Freitag, Dezember 22, 2006

Alternatives Weihnachts-Fernsehprogramm für Cineasten

Endlich geschafft, die Verwandtschaft wurde mit der Weihnachtsgans erfolgreich abgefüllt und die lieben Kleinen sind seelig mit ihren neuen Spielsachen im Arm eingeschlafen -- ein guter Zeitpunkt den Abend mit ein wenig Fernsehunterhaltung ausklingen zu lassen.

Doch oh Graus, wieder nur lauter Wiederholungen sattsam bekanter Action- und Comedy-Steifen (wer will denn wirklich zum tausendsten Mal Bruce Willis in "Stirb langsam" sehen?) und wenn dann doch mal eine "FreeTV Premiere" dabei ist, dann reißt sie einen i.d.R. nicht unbedingt vom Hocker. Die Lösung des Problems: Der Konsum von vielleicht weniger bekannten und neuen, aber dafür um so besseren Klassikern der Filmgeschichte. Hier eine kleine Empfehlungsliste für die Weihnachtsfeiertage:

24.12.

22:15 Uhr, "Loriot: Weihnachten bei Hoppenstedts", ARD
Inzwischen ist die Ausstrahlung dieser legendären Loriot-Folge am Heiligabend genauso zur Tradition geworden, wie "Dinner for One" am Silvesterabend. Ein absolutes Muß ;).

23:15 Uhr, "Weites Land (The Big Country)", 3sat
Da es unter dem Titel "Weites Land" gleich mehrere Filme in Deutschland gibt, muß festgehalten, daß es hier um "The Big Country" geht, einem Western-Klassiker aus dem Jahr 1958 mit Gregory Peck und Jean Simmons in den Hauptrollen. Ganz western-untypisch geht es inhaltlich um Konfliktlösungen ohne Gewalt -- doch keine Sorge, dies bedeutet nicht, daß es diesem epischen Streifen an Action mangelt.

23:25 Uhr, "EDtv", VOX
Eine bitterböse Mediensatire mit Woody Harrelson in einer Nebenrolle. Der Film ist eine unterhaltsame Abrechnung mit dem "Reality TV" und weist starke Ähnlichkeiten zur "Truman Show" auf, wobei Ed (Matthew McConaughey), der Hauptdarsteller in "EDtv", im Unterschied zu Truman immerhin weiß, daß er Bestandteil einer Reality Show ist.

00:00 Uhr, "God's Army -- Die letzte Schlacht", rtl2
Inzwischen ein echter Klassiker: Christopher Walken mimt den gefallenen Erzengel Gabriel auf einem gnadenlosen Rachefeldzug gegen Gott und die Menschheit. Der Plot ist mit Priesteranwärtern, Erinnerungen aus dem Koreakrieg und einem Showdown in einem Indianerreservat reichlich bizarr. Allein schon wegen Walkens Rolle als Gabriel, die ihm wie auf den Leib geschrieben zu sein scheint, dennoch ein wirklich sehenswerter Kult-Streifen.

00:20 Uhr, "Der Texaner (The Outlaw Josey Wales)", kabel1
Vermutlich einer der besten Western mit Clint Eastwood überhaupt. Eastwood spielt hier den knallharten und vereinsamten Ex-Soldaten Josey Wales, der im Bürgerkrieg auf Seiten der Südstaaten kämpfte und nach der Kapitulation einfach weitermacht, weil die Nordstaaten anders als zugesichert seine Kameraden niedergemacht haben und er außerdem im Krieg seine Familie verloren hat, folglich nichts mehr im Zivilleben hat, zu dem er zurückkehren könnte. Dies ändert sich erst auf seiner Flucht, bei der er nach und nach neue Freunde hinzugewinnt. Eastwood, der auch Regie führte, zeichnet ein düsteres Bild der Zustände in den USA unmittelbar nach dem Bürgerkrieg.

00:30 Uhr, "23 -- Nichts ist so wie es scheint", arte
Nach einer wahren Begebenheiten schildert der Film das Leben des deutschen Hackers Karl Koch (in absoluter Bestform: August Diehl), der in den 1980er in den ersten spektakulären Fall von Hacking in der BRD verwickelt war. Geprägt durch Verschwörungstheorien ("Illuminaten", "23", etc.) hackt er im Glauben an die Informationsfreiheit zusammen mit seinem Kumpel westliche Systeme und verkauft die Daten anschließend an den KGB. Dabei verfällt er zunehmend dem Kokain und seinen Wahnvorstellungen, kommt schließlich unter mysteriösen Umständen ums Leben. Inwieweit die Story wirklich am echten Leben von Koch dran ist, ist stark umstritten, der Film gibt aber sicherlich das "Lebensgefühl" der Hacking-Szene in den 80er Jahren glaubhaft wieder.

25.12.

14:00 Uhr, "Krieg und Frieden (War and Peace)", arte
Diese erste Verfilmung des gleichnamigen Romanklassikers von Leo Tolstoi durch King Vidor aus dem Jahr 1956 gilt zwar als nicht ganz so gut wie die zweite von Serhij Bondartschuk aus dem Jahr 1968, ist aber immer noch sehenswert. Zudem dauert sie "nur" 208 Minuten, während es die neuere auf schlappe 390 Minuten bringt. Die ausführliche Skizzierung der russischen Gesellschaft zur Zeit der napoleonischen Kriege ist sicherlich nichts jedermanns Sache, historisch aber sehr aufschlußreich.

22:45 Uhr, "Whale Rider", Bayern
Der Film handelt von dem 12jährigen Maori-Mädchen Pai(kea) in Neuseeland, das sich in einem harten Widerstreit mit ihrem Großvater über die Traditionen ihres Volkes hinwegsetzt. Eigentlich sollte ihr Zwillingsbruder die stets männliche Erbfolge des Stammes sichern, doch nachdem dieser bei der Geburt verstorben ist, macht sich Pai daran das erste weibliche Oberhaupt zu werden. Sehr zum Unwillen ihres Großvaters bei dem sie aufwächst und der versucht unter den Jungen des Dorfes ein neues Oberhaupt auszuwählen.

