Dienstag, August 21, 2007

Stasi 2.0

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat in den zwei Jahren in denen er jetzt im Amt ist etwas vollbracht, was ihm vorher keineswegs jeder zugetraut hätte: Er hat sich mit seinen Plänen zum Ausbau der Bürgerüberwachung in der Netzgemeinde noch unbeliebter als sein Vorgänger Otto Schily (SPD) gemacht.

In Schilys Amtszeit fielen unter anderem immerhin die sog. "Otto-Kataloge", zwei während der "9/11-Nachwehen" verabschiedete Sicherheitspakete die bis heute stark umstritten sind, weiterhin ein skandalöser Referentenentwurf zur Nachbesserung der gesetzlichen Verankerung des "Großen Lauschangriffs" 2004 (der nach heutiger Einschätzung nur rein formal Zypries' Namen trug), die Einführung von Reisepässen mit biometrischen Merkmalen (2005); und auch die Dienstanweisung für verdeckte Onlinedurchsuchungen ging 2005 noch auf sein Konto (wurde später vom Bundesgerichtshof einkassiert). Nicht zufällig wurde Schily daher 2005 mit einem "Lifetime" Big Brother Award "geehrt".

Das zu toppen erschien selbst für einen Wolfgang Schäuble nur recht schwer machbar. Dank dem Festhalten an den Plänen zur Einführung von verdeckten Onlinedurchsuchungen (siehe "Bundestrojaner"), selbst gegen Widerstände in der Großen Koalition, und natürlich wegen der geplanten Einführung der sog. Vorratsdatenspeicherung, steht Schäuble aber nun kurz davor mit Schily in einem Atemzug genannt zu werden, wenn es um den Ausbau Deutschlands zu einem Überwachungs- bzw. Präventionsstaat geht (ich konzentriere mich hier auf die Pläne, die zur einer Aushöhlung des Datenschutzes und der Privatsphäre führen, es kommen andere Punkte, die auch unter Sicherheitspolitik fallen, hinzu).

Besonders die geplante Vorratsdatenspeicherung sorgt im politisch engagierten Teil der Internetgemeinde zur Zeit für viel Unmut. Vorratsdatenspeicherung "bezeichnete ursprünglich die Speicherung von personenbezogenen Daten für eine spätere Verarbeitung, wobei der Verarbeitungszweck zum Zeitpunkt der Speicherung noch nicht klar feststeht. (...) In der politischen Diskussion wird der Begriff Vorratsdatenspeicherung mittlerweile als Synonym für die Speicherung von Telekommunikationsdaten für Strafverfolgungszwecke verwendet: Telekommunikationsanbieter sollen verpflichtet werden, die für Abrechnungszwecke erhobenen Verkehrsdaten ihrer Kunden, Standortdaten und eindeutige Geräteidentifikationen für einen bestimmten Zeitraum zu speichern (Mindestspeicherfrist), damit Polizei und Nachrichtendienste darauf zugreifen können." (Wikipedia)

Es werden nach diesen Plänen also grundsätzlich alle Verbindungsdaten jedes Internet- und Telefon-Nutzers gespeichert, ein Verdachtsmoment muß nicht gegeben sein. Zu den Verbindungsdaten gehören Informationen darüber wer wann wo wie lange mit wem kommuniziert hat. Die Inhalte der Kommunikation werden nicht mitgeloggt (jedenfalls nicht automatisch). Noch nicht. In der Wikipedia heißt es:

"Datenschützer sowie linke und liberale Parteien protestierten und stellten den Sinn einer solchen Maßnahme zur Debatte, sie weise den Weg Richtung Überwachungsstaat: Wenn man sich nicht sicher sein könne, frei kommunizieren zu können, leide darunter die Zivilgesellschaft, und Bürger würden vor politischen Äußerungen im Internet zurückschrecken. Anonyme Seelsorge- und Beratungsdienste seien ebenso gefährdet, da weniger Menschen es wagen würden, diese Dienste zu nutzen.

(...) Juristisch wird argumentiert, eine Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen die Grundrechte der Kommunizierenden und der Telekommunikationsunternehmen. In Deutschland liege ein Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, gegen die Meinungs-, Informations- und Rundfunkfreiheit, gegen die Berufsfreiheit und gegen das Gleichbehandlungsgebot vor. Auf europäischer Ebene sei ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gegeben, und zwar gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz, gegen die Meinungsfreiheit und gegen das Recht auf Achtung des Eigentums.

