Dienstag, Mai 22, 2007

Pflugscharen zu Knieschüssen -- Zur Linksextremismushysterie im Vorfeld von Heiligendamm

Merkels kleines Samaragrad

Ja, das hat dann nicht so ganz hingehauen: Als Merkel gegenüber dem Kollegen Putin in Samara ihre Bedenken darüber äußerte, daß Bürgerrechtler am Rande ihres jüngsten Treffens daran gehindert werden für Meinungsfreiheit und Menschenrechte zu demonstrieren, erdreistete sich der "lupenreine Demokrat" -- wie Ex-Kanzler Schröder ihn einst nannte -- Wladimir Putin zu erwidern, daß das Demonstrationsrecht in Deutschland im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm ja auch eingeschränkt worden sei und es zudem präventive Razzien in Hamburg und Berlin gegeben habe.

Der Vergleich hinkt natürlich, denn trotz aller Einschränkungen und Repressionen befindet sich der deutsche Rechtsstaat (noch) nicht auf dem Niveau von Putins autoritärer Vision einer "gelenkten Demokratie" (Kritiker reden eher vom Fallbeispiel einer "defekten Demokratie"). Dennoch sah Merkel bei dem Versuch Putin hinsichtlich der russischen Demokratiedefizite zu tadeln nicht besonders gut aus, da Putins Retour-Hinweis auf die Verhältnisse in Deutschland hinsichtlich des G8-Gipfels einen wunden Punkt traf. Für die Medien war die Story jedenfalls ein gefundenes Fressen (siehe z.B. "Schein-Heiligendamm", "Merkel in Argumentationsnot" und natürlich Stuttmann).

Von der legitimen Prävention zur illegitimen Repression

Tatsächlich ist der Katalog von präventiven Maßnahmen im Vorfeld von internationalen Konferenzen (neben den G8- z.B. auch die WTO-Treffen) unabhängig vom Gastgeberland ja immer in etwa der gleiche. Man sagt, man wolle die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht nicht einschränken, aber mit dem Hinweis auf die Sicherheitsproblematik wird der Veranstaltungsort in der Regel dann doch hermetisch abgeriegelt, so daß der Protest nie zu nah an die Konferenzteilnehmer kommt.

Auch daß man möglichen Ausschreitungen zuvorkommen möchte, indem man versucht potentielle Randalierer schon im Vorfeld unter Druck zu setzen und die Organisation einer Protestbewegung zu stören, ist ja kein neues Phänomen. Problematisch wird es, wenn aus legitimer Prävention illegitime Repression wird, wenn die Exekutive also anfängt es mit den Grundrechten nicht mehr so genau zu nehmen. In einem Telepolis-Artikel heißt es:

"In Niedersachsen hat die Polizei auch Globalisierungsgegner, die sie als gewalttätig betrachtet, besucht. Man habe sie vor einer Reise nach Heiligendamm gewarnt, sagte ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums. 'Den Leuten wird signalisiert, dass wir sie im Visier haben.' Vermutlich will man sie unter Druck setzen und damit gleichzeitig vermeiden, sie in Schutzhaft zu nehmen, was – auch wie jetzt im Hinblick auf Russland – international keinen guten Eindruck hinterlassen könnte." ("Russische Verhältnisse in Heiligendamm?", Telepolis, 19.05.07)

Man hat die Zielpersonen also nicht dabei beobachtet, wie sie ganz konkret etwas Illegales planen, viel mehr reicht allein der Umstand daß sie von der Exekutive einem bestimmten Milieu zugerechnet werden aus, sie unter Druck zu setzen. Vielleicht hat Rötzer recht, wenn er vermutet, man nimmt sie nicht in "Schutzhaft" (gemeint ist hier sicherlich Unterbindungsgewahrsam) weil dies international keinen guten Eindruck machen würde, wahrscheinlicher ist jedoch, daß man nichts in der Hand hat, was als rechtliche Begründung für Unterbindungsgewahrsam ausreicht (welcher ja rechtsstaatlich ohnehin umstritten ist). Daher werden die potentiellen Täter dann eben einfach nur "besucht".

