Der Fall Christian Klar liegt etwas anders, dieser hat seine Mindesthaftzeit erst im Jahr 2009 verbüßt. Er hat aber ein Gnadengesuch gestellt, welches Bundespräsident Horst Köhler voliegt und im Fall einer Bewilligung die frühzeitige Haftentlassung Klars zur Folge hätte. Anders als im Fall Mohnhaupt geht es bei Klar also im Moment nicht um eine Freistellung auf Bewährung nach Verbüßung der Mindesthaftzeit, sondern um eine mögliche Begnadigung durch den Bundespräsidenten.
Beiden Inhaftierten ist gemein, daß sie sich bisher nicht eindeutig von ihren Taten distanziert haben und auch keine Bereitschaft erkennen lassen, Licht ins Dunkel des RAF-Terrorismus zu bringen. Denn bis dato ist immer noch weitgehend unbekannt, wer genau bei der RAF eigentlich für was verantwortlich war und wer alles Mitglied war (dies gilt insbesondere für die nebulöse sogenannte "dritte Generation" der RAF).
Dennoch gibt es eine von ehemaligen FDP-Spitzenpolitikern getragene Initiative, die sich dafür einsetzt, daß bereits lang einsitzende Ex-RAF-Terroristen begnadigt werden bzw. nach Verbüßung der Mindeststrafe freikommen. Zu dieser Initiative gehören Gerhart Baum (Bundesinnenminister von 1978 bis 1982) und Klaus Kinkel (Bundesaußenminister von 1992 bis 1998). Diese Politiker treten für das Grundprinzip im deutschen Strafrecht ein, daß kein Verurteiler bis ans Ende seiner Tage inhaftiert bleibt, sondern daß selbst dem schlimmsten Täter in Aussicht gestellt werden muß, das Gefängnis eines Tages wieder verlassen zu können.
"Ex-Außenminister Kinkel sagte der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung': 'Nach 24 Jahren Haft muss Gnade vor Recht ergehen.' Wer so lange gebüßt habe, müsse auch irgendwann die Chance bekommen, in die Gesellschaft zurückzukehren. Als Bundesjustizminister hatte Kinkel Anfang der 90er Jahre eine Versöhnungsinitiative ins Leben gerufen und damit die damals noch aktiven RAF-Terroristen zum Aussteigen bewegen können." (FTD, 21.01.07)
Erst Kinkels Versöhnungsinitiative hat also dazu geführt, daß sich die RAF im Jahr 1998 schließlich endgültig aufgelöst hat (de facto war sie schon seit 1993 nicht mehr aktiv). Und in der "Tradition" dieser Versöhnungsinitiative und der Überzeugung, daß in Deutschland niemand bewußt bis zum altersbedingten Tod inhaftiert bleiben dürfe, hat er sich in der Vergangenheit schon mehrmals für die Begnadigung von Ex-RAF-Terroristen eingesetzt.
Konservative Politiker und die Angehörigen der RAF-Opfer wollen davon aber nichts hören, ihnen mißfällt insbesondere, daß sich Mohnhaupt und Klar nie entschuldigt und klar von ihren Taten distanziert haben und daß sie auch gar nicht daran denken, noch ausstehende Fragen zu beantworten. Etliche Kommentatoren nennen aber zumindest letzteres als Grundvoraussetzung für eine Begnadigung von Klar. So schreibt Claus Christian Malzahn bei SPON:
"Hallo Ex-RAF - hier ist der Deal: Sagt uns endlich, wer geschossen hat, dann reden wir über Gnade. Denn wir wissen noch immer nicht, wer Hanns Martin Schleyer auf dem Gewissen hat. Wir haben keine Ahnung, wer den Spitzenbeamten von Braunmühl ermordete. Und nur Indizien, welche Personen hinter dem Attentat auf Detlev Karsten Rohwedder stecken. Wenn die einstigen RAF-Terroristen sich schon nicht entschuldigen wollen - was wäre das auch wert - sollten sie wenigstens erklären, wie es war und wer es war." (SPON, 28.02.07)
Die Feststellung, daß man auf eine Entschuldigung auch gut und gerne verzichten könne, weil diese ohnehin nichts wert sei, stößt sicherlich einigen Lesern böse auf. Was Malzahn meint, ist, daß man bei einer Entschuldigung ohnehin nicht sagen kann, inwiefern sie ernst gemeint ist oder nur einem Opportunitätsgedanken der auf Freiheit bedachten Täter entspringt. Demgegenüber "Insider-Wissen" über die RAF durchaus einen Wert hätte, weil so bislang unklare Sachverhalte ermitteln werden könnten.
