Freitag, August 19, 2005

Die "Shoot-to-kill"-Strategie in London

Der Skandal um die Erschießung des Brasilianers Jean Charles de Menezes wird immer größer.

Erst hieß es, er habe einen langen dunklen Wintermantel getragen und sich damit verdächtigt gemacht, heute ist klar, daß er nur einen Jeansjacke anhatte. Weiterhin hieß es, er sei schnell gerannt und habe sich dadurch weiter verdächtig gemacht, jetzt ist auf den Videobändern zu sehen, daß er nur normal in die Station gelaufen ist und erst auf den letzten Metern anfing zu laufen, um die U-Bahn noch zu kriegen. Auch daß er eine Eingangssperre an der U-Bahn übersprungen haben soll, ist widerlegt.

Inzwischen ist bekannt gegeben worden, daß es zwei Polizeiteams gab. Eines was Menezes noch vor dem Betreten der U-Bahn abfangen sollte und ein Spezialkommando in der U-Bahn-Station selbst, daß ihn notfalls abfangen sollte. Da das erste Team ihn nicht rechtzeitig erwischte, schritt das Sonderkommando ein, kam aber zu spät, um ihn noch rechtzeitig vor betreten der U-Bahn stellen zu können. Ergo haben sie dann einfach drauf losgeschossen.

Nicht nur, daß sie den falschen Mann verfolgt haben (sie konnten ihn nicht eindeutig identifizieren, weil der für die Videoüberwachung zuständige Beamte im entscheidenen Moment auf Toilette war), sie haben es organisatorisch auch nicht auf die Reihe bekommen, ihn vorher abzufangen und zu überprüfen. Als er dann schließlich dabei war, die U-Bahn zu betreten, haben sie geschossen. Inzwischen gibt es eine Augenzeugen-Version eines Überwachungsbeamten, dernach Menezes längst gesessen und von ihm fixiert worden sein soll, bevor andere Polizeikräfte doch noch das Feuer eröffneten.

Doch wer ist dafür verantwortlich zu machen? In der ganzen Hysterie die in der Stadt herrschte ist es nicht so unwahrscheinlich, daß unter Anspannung stehende Polizisten irgendwann die Nerven verlieren. Andererseits sollte ihre Ausbildung doch so solide sein, daß sie diesem Druck standhalten und nicht einfach drauf losschießen. Wenn das nicht der Fall ist, sollte man die sog. "Shoot-to-kill"-Strategie vielleicht doch noch mal überdenken.

In jedem Fall ist aber die Informationspolitik mehr als fraglich, da die von den Verantwortlichen lancierte Darstellung des Vorfalls offensichtlich nicht mal ansatzweise der Wahrheit entspricht.

Links:

- SPON, "Einsatzleitung wollte Menezes lebend", 18.08.05
- SPON, "Geheimbericht listet fatale Fehler der Polizei auf", 17.08.05

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