22:55 Uhr, "Léon der Profi -- Director's Cut", Pro7
Okay, ich schätze zu diesem Meisterwerk des französischen Regisseurs Luc Besson muß ich nicht mehr viel sagen, der Film sollte bekannt sein. Jean Reno spielt -- in der Rolle seines Lebens -- den emotionslosen Profikiller "Léon" der sich durch eine Verquickung unglücklicher Umstände mit der 12jährigen Mathilda (Natalie Portman) anfreundet und dabei in ein mörderisches Duell mit dem korrupten und psychopathisch-veranlagten DEA-Agenten Norman Stansfield (Garry Oldman) gerät.

00:10 Uhr, "The Golden Bowl", VOX
In dieser Verfilmung der gleichnamigen Novelle von Henry James geht es um eine Vierecks-Geschichte am Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen einer alten italienischen Aristokratendynastie und einer us-amerikanischen Industriemagnatenfamilie. Der verarmte italienische Fürst Amerigo (Jeremy Northam) liebt die ebenso mittelose Charlotte Stant (Uma Thurman), heiratet jedoch Maggie Verver (Kate Beckinsale), die Tochter des Industriemagnaten Adam Verver (Nick Nolte). Besagter Adam Verver heiratet durch einen Zufall dann jedoch Charlotte Stant, weshalb diese wieder mit Fürst Amerigo zusammenfindet, was sich dessen Frau Maggie jedoch nicht gefallen lassen will und um ihre Ehe kämpft. Eine brillant gespielte Beziehungsgeschichte, die VOX hier als deutsche FreeTV-Premiere zeigt.

00:15 Uhr, "Eine wahre Geschichte (The Straight Story)", ZDF
Starregisseur David Lynch erzählt die wahre Geschichte des 73jährigen Rentners Alvin Straight (Richard Farnsworth), der auf einem Rasenmäher zwei Bundesstaaten durchquert, um seinen Bruder Lyle zu besuchen, der einen Schlaganfall erlitten hat. Ein Roadmovie der ganz anderen Art, anrührend, langsam erzählt und ganz untypisch für Lynch sehr linear und schnörkellos inszeniert. Georg Seeßlen schreibt: "Jede Einstellung eine perfekte Komposition, jeder Übergang ein genau tariertes Wechselspiel, jedes Dialog-Stück ein poetisches Mini-Drama voller Anspielungen (ebenso auf religiöse und historische Motive wie auf Lynchs eigene Filme), Namen- und Wortspiele, komische Verknüpfungen (eine Idee, die in einer Dialogszene geäußert wurde, taucht in einer anderen unvermutet wieder auf)."

01:30 Uhr, "Citizen Kane", 3sat
Orson Welles' "Citizen Kane" aus dem Jahr 1941 gilt als einer der besten Filme der Filmgeschichte überhaupt. In Rückblenden wird die Lebensgeschichte des Medienmoguls Charles Foster Kane erzählt, dessen Figur stark an den us-amerikanischen Verleger und Medienzar William Randolph Hearst angelehnt ist. Hearst hatte alles daran gesetzt den Film zu torpedieren, da er sich zurecht in der Figur des Kane wiedererkannte -- was ihm nicht sonderlich gefiel. Denn Kane wird "als ein Mensch porträtiert, der im Laufe seines Lebens alle Ideale verrät und als machtversessener, kaltherziger Mann endet" (Wikipedia). Filmhistorisch kommt "Citizen Kane" eine besondere Bedeutung zu, da zahlreiche für die damalige Zeit revolutionäre Kamera-, Licht-, Schnitt- und Erzähl-Techniken zum Einsatz gebracht werden.

26.12.

20:15 Uhr, "Vertigo -- Aus dem Reich der Toten", VOX
Ein Klassiker von Alfred Hitchcock nach einer Romanvorlage von Pierre Boileau und Thomas Narcejac. Der unter Höhenangst leidende Polizist Scottie (James Stewart) quittiert den Dienst und soll für einen Freund auf dessen Selbstmord gefährdete Frau Madeleine (Kim Novak) aufpassen, kann deren Sprung in den Tod wegen seiner Höhenangst aber nicht verhindern. Jahre später lernt er Judy kennen, die Madeleine zum Verwechseln ähnlich sieht und wie sich herausstellt dann auch tatsächlich Madeleine ist. Scottie kommt einem Komplott auf die Spur... -- Vertigo gilt als einer der besten Hitchcock-Filme, war über Jahrzehnte nicht verfügbar und wird jetzt mit neuer (und umstrittener) Synchronisation frisch ausgestrahlt.

21:00 Uhr, "Doktor Schiwago (Doctor Zhivago)", arte
Ein weiterer Filmklassiker nach dem gleichnamigen Roman von Boris Pasterna. Während der Russischen Revolution spielend erzählt der Film die Geschichte des Dr. Yuri Zhivago (Omar Sharif), der zwischen zwei Liebesbeziehungen hin und hergerissen ist. "David Leans äußerst publikumswirksame Inszenierung schwelgt in monumentalen Stimmungsbildern und beeindruckt durch ihren langen Atem in der Abfolge lyrischer und dramatischer Momente." (Lexikon des internationalen Films, zitiert nach Wikipedia)

22:20 Uhr, "Scarface -- Toni das Narbengesicht", Das Vierte
In diesem 1983er Remake des gleichnamigen Klassikers von 1932 spielt Al Pacino den aus Kuba stammenden Kriminellen Toni Montana, der als Laufbursche eines einflußreichen Gangsterbosses in Miami zum Paten des Kokainhandels in den USA aufsteigt. Wegen seiner für damalige Verhältnisse noch exzessiven Gewaltszenen indiziert entwickelte sich der Streifen insbesondere in der HipHop-Kultur zum Kultstreifen (kein "Gangsta Rapper", der bei MTV Cribs nicht auf "Scarface" in seiner DVD-Sammlung verweist). Hauptvorwurf an den Film ist heute, daß er wie kein zweiter das Gangstertum glorifiziert, obwohl Regisseur Brian De Palma eigentlich veranschaulicht, wie Toni am eigenen Größenwahn und seiner Paranoia zu grunde geht.

23:30 Uhr, "Das Mädchen mit dem Perlenohrring (Girl with a Pearl Earring)", ZDF
Vermutlich das "weihnachtliche Highlight" was die diesjährigen FreeTV-Premieren im Fernsehen angeht, schade daß dieses Meisterstück vom ZDF soweit ins Spätprogramm verbannt wurde. Der Film von Peter Webber nach dem gleichnamigen Roman von Tracy Chevalier spielt im 17. Jahrhundert. Der berühmte Maler Jan Vermeer stellt die 16jährige Griet als Hausmädchen ein. Hochintelligent lernt sie von Vermeer den Umgang mit Farben und alles Wissenswerte über die Malerei. Schließlich sitzt sie ihm für ein Portrait Modell, was jedoch zu Konflikten "mit Vermeers Ehefrau, deren Tochter, der Schwiegermutter und der Magd" (Wikipedia) führt.

