Freitag, Juni 15, 2007

Texhnolyze

Texhnolyze (sprich "technolize") ist eine japanische Anime-Serie aus dem Jahr 2003. Sie gilt als eine der düstersten, japanischen Anime-Serie der letzten Jahre.

Regie führte Hirotsugu Hamazaki, die Charaktere wurden von Yoshitoshi ABe geschaffen, Produzent war Yasuyuki Ueda. Das Team Ueda und ABe hat vorher schon Anime-Serien wie Haibane Renmei (2002) und Serial Experiments Lain (1998) zusammen kreiert, die zumindest innerhalb der Fachszene einen sehr hohen Stellenwert genießen.

Die Serie spielt in einer nicht näher spezifizierten, postapokalyptisch-anmutenden Zukunft in Japan in der unterirdischen Stadt "Lukuss". Die Existenz der Stadt basiert einzig auf der Förderung von "Raffia", ein Rohstoff der in der Serie eine ähnlich zentrale Rolle wie "Spice" im Klassiker "Dune" spielt. Ähnlich wie die bewußtseinsverändernde Droge bei Dune immer fließen muß, kommt auch die Welt in Texhnolyze nicht ohne Raffia aus, das ausschließlich in Lukuss, der unterirdischen Stadt, vorkommt.

Raffia ist ein Stoff der verhindert, daß der menschliche Körper künstliche Gliedmaßen abstößt. Diese technischen Prothesen sind bei Texhnolyze von entscheidener Bedeutung, da die Menschheit Probleme mit der Reproduktion hat und technische Prothesen als entscheidende, lebensverlängernde Maßnahme gelten (grob gesprochen). Diese Ausstattung mit Prothesen wird unter dem Begriff "Texhnolyze" zusammengefaßt. Neben dem Titel der Serie steht "Texhnolyze" also als Synonym für die Prothesen -- und darüber hinaus auch für den Vorgang einen Mensch mit der Prothese auszustatten. "Texhnolyze" ist ferner der Begriff für das Gesellschaftsprinzip, das auf dieser Prothesen-Technologie aufbaut. Während "Raffia" wie beschrieben das "Schmiermittel" ist, ohne das die Prothesen nutzlos sind, da der Körper sie sonst abstößt.

Neben den einfachen Stadtbewohnern gibt es vier Gruppierungen in Lukuss, die Macht ausüben. Ganz oben in der Hierarchie steht die sog. "Klasse", die auf dem "Hügel" oberhalb der Stadt residiert und die Stadt angeblich nur deshalb existieren läßt, weil diese das Raffia fördert. Die "Klasse" werden als gottgleiche Wesen beschrieben, deren Status von kaum jemanden innerhalb der Stadt ernsthaft hinterfragt wird. Die "Klasse" ist hoch technologisiert, die notwendige Texhnolyze-Technologie kommt von ihr und außer ihr werden nur privilegierte Personen aus der Stadt mit Texhnolyze ausgestattet.

Zu diesen Privilegierten gehört die herrschende Kaste innerhalb der Stadt, die sog. "Organo". Organo ist eine mafia-ähnliche Organisation die von der Struktur her sehr an die japanische Yakuza erinnert. Ihre Mitglieder tragen Anzüge, wirken insgesamt zivilisierter und gebildeter als die restlichen Stadtbewohner, haben aber keine Skrupel ihren Machtanspruch notfalls mit aller Härte durchzusetzen. Die Organo vertreibt als Unternehmen die Texhnolyze-Technologie und hat hier eine Monopolstellung. Im Gegenzug ist sie gegenüber der "Klasse" verpflichtet, die kontinuierliche Raffia-Förderung sicherzustellen.

Am stärksten herausgefordert wird die Organo von der "Union", einer Sekte die danach strebt an Stelle der Organo zu treten und die Macht in der Stadt zu übernehmen. Anders als die Organo spricht sich die Union strikt gegen den Einsatz von Texhnolyze aus, sie glaubt, daß die Menschheit ohne Texhnolyze auskommen sollte, will sozusagen wieder zurück zu den Wurzeln. Diese Position wird aber von der Organo als verlogen dargestellt, da z.B. der Union-Anführer, Kimata Motoharu, selbst über eine Texhnolyze-Prothese verfügt.

Die dritte Gruppe im Kampf um die Macht in der Stadt sind schließlich die "Racan", eine Art Straßengang bestehend aus Jugendlichen und Twens, die schlechter aufgestellt als die Organo und die Union ist, aber auf der Straße sehr dominant ist und sich durch Kleinkriminalität auszeichnet. Anführer der Racan ist der charismatische Shinji. Auch die Racans verfügen teilweise über Texhnolyze-Implantate.

Hauptfigur der Serie ist jedoch der junge Ichise, ein sehr willensstarker und rebellischer Heranwachsender. Am Anfang wird ihm von einem sadistischen Organo-Mitglied mit einem Samurai-Schwert (der Standard-Waffe der Organo) ein Arm und ein Bein abgetrennt.