Der Tagesspiegel berichtete am Sonntag von einem "Blockade-Training" von G8-Gegnern in Berlin. Dabei trainieren die Beteiligten, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie während eines Sitzstreiks z.B. von der Polizei weggetragen werden sollen. Die Polizei schritt gegen das Training nicht ein, was am letzten Wochenende noch ganz anders war:

"Die Polizeiführung hat sich für Zurückhaltung entschieden. Am vergangenen Wochenende hatten Polizisten ein ähnliches Training gestoppt und die Personalien von 20 Teilnehmern aufgenommen. Am folgenden Tag hatte sich die Polizei dafür entschuldigt und mitgeteilt, dass 'ein solches Training nicht strafbar ist'." ("Der Protest soll richtig sitzen", Tagesspiegel, 20.05.07)

Man stoppt also zunächst das besagte Training und nimmt die Personalien von 20 Teilnehmern auf, nur um dann im Nachhinein einzuräumen, daß ein solches Training "nicht strafbar ist", es also auch keine Rechtsgrundlage für das Einschreiten der Polizei gab. Der Fall steht symptomatisch für eine Entwicklung hin zu einem hektischen Überreagieren seitens der Staatsmacht, sobald irgend etwas im Vorfeld des G8-Gipfels auch nur leicht subversiv riecht.

Denn das alternative, richtige Vorgehen wäre natürlich gewesen, sich vor dem Einschreiten erst mal klar zu werden, ob es für das Unterbinden eines solchen "Blockade-Trainings" überhaupt eine Rechtsgrundlage gibt, und falls ja, ob es dann auch wirklich Sinn macht, das Training zu unterbinden. Denn die Teilnehmer lernen dort ja nicht mit Steinen nach Polizisten zu werfen, sondern wie sie sich z.B. beim Wegtransportieren schwer machen können, ohne dabei aber panisch um sich zu schlagen. Es geht also um das Erlernen passiven Widerstands, der Deeskalationsstrategien beinhaltet -- was unter Umständen auch der Staatsmacht entgegenkommt, will sie die Demonstranten dann im Ernstfall wirklich abstransportieren. Ein Demonstrant der sich absichtlich schwer macht mag nerven, ist aber immer noch besser als einer, der sich zusammen mit seiner Gruppe aktiv dem Abtransport mit Gewalt zu widersetzen versucht.

In der Wikipieda kann man über den Präventionsstaat lesen:

"Fürsprecher des Präventionsstaates halten diesen angesichts der Gefahren des Terrorismus für notwendig und sinnvoll. Kritiker halten einen Präventionsstaat hingegen für nur schwer oder gar nicht mit einer freiheitlichen Demokratie vereinbar."

Nun führt sicherlich nicht jede präventive Maßnahme gleich dazu, daß der Rechtsstaat zum Präventionsstaat mutiert. Auch gibt es sicherlich Fälle, bei denen präventives Eingreifen unumgänglich ist, um z.B. einen terroristischen Anschlag zu unterbinden. Doch die präventiven Maßnahmen sollten nicht die Regel werden, sollten nicht wie im Fall des G8-Gipfels in Heiligendamm dazu genutzt werden, eine systematische Kriminalisierung der politischen G8-Gegnerschaft voranzutreiben.

Das neue linke Schreckgespenst der Republik: die "militante gruppe" (mg)

In der zweiten Maiwoche fanden in Norddeutschland (Hamburg, Berlin, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg) Razzien statt. Durchsucht wurden mehr als 40 Wohnungen, Büros, Archive, Buchläden, ein Internetanbieter und linke Kulturzentren wie der "Mehringhof" und das "Bethanien" in Berlin oder die Rote Flora in Hamburg.

Die Ermittlungen richteten sich gegen die sogenannte "militante gruppe" (mg). Auf das Konto dieser linksextremistischen Untergrundorganisation gehen 25 Brandanschläge im Raum Berlin-Brandenburg, neben Autos befinden sich auch Gebäude unter den Zielobjekten (im Detail siehe Wikipedia). Weiterhin bekannt wurde die Gruppe durch die Versendung von scharfer Munition, u.a. an Otto Graf Lambsdorff und andere Beteiligte der Zwangsentschädigungs-Verhandlungen.

Besondere Aufmerksamkeit widmete der Verfassungsschutz auch der durch die mg initiierten "Militanzdebatte" (siehe dazu auch den aktuellen Verfassungsschutzbericht), die in der linksradikalen Untergrund-Zeitschrift "Interim" geführt wird. In dieser Debatte geht es kurz gesagt darum, ob die radikale Linke auch wieder Anschläge auf Menschen verüben soll oder nicht. Bisher haben in der Debatte jedoch die Gegner einer solchen Eskalation die Oberhand, wie auch der Verfassungsschutz festhält (dazu komme ich weiter unten noch mal).

