"... Das war Deutschland 1977: In jeder Bäckerei, in jedem Metzgerladen, in jeder Filiale der Post, der Banken und Sparkassen hing der Gruppensteckbrief mit den Fotos und Namen der RAF-Leute, und wenn die staatlichen Sicherheitsorgane einen zur Strecke gebracht hatten, dann konnten die guten Deutschen das mit dem Stift noch einmal selber tun: einen wegmachen, durchstreichen, und ab dafür.
Das war schockierender als das Schießen und Morden selbst: diese Genugtuung der Mitläufer, daß es wieder einen erwischt hatte, zum Ausdruck gebracht im Durchstreichen eines Gesichts. Daß ich den Landsleuten nicht trauen konnte beziehungsweise ihnen eben alles zutrauen mußte, hatte ich im Geschichtsunterricht gelernt. Die Praxis zeigte: Die Deutschen hatten sich nicht geändert. Die wollten immer noch ausmerzen. Mit dem Kugelschreiber – und dann hinterher beteuern, daß man doch gar nichts getan habe. Ein Volk von Eichmännern. So lernte ich sie kennen, die Deutschen, im Jahr 1977.
... An der kitschigen, verlogenen Erinnerungsfolklore, die um Siegfried Buback und Hanns-Martin Schleyer betrieben wird, möchte ich mich nicht beteiligen. Nach Schleyer ist in Stuttgart eine Mehrzweckhalle benannt worden, die architektonisch dem Hochsicherheitsgefängnis in Stuttgart-Stammheim ähnelt. So gesehen sind die Täter und die Opfer, die ihrerseits Täter waren, doch noch zusammengelegt worden."
(Wiglaf Droste)
Dienstag, März 27, 2007
Mit dem Kugelschreiber durchstreichen
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