Während sich die SPD bei dieser Konstellation im schlechtesten Fall als Juniorpartner in einer Großen Koalition wiederfinden wird, scheint der bürgerliche Traum von einer Neuauflage der schwarz-gelben Koalition dahinzuschmelzen. Die Vorstellung, daß ausgerechnet die "SED-PDS-WASG-Sammlungsbewegung" (Weimer) dem sichergeglaubten Sieg zunichte machen könnte, treibt den Konservativen die Galle hoch. So schreibt Wolfram Weimer, Chefredakteur des "Magazins für politische Kultur" Cicero, in einer aktuellen Kolumne:
"(...) Tatsächlich aber wird die Sache zusehends bitter. Denn um die neue Partei braut sich eine Stimmung aus Larmoyanz, Neid und Aggression zusammen, die das Schicksal der deutschen Politik ganz unangenehm zu bestimmen droht (...)"
Soweit so zutreffend. Doch wer ist schuld an dieser Stimmung "aus Larmoyanz, Neid und Aggression"? Natürlich die neue Linkspartei selbst:
"(...) Das Übelste an der neuen Linkspartei aber ist die Tatsache, dass sie das politische Klima in Deutschland vergiftet. Sie schürt in einer Weise Ängste und Ressentiments, wie man das hierzulande kaum erlebt hat. Mit ihr spürt Deutschland die fatale Wirkung populistischer Extremisten – nur nicht wie in anderen Ländern Europas von rechts. Der kulturelle Effekt bleibt der gleiche – Zersetzung des bürgerlichen Comments (...)"
Die Linkspartei ist in dieser Logik also nicht mehr das Resultat der derzeitigen Verhältnisse in der Republik (Sozialabbau, Hartz IV, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, usw.), sie ist viel mehr die Ursache von allem Übel selbst. Die Linkspartei schürt ein Klima von Neid (z.B. der "Sozialneid" der Nichtshabenden auf die Habenden), "Aggression" (z.B. die Aggression von Arbeitslosen gegenüber korrupten Managern) und "Larmoyanz" (also z.B. Bürger die sich in der rauhen Welt der Globalisierung nach sozialer Netzwärme sehnen). Nur sind dies tatsächlich Erscheinungen, die die Linkspartei durch ihr Handeln hevorbringt oder ist es nicht vielleicht doch so, daß die Linkspartei nur die Konsequenz dieser Gegebenheiten ist? Sicher, die Linkspartei kann den Unmut aufnehmen und schüren, nur selbst erzeugt hat sie ihn nicht.
In der Tat kann man Gysi und Lafontaine als "Populisten" bezeichnen, weil sie situativ eine Stimmung im Volk aufgreifen und für sich nutzen, ohne daß sie dabei tragende Gegenkonzepte zu den momentanen vorweisen könnten. Natürlich ist die "Linkspartei" in diesem Sinne in erster Linie eine Protestpartei, die die Stimmen von Wählern bindet, die von den etablierten Parteien enttäuscht sind. Nur die beschriebene vergiftete Atmosphäre im Land ist doch nicht primär ein Produkt dieser Partei und ihrer Akteure, sondern des von Rotgrün verabschiedeten, und von Schwarzgelb nicht per se abgelehnten, Hartz-Konzepts (die CDU will Hartz IV ändern / verschärfen).
Und selbst wenn man Wolfram Weimer recht gibt, daß hier die neue Linkspartei nur Ressentiments aufgreift und für eine angeheizte Stimmung sorgt: Am Ende sind es die Wähler, die sich bewußt für diese Protestpartei entscheiden. Statt also die Partei zu schelten, sollte wenn dann lieber die Wähler schelten, die diese "Unpartei" aus freien Stücken wählen. Nur würde es bei ostdeutschen Hartz-IV-Empfängern vermutlich weniger gut ankommen, wenn ausgerechnet der westdeutsche Wolfram Weimer ihnen Vorträge über das Unrecht hält, daß die PDS-Vorgängerpartei SED verübt hat -- und das deswegen auch die neue Linkspartei unwählbar sein sollte. Nichts anderes macht er aber de facto, wenn er sich echauffiert:
"(...) Aber redet in diesen Tagen der Gysi-Lafo-Euphorie irgendjemand von den Mauertoten und den Gefolterten von Bautzen, vom großen Diebstahl an einer ganzen Generation, von den Tränen einer Nation? Als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. Hat es aber (...)"
Schöner hätte Franz Josef Wagner es in seiner Bild-Kolumne auch nicht auf den Punkt bringen können. Noch eher erinnert Weimer hier mit seinem Verweis auf "Bautzen" und die "Mauertoten" aber an den Berliner "Medienmogul" und Streitkämpfer wider die rote Front, Georg Gafron (mit dem kleinen aber feinen Unterschied, daß Gafron zumindest selbst in der DDR aufgewachsen und von dort geflohen ist). Der hatte seinen letzten größeren Auftritt 2001, als er im Berliner Wahlkampf im Alleingang eine Art Rückkehr der "Rote Socken" Kampagne zu initiieren versuchte. Schon damals erschien diese alte Frontstadt-Rhetorik überholt, wie selbst die CDU inzwischen längst verstanden hatte. Nun wandelt Wolfram Weimer auf den Spuren Georg Gafrons, indem er die durch den Realsozialismus erzeugten "Tränen einer Nation" beklagt.
Tatsächlich gibt es so etwas die "Tränen einer Nation" in der Gegenwart gar nicht. Zumindest divergieren die Ursachen für die Tränen innerhalb der Nation. Wolfram Weimer kommen offenbar die Tränen, wenn er sieht, wie die neue Linkspartei seine bürgerlich-saturierte Republik aufmischt. Den Hartz-IV-Empfängern kommen die Tränen, wenn sie knapp am Existenzminimum leben, während sie zusehen müssen, wie Manager und Politiker sich weiter die Taschen vollstopfen. Und ich, nun ja, ich leide schon genug, wenn ich Kolumnen wie diese in Cicero lese.
Links:
- Richard Gebhardt: "Hysterie in Germany", in: Jungle World, 03.08.05
- SPON, "Schwarz-Gelb verliert Mehrheit", 04.08.05
- Wikipedia-Eintrag zu "Wolfram Weimer"
- Wikipedia-Eintrag zum "Cicero Magazin"
- Wolfram Weimer: "Linkstragödie, in: Cicero, 08/2005
- Netzeitung, "CDU will Hartz IV reformieren", 06.08.05
- n-tv, "CDU: Hartz IV verschärfen", 06.08.05
- Wikipedia-Eintrag zu "Georg Gafron"
- Torsten Kleinz: "Meinungskampf in Berlin", in: Telepolis, 29.09.01
- Wikipedia-Eintrag zur "Rote Socken" Kampagne
- Wikipedia-Eintrag zu "Franz Josef Wagner"
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