Freitag, März 24, 2006

Champagne Pour l’Elite, Cacahuètes Pour Etudiants

Die Vorgeschichte

Ende 2005 kam es in den französischen Banlieues, den Vorstädten mit sozialen Brennpunkten, zu schweren Unruhen. Fast einen Monat dauerte es, bis sich die Lage wieder beruhigte. In diesem Zeitraum gingen unter anderem mehr als 9.000 Autos in Flammen auf. Zwar werden in den französischen Vorstädten immer wieder Autos angezündet, so daß dies dort schon als "normal" gilt, aber dieses Ausmaß war dann doch neu. Neben den Autos wurden zudem auch Gebäude angesteckt oder verwüstet.

Vor diesem Hintegrund hat die französische Regierung unter Dominique de Villepin Anfang dieses Jahres das "Gesetz zur Chancengleichheit" ("Pour l'égalité des chances") auf den Weg gebracht, welches Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirken soll. Etwa durch die Einführung eines "anonymen Lebenslaufs", damit Bewerber um eine Stelle nicht wie bisher schon aufgrund ihres maghrebinisch oder arabisch klingenden Namens oder aufgrund ihres Wohnorts aussortiert werden. Daß jemand allein deswegen nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen wird, weil er die "falsche Adresse" oder den "falschen Namen" hat, war in Frankreich bis dato normal und soll sich jetzt ändern (Freitag).

Der ungeliebte Ersteinstellungs-Vertrag

Teil dieses neuen Gesetzes ist aber auch der stark umstrittene "Contrat Première Embauche" (CPE), der "Vertrag zur Ersteinstellung". Er "ist anwendbar auf Jugendliche unter 26 Jahren in Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern. Während der ersten 2 Jahre des Arbeitsverhältnisses darf der Angestellte ohne Begründung und ohne Vorwarnung entlassen werden" (Wikipedia). Man hofft durch diese Abschaffung des Kündigungsschutzes (für die ersten zwei Jahre) die in Frankreich hohe Jugendarbeitslosigkeit senken zu können.

Ob das aber wirklich so funktionieren kann, ist unter Ökonomen stark umstritten. Die Gefahr besteht natürlich, daß der Arbeitgeber nach Ablauf der zwei Jahre den Jugendlichen einfach durch einen anderen ersetzen, anstatt den alten Vertrag zu verlängern, denn das würde dann Kündigungsschutz bedeuten. Statt zu einer tatsächlichen Mehrbeschäftigung führt dieses Konzept also in erster Linie zu einer höheren Fluktuation -- so einer der Kritikpunkte. Man bekommt vielleicht Arbeit, aber eben nur für den Zeitraum von zwei Jahren. Und selbst dieser zweifelhafte "Fortschritt" ist ja nicht gewährleistet.

Der CPE als Beispiel für Prekarisierung

Diesen sozioökonomischen Prozeß der Zunahme von Arbeitsverhältnissen mit befristeten Verträgen, niedrigem Lohn und mangelndem Kündigungsschutz fast man unter dem Begriff "Prekarisierung" zusammen:

"Prekarisierung oder seltener Prekarität (von prekär lat.-fr.; durch Bitten erlangt; widerruflich, schwierig) bezeichnet die Zunahme von Arbeitplätzen mit geringer Arbeitsplatzsicherheit, niedrigem Lohn, Teilzeitbeschäftigung, befristeten Verträgen und mangelndem Kündigungsschutz, d.h. den Prozess der Zunahme prekärer Arbeitsbeziehungen in der Erwerbsarbeit. Prekäre Arbeitsbeziehungen sind ökonomisch und historisch in Abgrenzung zum Normalarbeitsverhältnis bestimmt. Die immer stärker wachsenden Gruppe von Arbeitnehmern in prekären Arbeitsbeziehungen wird inzwischen häufig auch als Prekariat bezeichnet." (Wikipedia)

Und eben gegen diesen Prozeß der Zunahme von prekären Arbeitsbeziehungen, welcher in Frankreich durch den "Contrat Première Embauche" (CPE) deutlich verstärkt würde, wenden sich die französischen Studenten. Das Akronym "CPE" steht für sie für "Champagne Pour l’Elite" (Champagner für die Elite) und "Cacahuètes Pour Etudiants" (Erdnüßchen für Studenten) (Jungle World). Ein dezenter Verweis darauf, daß eine solche Demontage des Kündigungsschutzes eher den Unternehmern dient, als den jungen Uni-Absolventen oder den ausbildungslosen Jugendlichen in den Banlieues.