Schon seit Jahren versucht man die mg zu zerschlagen, ihre Mitglieder dingfest zu machen. Zuletzt meldete der Focus 2003, die Identität von vier Mitgliedern sei bekannt und gegen sie würde ermittelt, was sich jedoch als Falschmeldung entpuppte (es gab keine Hausdurchsuchungen, Festnahmen oder Verfahren). Diesmal gab es dann zwar tatsächlich Hausdurchsuchungen, aber auch keine Verhaftungen.

Konstruierte Terrorismusvorwürfe

Neben der "militanten gruppe" galten die Razzien aber auch Mitgliedern der "Militanten Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel G8 2007 in Heiligendamm", eine radikale Gruppe, die verdächtigt wird, den G8-Gipfel stören zu wollen.

"Die meisten der angeblich in der 'Militanten Kampagne' organisierten Einzelgruppen haben nur jeweils eine Straftat begangen; die Ermittler vermuten aber personelle Überschneidungen und fassen die Gruppen ganz einfach zu einer Vereinigung zusammen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt insgesamt gegen 21 namentlich bekannte und weitere unbekannte Personen. Dreien wirft sie die Mitgliedschaft in der 'Militanten Gruppe' vor, den anderen 18 Mitgliedschaft in der 'Militanten Kampagne'.

Dass die Öffentlichkeit die fast 40 Anschläge kaum zur Kenntnis genommen hat, erklärt sich, wenn man die Aktionen betrachtet: Gäbe es den Paragrafen 129a nicht, könnte die Staatsanwaltschaft nur wegen Sachbeschädigung und Brandstiftung ermitteln. Mehrere geparkte Autos brannten ab, bei Wohnhäusern, öffent­lichen Einrichtungen und Firmengebäuden wurden Fensterscheiben eingeworfen. Durch die Konstruktion der 'Militanten Kampagne' werden sogar Farbbeutelwürfe auf Häuserfassaden zu terroristischen Akten aufgebauscht.

... Der Anwalt Christoph Kliesing geht davon aus, dass die 129a-Verfahren nur eingeleitet wurden, um die Überwachungsmöglichkeiten der Strafprozessordnung ausschöpfen zu können. Er zweifelt wegen der dürftigen Beweislage daran, dass es überhaupt zu Anklagen gegen die Beschuldigten kommt." ("Die Position der Republik", Jungle World, 20/07)

Der hier geäußerte Vorwurf ist also, daß 129a (Bildung terroristischer Vereinigungen) nur ins Spiel gebracht wurde, um die Sache aufzubauschen und mehr Überwachungsmöglichkeiten zu haben. Wenn es tatsächlich nicht mal zu Anklagen kommt, wäre das natürlich ein weiteres Indiz für die die Fadenscheinigkeit der ganzen Aktion. Worum es nach Meinung vieler Kritiker in Wirklichkeit ging, faßt Carsten Schnober in der Jungle World so zusammen:

"Dass es bei der Aktion ums Sammeln von Informationen über die gesamte Szene ging, verdeutlicht die Durchsuchung beim Internetanbieter SO36.net. Der Durchsuchungsbeschluss wies ausdrücklich Personen- und Adressenverzeichnisse als zu beschlagnahmende Beweismittel aus. Betroffen waren neben zehn privaten E-Mail-Postfächern auch zwei Mailinglisten, womit alle Besitzer darin eingetragener E-Mail-Adressen unter Terrorverdacht gestellt werden.

... Obwohl die Begründungen der Durchsuchungsbeschlüsse und die ausbleibenden Haftbefehle zeigen, dass die Bundesanwaltschaft wenig in der Hand hat, das ihre Vorwürfe untermauert, ist die Liste der Verdächtigen offenbar nicht zufällig zusammengestellt. Vielmehr finden sich darauf bekannte Aktivisten wieder, deren Handlungsfähigkeit während des G8-Gipfels offenbar eingeschränkt werden sollte." ("Die Position der Republik", Jungle World, 20/07)

Ging es also in Wahrheit nur darum, einige "bekannter Aktivisten" für den Zeitraum des Gipfels zu "neutralisieren" und zeitgleich durch die Beschlagnahmung von Personen- und Adressenverzeichnis mehr Infos über die Bewegung als solche zu sammeln? Dann wären die Razzien wirklich überzogen gewesen und unter "falschem Label" (129a) durchgeführt worden.