Der Nutzen einer Vorratsdatenspeicherung sei gegenüber ihren schädlichen Folgen unverhältnismäßig gering. Eine verdachtsunabhängige Protokollierung des Telekommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung sei exzessiv. Über 99% der von einer Vorratsdatenspeicherung Betroffenen seien unverdächtig und hätten keinen Anlass zu einer Protokollierung ihrer Kommunikation gegeben." (Wikipedia)

Dabei gibt es durchaus alternative Methoden, wie z.B. das in den USA angewendete "Quick Freeze"-Verfahren. Zum Zwecke der Strafverfolgung können hier die entsprechenden Daten der Verdächtigen vorübergehend "eingefroren" werden, sie werden dann nicht wie sonst vorgesehen gelöscht. Mit einem richterlichen Beschluß können die Strafverfolgungsbehörden dann auf diese eingefrorenen Daten zugreifen. Anders als bei der Vorratsdatenspeicherung werden aber eben nicht kollektiv alle Daten von allen Telefon- bzw. Internetnutzern geloggt.

In Deutschland soll jetzt im Herbst trotzdem die Vorratsdatenspeicherung im Bundestag verabschiedet werden, so daß ab Januar 2008 alle Kommunikationsdaten für sechs Monate gespeichert bleiben.

Dagegen formiert sich zunehmend Widerstand, zentrale Anlaufstelle ist die Website des AK Vorratsdatenspeicherung, auf der man alle Argumente ausführlich nachlesen kann und wo zu Demonstrationen wie jetzt demnächst wieder für Ende September aufgerufen wird.

Zum Symbol der "Widerstandsbewegung" wurde ein Konterfei Schäubles mit der Bildunterschrift "Stasi 2.0", welches auf dataloo.de zurückgeht. In einem Interview mit dem Süddeutsche Magazin "Jetzt" erklären die beiden Macher des Blogs, Dirk und Mac, wie sich die inzwischen berühmte Schablone entwickelt hat.


Die umstrittene "Stasi 2.0"-Schablone von Dirk Adler (dataloo.de), Creative Commons Lizenz.

Danach tauchte auf der Bloggerkonferenz re:publica zum ersten Mal der Begriff "Stasi 2.0" auf (in Anspielung auf den Web 2.0-Hype), der anschließend die Runde machte. Passend dazu kam dann die Idee auf, ihn mit einem Bild Schäubles zu verknüpfen.

Unumstritten ist der Slogan "Stasi 2.0" allerdings nicht, viele Gegner der Vorratsdatenspeicherung distanzieren sich von ihm, da sie den Vergleich mit der Stasi bei allem Unverständnis für Schäubles Politik für verfehlt halten (auf der Website des "AK Vorratsdatenspeicherung" findet er sich zum Beispiel nicht). Andere Gegner halten ihn dagegen für legitim, da er ja absichtlich provokativ gemeint ist und aufrütteln soll. Inzwischen können Unterstützer das Logo sogar als T-Shirt erwerben.

Natürlich ist es mit Aufrufen zu Demos und T-Shirts nicht getan. Auf der Website des "AK Vorratsdatenspeicherung" findet man auch eine Site mit Infos darüber, was man gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung sonst noch tun kann. Zum Beispiele Briefe an Berufsverbände und Bundestagsabgeordnete versenden, Geld spenden, sich in den AK einbringen.

In einer weiteren Initiative geht es um eine "Sammelklage" bzw. eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, falls die Vorratsdatenspeicherung wirklich beschlossen wird (wovon auszugehen ist). Im Internet findet sich sogar ein Motivations-Video, das zeigen soll, wie einfach es ist, sich der Beschwerde anzuschließen.

Inzwischen gibt es eine ganze Palette von Anti-Schäuble-Websites im Netz, die sich mit den Plänen des Innenministers nicht abfinden wollen. Auf Seiten wie schaeuble-wegtreten.de oder informiert-wolfgang.de wird Schäubles Rücktritt gefordert bzw. sarkastisch mit seiner Politik abgerechnet.

Über uberwach.de kann man die Zugriffe der Bundes- und Landesministerien, sowie von Regierungs- und Oppositionsparteien auf den eigenen Blogs bzw. die eigene Website überwachen lassen. Ganz nach dem Motto: Es wird "zurück-überwacht". Auf der Website freiheitsredner.de kann man "Freiheitsredner" anfragen, die dann zum Beispiel in Schulen über Sinn und Zweck von Datenschutz und Privatsphäre referieren.

Wie stark die Anti-Schäuble-Bewegung inzwischen ist, konnte man auch unlängst auf dem aktuellen Titel der bekannten Computerzeitschrift CHIP nachlesen. Aufmacher der Ausgabe ist der "Schäuble-Blocker". Wörtlich: "Denn mit unseren Tipps lassen Sie staatliche Datensammler einfach ins Leere laufen. CHIP zeigt, wie Sie 100% anonym surfen, mailen, telefonieren und tauschen – mit den Anti-Schnüffel-Tools von unserer Heft-DVD".

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