00:30 Uhr, "Das Mädchen Irma la Douce", WDR
Billy Wilder inszeniert hier 1963 eine auf einem Musical basierende Komödie mit dem damals noch recht jungen Jack Lemmon als übermotivierten Polizisten Nestor Patou. Nachdem eine von Patour veranlaßte Razzia in einem Bordell unangenehme Komplikationen mit sich bringt, fliegt er bei der Polizei raus und trifft beim Frustsaufen auf die Protituierte Irma La Douce (Shirley MacLaine) in die er sich verliebt und für die er nun den Zuhälter mimt -- ohne es natürlich zu sein. Er arbeitet nachts um ihr so viel Geld geben zu können, daß sie nicht mehr anschaffen gehen muß. "Bemerkenswerter Unterhaltungsfilm mit vielen Gags und einigen anrührenden Tiefen" (Lexikon des internationalen Films, zitiert nach Wikipedia).

01:30 Uhr, "Dem Himmel so fern (Far from Heaven)", RBB
Die Eheleute Cathy (Julianne Moore) und Frank Whitaker (Dennis Quaid) führen ein scheinbar perfektes, bürgerliches Leben in einer Vorstadt der 50er Jahre in den USA. Doch hinter der Fassade bröckelt es, Frank ist homosexuell und versucht vergeblich sich wegen dieser "Krankheit" behandeln zu lassen, während Cathy sich in den jungen Schwarzen Raymond Deagan (Dennis Haysbert) verliebt und damit in ihrer Umwelt zunehmend auf Ablehnung stößt. Regisseur Todd Haynes inszeniert in "Dem Himmel so fern" eindrucksvoll die Themen "Rassismus" und "Homosexualität" im Kontext der prüden und reaktionären 50er Jahre.

Donnerstag, Dezember 21, 2006

Mittwoch, Dezember 20, 2006

Lookism und Antilookism

In Berlin gibt es eine bis dato noch eher kleine, neue politische Bewegung die sich gegen den sogenannten "Lookism" richtet. Wikipedia definiert den Begriff wie folgt:

"Der Begriff Lookism wird in jüngster Zeit benutzt für die systematische Diskriminierung von Menschen, die nicht den vorherrschenden Schönheitsnormen entsprechen." (Wikipedia)

Während der Terminus in den USA schon bekannter ist, sagt er hierzulande nur sehr wenigen Eingeweihten etwas. Eine Gruppe von Aktivisten will dies nun ändern und bietet auf der Website lookism.info zahlreiche Informationen zum Thema. In der Jungle World, die sich mit zwei Aktivistinnen der Gruppe unterhalten hat, heißt es deutlicher hinsichtlich der Definition:

"Dabei umfasst der Begriff nicht nur Schönheits­normen, die den Körper betreffen, sondern auch die so genannte Körpergestaltung und die Kleidung. Aber sind Schminke und Kleidung nicht vor allem eine Privatsache? 'Wir denken, dass die Aussage, das Private sei politisch, mehr ist als ein veralteter feministischer Slogan. Wir wollen Macht­verhältnisse und Interdependenzen anhand des Diskurses über die Schönheitsnorm aufdecken, die ja mit nicht weniger bedeutsamen Normen verschränkt sind, z.B. mit den Bereichen Gender und Race', sagt die Gruppe in einer Stellungnahme. Ganz pragmatisch sehen es die beiden Frauen: 'Wenn jemand sich schminken will, soll er das tun. Wenn sich jemand schick anziehen möchte, soll er das tun. Aber das soll eben für alle gelten. Niemand sollte für die Wahl, die er für sein Äu­ßeres trifft, angemacht oder diskriminiert werden.'" (Jungle World, 13.12.06)

Auf der Website der Gruppe wird aber noch mehr Verwirrung gestiftet, da auch noch Begriffe wie "Ableism" (Diskriminierung von Behinderten), "Ageism" (Diskriminierung auf Basis des Alters), "Heightism" (Diskriminierung auf Basis der Körpergröße) fallen, die dann mit den schon eher bekannten Begriffen "Rassismus" und "Sexismus" in eine Reihe gestellt werden.

Und hier beginnt dann auch schon die Kritik an der Bewegung: Führen diese unter Umständen doch recht konstruierten Diskriminierungsformen nicht dazu, daß sich in letzter Konsequenz fast jeder als Opfer fühlen kann, weil fast jeder sich bei Bedarf einer der zahlreichen Gruppen von Diskriminierten zurechnen kann? Welche Auswirkungen hätte das auf "echte" Opfer? Die Aktivisten bestreiten neue Opfergruppe zu konstruieren:

"Es fällt dennoch schwer, den Zusammenhang zwischen Angriffen auf dunkelhäutige Menschen, Gewalt an Frauen und Witzeleien über große Füße herzustellen. So wolle man die Feststellung auch nicht verstanden wissen, sagt die Frau aus dem 'Projekt L': 'Uns geht es nicht darum, Lookism auf eine Stufe mit Sexismus oder Rassismus zu stellen. Dennoch würde ich nicht behaupten, dass individuelle Leiderfahrungen aufgrund von Lookism weniger schlimm sind als z.B. sexistische Diskriminierungen. Magersucht hat zwar viele Gründe, die vor allem in den Erlebnissen in der Kindheit zu suchen sind. Wenn man Magersucht aber als Resultat von Lookism betrachten will, könnte man ebenfalls sagen: Es kann tödlich enden.

... Dass Lookism eine recht beliebige Angelegenheit sei und jedem und jeder die Möglichkeit gebe, sich als Opfer einer Diskriminierung zu füh­len, bestreiten die beiden Antilookistinnen: 'Wir wollen sicherlich keine neuen Opfer schaffen. Wir wollen die Leute anregen, darüber nachzuden­ken, in welchen Situationen man selbst andere Menschen wegen ihres Äußeren diskriminiert. Insgesamt gesehen ist Lookism aber selbstverständlich ein sehr weitläufiger Komplex.'" (Jungle World, 13.12.06)

Um die Problematik stärker in die Öffentlichkeit zu tragen hat das "Projekt L" unter anderem die sogenannte "Fight-Lookism-Kampagne" ins Leben gerufen. Dabei wird Disneys klassisches Schneewittchen-Motiv wahlweise mit einer Kalashnikov, tätowiert, dick oder mit Bart als Streetart in Form von Aufklebern und als Pochoirs (Schablonen-Grafitti) mit der Bildunterschrift "Wer ist die Schönste im ganzen Land?" im öffentlichen Raum platziert.