In einem weiteren Jungle World Artikel schreibt Carlos Kunze über das "Spektakel des Terrorismus":

"So funktioniert es mittlerweile, das deutsche Spektakel des Terrorismus. Es funktioniert über die Herstellung eines Bildes, das sich vollständig von der (geschichtlichen wie gegenwärtigen) Realität abgelöst hat. Es funktioniert über die Amalgamierung von allem und jedem. Dass die Gruppen und Grüppchen wie RAF, RZ, Bewegung 2.Juni, die für den 'bewaffneten Kampf' (so die Gruppen) bzw. 'Terrorismus' (so der Staat) zuständig waren, seit Jahrzehnten nicht mehr existieren, dass die Taten der überaus terrorverdächtigen 'Militanten Gruppe' dem entsprechen, womit sich die Jugend in den französischen Banlieues die Zeit vertreibt: dem Abfackeln von Autos, ist dem Spektakel egal." ("Staatsschauspiel, neu aufgeführt", Jungle World, 20/07)

Natürlich hinkt auch dieser Vergleich, da die Jugendlichen in den französischen Banlieues eben einfach nur x-beliebig irgend welche Autos aus Frust abfackeln, während sich etwa die mg ja ganz gezielt Fahrzeuge heraussucht und ihre Anschläge in einen ideologischen Kontext stellt. Trotzdem ist die Frage natürlich berechtigt, ob man hier wirklich schon von "Terrorismus" reden kann.

Demonstrationsverbote rund um den Gipfel

Ein weiterer Streitpunkt ist das generelle Demonstrationsverbot rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm. Kritiker monieren, ein solches Verbot ginge zu weit. Einer der Anwälte die gegen das Verbot eine Klage anstreben, Claus Förster, wurde von Telepolis interviewt:

"Telepolis: Wie werten Sie diese Verbotsverfügung juristisch?

Claus Förster: Ich sehe darin eindeutig einen Verstoß gegen den Paragraphen 15 des Versammlungsgesetzes. Allerdings ist juristisch generell umstritten, ob mit solchen Allgemeinverfügungen in das grundrechtlich geschützte Versammlungsrecht eingegriffen werden kann. Dabei muss es um eine konkrete Versammlung mit konkreten Verdachtsmomenten gehen. Bei den Verboten rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm handelt es sich dagegen um eine Allgemeinverfügung, mit der zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Region alle Demonstrationen generell verboten werden. Eine Einzelfallprüfung wird hier nicht mehr vorgenommen.

Telepolis: Gab es solche Maßnahmen schon früher?

Claus Förster: Ja. Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Castortransporte ins Wendland die Rechtmäßigkeit einer solchen Allgemeinverfügung bestätigt. Im Unterschied zu den Protesten in und um Heiligendamm war in Gorleben allerdings eine wesentlich kleinere Fläche zur versammlungsfreien Zone erklärt worden. Es handelte sich dort um ca. 100 Meter. Das Gericht begründete die Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots damit, dass sich die Proteste auch außerhalb dieser Zone noch in Hör- und Sichtweite der Adressaten befinden. Genau dieses Kriterium würde in unserem Fall nicht mehr gelten, da die Verbotszone mehrere Kilometer umfasst und die Adressaten des Protestes dann davon nichts mehr mitbekommen würden." ("Die rechtlichen Argumente sind auf unserer Seite", Telepolis, 22.05.07)

Förster weiter: "Juristisch sind die Argumente sicher auf unserer Seite. Aber es wäre auch lebensfremd zu glauben, dass die Richter unbeeindruckt von der politischen Großwetterlage ihre Entscheidungen fällen." Ob die Klagen durchkommen kann sich ggf. auch erst kurz vor dem Gipfel zeigen.

Ebenfalls Teil der Panikmache und Terrorhysterie: die Medien

Die legendäre, linksalternative Berliner Band Ton Steine Scherben sang in ihrer Hausbesetzter-Hymne, dem "Rauch-Haus-Song", Anfang der 70er Jahre:

"Und vier Monate später stand in Springers heißem Blatt, daß das Georg-von-Rauch-Haus eine Bombenwerkstatt hat. Und die deutlichen Beweise sind zehn leere Flaschen Wein und zehn leere Flaschen können schnell zehn Mollies sein."

