Mittwoch, September 13, 2006

Deutsche Piratenpartei gegründet

Piratpartiet -- Die schwedische Piratenpartei

Die schwedische Piratenpartei (Piratpartiet) wurde am 1. Januar 2006 gegründet, sie setzt sich für Informationsfreiheit, Datenschutz, Bürger- und Freiheitsrechte ein. Ihre wichtigsten politischen Ziele sind eine Reform des schwedischen Urheberrechts und eine Abschaffung des Patentrechts. In Wikipedia heißt es:

"Ihre wichtigsten Zielgruppen stellen die Internetnutzer (die in Schweden etwa 70% der Bevölkerung ausmachen) und insbesondere Nutzer von P2P-Börsen, sowie Studenten dar. Die Partei hat bereits über 8500 Mitglieder, dies ist mehr als die bereits im schwedischen Parlament vertretenen schwedischen 'Grünen'." (Wikipedia)

Bei den schwedischen Parlamentswahlen am kommenden Sonntag (17.09.06) hofft die Piratpartiet darauf 225.000 Stimmen zu erhalten, was 4% entspricht und damit einen Einzug in den schwedischen Reichstag bedeuten würde. Inwieweit das realistisch ist wird sich dann in ein paar Tagen herausstellen. In jedem Fall wächst sie für eine Mini-Partei sehr schnell.

Piratbyrån, The Pirate Bay und eine Razzia auf Druck der USA

Auf international große Medienresonanz stieß die schwedische "Piratenbewegung" erstmals Ende Mai / Anfang Juni 2006 als beim schwedischen BitTorrent-Tracker The Pirate Bay (TPB) diverse Server bei einer polizeilichen Razzia beschlagnahmt wurden. Es wurden ferner drei Personen vorläufig festgenommen, nur wenig später wieder freigelassen. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Urheberrecht. Eigentlich nichts ungewöhnliches, was den Fall so brisant macht, läßt sich bei Wikipedia nachlesen:

"Ein BitTorrent-Tracker stellt selbst keine zu tauschenden Daten zur Verfügung, sondern lediglich .torrent-Dateien, anhand derer sich Anbieter und Nachfrager bestimmter Dateien untereinander verbinden können. Dem schwedischen Urheberrecht zufolge konnte TPB, da sie als Tracker selbst keine urheberrechtlich geschützten Dateien anbietet, nicht belangt werden. (...) Wie sich später herausstellte wurde die Schließung auf Verlangen der USA durchgeführt, die Handelssanktionen im Rahmen der WTO gegen Schweden androhte, falls die Server nicht geschlossen werden. (Wikipedia)"

Obwohl TPB nach schwedischem Recht also nichts vorgeworfen werden konnte, wurden sie beschuldigt und ihre Hardware beschlagnahmt. Als dann schließlich herauskam, daß die schwedische Justiz auf Druck der USA gehandelt hatte, welche damit gedroht hatten, Schweden ansonsten im Rahmen der WTO zu sanktionieren, war der Skandal perfekt:

"Dass die US-Regierung Druck auf die schwedischen Behörden ausübte, damit diese die Server des BitTorrent-Trackers PirateBay beschlagnahmen, war bereits bekannt. Welches Druckmittel die USA einsetzten, blieb bisher jedoch im Dunkeln. Nun äußerte Dan Eliasson, Staatssekretär im schwedischen Justizministerium, gegenüber dem schwedischen Fernsehen, die US-Regierung habe seinem Land Handelssanktionen im Rahmen der WTO angedroht, sollte Schweden das 'Problem PirateBay' nicht aus der Welt schaffen. Zunächst habe das Justizministerium Maßnahmen gegen den weltgrößten BitTorrent-Tracker abgelehnt, weil es keine ausreichende rechtliche Grundlage dafür gab, so Eliasson. Erst als die USA mit Handelssanktionen drohten, sei man tätig geworden." (heise Newsticker, 21.06.06)

Die Organisation Piratbyrån ("Das Piratenbüro"), die "The Pirate Bay" als Projekt im Jahr 2004 ursprünglich ins Leben gerufen hatte, die schon erwähnte Piratpartiet und andere Gruppen demonstrierten wenige Tage nach der Razzia öffentlich gegen das Vorgehen der Justiz. Der Piratenbewegung im Allgemeinen und der Piratpartiet im Speziellen verschaffte dieser Skandal einen enormen Aufschwung. Ein Blick auf die Mitgliederstatistik zeigt, daß die Mitgliederzahlen just in dem Moment in die Höhe schnellten, als die Bewegung wegen des Skandals im medialen Mittelpunkt stand.

Gründung der Deutschen Piratenpartei

Überall auf der Welt haben sich inzwischen Piratenparteien (Frankreich, Italien, USA, Belgien, etc.) nach dem schwedischen Vorbild gegründet. In Österreich gibt es sogar eine bizarre Konkurrenzsituation zwischen der offiziellen Piraten Partei Österreichs und der "PiratInnenpartei" der KPÖ, die meint, "schon die richtige Piratenpartei mit den notwendigen Positionen zu sein" (netzpolitik.org, 24.07.06).

