Mittwoch, Dezember 20, 2006

Lookism und Antilookism

In Berlin gibt es eine bis dato noch eher kleine, neue politische Bewegung die sich gegen den sogenannten "Lookism" richtet. Wikipedia definiert den Begriff wie folgt:

"Der Begriff Lookism wird in jüngster Zeit benutzt für die systematische Diskriminierung von Menschen, die nicht den vorherrschenden Schönheitsnormen entsprechen." (Wikipedia)

Während der Terminus in den USA schon bekannter ist, sagt er hierzulande nur sehr wenigen Eingeweihten etwas. Eine Gruppe von Aktivisten will dies nun ändern und bietet auf der Website lookism.info zahlreiche Informationen zum Thema. In der Jungle World, die sich mit zwei Aktivistinnen der Gruppe unterhalten hat, heißt es deutlicher hinsichtlich der Definition:

"Dabei umfasst der Begriff nicht nur Schönheits­normen, die den Körper betreffen, sondern auch die so genannte Körpergestaltung und die Kleidung. Aber sind Schminke und Kleidung nicht vor allem eine Privatsache? 'Wir denken, dass die Aussage, das Private sei politisch, mehr ist als ein veralteter feministischer Slogan. Wir wollen Macht­verhältnisse und Interdependenzen anhand des Diskurses über die Schönheitsnorm aufdecken, die ja mit nicht weniger bedeutsamen Normen verschränkt sind, z.B. mit den Bereichen Gender und Race', sagt die Gruppe in einer Stellungnahme. Ganz pragmatisch sehen es die beiden Frauen: 'Wenn jemand sich schminken will, soll er das tun. Wenn sich jemand schick anziehen möchte, soll er das tun. Aber das soll eben für alle gelten. Niemand sollte für die Wahl, die er für sein Äu­ßeres trifft, angemacht oder diskriminiert werden.'" (Jungle World, 13.12.06)

Auf der Website der Gruppe wird aber noch mehr Verwirrung gestiftet, da auch noch Begriffe wie "Ableism" (Diskriminierung von Behinderten), "Ageism" (Diskriminierung auf Basis des Alters), "Heightism" (Diskriminierung auf Basis der Körpergröße) fallen, die dann mit den schon eher bekannten Begriffen "Rassismus" und "Sexismus" in eine Reihe gestellt werden.

Und hier beginnt dann auch schon die Kritik an der Bewegung: Führen diese unter Umständen doch recht konstruierten Diskriminierungsformen nicht dazu, daß sich in letzter Konsequenz fast jeder als Opfer fühlen kann, weil fast jeder sich bei Bedarf einer der zahlreichen Gruppen von Diskriminierten zurechnen kann? Welche Auswirkungen hätte das auf "echte" Opfer? Die Aktivisten bestreiten neue Opfergruppe zu konstruieren:

"Es fällt dennoch schwer, den Zusammenhang zwischen Angriffen auf dunkelhäutige Menschen, Gewalt an Frauen und Witzeleien über große Füße herzustellen. So wolle man die Feststellung auch nicht verstanden wissen, sagt die Frau aus dem 'Projekt L': 'Uns geht es nicht darum, Lookism auf eine Stufe mit Sexismus oder Rassismus zu stellen. Dennoch würde ich nicht behaupten, dass individuelle Leiderfahrungen aufgrund von Lookism weniger schlimm sind als z.B. sexistische Diskriminierungen. Magersucht hat zwar viele Gründe, die vor allem in den Erlebnissen in der Kindheit zu suchen sind. Wenn man Magersucht aber als Resultat von Lookism betrachten will, könnte man ebenfalls sagen: Es kann tödlich enden.

... Dass Lookism eine recht beliebige Angelegenheit sei und jedem und jeder die Möglichkeit gebe, sich als Opfer einer Diskriminierung zu füh­len, bestreiten die beiden Antilookistinnen: 'Wir wollen sicherlich keine neuen Opfer schaffen. Wir wollen die Leute anregen, darüber nachzuden­ken, in welchen Situationen man selbst andere Menschen wegen ihres Äußeren diskriminiert. Insgesamt gesehen ist Lookism aber selbstverständlich ein sehr weitläufiger Komplex.'" (Jungle World, 13.12.06)

Um die Problematik stärker in die Öffentlichkeit zu tragen hat das "Projekt L" unter anderem die sogenannte "Fight-Lookism-Kampagne" ins Leben gerufen. Dabei wird Disneys klassisches Schneewittchen-Motiv wahlweise mit einer Kalashnikov, tätowiert, dick oder mit Bart als Streetart in Form von Aufklebern und als Pochoirs (Schablonen-Grafitti) mit der Bildunterschrift "Wer ist die Schönste im ganzen Land?" im öffentlichen Raum platziert.