Pochoir zur Fight-Lookism-Kampagne in Berlin. Quelle: Indymedia, Creative Commons Lizenz.

In seinem Bestseller "Das Methusalem-Komplott" beschreibt FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher wie alte Menschen in Deutschland systematisch diskriminiert werden -- und das obwohl diese Gruppe der "alten Menschen" die in Deutschland (und anderen westlichen Industrienationen) am schnellstwachsende Bevölkerungsgruppe ist, deren Erfahrungswerte nach Schirrmacher ökonomisch brach liegen. In einer der kontroversesten Stellen des Buches stellt er dann die Diskriminierung der Alten mit Rassismus auf eine Stufe, indem er von "Altersrassismus" schreibt.

Schon damals (2004) wurde erhitzt debattiert, inwiefern die ja nicht zu bestreitende Diskriminierung von alten Menschen tatsächlich im Zusammenhang mit "Rassismus" genannt werden könne. Unabhängig davon, ob "Rassismus" und "Altersdiskriminierung" zwei "Phänomene" gleicher Rankordnung sind, stellt sich aber grundsätzlich schon die Frage, warum eine Gesellschaft die sich gegen die Diskriminierung auf Basis des Geschlechts und der ethnischen Zugehörigkeit ausspricht, nicht auch gegen die Diskriminierung auf Basis des Alters oder auf Basis des äußeren Erscheinungsbildes vorgehen sollte.

Wenn etwa der SPD-Vorsitzende Kurt Beck dem Arbeitlosen Henrico Frank sagt, er solle sich erst mal "waschen und rasieren", dann würde er schon einen Job finden, ist das dann Diskriminierung (jetzt mal losgelöst von der Tatsache, daß auch "rasierte und gewaschene" Arbeitslose nicht so ohne weiteres einen Job finden)? Sicherlich ist ein gepflegtes Äußeres in vielen Fällen Voraussetzung, um einen Job zu bekommen. Nur gerade hier stellt sich eben die Frage, ob man diesen Zustand mit einem "das ist eben so" abhakt und darauf verweist, daß Mensch sich an diese Gesellschaftsnorm hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes eben anzupassen habe oder ob man das kritisch hinterfragt und dagegen aufbegehrt.

Für die Initiatoren des "Projekts L" scheint sich diese Frage insofern gar nicht zu stellen, als daß man bei genauerer Betrachtung ihrer Website (lookism.info) den Eindruck bekommt, sie denken nicht unbedingt an weiße, heterosexuelle Männer, wenn sie von den Opern des "Lookism" reden. So als ob der untersetzte Büroangestellte mit Halbglatze nicht ebenfalls unter den vorherrschenden Schönheitsnormen zu leiden hätte, wenn er aufgrund von seiner äußeren Erscheinung ausgegrenzt wird.

Von Polylux fühlt sich die Bewegung nach Angaben von Jungle World falsch dargestellt. Dort ist in einem Beitrag die Rede von "die Häßlichen erheben ihre Häupter" und "Rechte der Häßlichen", was dann halt nach "Aufstand der Hackfressen" klingt. Impliziert wird bei dieser Wortwahl, daß sich ohnehin nur Menschen gegen "Lookism" einsetzen, die dem allgemeinen Schönheitsideal selbst nicht entsprechen (was dann aber später im Beitrag in anderer Richtung klargestellt wird):



Als Gegenbeispiel dienen den polylux-Autoren Spitzenpolitiker. Diese sein nun in der Regel wahrlich keine Schönheiten, hätten es aber auch nach "oben" geschafft, was dann eben als Beleg dafür gelten kann, daß die Schönheitsnormen eben doch nicht so dominant sein können. Andererseits ist das Beispiel der Antilookism-Aktivisten mit den Bewerbungsfotos sicherlich treffend (und auch empirisch belegt): Nicht selten wird der Bewerber schon anhand des Fotos aussortiert, Personen mit Akne oder Hamsterbacken haben dann eben z.B. deutlich weniger Chancen überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, als solche mit reiner Gesichtshaut und markanten Gesichtszügen.

Das Problem existiert, nur ob es sich wirklich durch Streetart-Aktionen oder etwa einem festgelegten Mindest-Body-Mass-Index für Models auf dem Laufsteg (wie zuletzt in Spanien und Italien) lösen läßt? Vermutlich können weder solche Grundsatzerklärungen noch subversive Kunst die Massenbewegung einem bestimmten Schönheitsideal (mitsamt den zahlreichen negativen Folgen für die Gesellschaft) hinterher zu hecheln stoppen.

Dienstag, Dezember 19, 2006

Montag, Dezember 18, 2006

Bild und RTL -- Bohlens beste Freunde

"Vielleicht kann man sich in die Lage Bohlens nicht hineinversetzen, wenn man noch nie mit einer Waffe bedroht wurde; wenn einem noch nie 60.000 Euro in bar gestohlen wurden; wenn man noch nie vor der Frage stand, wie man in einer solchen Situation handeln soll: die Ruhe bewahren, Widerstand leisten oder davonlaufen. Vielleicht ist es nach einem solchen Schock eine ganz natürliche Reaktion, das Fernsehen anzurufen und die größte deutsche Boulevardzeitung. Und dennoch kommt man nicht darum herum, sich zu fragen, wie kaputt eigentlich ein Mensch sein muß, der überhaupt nicht nachdenkt, bevor er die mediale Aufbereitung seines Schicksals einleitet; der nicht erst ein paar gute Freunde anruft, mit denen er die Sache bespricht. Was aber das allertraurigste ist: Genau das hat Bohlen wohl getan - vom Nachdenken einmal abgesehen. Die 'Bild'-Zeitung und RTL: Das sind seine besten Freunde." (Harald Staun)

Freitag, Dezember 15, 2006

Donnerstag, Dezember 14, 2006

EU-Kommissar Günter Verheugen -- Ein Nackedei auf Abwegen?