Ichise überlebt jedoch und wird durch Zufall von der Ärztin "Doc" auf der Straße gefunden. Doc entstammt ursprünglich der "Klasse", hat sich von dieser jedoch losgesagt und möchte so viele "normale" Menschen wie möglich mit Texhnolyze ausstatten. Für sie ist Texhnolyze Bestandteil der menschlichen Evolution, statt Prothesen zu entwickeln, die genauso wirken wie die ursprünglichen Gliedmaßen, strebt sie danach die Texhnolyze-Implantate immer weiter zu verbessern. So bekommt Ichise eine Arm- und Bein-Prothese die ihn nahezu unbesiegbar machen (weckt natürlich sofort Erinnerungen an "Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann").

Ichise ist anfangs alles andere als begeistert über seine neuen Prothesen (die ihm ohne sein Einverständnis verpaßt wurden), da sie nicht so funktionieren, wie er es sich vorstellt. Damit die Prothesen überhaupt funktionieren hat Doc ihnen ein paar Zellen von Ichises verstorbener Mutter implantiert, die Ichise bis dato als Andenken in einer Kapsel um den Hals trug. Auch das findet Ichise alles andere als toll. Doch nach der anfänglichen Wut wird Ichise im Zuge der Serie immer ruhiger, regelrecht apathisch. Nur hin und wieder blitzt der Haß in ihm wieder auf, etwa als er die Männer stellt die seinen Vater verraten haben (der deshalb getötet wurde) oder das Organo-Mitglied richtet, das ihn verstümmelte.

Eine weitere zentrale Figur ist Ran ist ein kleines Mädchen, das über die ungewöhnliche Gabe verfügt in die Zukunft sehen zu können, wobei es sich allerdings immer nur um eine mögliche Zukunft handelt und sie hier auch immer nur die unmittelbar folgenden Geschehnissen erkennen kann, ihr Zukunftsblick ist also eingeschränkt. Sie ist auf geheimnisvolle Weise mit Ichise verbunden, will ihm jedoch nicht seine Zukunft verraten.

Im ersten Teil der Serie spielt weiterhin Kazuho Yoshii eine entscheidende Rolle, der aus der Außenwelt nach Lukuss kommt. Zuerst wirkt er wie ein Tourist, eine Art Chronist, der wissbegierig alles über die Stadt erfahren möchte. Später stellt sich jedoch heraus, daß er ein Intrigant und Attentäter ist, der systematisch alle drei Gruppen in Lukuss (Organo, Union und Racan) aufeinanderhetzt und am Ende sogar ein Attentat auf ein Mitglied der Klasse plant, die er für schwach und krank hält. Während es anfangs noch so scheint, als habe er einen Auftrageber, agiert Yoshii immer autonomer und versucht die Stadt ins Chaos zu stürzen, aus dem eine neue Weltordnung entstehen soll.

Zunächst scheint Yoshiis Plan aufzugehen, alle beteiligten Gruppen gehen aufeinanderlos. Nur Keigo Onishi, der Kopf der Organo, durchschaut, daß hier falsch gespielt wird. Er kann die anderen allerdings nicht davon überzeugen, daß es um einen Komplott geht und sie gegeneinander ausgespielt werden sollen. Es kommt zum erbitterten Krieg zwischen den drei Gruppen, wobei es in der Organo auch noch interne Querelen gibt, Onishi soll gestürzt und gegenüber der Klasse als Sündenbock für das Chaos herhalten.

Gemeinsam mit Ichise gelingt es Onishi jedoch Yoshii aufzuhalten, er wird von Ichise zur Strecke gebracht und stirbt schließlich durch seinen eigenen Handlanger Sakimura. Onishi nimmt seine alte Stellung wieder ein, liegt aber noch geschwächt im Krankenhaus. Ichise steigt bei der Organo ein und deckt auf, daß ein Teil der Anschläge auch auf das Konto eines Organo-Bosses gingen, der Onishis Führungsstil diskreditieren wollte.

Insgesamt ist Texhnolyze eine sehr avantgardistische Anime-Serie, in der es viel um Identität, den freien Willen und Fatalismus geht. Die zunehmende Mechanisierung des menschlichen Körpers wirft die Frage auf, was den Menschen eigentlich zum Menschen macht. Auch die Frage nach Humanität in einer durch und durch inhumanen Gesellschaft wird immer wieder zwischen den Zeilen gestellt. Viele Dinge bleiben im Dunkeln, dem Zuschauer wird abverlangt selbst frei zu interpretieren, was er sieht. Wer sich darauf einläßt, bekommt dann aber gute Unterhaltung geboten.

VOX zeigte die Folgen 1 bis 12 am letzten Freitag in deutscher Fernseherstausstrahlung. Heute gibt es dann den zweiten Teil mit den Folgen 13 bis 22 von 0.30 bis 5.10 Uhr. Für knapp fünf Stunden dieser Serie am Stück und dann auch noch bis in die frühen Morgenstunden braucht es schon etwas Ausdauer, notfalls sollte man eben einfach den Video- oder Festplatten-Rekorder programmieren. Allerdings ist das immer noch angenehmer, als sich jede Woche nur eine Episode ansehen zu können, wo es dann immer einen nervigen Cliffhanger gibt. Da ich hier die ersten 12 Folgen vom letzten Freitag zusammengefaßt habe, macht es auch nichts, wenn man heute erst mit dem zweiten Teil einsteigt.

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