Doch nicht alle Diskussionsbeteiligten stellen solche Grundbedingungen, in die Kritik durch konservative Politiker geriet z.B. auch Claus Peymann, der Intendant des Berliner Ensembles, weil er sich für Klars Freilassung (ohne irgendwelche Bedingungen) ausgesprochen und ihm in einem solchen Fall auch ein Praktikum als Bühnentechniker im Berliner Ensemble in Aussicht gestellt hat. Was insofern vernünftig ist, als daß Klar im Fall seiner Freilassung ja irgendwie den Weg zurück in die Gesellschaft finden muß, wofür eine Arbeitstätigkeit sicherlich hilfreich wäre und wer sonst wäre schon bereit, einen Ex-Terroristen zu beschäftigen? Offensichtlich ist aber natürlich auch, daß der als kapitalismuskritisch geltende Peymann hier bewußt provoziert. Ihm muß natürlich klar gewesen sein, daß seine eindeutige Stellungnahme für Wirbel sorgen wird.
Die Chancen von Christian Klar durch den Bundespräsidenten begnadigt zu werden standen von Anfang an schlecht, sind inzwischen aber gen Null gesunken, nachdem in der "jungen Welt" sein Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz veröffentlicht wurde, welches auf besagter Konferenz auch öffentlich verlesen wurde. Darin bringt Klar zum Ausdruck, daß er dem kapitalistischen System nach wie vor kritisch gegenüber steht und an die Notwendigkeit es zu überwinden glaubt:
"Aber wie sieht das in Europa aus? Von hier aus rollt weiter dieses imperiale Bündnis, das sich ermächtigt, jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen und seine ganze gesellschaftliche Daseinsform in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Die propagandistische Vorarbeit leisten dabei Regierungen und große professionelle PR-Agenturen, die Ideologien verbreiten, mit denen alles verherrlicht wird, was den Menschen darauf reduziert, benutzt zu werden.
Trotzdem gilt hier ebenso: 'Das geht anders'. Wo sollte sonst die Kraft zu kämpfen herkommen? Die spezielle Sache dürfte sein, daß die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen 'Rettern' entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen." (junge Welt, 13.01.07)
Diese Erklärung führte dazu, daß die schon in Aussicht gestellten Hafterleichterungen für Klar vorerst zurück gezogen wurden und nun erneut geprüft wird, ob man sie ihm gewähren kann (FTD, 28.02.07). Die Begnadigung durch den Bundespräsidenten kann unter diesen Umständen gar nicht erst in Erwägung gezogen werden, zumindest nach Meinung der Unions-Politiker. Die Äußerungen von Klar würden deutlich machen, daß der sich kein Stück gewandelt habe, immer noch dieselbe Einstellung habe, wie vor 30 Jahren.
Doch was hatte man erwartet, nachdem man Klar mehr als 20 Jahre lang weitgehend isoliert im Knast verrotten ließ? Es ist doch klar, daß jemand der solange von der Außenwelt abgeschnitten lebt, wie in einer Zeitkapsel gefangen bleibt. Während sich die Welt "draußen" weiter entwickelt, bleibt Klar auf dem Stand der Zeit seiner Inhaftierung. Dies ist kein besonders überraschendes Phänomen, viele Langinhaftierte haben dieses Problem. Die Frage ist dann, was eigentlich innerhalb der letzten 20 Jahre unternommen wurde, Christian Klar langsam wieder zu resozialisieren. Wenn man sich darauf beschränkt hat, ihn einfach nur wegzuschließen, kann es kaum überraschen, daß er sich in seinem Denken nicht weiter entwickelt hat.
