als Zuschauer solche Schwierigkeiten ja sonst nicht mitbekommt, man sieht nur den fertigen Film und denkt "Hey, die haben aber einen relativ lockeren Job".

Wer danach immer noch nicht schlafen kann, sollte sich noch "Deleted Scenes" um 23:50 Uhr ansehen. In dieser Dokumentation diskutiert Wolfgang Becker mit dem Kollegen Tom Tykwer ("Lola rennt") über die Schwierigkeit sich nach den Dreharbeiten beim Schnitt von liebgewonnen Szenen wieder zu trennen. Gezeigt werden dabei gelöschte Szenen, die verdeutlichen, daß der Film ursprünglich noch komplexer angelegt war, unter anderem sollte die Beziehung zwischen dem Hauptdarsteller Alex und seiner Freundin stärker fokussiert werden.

Alle drei Teile, der Film, das Making of, sowie die Dokumentation zu den gelöschten Szenen werden auf arte wiederholt. Hier alle Termine im Überblick:

"Good Bye, Lenin", Der Spielfilm von Wolfgang Becker, Sendetermine: 06.03.06 um 20.40 || 13.03.06 um 00.10 || 20.03.06 um 14.55

"Der Schmerz geht, der Film bleibt", Dokumentation von Jan-Ole Gerster, Sendetermine: 06.03.06 um 22.35 || 08.03.06 um 01.35

"Deleted Scenes", Wolfgang Becker und Tom Tykwer über herausgeschnittene Szenen, Sendetermine: 06.03.06 um 23.50 || 13.03.06 um 02.00

Mittwoch, März 01, 2006

Thank God, it's Ash Wednesday!

Gottlob, wir haben Aschermittwoch und damit auch das Ende von Karneval, Fastnacht und Fasching erreicht. Ich vertrete ja seit jeher die These, daß die debile "Witzigkeit" des Deutschen nirgendwo so vollendet in Erscheinung tritt, wie in der Karnevalszeit. Das mag daran liegen, daß ich als Norddeutscher einfach keinen Zugang zu diesem Klamauk finde. In Berlin feiert man nur als Kind Fasching in der Grundschule, ab einem gewissen Alter setzt sich hier aber die Erkenntnis durch, daß es nicht mehr lustig sondern peinlich ist, sich in irgend ein Cowboy- oder Clowns-Kostüm zu zwängen. Im süddeutschen, rhein- und münsterländischen Raum erhält man sich diese infantile Ader dagegen bis ins hohe Alter. Mit teilweise gruseligen Resultaten.

Anders als bei anderen klassisch-deutschen Saufveranstaltungen wie dem Oktoberfest oder den berüchtigten Ballermann-Orgien auf Mallorca kommt im Karneval noch eine weitere häßliche Komponente hinzu: der breitengesellschaftlich verordnete Frohsinn. Dieser ist nicht situativ, ensteht nicht spontan aus einer Stimmung heraus; viel mehr steht schon von Anfang an fest, in was für eine Stimmung man sich zu begeben hat. Dadurch bekommt der "Frohsinn" eine aufgesetzt wirkende, berechenbare Dimension.

Nun scheiden sich am Geschmack wie am Humor bekanntlich die Geister. Aber mal ehrlich, habt ihr nicht auch schon mal in so eine Karnevalssitzung reingezappt wo ein Kalauer nach dem anderen präsentiert wird, und dabei gedacht: "Jesses, wie beschränkt muß man eigentlich sein, um das jetzt komisch zu finden?". Nicht das flache Niveau als solches ist schaurig, sondern eher daß es offenbar einem nicht unerheblichen Anteil der deutschen Bevölkerung zu munden scheint. Und durch den erhöhten Alkoholpegel allein, ist das meiner Meinung nach nicht zu erklären.

Ich stelle mir dann immer vor, wie das wohl auf jemanden wirken muß, der nicht in diesem Land geboren wurde. Es finden sich vermutlich auch im Ausland vergleichbar peinliche Rituale, doch die mitteleuropäische Karnevalskultur befindet sich zweifellos ganz weit oben auf der internationalen Peinlichkeits-Skala.

Dabei zeigt ja gerade ein Blick ins Ausland, daß man Karneval auch anders -- weniger borniert und tumb -- feiern kann. Während in Rio Sambaschulen ihre kunstvoll geschmückten, austrainierten, sinnlich anmutenden Tänzerinnen durch die Stadt ziehen lassen (SPON, SPON und SPON) sieht man in Deutschland lallende Jecken (SPON), bekommt der Karneval so eine Betriebsfeier-Atmosphäre, in der der angeheiterte, bierbäuchig-halbglatzige Abteilungsleiter die Gunst der Stunde nutzt, um die sturzbesoffene, zellulitis-schenkelige Vorzimmerdame zu befummeln. Okay, das war jetzt vielleicht etwas klischeehaft, aber die ästhetische Rückständigkeit der Deutschen bei der Inszenierung des Karnevals im direkten Vergleich mit den Brasilianern, wird wohl kaum jemand bestreiten wollen.

Insgesamt haben wir in Deutschland eine nicht schön anzusehende, vereinsmeierische, infantile, in einem platten Humor verhaftete Karnevalskultur, die dann auf zivilisiertere Mitmenschen doch sehr peinlich wirken muß.