Was alle Protestierenden aber besonders erzürnt ist die Tatsache, daß Premierminister de Villepin es nicht mal für nötig hielt, den Gesetzesentwurf mit jenen zu diskutieren, die er unmittelbar betrifft. Es gab weder in der Öffentlichkeit noch im Parlament eine Auseinandersetzung, die der Einführung des Vertrages vorausgegangen wäre. De Villepin hat sein Vorhaben mit seiner Mehrheit im Eilverfahren durchs Parlament gepeitscht. Offenbar hielt er einen Diskurs für überflüssig bzw. wollte sich ihm nicht aussetzen.

Mittelose Vorstadt-Jugend vs. bürgerliche Metropolen-Studentenschaft?

Nachdem der Protest zunächst von Studenten getragen wurde, hat er sich inzwischen auf weitere Gruppen ausgedehnt, besonders die diverse Gewerkschaften beteiligen sich und üben starken Druck auf die französische Regierung aus. Für den kommenden Dienstag (28.03.) wurde sogar ein Generalstreik angekündigt. Immer wieder münden die friedlichen Demonstrationen in Krawalle und handfesten Auseinandersetzungen mit der Polizei. Treibende Kräfte sind hier aber offenbar weder Studenten noch Gewerkschaftler, sondern Jugendliche die die Eskalation suchen. Inzwischen wurde sogar gemeldet, daß jugendliche Kriminelle dabei auch Studenten Kleidungsstücke und Mobiltelefone abnehmen (SPON). Spätestens hier sollte klar werden, daß diese jugendlichen Randalierer nicht viel mit den restlichen Demonstranten gemein haben, ihnen geht es offbar wirklich nur darum Frust abzulassen.

Ob die arbeitslosen Jugendlichen wirklich dasgleiche Interesse an einer Rücknahme des CPE haben wie die Studenten ist indessen umstritten. Einige Beobachter sehen den Skandal gerade darin, daß die Regierung versucht die arbeitslose Jugend aus den Banlieues gegen die bürgerliche Mittelschicht auszuspielen:

"Die Ökonomen stehen Schlange, um zu erklären, dass dieser Anstellungsvertrag auf Gnade bestenfalls nichts am Arbeitsmarkt ausrichtet. Es sind die Jugendlichen in der Banlieue, die erklären, dass ihnen schon alles egal ist, auch eine zweijährige Probezeit, wenn sie nur irgendeinen Job erhielten. Es sind die Schüler und Studenten, die 'weißen' Franzosen, die zusammen mit ihren Eltern auf die Straßen gehen, um gegen eine Regierung zu protestieren, die ihnen eine Zukunft zum Dumpingpreis verkaufen will. Das aber ist die wahre Infamie, die im Arbeitsgesetz des Dominique de Villepin steckt: die mittellose Jugend der Vorstädte gegen die bürgerliche der Metropolen auszuspielen." (Freitag)

Während also der frische Uni-Absolvent dagegen ankämpft in ein prekäres Arbeitsverhältnis abgedrängt zu werden, ist der arbeitslose Jugendliche in der Vorstadt schon so verzweifelt, daß er auch mit zwei Jahren ohne Kündigungsschutz zufrieden wäre, wenn er denn überhaupt nur Arbeit bekommt. Ob die Maßnahme aber tatsächlich dazu führt, daß mehr Ghetto-Kids einen Job bekommen, ist zweifelhaft. Zumindest gibt es andere, wichtigere Faktoren als den Kündigungsschutz die Arbeitgeber davon abhalten, mehr Leute einzustellen.