30 Jahre später ist es der Focus der als erstes über die brisanten Ergebnisse der oben beschriebenen Razzien erfahren haben will:

"Der 'Focus' berichtet heute vorab, dass im Zuge der Razzia in Berlin Zubehör für Brandsätze und Zeitzünder sichergestellt worden sein. Das Blatt beruft sich auf erste Analysen der Durchsuchungen. Von Weckern, Drähten, Uhren und größeren Feuerwerkskörpern ist in dem Beitrag die Rede. In Brandenburg hätten Beamte Anleitungen zum Bau von Spreng- und Brandvorrichtungen entdeckt. In Hamburg habe die Polizei bei einem Verdächtigen 'ge- und verfälschte Personaldokumente' beschlagnahmt." ("Polizei fand bei Razzia Zubehör für Brandbomben", Spiegel Online, 12.05.07)

Gefälschte Personaldokumente, Wecker, Drähte, "größere Feuerwerkskörper" und Anleitungen zum Bau von Spreng- und Brandvorrichtungen -- die heute jeder aus dem Internet herunterladen kann. Das riecht schon sehr nach einer eher spärlichen Rechtfertigung für den unverhältnismäßigen Razzia-Einsatz. Die Bundesanwaltschaft wollte die "Enthüllungen" von Focus nicht kommentieren, doch wenn sie am Ende nicht mehr vorzuweisen haben, bleibt es bei der Erkenntnis, daß die Razzien ein politisch motivierter Versuch waren, G8-Gegner im Vorfeld des Gipfels einzuschüchtern.

Doch auch in "Springers heißem Blatt" konnte man natürlich wieder die schönsten Varianten einer Terror-Panikmache studieren. Mit Bezug auf den aktuellen Verfassungsschutzbericht schreibt Bild-Redakteur Einar Koch:

"Im Klartext: Der Verfassungsschutz schließt Anschläge auf Politiker und Manager nicht mehr aus! In der Szene würden bereits Aktionen gegen 'Handlanger und Profiteure des Systems' diskutiert ('Knieschüsse', 'Exekutionen')." (Bild, 14.05.07, zitiert nach BILDblog)

Die Geschichte mit den "Knieschüssen" und "Exekutionen" machte dann in den restlichen Medien schnell die Runde. Tatsächlich resümiert der Verfassungsschutzbericht jedoch:

"Insgesamt war wiederum keine signifikante Entwicklung in der Militanzdebatte feststellbar. Nach wie vor überwiegen kritische Einschätzungen." (Verfassungsschutzbericht 2006, S. 153)

Und in der taz heißt es weiter zu einer Stellungnahme des Verfassungsschutz-Präsidenten Heinz Fromm:

"Schlechte Nachrichten für die Fans der Panikmache vor dem G-8-Gipfel: (...) Spekulationen über einen neuen RAF-Terrorismus seien 'völlig gegenstandslos', versicherte Fromm. Er habe vielmehr zuletzt 'ein paar sehr zugespitzte Überschriften' in der Presse gelesen. (...) Und was ist mit der Meldung der Bild-Zeitung, der Verfassungsschutz schließe von Linksextremen begangene 'Anschläge auf Politiker und Manager nicht mehr aus'? In der Szene würden auch 'Exekutionen' diskutiert? Im Moment habe sein Amt keine Hinweise, dass militante G-8-Gegner Anschläge auf Menschen planten, sagte Fromm." ("Agenten entspannter als Journalisten", taz, 16.5.07)

Natürlich ist es immer denkbar, daß eine linksextremistische Gruppierung wie die mg irgendwann dazu übergeht, auch Anschläge auf Menschen zu verüben. Insofern ist der Titel der Bild-Zeitung auch sinnig, denn völlig ausschließen konnte und kann man doch linksextremistische Anschläge auf Politiker und Manager nie. Glücklicherweise gab es solche Anschläge auf Menschen aber seit der RAF nicht mehr (im Gegensatz zum Rechtsextremismus, der eben immer noch Menschenleben fordert). Und nach Erkenntnissen des Verfassungsschutz gibt es auch keine konkreten Hinweise, daß sich das im Zuge des G8-Gipfels ändert. Was also soll die von der Bild-Zeitung losgetretene Hysterie?

Ähnlich wie der Focus fährt auch die Springerpresse im Vorfeld von Heiligendamm eine Panikmache-Schiene, die den Protest gegen den G8-Gipfel in den Kontext von Terrorismus zu stellen versucht. Das geht dann Hand-in-Hand mit Polizei und Staatsanwaltschaft, die mit Razzien, "Hausbesuchen", Demonstrationsverbot und einigen anderen Repressionsmitteln versucht, die Anti-G8-Bewegung noch vor Beginn des eigentlichen Gipfels zu zähmen.

Fazit

Daß die deutsche Staatsmacht versucht, die Randale im Kontext des G8-Gipfels schon im Keim zu ersticken erscheint legitim. Tatsächlich ist jetzt im Vorfeld von Heiligendamm eine Zunahme von Brandanschlägen zu verzeichnen (wobei noch zu klären wäre, ob die wirklich ausnahmslos alle etwas mit dem G8-Gipfel zu tun haben, schließlich haben diese Anschläge auf Sachgegenstände eine längere "Tradition", die sicherlich keinen unmittelbaren Bezug zu Heiligendamm hat). Und auch während des Gipfels wird es vermutlich Ausschreitungen geben. Da Heiligendamm als solches eine No-go-area ist und es das Demoverbot für den Gipfel-Bereich gibt, wird inzwischen Hamburg als wahrscheinlichster Knotenpunkt für Ausschreitungen prophezeit.

Es stellt sich jedoch die Frage nach der Recht- und Verhältnismässigkeit. Wenn Razzien tatsächlich nur als Vorwand dazu dienen, an Informationen über die Struktur der Anti-G8-Bewegung zu kommen und die Bewegung unter Druck zu setzen (nach dem Motto: "Wehe wenn ihr...") bzw. den Handlungsspielraum potentieller Deliquenten für den Zeitraum des Gipfels einzuschränken, dann wäre das rechtsstaatlich ein höchstbedenklicher Vorgang. Gleiches gilt natürlich für die Einschränkung des Demonstrationsrechts, hier bleibt abzuwarten, ob das Verbot nicht doch noch aufgehoben werden muß.

Weiterhin treffen diese präventiven Gegenmaßnahmen eben gerade nicht den radikalen Flügel, der im Gegenteil die Repression als Steilvorlage nimmt, die Serie von Brandanschlägen zu intensivieren. Die Razzien haben der radikalen Linken noch mal einen sehr starken Schub an Unterstützern verschafft, weil sich alle in eine "Jetzt erst recht"-Stimmung steigern ("Tausende protestieren gegen Razzien", Spiegel Online, 10.05.07). Auch rein strategisch betrachtet ist dieses Vorgehen für die Staatsmacht also kontraproduktiv.

Auf der anderen Seite wird dann die Hysterie vor einem wieder aufkeimenden "Linksterrorismus" insbesondere von der bürgerlichen Presse systematisch weiter aufgebaut. Jahrelang hat sich keiner für in Brand gesteckte Autos interessiert, erst im Vorfeld des G8-Gipfels wird das Stereotyp des "langhaarigen Bombenlegers" auf einmal wiederentdeckt. Nur erstens machen Brandanschläge auf Sachgegenstände noch keine neue RAF, zweitens steht wenn nur ein Bruchteil der durch Linksextremisten in den letzten Jahren verübten Brandanschläge in einem direkten Kontext zum G8-Gipfel in diesem Jahr. Nur verkauft sich Gewalt bzw. mögliche Gewalt als Schlagzeile natürlich immer besser, als eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der durchaus berechtigten Kritik der Anti-G8-Bewegung am Gipfel.

Das Ergebnis ist eine Kriminalisierung der Anti-G8-Bewegung, denn das in der Öffentlichkeit durch mediale Berichterstattung und staatliche Präventionsmaßnahmen konstruierte Bild suggeriert eine Gleichsetzung von "Gewalt", "Terrorismus" und "Anti-G8-Protest". Daß die große Mehrheit der Demonstranten und Aktivisten eben nicht irgendwelche Autos abfackelnde und Steine schmeißende Hooligans sind, wird in der Berichterstattung vielleicht mal am Rande erwähnt, geht aber ansonsten in der Terrorismushysterie einfach unter.

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