Donnerstag, Oktober 19, 2006

"Grind, Geschmeiß, Gesocks und Mensch"

flottemuckeimbernstein schrieb:

Humanismus

Grind. Geschmeiß. Gesocks. Mensch.

Bloomsday fragte:

Ein spontanes Brainstorming zum Begriff “Humanismus”? Eine freie Assoziationskette?

flottemuckeimbernstein erwiderte:

Im Grunde genommen weder noch. Ich bevorzuge wenn schon das spontane Brainstorming, denn um meiner Klimax das Kriterium der Freiheit zusprechen zu dürfen, würde es diesbezüglich eines ganzen Traktats erfordern. Berücksichtigt man beispielsweise allein den Begriff der “Assoziationskette”, also um genau zu sein einem Verbund von miteinander verknüpfter Assoziationen, fällt sofort ins Auge, dass eine Kette aus nicht autonomen Gliedern besteht und insofern nicht frei sein kann! Demnach birgt die Kombination der Worte “frei” und “Assoziationskette” einen Widerspruch in sich, der vom literarischen Standpunkt aus betrachtet sicherlich eine interessante Spannung erzeugt, meinen Anforderungen an logischem Denken aber nicht genügt.

"Frei" im Sinne von "ohne Einschränkungen". So könnte ich z.B. festlegen, daß du mir deine Assoziationen zum Begriff "Apfel" nennen sollst, dich dabei aber auf Obst beschränken sollst. Du konzentrierst dich auf "Apfel" und "Obst" und assoziierst in diesem Moment gar nicht mehr Apple (die Computerfirma) mit "Apfel", weil ich dich in deinen Assoziationen schon in eine bestimmte Grundrichtung gelenkt habe. In einer "freien Assoziationskette" nennst du dagegen wirklich jeden Begriff A der dir zum Begriff B einfällt, ohne Spezifikationen bzw. Einschränkungen. Auch wenn dann A und B in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, hattest du immer noch die freie Wahl B zu nehmen oder etwas anderes was dir spontan in den Sinn gekommen ist (C). Der potentielle "Assoziations-Radius" ist jedenfalls größer. Natürlich ist das insofern relativ, als daß "freie" Assoziationen auch nicht aus dem Nichts kommen, sondern durch Wissen, Erfahrungen, Sozialisation, etc. bestimmt werden.

Glücklich gewählt war "freie Assoziationskette" allerdings wirklich nicht. Vielleicht wäre "spontane Assoziationskette" besser gewesen, um meine Vermutung auszudrücken, daß du hier Begriffe aufgeschrieben hast, die dir zum jeweils vorhergehenden Begriff spontan eingefallen sind. Du hast also irgendwo "Humanismus" gelesen und dann spontan "Grind, Geschmeiß, Gesocks, Mensch" damit assoziiert. So meine erste Interpretation. Ein genaueres Hinsehen läßt aber vermuten, daß das so spontan nicht zu stande gekommen ist, du hast dir vermutlich mehr bei der Auswahl der Begriffe gedacht.

Die erste Frage die sich stellt ist, was du wirklich mit "Humanismus" gemeint hast. Die oft synonyme Verwendung der Begriffe "Humanismus" und "Humanität" ist problematisch, weil "Humanismus" auch im Sinne von "humanistischer Bildung" (Latein, Altgriechisch) bzw. als Bezeichnung für das Streben nach den Kulturwerten des griechisch-römischen Altertums verwendet wird. Um Mißverständnissen vorzubeugen, wird als Synonym für Menschlichkeit oder menschenfreundliche Gesinnung eher "Humanität" statt "Humanismus" verwendet.

Ich gehe davon aus, daß du Humanismus im Sinn von Humanität gemeint hast, also das was im Wahrig als "edle Menschlichkeit, Gesinnung und Verhaltensweise, die sich der Würde des Menschen verpflichtet fühlt" definiert wird. Ein positiv besetzter Begriff, dem du dann aber zunächst drei negativ konnotierte Wörter entgegenstellst. "Grind", "Geschmeiß", "Gesocks" sind abfällig gemeinte Begriffe. Okay, "Grind" ist vielleicht in erster Linie eklig, aber das impliziert irgendwo ja auch Abfälligkeit. Und nach diesen drei schlimmen G-Wörtern kommt dann mit "Mensch" auf einmal wieder ein positiv besetzter Begriff, der sich schon rein optisch von seinen drei Vorgängern dadurch abgrenzt, daß er nicht mit "G" beginnt.

Soweit so gut, nur was ist die Message? Gibt es überhaupt eine? Selbst wenn das von dir abstrakt gemeint war, nur ein Stück Sprache der Sprache wegen ist, etwas gedacht haben wirst du dir dabei ja in jedem Fall. Spricht da aus dir der Misanthrop, der dem moralisch überladenen, verlogenen Begriff des "Humanismus" (Stichwort: "Charity-Roadies" in Darfur) garstig die häßliche Realität entgegenstellen will? Oder ist es nicht eher umgekehrt ein moralisches Positionsbeziehen gegen die sprachliche Diskriminierung (Stichwort: "Unterschicht"), ein Hinweis darauf, daß das was in der Öffentlichkeit häufig abfällig als "Gesocks" bezeichnet wird eben auch "Menschen" sind, die als solche benannt werden sollten?

Eine weitere Interpretationsmöglichkeit wäre, daß die vier Begriffe eine Art Evolutionsfolge darstellen. Aus Grind wird Gesocks das sich zu Geschmeiß weiterentwickelt und am Ende zum Menschen wird. Hiernach stammt der Mensch also nicht vom Affen ab, sondern vom Geschmeiß. Auch das wäre eine eher garstige Darstellung der Menschheitsentstehung. Gegen diese Interpretation spricht allerdings die optisch deutliche Abgrenzung der Begriffe durch jeweils einen Punkt. Auch könnte es natürlich sein, daß du einfach nur meinst, man könne Grind, Geschmeiß, Gesocks und Mensch unter dem Begriff Humanismus zusammenfassen.

Gehen wir allerdings davon aus, daß meine Eingangsthese falsch war und du "Humanismus" nicht im Sinne von "Humanität" meinst, sondern hier in der Tat auf den typischen Bildungsbürger, den Humanisten, anspielst -- der Goethes und Schillers Werke sauber geordnet in Lederbänden im Regal stehen hat, der ein humanistisches Gymnasium besucht hat und sich viel auf seine Latein-Kenntnisse einbildet, der sich am oberen Rand der Bildungshierarchie glaubt, obwohl er nur in ihrem Mittelfeld verweilt, der meint, Elke Heidenreich verstünde etwas von Literatur, der sich als Teil der Elite versteht und doch nur das Juste Milieu repräsentiert, der Sonntags immer Tatort und danach Sabine Christiansen sieht, usw. -- dann sind die Begriffe "Grind, Geschmeiß, Gesocks" vielleicht auf ihn bezogen; eine Abrechnung mit dem Bildungsbürgertum wenn man so will.

Weiterführende Diskussion siehe blogSquad.

Keine Kommentare: