Dienstag, Juli 26, 2005

Das "Vice Magazin", jetzt auch in Deutschland

"Vice" (eng. für "Laster") ist ein ursprünglich kanadisches Lifestyle-Magazin, das seinen Hauptsitz heute in New York hat und Dependancen in England, Australien, Neuseeland, Japan, Italien und Skandinavien unterhält. Inzwischen umfasst das "Vice-Imperium" auch ein eigenes Plattenlabel, eine Modelinie und eine TV- und Filmproduktion (Wikipedia). Kostenlos erhältlich liegt es in Boutiquen, Plattenläden und Skatershops aus und richtet sich an eine wohl eher jugendliche Leserschaft, die in Großstädten beheimatet ist. Inhaltlich kann mal es wohl am ehesten als eine Mischung aus Lifestyle, Fashion, Musik, Pr0n, Tabubruch, Nihilismus und Provokation beschreiben.

Im günstigsten Fall kann man die Artikel als geschmacklos bezeichnen, mögliche Titulierungen sind aber auch "krank" und "pervers". Im Zentrum des Magazins steht eigentlich immer die Abrechnung mit jeglicher Form von political correctness. Allerdings auf einem Niveau, das ausgesprochen vulgär und pubertär daher kommt und reifere Leser daher weder wirklich schockiert noch unterhält, sondern wahlweise einfach nur langweilt oder anekelt.

"... 'Vice' fährt zum Atombombenshopping nach Bulgarien, schaut auf dem Waffenmarkt in Peschawar vorbei oder stattet der Hisbollah in Beirut einen Besuch ab, um gemeinsam eine Runde Skateboard zu fahren" (WamS).

"... Wenn etwa in der 'Drug Issue' die blau gestochenen Oberschenkel einer Heroinabhängigen ästhetisiert werden, wenn Menschen mit Down-Syndrom Modestrecken bestreiten, oder wenn ein bleicher Junge großflächig abgebildet seinen Mageninhalt ausleert, nachdem er im Wettbewerb 'Wer kann mehr trinken - Weiße oder Schwarze' geschlagen wurde." (taz).

Das Magazin würde in Deutschland keinen interessieren, wenn nicht am 21.07. die erste deutsche Ausgabe erschienen wäre. Zu diesem Anlaß haben sich mehrere deutsche Tageszeitungen dieses Magazin mal genauer angesehen. Am weitesten holt Harald Peters in der WamS aus, indem er Vice mit solchen Erscheinungen wie Jackass und SouthPark in einen Topf schmeißt und zu einer faserigen Kulturpessimismus-Soße zusammenrührt. Aber das ist schon recht so, denn wo, wenn nicht in der WamS ist noch Platz für Kulturpessimismus. Richtig ist aber natürlich, daß sich die Vice-Redakteure mit ihrer Herangehensweise nirgendwo Freunde machen, so schreibt die WamS:

"Interessenverbände aller Art prangern 'Vice' in regelmäßigen Abständen als herausragend frauenfeindlich, homophob, rassistisch, fahrlässig und umfassend unmenschlich an, und natürlich tun sie das aus gutem Grund."

Interessant zu sehen, daß Harald Peters Artikel in der konservativen WamS auf das gleiche hinaus läuft, wie der entsprechende Artikel in der linken Postille "junge Welt" von Alexander Reich: die eigentliche Zielgruppe des Magazins besteht aus jungen Menschen, den es für echte Probleme zu gut geht und die sich dann von pseudo-revolutionären und ach so krassen Artikeln angesprochen fühlen. In der jW wird natürlich zusätzlich noch moniert, daß die Vice-Leser nicht mal die durch kapitalistisches Ausbeutertum geprägte Geschichte des Fabrikgebäudes in Berlin-Pankow kennen, in dem die Release-Party des Magazins stattfand.

Zu einem etwas wohlwollenderen Ergebnis kommt Patrick Bauer in der taz. Er beschreibt die Vice-Artikel als im Gonzo-Style gehaltenen Journalismus, was das Magazin schon adelt. Immerhin gilt der von Hunter S. Thompson entwickelte Gonzo-Journalismus als das, was Vice furchtbar gern wäre: subversiv. Wörtlich heißt es in der taz:

"... Von einer wirklichen Neuheit auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt zu sprechen ist erlaubt. Denn in der Sparte junger Magazine ist Vice das ehrlichste, wird doch trotz gewollter Provokation nicht verkrampft eine Generationen umfassende Selbstdefinition gesucht. Vice, so scheint es, entsteht immer wieder neu."

Demgegenüber betont Tobias Rapp in einem SPON Artikel, die Differenzen die seiner Meinung nach zwischen der englischen Orginalausgabe und der neuen deutschen Ausgabe bestehen. Die deutsche Ausgabe ist demnach nur eine müde Kopie, deren Fotos schon vor geraumer Zeit in der englischen Originalausgabe erschienen sind und damit als veraltet gelten müssen. Rapp urteilt weiter:

"... Es funktioniert vor allem deshalb nicht, weil die 'Vice'-Macher zu feige sind. Natürlich muss ein deutsches Tabubrecherheft die deutsche Vergangenheit vorkommen lassen. Dass die Redakteure aber nicht in der Lage waren, dafür tatsächlich irgendeinen Autor mit Gefühl für die hiesigen Sensibilitäten zu engagieren, erstaunt bei dem Wind, den sie um ihr Heft machen. Stattdessen ließen sie einen lachhaften Text über "Hippiefaschisten" aus der amerikanischen Ausgabe übertragen, der seine fehlende These auch nicht durch die miserable Übersetzung wettmacht."

Und wenn es nicht gerade um "Hippiefaschisten" geht, dann darum wie sich schwule Neonazis beim Sex in der Öffentlichkeit angeblich selber aufschlagen ("Gaystapo") oder darum, ob Babys mit weißer Hautfarbe niedlicher sind als solche mit dunkler Hautfarbe. Der Nonsense scheint kein Ende zu nehmen, nüchtern betrachtet ist Vice daher wie eines dieser Freak-Magazine, in denen es um irgendwelche Alienverschwörungen geht, bei denen Menschen durch kosmische Strahlen in dreiköpfige Ziegen transformiert werden.

Und wenn man versucht, ein Magazin auf biegen und brechen auf eine Provo-Linie zu trimmen, wen regt das in Deutschland noch wirklich auf? Ein paar Bildungsbürger vielleicht, die nicht verstehen, daß sie den "Missetätern" mit ihrer Empörung nur einen Gefallen tun.

Letztlich gilt für das "Vice Magazin", was auch für jedes andere so genannte Lifestyle Magazin gilt: Keiner braucht es.

Links:

- Deutsche Website des Vice Magazins
- Erste deutsche Ausgabe
- Wikipedia-Eintrag zur Geschichte des Vice Magazins (englisch)
- "It's so authentisch!", taz, 18.07.05
- "Aller Laster Anfang", WamS, 19.07.05
- "Kaputt, grell, rassistisch, albern", Berliner Zeitung, 22.07.05
- "Hauptsache krass", SPON, 25.07.05
- "Halb so wild", junge Welt, 25.07.05
- Wikipedia Definition von "Gonzo Journalismus"

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