Es gibt plumpe und subtile Versuche, einen Politiker aus dem Amt zu schreiben. Die Variante im Fall des EU-Kommissars Günter Verheugen ist schlicht weg dreist.

Es geht um Fotos von Verheugen die ihn nackt an einem FKK-Strand mit seiner Kabinettschefin Frau Erler zeigen sollen. Der Focus ist angeblich im Besitz dieser Bilder, traut sich aber nicht sie zu veröffentlichen. Was die Bild-Zeitung nicht davon abhält, mit diesen imaginären Fotos Schlagzeilen zu machen. Doch der Reihe nach, die ganze Geschichte begann bereits im Sommer:

"Die crossmediale Zusammenarbeit der ungleichen Blätter hatte schon einmal im Sommer funktioniert, ohne allerdings das erhoffte Ergebnis zu erreichen. Damals veröffentlichte Bild Bilder des urlaubenden Verheugen. Sie zeigten den Kommissar Händchen haltend mit seiner Kabinettschefin in Litauen. Die FAZ und einige wenige andere Blätter woben daraus den Vorwurf der Günstlingswirtschaft. Insinuiert wurde, dass Verheugen Frau Erler nur auf den hohen Brüsseler Posten berufen habe, weil er ein Verhältnis mit ihr unterhalte. Beide bestreiten dies bis heute nachdrücklich." (ZEIT online, 08.12.06)

Es gab also damals schon Fotos, die Verheugen mit Frau Erler zusammen im Urlaub zeigten -- damals noch bekleidet. Der Vorwurf, Erler sei seine Geliebte und habe ihren Posten aufgrund dieser Tatsache bekommen, ließ sich nicht belegen. Jetzt legte Focus nach und kündigte an, weitere Bilder zu haben, die Verheugen nackt mit Erler an einem FKK-Strand in Litauen zeigen.

Das Problem des Focus: Er kann die Bilder nicht so ohne weiteres veröffentlichen, da sie die Intimsphäre des Politikers betreffen:

"Frau Erler badet gern nackt. Herr Verheugen normalerweise eher nicht. Sind solche Ganzkörper-Fotos im öffentlichen Interesse? Beweisen sie etwas? Und: Was haben EU-Beamten damit zu? Verheugen hat sich in Brüssel viele Feinde gemacht, als er öffentlich über zu viel EU-Bürokratie klagte.

Der Mann, der einst mal Volontär beim Regionalblatt NRZ war, müht sich seit einer Woche, mit Gerichtshilfe die Publizierung der Nackt-Bilder definitiv zu untersagen; bislang wird nur gedroht. In der Rechtsprechung gehört der nackte Körper zur Intimzone. Als vor einem Jahrzehnt heimlich geschossene Fotos einer Schauspielerin erschienen, sah das Hamburger Oberlandesgericht 'eine schwerwiegende Verletzung es Persönlichkeitsrechts'." (Süddeutsche Zeitung, 08.12.06)

Der Focus beläßt es also bis dato dabei mit der Veröffentlichung der Nacktfotos nur zu drohen. Denn legitim wäre deren Veröffentlichung erst, wenn damit bewiesen werden könnte, daß Frau Erler durch ihre persönliche Beziehung zu Verheugen an ihre Position gekommen ist. Genau diese Beweiskraft wohnt den Bildern aber eben nicht inne. Verheugen und Erler betonen nur Freunde zu sein, Verheugens Frau sagt von dem gemeinsamen Urlaub ihres Mannes mit seiner Kabinettschefin gewußt zu haben. Die Bilder bieten Möglichkeit so einiges hineinzuinterpretieren, beweisen tun sie nichts:

"Grundsätzlich ist an einem FKK-Strand das Fotografieren durch Dritte sowieso tabu. Und auch wenn Verheugen eine Person der Zeitgeschichte sein sollte, ist sein Recht auf Privatsphäre durch das Presserecht geschützt. Nackt ist eindeutig privat. Eine Veröffentlichung kann also nur erfolgen, wenn den Fotos politische Relevanz beigemessen werden könnte." (taz, 09.12.06)

Die Tatsache, daß der Focus mit einer Schlagzeilen von Fotos aufmacht, die er gar nicht veröffentlicht, die Bild dann mit einer Story darauf verweist, Focus hätte solche Bilder und die FAZ ebenfalls auf den Zug aufspringt, wird in der linken Presse -- zurecht -- als Skandal gebrandtmarkt. In der taz faßt man den Sachverhalt wie folgt zusammen:

"Zum Mitschreiben: Der Focus bringt Fotos nicht auf den Markt, wartet die 'Entwicklung' der 'Causa' ab, um dann auf der Grundlage einer Entwicklung, die man durch nichtpublizierte Fotos initiiert hat, zu entscheiden, ob man die Fotos publiziert. Oder ob man sie nun publizieren kann. Das - und das Pingpong mit Bild - hat eine ganz neue Qualität." (taz, 09.12.06)

Die taz reagierte auf ihre ganz eigene Art, in dem sie mit einem Titelblatt aufmachte, daß Kai Diekmann (Bild) und Helmut Markwort (Focus) in einer gemeinen Fotomontage nackt am Strand zeigte, Titel: "Focus-Chef Markwort und der bildhübsche Kai -- Mehr als nur Kollegen?"

Montag, Dezember 11, 2006

"Wheelchair Service Included!"

Während alle Welt die Probleme einer zu einseitigen, fett- und kalorienreichen Ernährung diskutiert und sich der eine Teil der Menschheit versucht besser zu ernähren während der andere Teil bemüht ist sich seine schlechte Ernährung schön zu reden bzw. das Problem zu verdrängen, stellt man beim Restaurant "Heart Attack Grill" die ungesunde Ernährung ganz bewußt in den Vordergrund. Ungefähr nach dem Motto, sterben müssen wir doch alle mal, warum dann nicht in einem Burgerladen bei einem Overkill an Fleisch? Wenigstens hat's dann geschmeckt.

Schlappe 8.000 Kalorien und 4 Patties bringt der "Quadruple Bypass Burger" auf die Waage, den das im US-Staat Arizona beheimatete Ausnahme-Restaurant auf der Speisekarte hat. Für Weicheier gibt es alternativ auch noch den "Single, Double oder Triple Bypass Burger". Dazu gibt es Pommes ("fried in pure LARD!"), Bier und eine Packung Zigaretten.