Pochoir zur Fight-Lookism-Kampagne in Berlin. Quelle: Indymedia, Creative Commons Lizenz.

In seinem Bestseller "Das Methusalem-Komplott" beschreibt FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher wie alte Menschen in Deutschland systematisch diskriminiert werden -- und das obwohl diese Gruppe der "alten Menschen" die in Deutschland (und anderen westlichen Industrienationen) am schnellstwachsende Bevölkerungsgruppe ist, deren Erfahrungswerte nach Schirrmacher ökonomisch brach liegen. In einer der kontroversesten Stellen des Buches stellt er dann die Diskriminierung der Alten mit Rassismus auf eine Stufe, indem er von "Altersrassismus" schreibt.

Schon damals (2004) wurde erhitzt debattiert, inwiefern die ja nicht zu bestreitende Diskriminierung von alten Menschen tatsächlich im Zusammenhang mit "Rassismus" genannt werden könne. Unabhängig davon, ob "Rassismus" und "Altersdiskriminierung" zwei "Phänomene" gleicher Rankordnung sind, stellt sich aber grundsätzlich schon die Frage, warum eine Gesellschaft die sich gegen die Diskriminierung auf Basis des Geschlechts und der ethnischen Zugehörigkeit ausspricht, nicht auch gegen die Diskriminierung auf Basis des Alters oder auf Basis des äußeren Erscheinungsbildes vorgehen sollte.

Wenn etwa der SPD-Vorsitzende Kurt Beck dem Arbeitlosen Henrico Frank sagt, er solle sich erst mal "waschen und rasieren", dann würde er schon einen Job finden, ist das dann Diskriminierung (jetzt mal losgelöst von der Tatsache, daß auch "rasierte und gewaschene" Arbeitslose nicht so ohne weiteres einen Job finden)? Sicherlich ist ein gepflegtes Äußeres in vielen Fällen Voraussetzung, um einen Job zu bekommen. Nur gerade hier stellt sich eben die Frage, ob man diesen Zustand mit einem "das ist eben so" abhakt und darauf verweist, daß Mensch sich an diese Gesellschaftsnorm hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes eben anzupassen habe oder ob man das kritisch hinterfragt und dagegen aufbegehrt.

Für die Initiatoren des "Projekts L" scheint sich diese Frage insofern gar nicht zu stellen, als daß man bei genauerer Betrachtung ihrer Website (lookism.info) den Eindruck bekommt, sie denken nicht unbedingt an weiße, heterosexuelle Männer, wenn sie von den Opern des "Lookism" reden. So als ob der untersetzte Büroangestellte mit Halbglatze nicht ebenfalls unter den vorherrschenden Schönheitsnormen zu leiden hätte, wenn er aufgrund von seiner äußeren Erscheinung ausgegrenzt wird.

Von Polylux fühlt sich die Bewegung nach Angaben von Jungle World falsch dargestellt. Dort ist in einem Beitrag die Rede von "die Häßlichen erheben ihre Häupter" und "Rechte der Häßlichen", was dann halt nach "Aufstand der Hackfressen" klingt. Impliziert wird bei dieser Wortwahl, daß sich ohnehin nur Menschen gegen "Lookism" einsetzen, die dem allgemeinen Schönheitsideal selbst nicht entsprechen (was dann aber später im Beitrag in anderer Richtung klargestellt wird):



Als Gegenbeispiel dienen den polylux-Autoren Spitzenpolitiker. Diese sein nun in der Regel wahrlich keine Schönheiten, hätten es aber auch nach "oben" geschafft, was dann eben als Beleg dafür gelten kann, daß die Schönheitsnormen eben doch nicht so dominant sein können. Andererseits ist das Beispiel der Antilookism-Aktivisten mit den Bewerbungsfotos sicherlich treffend (und auch empirisch belegt): Nicht selten wird der Bewerber schon anhand des Fotos aussortiert, Personen mit Akne oder Hamsterbacken haben dann eben z.B. deutlich weniger Chancen überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, als solche mit reiner Gesichtshaut und markanten Gesichtszügen.

Das Problem existiert, nur ob es sich wirklich durch Streetart-Aktionen oder etwa einem festgelegten Mindest-Body-Mass-Index für Models auf dem Laufsteg (wie zuletzt in Spanien und Italien) lösen läßt? Vermutlich können weder solche Grundsatzerklärungen noch subversive Kunst die Massenbewegung einem bestimmten Schönheitsideal (mitsamt den zahlreichen negativen Folgen für die Gesellschaft) hinterher zu hecheln stoppen.

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