Montag, Mai 14, 2007

Gipfelstürmer


Link: http://video.google.com/videoplay?docid=-8876259762606192748

Im Jahre 2001, als die Anti-Globalisierungsbewegung ihren Zenit erreicht hatte, fanden während des G8-Gipfels in Genua die bis heute schwersten Auseinandersetzungen zwischen Staat (in diesem Fall Italien) und Protestierenden statt. Eine derartige Gewalteskalation hat es während eines G8-Treffens weder zuvor noch danach in ähnlichem Ausmaß gegeben. Auch die Auseinandersetzungen anläßlich des WTO-Treffens 1999 in Seattle (sog. "Battle of Seattle") reichen hinsichtlich des Ausmaß der Gewaltexzesse nicht an Genua "heran".

Ein Jahr später (2002), erstellten Michael Busse und Marie-Rosa Bobbi für die WDR-Serie "die story" eine Dokumentation über die Ausschreitungen in Genua mit dem Titel "Gipfelstürmer -- Die blutigen Tage von Genua", die mehrfach ausgezeichnet wurde.

Im ersten Teil ihrer Doku gehen die Autoren der These nach, die Polizei habe die gewalttätigen Protestierer (den sog. "Schwarzen Block") im Vorfeld bewußt gewähren lassen, um anschließend kollektiv gegen alle Protestierenden vorgehen zu können. Was anmutet wie eine Verschwörungstheroie, können die Autoren durchaus glaubhaft dokumentieren. Die Polizei hatte mehr als einmal die Chance, den gewaltbereiten Teil der Protestierenden im Vorfeld aus dem Verkehr zu ziehen, tat dies aber bewußt nicht. Auch die Verwicklung von postfaschisten Kräften (Alleanza Nazionale) innerhalb der Regierung Berlusconi wird veranschaulicht.

Im zweiten Teil geht es dann um den Tod des Demonstranten Carlo Giuliani der angeblich in Notwehr getötet wurde. Der Täter, ein Polizist, wurde 2005 freigesprochen. "In den heutigen Verfahren 2006 stellte sich allerdings heraus, dass Carlo Giuliani und die restlichen Demonstranten aus Notwehr gehandelt haben" (Wikipedia). In der Dokumentation konzentriert man sich aber weniger auf den Ablauf der Tat (der war 2002 schlecht zu rekonstruieren), sondern auf die Reaktionen der Polizei, die mit Sekt auf den Tod des Demonstranten angestoßen und faschistische Lieder gegrölt haben soll.

Im dritten und letzten Teil geht es um die Vorfälle in der Diaz-Schule, dem blutigsten Kapitel von Genua. Nachdem der Gipfel und damit auch der Protest vorüber war, wurde in der letzten Nacht noch eine Razzia in der Diaz-Schule durchgeführt, in der noch Globalisierungsgegner nächtigten. Die im Schlaf überraschten Demonstranten wurden von der Polizei niedergeknüppelt, in eine Kaserne verschleppt, verhört und misshandelt (siehe Bolzaneto-Prozess). Anschließend aufgenomme Bilder der Diaz-Schule zeigen Zimmer voller Blutspuren.

Um das Vorgehen im Nachhinein zu rechtfertigen wurden den Anwesenden zwei Molotov-Cocktails als Beweise untergeschoben. Doch die Sache flog auf, gegen 30 Führungskräfte der italienischen Polizei wurde 2002 wegen Beweisfälschung und falscher Anschuldigungen ermittelt. Demnach haben hohe Polizeibeamte die Molotov-Cocktails in der Diaz-Schule platziert "und so aus schlafenden Globalisierungsgegnern Terroristen gemacht" (O-Ton Dokumentation). Insgesamt wurden 90 Beamte angeklagt, nennenswerte Urteile gab es noch nicht (siehe dazu "Verhandeln bis zur Verjährung der Tat", taz, 13.10.05).

Natürlich lassen sich die hier dokumentierten italienischen Verhältnisse nicht einfach auf jedes x-beliebig andere Land übertragen. Nur das ein solches Vorgehen in einem westeuropäischen, in der Demokratie verhafteten Land überhaupt noch möglich ist, schockierte selbst hartgesottene Beobachter und zeigt nachdrücklich auf, wie naiv die Vorstellung ist, das Vorgehen der Exekutive in Rechtsstaaten sei per se grundsätzlich immer in Ordnung und rechtens. Ferner zeigt die Dokumentation, wie schnell Demonstranten zu Terroristen erklärt werden können.

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