Falls es doch mal ernst wird mit dem Herzinfarkt, gibt es sogar einen "Wheelchair Service" und eine zumindest auf der Website sehr adrett aussehende Truppe von Krankenschwestern (die sich bei ihren Figuren vermutlich selbst nur selten einen Burger gönnen können). Wobei man auf der Website sicherheitshalber auch betont, daß es sich hier nicht um echte Krankenschwestern handelt. Schade eigentlich, krank werden wäre viel angenehmer.

Marketing-technisch ist diese Werbung ein genialer Schachzug gewesen, weltweit wurde über das Restaurant berichtet, in Deutschland widmeten unter anderem Spiegel Online und sogar Die Welt der Story jeweils einen kleinen Artikel. Auch in den rtl2-News durfte so eine Top-Story natürlich nicht fehlen :p.

Sollte es mich jemals mal nach Tempe, Arizona verschlagen, werde ich da auf jeden Fall was essen :D.

Sonntag, Dezember 10, 2006

What the f... is studiVZ?

Die zumeist englischsprachigen Nutzer der Blog-Suchmaschine Technorati waren verwirrt, als der Begriff "studivz" sich wochenlang auf den ersten drei Plätzen der "Top Searches" hielt und schließlich nur von Britney Spears (und ihren Unten-ohne-Unfällen) abgedrängt werden konnte. studiVZ? What the f... is studiVZ?

Nun, "studiVZ" ist die Abkürzung für "Studiverzeichnis" einem bei der deutschen Studentenschaft beliebten Kommunikationsportal. Gegründet wurde es von Ehssan Dariani, der sich die Idee vom amerikanischen Pendant "Facebook" abgeschaut hatte. Facebook gehört ebenso wie das bekanntere MySpace zu den sogenannten "Sozialen Netzwerken" im Internet, denen im noch andauernden "Web 2.0"-Hype eine zentrale Stellung zukommt. Im Unterschied zu MySpace handelt es sich bei Facebook bzw. studiVZ allerdings um Netzwerke speziell für Studenten.

Das mit diesen "Sozialen Netzwerken" gutes Geld zu machen ist, hat unlängst der Börsengang des Business-Portals "XING" (ehemals "openBC") bewiesen, eigenen Angaben zufolge fließt dem Unternehmen dadurch aus einer Kapitalerhöhung um 1,35 Millionen Aktien ein Nettoemissionserlös in Höhe von rund 35,7 Millionen Euro zu (heise newsticker, 07.12.06). Abzuwarten bleibt natürlich, wie sich der Kurs entwickelt. Aber es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten, MySpace etwa wurde im Juli 2005 vom Medienmogul Rupert Murdoch für 580 Millionen US-Dollar gekauft (Wikipedia), im Oktober 2006 ließ sich Google die Übernahme des beliebten Videoportals YouTube sogar umgerechnet 1,31 Milliarden Euro kosten (Wikipedia). Der Gang an die Börse ist für viele dieser neuen Web-2.0-Unternehmen nur der erste Schritt, das langfristige Ziel lautet bei einer Übernahme durch einen "Big Player" den großen Reibach zu machen.

Und auch für studiVZ sah zunächst alles ganz gut aus, erst im November 2005 gegründet konnte man schon ein Jahr später über eine Million Mitglieder vorweisen (Wikipedia). Inwieweit sich darunter Doppel- bzw. Nichtstudi-Anmeldungen befinden weiß natürlich keiner genau. Eine Million registrierte Studierende würde bedeuten, daß sich schon jeder zweite Student in Deutschland einen Account bei studiVZ zugelegt hat, was als doch etwas zu hoch gegriffen erscheint. Richtig ist aber sicherlich, daß studiVZ in einem relativ kurzen Zeitraum rasant gewachsen ist.

Doch mit diesem rasanten Wachstum begannen auch die Probleme, denn die technische Infrastruktur wuchs nicht in der nötigen Geschwindigkeit mit, immer wieder kam es zu längeren Ausfällen des Portals. Darüber hinaus bekam der Gründer von studiVZ, Ehssan Dariani, zunehmend Image-Probleme. So fiel er negativ dadurch auf, daß er selbstgedrehte Videos von Frauen unter anderem von einer Party-Toilette ("chick auf mitte party // WC") bei studiVZ publizierte. Weiterhin sicherte er sich die Domains voelkischer-beobachter.de und voelkischerbeobachter.de, um auf diesen Seite mit Nazisymbolik für eine Party zu werben. Das sei "Satire" gewesen, betonte er anschließend (SPON, 15.11.06).

Der Blogger Robert Basic hatte darüber hinaus bereits Anfang November eine fragwürdige Geschäftspraktik von studiVZ aufgedeckt: die studiVZ-Macher betätigten sich als Domaingrabber, indem sie Domains registrierten, die vom Namen her eigentlich den studiVZ Konkurrenten "StudyLounge" und "Unister" zuzurechnen gewesen wären (Basic Thinking, 01.11.06). Auch sah sich studiVZ dem Verdacht ausgesetzt, kritische Stimmen innerhalb der eigenen Community durch ein repressives Regelwerk mundtot machen zu wollen. So hieß es noch vor kurzem bei studiVZ: "Folgende Gruppen akzeptieren wir nicht: Gruppen, die Kritik am StudiVZ ausüben; Gruppen, die wir nicht mögen; Gruppen für Meinungs- und Rezeptionsfreiheit" (zitiert nach: SPON, 15.11.06).

Endgültig im freien Fall und im Zentrum einer negativen Berichterstattung in der Blogosphäre befand sich studiVZ dann nach der Veröffentlichung eines Artikels des einflußreichen Bloggers (und ehemaligen Dotcomtod-Mitglieds) "Don Alphonso". Alphonso thematisierte den auf StudiVZ grassierenden Sexismus in Verbindung mit massiven Problemen im Datenschutz (blogbar, 23.11.06). So wies er auf eine Gruppe mit 700 Mitgliedern hin, die mit den Fotos von Studentinnen Misswahlen veranstalteten, ohne daß diese von ihrem "Glück" etwas wußten. Die Siegerin wurde dann von der gesamten Gruppe aus Stalkern kollektiv auf ihrem Profil "gegruschelt", einem studiVZ internen Begriff der für eine Mischung aus "kuscheln" und "begrüßen" steht, und faktisch eine Form von Anmache / Flirten meint.