Davon mal abgesehen kann die Trennung auch nicht so klar vorgenommen werden, denn die arbeitslosen Jugendlichen rotten sich ja keineswegs zu einer Gegendemonstration zusammen, um für den CPE zu protestieren. Sie verstehen sich ebenso wie Arbeiter und Studenten in Opposition zu den Plänen der Regierung. Nur wie oben ausgeführt gibt es trotzdem auch immer wieder Zusammenstöße zwischen Studenten und kriminellen Jugendlichen, letztere sind oft nur auf Krawall aus und ihre Solidarität mit den anderen Demonstranten hält sich in Grenzen.

De Villepin in der Sackgasse

De Villepins Rechnung ging nicht auf und jetzt steckt er in der Klemme. Würde er tatsächlich dem Druck der Straße nachgeben und den CPE wie gefordert zurückziehen, wäre das eine schwere politische Niederlage für ihn. Eine Niederlage, auf die Innenminister Nicolas Sarkozy nur wartet, denn er ist de Villepins stärkster Konkurrent um die Nachfolge von Staatspräsident Chirac. Andererseits kann de Villepin die Krise aber anscheinend auch nicht einfach aussitzen, denn die Proteste scheinen auch nach mehreren Wochen noch nicht abzuflauen.

Daher hat er sich nun erstmals zu Gesprächen mit den Gegnern des CPE bereit erklärt (SPON). Während die Gewerkschaften signalisiert haben diesem Angebot offen gegenüberzustehen, sind die Studenten strikt dagegen, da sie natürlich wissen, daß de Villepin nicht ernsthaft daran denkt den CPE vom Tisch zu nehmen. Dies wäre aber aus ihrer Sicht Voraussetzung bevor überhaupt irgendwelche Gespräche stattfinden können (SPON). Die Studenten wollen also daß der CPE zunächst ausgesetzt wird, bevor sein Für und Wider diskutiert wird. Wohl nicht ganz zu unrecht vermuten sie, daß alles andere nur der Versuch von de Villepin ist, Zeit zu schinden.

Die Protestierenden stoßen nicht nur auf Verständnis

Umfragen zu folge sprechen sich zur Zeit gut 68% der Franzosen gegen den CPE aus, es gibt also eine eindeutige Mehrheit gegen den Vertrag (Wikipedia). Dennoch stößt die Protestbewegung im Land natürlich nicht nur auf Gegenliebe.

Im Fernsehen waren z.B. handfeste Auseinandersetzungen zwischen Studenten zu sehen. Hier ging es besonders um die Besetzung der Unis (landesweit wurde die Mehrheit der Unis bestreikt) durch Protestierende. Außenstehende irritiert es häufig, wenn Studenten ihre eigene Uni bestreiken, denn anders als z.B. bei einem Betrieb gibt es ja hier keine Partei, die man mit so einem Streik unter Druck setzen kann.

Der studentische Streik soll in erster Linie "entlastend" auf zögerliche Kommilitonen wirken. Viele Studenten würden sich zwar gerne am Streik beteiligen, fürchten aber die Probleme die auf sie zukommen wenn sie in der Uni fehlen (heute herrscht in den meisten Unis genau wie in der Schule Anwesenheitspflicht) bzw. Stoff verpassen und hinter den Anwesenden inhaltlich zurückbleiben. Daher wird die Uni besetzt, damit keine Lehrveranstaltungen stattfinden können und die Studenten sich an der Protestbewegung beteiligen können. Zum zweiten muß studentischer Protest auch koordiniert werden, es gibt zudem Workshops, Ideenaustausch, etc. Der Streik dient auch dazu, dafür entsprechende Räumlichkeiten frei zu schaffen. Drittens wird der Besetzung der Uni auch eine symbolische Bedeutung zugeschrieben.

Natürlich kann nicht irgend eine studentische Gruppe auf gut dünken die Bestreikung der Uni festlegen, darüber wird in einer studentischen Vollversammlung basisdemokratisch abgestimmt. Trotzdem gibt es immer Streik-Gegner, die lieber regulär ihre Lehrveranstaltung besuchen möchten und die Legitimität des Votums in Frage stellen. In Frankreich hat das dazu geführt, daß Streikbrecher teilweise die Streikposten vermöbelt haben und dann ihrerseits die Räumlichkeiten besetzten, um die Lehrveranstaltungen stattfinden zu lassen.