Ausschlaggebend ist am Ende, was genau er in seiner Erklärung eigentlich sagt. Er nutzt eine Terminologie aus den 70ern, redet davon "die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden", von der "Kraft zu kämpfen". Das ist Kapitalismuskritik, aber kein Aufruf das System gewaltsam zu überwinden. Die alte Formel der Konservativen, daß Kapitalismuskritik mit Terrorismus gleichzusetzen ist, ist letztlich genauso überholt, wie Klars "Schlagwortsammlung aus dem linksextremen Poesiealbum" (Malzahn) auf der anderen Seite. Malzahn bringt das auf den Punkt, wenn er schreibt:
"Die Politik überschlägt sich nun geradezu mit ihrer Verurteilung dieses bereits verurteilten Mörders. Guido Westerwelle scheint Kapitalismuskritik fast generell unter Strafe stellen zu wollen, und in der CSU möchte man Klars Knastzeit sogar verlängern. Die alten Reflexe funktionieren noch immer gut - auf beiden Seiten."(SPON, 28.02.07)
Geht es CSU-Politikern wie Markus Söder und Günther Beckstein wirklich um die Opfer des RAF-Terrorismus, wenn sie sich über die mögliche Begnadigung und Klars Grußwort ereifern? Geht es wirklich darum, daß von Leuten wie Klar immer noch eine Bedrohung ausgeht? Knapp 10 Jahre nach Auflösung der RAF?
Nein, natürlich nicht. Es geht wie gerade die Reaktionen auf Klars Grußwort deutlich gemacht haben darum, daß Kapitalismuskritik in einem konservativen Gesellschaftsmodell per se nichts zu suchen hat. Es geht darum, daß Klar eben nicht irgend ein Mörder war, sondern einer der das System in Frage gestellt hat, der aus einer linken (sic!), politischen Ideologie heraus gemordet hat.
Es gibt andere Mörder, die ebenso skrupellos gemordert haben, allerdings ohne politischen Hintergrund, und bei denen weit weniger Aufsehens gemacht wird, wenn es um ihre frühzeitige Entlassung geht. Auch das indiziert, daß linke Spitzenpolitiker nicht ganz unrecht haben, wenn sie im Umgang mit dem Fall Klar von einer "Gesinnungsjustiz" sprechen (SPON, 01.03.07).
Genauso wenig wie Politiker wie Beckstein und Söder jemals verwinden werden können, daß es ein Straßenschläger aus der Frankfurter Sponti-Szene in diesem Land bis zum Außenminister geschafft hat, werden sie jemals akzeptieren können, daß ein ehemaliger Linksterrorist nach einem Vierteljahrhundert Haft wieder auf freien Fuß kommen soll.
In der Minderheit sind sie dabei keineswegs, in der gestrigen n-tv Telefon-Umfrage waren nur 20% der Teilnehmer für eine Begnadigung von Klar, 80% dagegen. Andere, deutlich repräsentativere Umfragen zeigen ein ähnliches Bild. Eine deutliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist gegen die Begnadigung von Ex-RAF-Terroristen. Nur würde man in Fragen Haftentlassung nach dem Mehrheitswillen der Bevölkerung gehen, würde vemutlich grundsätzlich kein Täter der sich eines Kapitalverbrechens schuldig gemacht hat, je wieder raus kommen. Das ist in modernen Rechtsstaaten zurecht nicht der Maßstab.
Entscheident wird am Ende das Votum von Horst Köhler sein, doch wird der sich nach dieser kontroversen, öffentlichen Diskussion tatsächlich noch trauen, Klar zu begnadigen? Zudem er ja selbst dem konservativen Lager entstammt. Beobachter führen zwar an, daß Köhler schon mehr als einmal eine unbequeme Entscheidung getroffen hat, doch da ging es immer um Gesetze und nicht um ein so emotionsbeladenes und politisch hochbrisantes Thema wie die Begnadigung eines ehemaligen RAF-Terroristen. Köhler wird Klar kaum begnadigen können. Eine andere Frage ist, was dann 2009 passiert, wenn Klar wie heute schon Mohnhaupt seine Mindesthaftzeit von 24 Jahren abgesessen haben wird. Beckstein hat schon mal klargestellt, daß er Klar auch dann nicht entlassen sehen will (SPON, 28.02.07).
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