Die ausschließlich männlichen Mitglieder der "Stalker Gruppe" machten sich bei ihren "Misswahlen" eine Sicherheitslücke im System zu nutze, die es ihnen erlaubte die Bilder der "Kandidatinnen" direkt in ihre Gruppe einzubinden, wie Don Alphonso dokumentierte. Als wäre das nicht genug, wurden weitere Realdaten der Studentinnen weiter verbreitet, wie etwa der volle Klarname oder sogar die Anschrift. Der Skandal bekam dann noch mal eine ganz neue Dimension als herauskam, daß einer der Mitgründer von studiVZ von diesen Vorgängen Kenntnisse hatte, aber dagegen nicht einschritt, sondern sich im Gegenteil bemühte selber Mitglied der besagten "Stalker Gruppe" zu werden (SPON, 27.11.06).

Ende November, Anfang Dezember erschienen dann in der Blogosphäre immer wieder Berichte über neue Sicherheitslücken, die es auch erlaubten Daten einzusehen, die für Dritte eigentlich nicht zugänglich sein sollten. Neben Don Alphonso war es besonders Jörg-Olaf Schäfers, der in seinem Blog immer wieder auf neue Sicherheitsprobleme bei studiVZ hinwies. Nachdem dann schließlich noch ein Wurm eine XSS-Lücke ausnutze, ging das Portal endgültig offline (heise Security, 03.12.06). Fünf Tage dauerte die Auszeit, erst dann war studiVZ wieder online (heise Security, 06.12.06).

Um den ramponierten Ruf wieder herzustellen, ergriffen die Macher von studiVZ einige Gegenmaßnahmen. So forderten sie die Nutzer auf, an einem neuen Verhaltenskodex mitzuwirken, damit Fehlverhalten von Mitgliedern in Zukunft ausgeschlossen werden könne (heise newsticker, 28.11.06). Weiterhin lobte man zunächst 128 Euro später 256 Euro Belohnung für jede gefundene Sicherheitslücke aus (heise Security, 30.11.06). Nach Protesten einen solchen "Hacker-Wettbewerb" auf einem System mit echten Benutzerdaten durchzuführen, ruderte studiVZ zurück und stellte stattdessen ein paralleles Testsystem mit Dummydaten zur Verfügung.

Ob es studiVZ gelingen wird, sich von dem erlittenen Image-Schaden noch einmal zu erholen, wird in der Blogosphäre kontrovers diskutiert. Fakt ist, daß inzwischen sogar der AStA der FU Berlin und der ReferentInnenrat der HU Berlin in Presserklärungen vor studiVZ warnen und den Studenten raten, ihre Accounts bei dem Portal zu löschen. Auch der "freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs)" hat von seiner geplanten Zusammenarbeit mit studiVZ inzwischen wieder Abstand genommen (YAMB.BETA², 07.12.06).

Parallel dazu haben sich satirische Websites wie "frickelVZ" gebildet, die die Skandale um studiVZ persiflieren. Auf "pennerVZ" kann der Arbeitslose von heute ebenfalls in ein "Soziales Netzwerk" eintreten. Die studiVZ-kritische Seite "studiVZBoykott" wurde dagegen schon wieder aus dem Netz genommen.

Weiterführende Links zur Skandalserie um das "studiVZ":

- Einträge bei Technorati
- Einträge bei blogbar (Don Alphonso)
- Einträge bei YAMB.BETA² (Jörg-Olaf Schäfers)
- Einträge im heise newsticker

Samstag, Dezember 09, 2006

P-F-A-R-M-E-R

"...

'In welcher Position haben Sie bisher gearbeitet?'

Ich sage: Projektmanagement.

Leider gibt es die Bezeichnung in ihrem Computersystem nicht. Ich schlage vor: Nehmen Sie Marketing, und denke, dass dies ja doch eine sehr häufig verwendete Bezeichnung ist. Da wird sich doch wohl etwas im System finden lassen wird.

Der Computer gibt mir recht und spuckt an die dreißig Vorschläge aus. Ich soll die Stellenbeschreibung wählen, die am besten zu meiner jetzigen passt. Ich will aber nicht wählen, die Vorschläge sind alle viel zu speziell und keiner trifft meinen bisherigen Aufgabenbereich.

Schließlich sage ich: Schreiben Sie Produktmanagement, das umfasst alles.

Das gibt es dann tatsächlich und so finden wir meinen bisherigen Beruf nach einer guten Viertelstunde.

'In welcher Branche waren Sie denn?'

Ich sage Pharma und sehe entsetzt zu, wie die Bearbeiterin meines Vertrauens 'P-F-A-R-M-E-R' in die Suchmaske eingibt. Ich schwanke zwischen Lachen und entsetztem Aufstöhnen, verkneife mir jedoch beides und warte ab, was der Computer dazu zu sagen hat. Ob der vielleicht mit einer automatischen Rechtschreibkorrektur ausgestattet ist? Ist er nicht.

Ich sehe zu, wie die Dame noch mehrere Versuche unternimmt, bevor ihr der Gedankenblitz kommt und sie ihre Eingabe in 'P-H-A-R-M...' ändert.

Warum ich nichts sage? Ich stehe unter Schock und denke gleichzeitig: Das kann sich nun wirklich niemand ausdenken!

..."

aus: Juliane Hartig, "Vor der Tür", Der Tagesspiegel, 08.12.06

Freitag, Dezember 08, 2006

Same procedure as every amok run

Seit dem glücklicherweise noch verhältnismäßig glimpflich ausgegangenen Versuch eines Amoklaufs in Emsdetten (Wikipedia) (es gab bis dato keine Toten), kommt der Begriff nicht mehr aus den Medien: "Killerspiele".

Zwar wurde von der Staatsanwaltschaft "allgemeiner Lebensfrust" als Motiv genannt und der Täter, Sebastian B., hat einen recht ausführlichen Abschiedsbrief hinterlassen (Telepolis, 21.11.06), in dem er seine Beweggründe schildert -- im öffentlichen Diskurs dominierten dennoch schnell wieder die jetzt so getauften "Killerspiele" als DIE Ursache für eine solche Tat schlecht hin.