Daneben werden die französischen Studenten auch immer wieder von Rechtsextremisten attackiert. An der Pariser Sorbonne wurden Studierende von Neonazis als "Parasiten" bezeichnet und dann körperlich angegriffen, an der konservativen Uni-Toulouse wurden rechtsextreme Studenten die ihre protestierenden Kommilitonen attackierten sogar von einigen Professoren begrüßt oder ermutigt (Telepolis). Die Angriffe waren so massiv, daß die Besetzenden abziehen mußten, tagsdarauf schloß die Universitätsleitung die Uni dann aber von sich aus (wie es auch in vielen anderen Städten der Fall war).

Insgesamt befinden sich die Protest-Gegner sowohl in der Studentenschaft als auch in der Gesamt-Bevölkerung allerdings in der Minderheit, obgleich eine Mehrheit natürlich die Krawalle am Rande der Demos verurteilt.

Warum passiert so etwas in Deutschland nicht?

Auch SPD und CDU haben sich eine Lockerung des Kündigungsschutzes in ihren Koaltionsvertrag geschrieben, die angeblich weit über das Projekt von de Villepins hinaus geht (taz). Die Frage ist, warum sich dann hier dagegen kein Protest regt. Vielleicht kommt der noch, doch selbst wenn, würden die Gewerkschaften in Deutschland vermutlich nie soweit gehen wie in Frankreich, wo sogar ein Generalstreik in Aussicht gestellt wurde. Für Christian Semler von der taz ist das jedenfalls der zentrale Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich. Er vergleicht den letzten großen Studenten-Streik in Berlin 2003 mit dem aktuellen in Frankreich und kommt zu dem Ergebnis:

"In beiden Fällen vertraten die Protestierenden Schichteninteressen, versuchten aber auch, ein gemeinsames Band mit den abhängig Beschäftigten und den Arbeitslosen zu knüpfen. Nur: Während in Frankreich die Gewerkschaften die studentischen Proteste unterstützen, kann in Deutschland davon keine Rede sein. Das erhellt ein Beispiel schlaglichtartig: Bei der Großdemonstration vom 13.12.2003 in Berlin waren so gut wie keine Gewerkschafter anwesend, obwohl sie doch als gemeinsame Aktion mit den Studierenden konzipiert war." (taz)

Das ist natürlich eine sehr einseitige Darstellung. Tatsächliche streben Studenten formal immer danach, ihren Protest auch in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einzuordnen. Ihre Probleme wollen sie nicht isoliert betrachten, denn sie überschneiden sich oft mit den Problemen von Hartz-IV-Empfängern, abhängigen Beschäftigten, Schülern, Migranten, usw. und haben teilweise dieselbe Ursache. Klar träumen also auch protestierende Studierende in Deutschland den Traum von einem gesamtgesellschaftlichen Widerstand gegen falsche Reformen, der dann auch endlich etwas bewegen würde. Nur, daß der nicht zu stande kommt, liegt eben nicht nur an den Gewerkschaften, sondern z.B. auch den Studenten, die nicht glaubhaft genug herausstellen, daß sie mehr als ihre eigenen Schichteninteressen vertreten. Oft ist die Solidarität mit anderen Bevölkerungsteilen nur ein Lippenbekenntnis, das irgendwo in einem Forderungskatalog auftaucht, aber in der Realität des Protests-Alltags wenig bis gar nicht auftaucht.

Im Telepolis-Forum witzelte ein Leser, die deutschen Studierenden würden sich von einem Reglement wie es der CPE in Frankreich vorsieht schon deshalb nicht tangiert fühlen, weil sie i.d.R. älter als 26 sind, wenn sie aus der Uni kommen (der CPE gilt nur für Personen bis 26). So kann man das natürlich auch sehen, allerdings würden sich wohl auch die meisten Studenten in Deutschland generell gegen ein solches Projekt, das zur Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse führt, aussprechen. Daß der Protest solche Dimensionen wie momentan in Frankreich annehmen würde, ist aber sehr unwahrscheinlich -- unabhängig davon, was die Gewerkschaften machen.

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