Mittwoch, April 18, 2007

Die Meisterprüfung

1967 schaffte der damals mit 30 noch recht junge Dustin Hoffmann mit seiner Rolle in "Die Reifeprüfung" seinen cineastischen Durchbruch. Der Film, der die Beziehung eines jungen Liebhabers zu einer älteren, verheirateten Frau thematisiert, galt damals je nach Standpunkt als revolutionär oder skandalös. Auf jeden Fall schrieb er Filmgeschichte.

Auch Günther Oettinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hatte in den vergangenen Tagen eine Art "Reifeprüfung" zu bestehen, obwohl er natürlich wenig mit der Filmfigur des Benjamin Braddock gemein hat. Reinhard Mohr spottete im Spiegel Online, Oettinger gehöre wie seine Kumpane vom Andenpakt zu einer Generation ehemaliger RCDSler, die während der 68er-Zeit an Universitäten verlacht und isoliert wurden und jetzt als Ministerpräsidenten ernst genommen werden müßten, sozusagen eine späte Rache der "spießigen Mama- und Papasöhnchen, die die politische Meinung ihrer Eltern weitgehend als ihre eigene ausgaben". Auch FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher betonte in einem Leitartikel Oettinges "spießbürgerliches Unverhältnis zur Vergangenheit".

Die "Reifeprüfung" Oettingers war also eine andere, Georg Brunnhuber, Baden-Württembergs CDU-Landesgruppenchef im Bundestag, sprach von einer "Meisterprüfung". "Die Wirkung für die 'christlich-konservative Seele' sei nicht zu unterschätzen, so der Bundestags-Abgeordnete. 'Für unsere Anhängerschaft hat er einen ganz, ganz großen Schritt getan. Er hat ein Tor aufgestoßen.'" (zitiert in Spiegel Online, 14.04.07).

Demnach bestand Oettingers "Meisterprüfung" also darin, daß er den ehemaligen NS-Marinerichter Hans Filbinger, der Todesurteile gegen Fahnenflüchtige mitunterzeichnet hatte, posthum zu einem "Gegner des NS-Regimes" erklärte (Dokumentation der Trauerrede, Spiegel Online, 12.04.07). Und damit nicht nur seinem CDU-Landesverband, sondern auch einem nicht unwesentlich Teil der Bevölkerung Baden-Württembergs aus der Seele sprach, die auf Filbinger nichts kommen lassen wollen und seinen Rücktritt 1978 als Ministerpräsident immer noch als ungerecht empfinden.

Trotz des zu erwartenden Gegenwinds (die Rede war von Anfang an in Oettingers Stab umstritten), hat Oettinger also mit seiner Trauerrede einen Versuch unternommen, dem rechten Rand der CDU zu gefallen. Damit hat er seine "Meisterprüfung", seine Mutprobe bestanden und sich einen Platz im christdemokratischen Altherrenclub nachhaltig verdient. Eine ähnliche Prozedur durchlief Roland Koch während der hessischen Spendenaffäre, auch hier war klar: entweder er stürzt oder er sitzt es aus und ist danach stärker denn je. "Was uns nicht umbringt, macht uns stärker" ist hier -- im übertragenden Sinn -- das Motto (welches ja angeblich auf Nietzsche zurückgeht).

Der Unterschied ist nur, daß Oettinger die Sache eben nicht ausgesessen hat, sondern nach mehreren Anläufen schließlich die problematische Aussage, daß Filbinger ein Gegner des NS-Regimes gewesen sei, zurückgenommen hat. Zuvor hatte er nur von möglichen "Mißverständnissen" gesprochen und sich dafür entschuldigt die Hinterbliebenen von NS-Opfern verletzt zu haben, sowie festgehalten, daß Dritte ihm lediglich unterstellen würde, er habe "Filbinger zum Widerstandskämpfer erklärt". Trotz dieses sukzessiven Zurückweichens und Herumeierns hat Oettinger in den Augen seiner konservativen Unionskollegen aber wohl seine "Meisterprüfung" bestanden, wie Brunnhuber das schon ganz richtig feststellte.