Statt sich Gedanken darüber zu machen, was die tatsächlichen Gründe für eine solche Irrsinnstat sein können, wälzten sich die Politiker wie immer in solchen Fällen im puren Aktionismus und forderten ein Verbot der "Killerspiele". Niedersachsens Innenminister, Uwe Schünemann (CDU), kündigte eine Bundesratsinitiative zum Verbot gewaltverherrlichender Computerspiele an (heise newsticker, 21.11.06), der bayrische Innenminister Günther Beckstein (CSU) preschte sogar gleich mit einem Gesetzesentwurf vor (SPON, 05.12.06) und bekam als er dafür kritisiert wurde durch den brandenburgischen Innenminister, Jörg Schönbohm (CDU), Schützenhilfe (SPON, 06.12.06).

Same procedure as every amok run. So sah es zunächst aus, doch anders als sonst gingen die aktionistischen Vorschläge diesmal nicht ganz so schnell wieder unter. Grund dafür war auch ein für den 06.12. im Internet angekündigter weiterer Amoklauf in Baden-Württemberg. Das Kultusministerium reagierte panisch und warnte öffentlich einfach alle Schulen, weil es nicht wußte, welche konkret das Ziel sein sollte (SPON, 06.12.06). Der Effekt waren eine Massenhysterie in Baden-Württemberg und Trittbrettfahrer am Folgetag, die sich einen Jux daraus machten im Internet nicht ernstgemeinte Ankündigungen zu verbreiten (SPON, 07.12.06).

Der ursprüngliche "Nikolaus"-Amokläufer hatte seine Tat beim Counter-Strike spielen angekündigt. Ein zunächst als Zielperson ausgemachter 18jähriger Selbstmörder erwies sich jedoch nicht als Täter. Begründung der Ermittler: Auf seinem Computer konnten weder Hinweise auf einen geplanten Amoklauf noch "Killerspiele" festgestellt werden (SPON, 07.11.06).

Wie selbstverständlich wird heute immer eine Kausalität zwischen Amokläufern und "Killernspielen" als gegeben angenommen. Bei Wikipedia können wir jedoch nachlesen:

"Bisher ist ein eindeutiger wissenschaftlicher Beweis, dass Computerspiele einen immer gleichen, konstant negativen Einfluss auf den Konsumenten haben, ausgeblieben. Mittlerweile gibt es einen dritten, weitaus komplexeren Ansatz, nämlich, dass die Auswirkungen der Gewalt in Computerspielen vom konsumierenden Individuum bzw. seiner sozialen Situation abhängen. Diese These postuliert, dass ein familiär und sozial, d.h. freundschaftlich gebundener Mensch, der idealerweise auch mit Beruf, Ausbildung oder Schule zufrieden ist, viel eher allein aus dem Unterhaltungswert eines Computerspiels Nutzen zieht, als ein isolierter, unzufriedener Spieler, der eher am Aspekt der Brutalität eines Spiels Gefallen findet." (Wikipedia)

Es gibt also keinen empirischen Beweis für die These, daß der Konsum von gewaltverherrlichenden Spielen, einen negativen Einfluß auf die Konsumenten hat. Wenn jemand ohnehin psychisch labil ist, ein gewaltaffines Verhalten aufweist, dann ist er natürlich gefährdet sich durch solche Spiele noch weiter in seinen Wahn zu steigern. Die Masse der Jugendlichen die solche "Killerspieler" konsumiert mutiert aber eben nicht zu Amokläufern.

Das Spielen des beliebten Ego-Shooters Counter-Strike ist inzwischen zum Volkssport geworden (SPON, 02.12.06). Gute Spieler verdienen in Turnieren damit ihren Lebensunterhalt, "E-Sport" zählt inzwischen zu den vier mitgliedstärksten Vereinssportarten Deutschlands (polylux, 07.12.06). Auch wenn zu "E-Sport" natürlich nicht nur Ego-Shooter wie Counter-Strike zu zählen sind, wächst die Szene kontinuierlich. Counter-Strike verbieten zu wollen kommt der Idee gleich, Volleyball verbieten zu wollen.

Und selbst wenn Counter-Strike und andere "Killerspiele" verboten wären, was würde das ändern? Die Turniere würden im Ausland stattfinden, die Kids sich die Spiele aus dem Internet organisieren, potentielle Gewalttäter bei Bedarf auch weiterhin einen Zugang zu den Spielen finden. Die tatsächlichen Ursachen für das Durchdrehen der Amokläufer wären weiterhin nicht analysiert, das Problem bliebe weiterhin bestehen.

Besonders bizarre Früchte trägt die Panikmache in den Medien inzwischen in einem ganz anderen Fall: In Cottbus hat ein 19jähriger gestanden, einen Obdachlosen umgebracht zu haben. Als Grund nannte er unter anderem beim Computer spielen ständig verloren zu haben. Sein Spiel der Wahl war allerdings nicht ein typisches "Killerspiel" bei dem man andere Figuren umbringen muß, sondern "SmackDown vs. Raw", ein Wrestling-Spiel. Der Hirnforscher und Gewaltspiele-Kritiker Manfred Spitzer will nun ein Gutachten vorstellen, indem es um die Frage geht, ob "das Spielen solcher Computerspiele Einfluss auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten haben könnte" (SPON, 07.12.06). Milderne Umstände aufgrund des Konsums gewaltverherrlichender Computerspiele? Wo führt das hin? Wenn es nach Spitzer geht vermutlich in ein Totalverbot.

Statt eines Verbots sollte lieber die Frage eines verantwortungsvollen Umgangs mit gewaltverrlichenden Spielen diskutiert werden. Zu so einem verantwortungsvollen Umgang würde z.B. auch gehören, daß die Eltern ihren Sprösslingen öfter über die Schulter gucken, was die da eigentlich spielen und den Konsum ggf. einschränken. Vielleicht sollte man sich auch generell intensiver mit der Frage beschäftigen, wie sich diese Amokläufer ihrem Umfeld aus Freunden und Familie derart entziehen konnten.

Da der exzessive Konsum solcher Spiele zudem nicht der eigentliche Grund für die Amoktaten ist, muß auch allgemein einfach mehr in der psychologischen Betreuung von Jugendlichen getan werden. Andiskutiert wird in diesem Kontext auch immer wieder die Etablierung eines Schulpsychologen in jeder Schule. Gleichwohl man am Beispiel der USA sehen kann, daß auch dies nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann.

Das Problem auf sog. "Killerspiele" zu reduzieren, deren Verbot dann entscheident zur Verhinderung solcher Taten beitragen soll ist dagegen nicht nur naiv, sondern auch fatal. Denn Scheindiskussionen verhindern immer, daß der eigentliche Kern des Problems angegangen werden kann.