Samstag, März 24, 2007

Matti ist frei -- vorübergehend

Am gestrigen Freitag wurde der Berliner Antifaschist Matthias Z. nach 101 Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen, der Vorwurf des "versuchten Totschlags" wurde durch das Schwurgericht des Landgerichts Berlin auf "gefährliche Körperverletzung" abgeschwächt, der Prozeß vor dem Amtsgericht soll im Mai beginnen ("Denunzierter Antifaschist wieder in Freiheit", junge Welt, 24.03.07).

Matthias Z. wird vorgeworfen im November 2006 an einem Überfall auf zwei Neonazis (ein Paar) im Bahnhof Lichtenberg beteiligt gewesen zu sein. Die Inhaftierung basierte dabei ausschließlich auf Anschuldigungen des Neonazi-Pärchens, welches bereits wegen Körperverletzung und Falschaussage vorbestraft ist. Die beiden Neonazis sollen aus dem Milieu des berüchtigten Weitlingkiez' in Berlin-Lichtenberg stammen ("Antifa angeklagt", taz, 21.03.07).

Die beiden Neonazis sagten zunächst aus, daß sie die Angreifer nicht erkennen konnten, was sich mit den Erkenntnissen der Polizei deckt, denen zufolge die Angreifer vermummt waren ("Solidarität für Matti", Berliner Zeitung, 21.03.07). Erst einige Tage später legten sie der Polizei ein Foto von Matthias Z. vor und behaupteten, er sei einer der Angreifer gewesen. Das Foto soll aus dem Privatarchiv der Anti-Antifa stammen, das diese über stadtbekannte Antifas führt ("Antifa angeklagt", taz, 21.03.07).

Daraufhin durchsuchte das LKA Berlin die Wohnung von Matthias Z. (eine WG) und konnte dabei tatsächlich unter anderem Teleskopschlagstöcke und einen Totschläger als Beweismittel sicherstellen. Weder an diesen Gegenständen noch an anderen Beweismitteln wie etwa der Kleidung des Verdächtigen konnten jedoch DNA-Spuren nachgewiesen werden, die eine Tatbeteiligung untermauert hätten ("Strafe vor der Verurteilung?", Telepolis, 20.03.07). Der Anwalt des Beschuldigten, Daniel Wölky, dementierte gegenüber der junge Welt demgegenüber, daß ein Totschläger und Teleskopschlagstock überhaupt gefunden worden sein ("Juristen kritisieren Staatsanwaltschaft", junge Welt, 16.12.06).

Matthias Z. ist in Lichtenberg als Antifaschist bekannt und sollte demnächst als Belastungszeuge in einem laufenden Prozeß gegen einen der angegriffenen Neonazis aussagen. In diesem Kontext erscheint es natürlich besonders merkwürdig, daß die beiden attackierten Neonazis zunächst ausgesagt haben, die Angreifer nicht erkannt zu haben, später dann aber auf einmal Matthias Z. als einen der Täter ausgemacht haben wollen. Natürlich kam hier bei Beobachtern schnell der Verdacht auf, die attackierten Neonazis hätten Matthias Z. nur deshalb nachträglich beschuldigt, um ihn so als Belastungszeugen in einem anderen Verfahren zu "neutralisieren". Ein weiteres pikantes Detail:

"Weil sie [die attackierten Neonazis] jetzt als Nebenkläger auftreten, würden sie im Rahmen der Akteneinsicht weiteren Zugriff auf Daten aus dem Umfeld von Z. kommen. Soll also die Beschuldigung weiteres Material für die Anti-Antifa-Arbeit der Rechten liefern, fragen sich die Unterstützer von Z.?"("Strafe vor der Verurteilung?", Telepolis, 20.03.07)

Zu diesen Unterstützern gehören unter anderem die Betreiber der Website FreiheitFuerMatti.com, sowie der demokratiepolitische Sprecher der Grünen und Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, die stellvertretene Bundesfraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, MdB und ebenfalls Mitglied der Linkspartei, Sevim Dagdelen, sowie wie Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, in der Matthias Z. aktiv war.

"Matthias Z., der Behinderte betreut, in der Verdi-Medienjugend arbeitet und ab Januar sein Abitur nachmachen wollte, engagiert sich auch gegen Rechtsextremismus. Den Neonazis ist er längst bekannt. Bei Demos knipsten sie Fotos von ihm, für das Anti-Antifa-Fotoarchiv, in dem sie die Konterfeis politischer Gegner sammeln." ("Solidarität für Matti", Berliner Zeitung, 21.03.07)

Kritiker werfen der Staatsanwaltschaft vor, politisch motiviert zu handeln, was diese natürlich von sich weist. Matthias' zweiter Verteidiger, Björn Gehrcke, vermutet, "daß die Staatsanwaltschaft den in der Anklage formulierten angeblichen Tötungsvorsatz als Druckmittel nutzt, um die Telefonüberwachung zu legitimieren sowie die Durchsuchung von Matthias Z.s Wohnung" ("Solidarität für Matti", Berliner Zeitung, 21.03.07). Die Tatsache, daß das Schwurgericht des Landgerichts Berlin den Vorwurf des "versuchten Totschlags" auf "gefährliche Körperverletzung" abgeschwächt hat und Matthias Z. nun schließlich doch aus der U-Haft entlassen hat (was die Staatsanwaltschaft wegen der angeblichen Schwere der Tat bis dato ausgeschlossen hatte), spricht eher für Gehrckes These.

Einer der beiden Neonazis wurde nun Anfang März erneut überfallen, was die Polizei als Einschüchterungsversuch wertet:

"Zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten ist der bekannte Rechtsextremist Sebastian Z. am Freitagabend von Vermummten überfallen worden. Wie der 20-Jährige der Polizei schilderte, griffen ihn zwei Unbekannte in dem Moment an, als er aus seinem Lichtenberger Haus trat, um seinen Hund auszuführen. Sie hielten ihm einen Schlagstock vor das Gesicht und drohten: 'Überlegt euch gut, was ihr sagt, sonst machen wir euch kalt'. Als sich ein Auto näherte, sollen ihm die Angreifer Pfefferspray ins Gesicht gesprüht haben bevor sie flüchteten. Ein Sanitäter der Feuerwehr half dem Mann beim Ausspülen der Augen, sonst blieb er unverletzt." ("Neonazi zum zweiten Mal überfallen", Der Tagesspiegel, 10.03.07)

Vermutlich ist der Neonazi also zusammen mit seiner Partnerin durch die Geschichte noch stärker in den Fokus der Antifa geraten.

Tatsache bleibt dennoch, daß die Ermittler gegen den Beschuldigten Matthias Z. nichts weiter in der Hand zu haben scheinen, als die Aussagen zweier vorbestrafter Neonazis, wobei Matthias Z. wie gesagt gegen einen der besagten Neonazis in einem anderen Prozeß selbst als Zeuge auftreten sollte. Zwar wird suggeriert, man habe noch anderes gegen Matthias Z. in der Hand ("Solidarität für Matti", Berliner Zeitung, 21.03.07), doch DNA-Spuren hat man wie erwähnt nicht finden können. Es bleiben die sichergestellten, illegalen Schlagwaffen, deren Besitz Matthias Z. vermutlich nicht mal eindeutig nachgewiesen werden kann (da er mit mehreren Personen in der Wohnung lebte) und die offenbar auch in keinem nachweisbaren Zusammenhang mit der Tat stehen.

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