So war es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis es auch in Deutschland endlich eine Piratenpartei geben würde. Am 10.09.06 fand im legendären c-base in Berlin die Gründungsversammlung statt (Fotos und Bericht z.B. bei musikdieb.de). Die Teilnehmeranzahl beschränkte sich zwar auf 50 Personen, aber das reichte um die "Piratenpartei Deutschland" zu gründen. Wegen noch nicht vorhandener Relevanz wurde der entsprechende Wikipedia-Eintrag zwar zum Löschen vorgemerkt, man erfährt dort aber trotzdem:

"Ihre Ziele umfassen die Förderung freien Wissens und freier Kultur, Schutz vor dem Überwachungsstaat sowie ein Prinzip des gläsernen Staates anstatt dem des gläsernen Bürgers. Im einzelnen umfasst ihr Grundsatzprogramm die Sicherung des Fernmeldegeheimnisses, eine Reduzierung der Patentierbarkeit insbesondere in den Bereichen Software wie auch der Gentechnik sowie freier Zugang zu Ergebnissen der öffentlich geförderten Forschung und Entwicklung. Ziel der Partei ist es zur Wahl des Europaparlaments und der Bundestagswahl 2009 anzutreten." (Wikipedia)

Die Entstehung der Partei kann im Forum und im Wiki mitverfolgt, mitgestaltet und mitdiskutiert werden. Dort findet sich auch das Parteiprogramm.

Erfolgschancen der Deutschen Piratenpartei

Daß die Piratenpartei in Deutschland bei den Bundestagswahlen die 5%-Hürde nimmt, halte ich persönlich für utopisch. Im direkten Vergleich mit einem Land wie Schweden gibt es in Deutschland ein paar Punkte, die deutlich gegen einen ähnlichen Erfolg sprechen. Die zwei wichtigsten:

Die Zielgruppe der Piratenpartei besteht in erster Linie aus Personen die die Informationsgesellschaft dominieren (Internetnutzer allgemein, Informatiker, Hacker, Nerds, Blogger, Journalisten, Medienfuzzies, etc.). Daher wäre natürlich zunächst anzuführen, daß die deutsche Bevölkerung kulturell bei weitem nicht so im Internet verwurzelt ist, wie die Schweden. Die Schweden haben einfach eine ausgeprägtere "Netzkultur" als die Deutschen (was sich nicht nur in der Anzahl der am Internet partizipierenden Bürger messen läßt, sondern z.B. auch in Bereichen wie eGovernment). Zweitens verfügt Deutschland nicht über eine ähnlich starke liberale / libertäre Tradition wie Schweden, die der politischen Basis der Piratenbewegung entspricht.

Zu den Ländern, in denen die Piratenparteien noch am ehesten Wahlerfolge verbuchen könnten, würde ich neben den Niederlanden und den skandinavischen Ländern noch die baltischen Staaten zählen, die bekanntlich eine sehr hohe Internetdichte und relativ stark ausgeprägte Netzkultur besitzen. Das Land mit der höchsten Internetdichte, Südkorea, würde ich erstmal außen vor lassen, da bin ich mir unsicher, ob die politische Tradition einer Bewegung wie der der "Piraten" den Weg bereiten könnte.

Zu starke Fokussierung auf das Thema "Urheberrecht / Filesharing"

Hinderlich für einen Erfolg im Mainstream (und für 5% muß man dem Mainstream schon recht nahe kommen) halte ich ferner die starke Fokussierung auf das Thema "Filesharing" und die damit einhergehende Kriminalisierung. Genau dagegen wendet sich zwar gerade die Piratenpartei, die Frage ist nur, wie viele Leute man damit tatsächlich erreicht. Die taz zitiert Cristof Leng, den Vorsitzenden der Piratenpartei und ergänzt:

"'Filesharing ist nur ein Aufhänger, weil es Millionen Menschen in Deutschland betrifft. Unsere Themen: Freier Zugang für Kultur - weil es allen Beteiligten, auch den Urhebern, einen Vorteil verschafft', sagt Cristof Leng, der frisch gewählte Bundesvorsitzende. 'Auch Künstler klagen zunehmend, dass ihre Arbeit erschwert wird, weil sie immer weniger Zugriff auf andere Kunsterzeugnisse haben, was die Entwicklung von Kunst und Kultur erschwert.'

Weitere Themen des Piraten-Parteiprogramms: Von Datenschutz und der Sicherung des Fernmeldegeheimnisses über die Reduzierung der Patentierbarkeit und den Abbau von Monopolen im Kommunikationsbereich bis hin zur Forderung nach mehr Transparenz im Staatswesen reicht das Spektrum - Politikfelder, die die Piraten bei den anderen Parteien vernachlässigt sehen." (taz, "Die Digital-Liberalen", 11.09.06)

Eben diese weiteren Themen drohen meiner Meinung nach aber im ganzen Filesharing-Geschrei etwas unterzugehen. In der Tat wäre es wünschenswert wieder eine Partei zu haben, die sich unter anderem stärker für Datenschutz und gegen einen langsam entstehenden Überwachungsstaat einsetzt. Denn welche Partei tut dies sonst? Die FDP? Die Grünen? Nein. Deutschland hat de facto keine wirkliche Bürgerrechtspartei, insofern könnte die Piratenpartei tatsächlich eine Lücke füllen. Die Frage ist nur, ob dies wirklich gelingt, indem man das Urheberrecht ins Zentrum des politischen Engagements stellt (bzw. bei Dritten den Eindruck hinterläßt, dies würde im Mittelpunkt stehen).

Nachtrag, 20.09.06

Anders als erhofft, hat die Piratpartiet am Sonntag bei den schwedischen Parlamentswahlen nur 0,63% erhalten und ist damit von den anvisierten 4% noch weit entfernt.

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