Viel spekuliert wurde auch über die Motivation von Michael Grimminger, der die Trauerrede für Oettinger verfaßt hatte und als glühender Anhänger / Verehrer Filbingers gilt (Spiegel Online, 13.04.07). Ging es also nur um einen übereifrigen Nachwuchspolitiker der sich mit einer zugespitzten Rede profilieren wollte und bewußt die Provokation suchte? Dagegen spricht, daß die Rede offenbar kontrovers in Oettingers Stab diskutiert wurde, dieser sich aber ganz bewußt dafür entscheiden hatte, sie so zu halten. Es geht also nicht darum, daß Oettinger von seinen eigenen Leuten "überrumpelt" wurde. Auch kann es nicht nur darum gegangen sein, mit dem Rechten Rand der CDU zu kuscheln (und es eigentlich gar nicht so zu meinen). Oettinger glaubt wirklich an das, was er da gesagt hat, daran läßt seine Bestimmtheit und das lange Aufrechthalten der zentralen Aussage eigentlich keinen Zweifel.

Ähnlich wie in den Fällen Hohmann und Jenninger hat es die CDU-Spitze geschafft die Sache vom Tisch zu kriegen, ohne daß sie darüber reflektiert hätte, wie es um geschichtsrevisionistische Tendenzen in der eigenen Partei-Basis und Wählerschaft bestellt ist. Während der ganzen Diskussion lag der Fokus stark auf Oettinger, dabei ist der wesentlich größere Skandal, daß er für sein Tun vom eigenen Landesverband nicht etwa getadelt sondern gelobt wurde (Stichwort: "Meisterprüfung"). So hat der Grüne Fritz Kuhn sicherlich nicht ganz unrecht, wenn er feststellt: "Die Südwest-CDU hat in den dreißig Jahren seit dem Filbinger-Rücktritt im Zusammenhang mit Aufarbeitung und Umgang mit der deutschen Geschichte nichts dazu gelernt" (zitiert in Spiegel Online, 17.04.07).

Angela Merkel stellte sich Oettinger zwar entgegen und tadelte ihn, doch tat sie es wirklich aus Überzeugung und Einsicht oder doch eher primär als Bundeskanzlerin mit dem Blick auf Deutschlands Wahrnehmung im Ausland? Innerhalb ihrer Partei hat sie sich jedenfalls mit ihrem Verhalten nicht nur Freunde gemacht, da hätte man es lieber gesehen, sie hätte versucht die Sache anders zu deckeln (Spiegel Online, 17.04.07).

Nur, was wäre passiert, wenn Oettinger stur geblieben wäre? Wer hätte ihm denn was gekonnt? Nur der eigene Landesverband und der stand und steht stramm hinter ihm. Der Druck aus der Bundeszentrale war am Ende wohl zu groß, von tatsächlicher Einsicht ist aber zumindest in der Südwest-CDU nichts zu spüren. Und es ist vermutlich auch nur eine Frage der Zeit, bis irgendwo in der Union wieder jemand nicht an sich halten kann und so blöd ist seine tatsächliche politische Meinung zur deutschen Vergangenheit herauszuposaunen.

Lesenswertes zum Thema:
  • Sebastian Fischer und Severin Weiland: "Oettingers fataler Flirt mit der Rechten", Spiegel Online, 13.04.07 (der einzige Spon-Artikel der auf die Hintergründe in der Südwest-CDU eingeht)

  • Christian Bommarius: "Die Oettinger-Affäre", Berliner Zeitung, 13.04.07 (Bommarius nennt die in der Diskussion oft übersehenden Tatsachen, daß Filbinger letztlich nicht wegen seiner NS-Vergangenheit, sondern wegen seiner Uneinsichtigkeit gehen mußte und das Oettinger nun die fatale Aussage Filbingers wörtlich in seiner Trauerrede übernommen hat)

  • Klaus Stuttmann: "Wenn Dr. Oettinger Geschichtslehrer geworden wäre...", Tagesspiegel, 13.04.07 (beste Karikatur zum Thema)

  • Reinhard Mohr: "Nazi-Muff aus 1000 Jahren", Spiegel Online, 15.04.07 (Mohr betont besonders das Nicht-erwähnen der Nazi-Opfer)

  • taz-Titelblatt: "Ich kann alles. Außer Geschichte.", taz, 16.04.07 (in Anspielung auf die baden-württembergische Eigenwerbungs-Kampagne "Ich kann alles. Außer Hochdeutsch")

  • Frank Schirrmacher: "Am Ende zählen Taten", FAZ, 16.04.07 (Schirrmacher analysiert und zeigt auf, warum Oettingers Verhalten auch aus konservativer Sicht untragbar ist)

  • Die PARTEI: "Oettinger stürzen" (Wortspiel von Der PARTEI / Titanic-Magazin mit Anspielung auf das Oettinger-Bier)

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