Montag, August 28, 2006

MediaTenor/Bild vs. ARD/ZDF

"Media Tenor" (früher "Medien Tenor") ist ein Schweizer Unternehmen für Medienanalysen. "Das Institut untersucht mit der Methode der Inhaltsanalyse den Politik- und Wirtschaftsteil der tonangebenden Tageszeitungen, Wochenmedien und Fernsehnachrichtensendungen" (Wikipedia).

Dabei geht das Unternehmen auch immer wieder auf Kollionskurs mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. So attackierte Medien Tenor im Jahr 2004 die Tagesschau und behauptete deren hohe Zuschauerzahlen sein im ersten Halbjahr auf die EM-Spiele zurückzuführen und die Zuschauer würden die Sendezeit eher für einen Toilettengang nutzen und damit gar nicht wirklich die Tagesschau sehen. In Wahrheit wurde in keiner einzigen Halbzeitpause eine Tagesschau gesendet und die Zahlen von Wasserwerken die den erhöhten Wasser-Verbrauch für den Toilettengang beweisen sollten legte Medien Tenor auch nicht vor (Wikipedia).

Das renommierte NDR-Magazin "Zapp", das sich "kritisch mit der journalistischen Arbeit und anderen Medien sowie deren Beeinflussung durch Dritte" (Wikipedia) beschäftigt, hat sich daraufhin "Medien Tenor" etwas genauer angesehen:

"Stattdessen liefert er [Roland Schatz, Geschäftsführer von Medien Tenor, Anm. Zit.] noch andere Behauptungen. Zum Beispiel über die spanische Prinzenhochzeit in Spanien, im Mai live übertragen auf vielen Kanälen. Sein Vorwurf: ARD und ZDF hätten darüber in den Nachrichten zu viel berichtet - schon in der Woche vor dem Ja-Wort. Schatz behauptet (Forschungsbericht 11. Jahrgang Nr. 146, Juli 2004): '(...) dass schon ab Montag täglich ausführliche Bildberichte über die Vorbereitungen zum Hochzeitsfest den knappen Sendeplatz blockierten.' Der Interviewer fragt dazu Roland Schatz: 'Sie behaupten weiterhin, an allen fünf Tagen gab es Vorberichte in der Tagesschau zu dieser Hochzeit?' Schatz antwortet: 'Selbstverständlich.' Der Interviewer fragt nach: 'Aber sowohl die Bänder als auch die Sendeprotokolle belegen: Dieses ist nicht wahr!' Schatz sagt: 'Dann lassen Sie uns die Bänder anschauen und dann können wir uns darüber unterhalten.' Der Interviewer fragt erneut: 'Gut. Sie bleiben aber bei Ihrer Behauptung?' Schatz antwortet: 'Klar!' Klar ist nur: Seine Behauptung ist falsch." (Zapp, 26.09.04)

In dem Bericht werden noch zahlreiche weitere Fälle und Kritiker zitiert, doch das alles läßt Medien Tenor kalt. Die Notwendigkeit das Zustandekommen der angeblich wissenschaftlichen Studien transparent zu machen, sieht man nicht.

Im Jahr 2004 strebte die ARD ein Verfahren gegen das Unternehmen an, gewann und erwirkte eine Gegendarstellung (tvblogger.de). 2005 ging "Medien Tenor" insolvent, tauchte aber sogleich als "Media Tenor" wieder auf (Wikipedia).

Im Zuge des jüngsten Nahost-Krieges machte Media Tenor dann erneut Schlagzeilen mit der Behauptung, ARD und ZDF würden zu einseitig zugunsten der libanesischen Seite berichten. Dazu erstellte Media Tenor eine Studie. Bei Telepolis faßt Peter Nowak anhand von einigen Passagen das Ergebnis der Studie zusammen:

"'In ihren Hauptnachrichten werden ARD (Tagesschau und Tagesthemen) und ZDF (Heute und Heute Journal) ihrem Auftrag der unparteiischen und unabhängigen Berichterstattung über die Vorgänge im Nahen Osten in unterschiedlicher Weise nicht gerecht', heißt es dort. Konkret wird den Nachrichtensendungen vorgeworfen, die Sendung mit der Berichterstattung über den Konflikt immer im Libanon beginnen zu lassen und damit Israel als Angreifer an erster Stelle und die Gewalt der Hisbollah als nachrangig darstellen. 'Täter ist in erster Linie Israel – Opfer in erster Linie die Zivilbevölkerung im Libanon', sei die Botschaft der Sendungen. Außerdem werde die UN-Resolution zur Entwaffnung der Hisbollah und die Unfähigkeit oder der Unwille der libanesischen Armee, diese umzusetzen, nicht genügend erwähnt. 'Damit fehlt die Grundlage für das Verständnis für das Agieren der israelischen Regierung', heißt es in der Studie. Außerdem wird das Fehlen von Hisbollah-Kämpfern in den Sendungen bemängelt. Dafür seien israelische Soldaten ständig im Bild." (Telepolis, 16.08.06)

Daß nun ausgerechnet die BamS diesen Einseitigkeits-Vorwurf der Studie so stark aufgegriffen hat, klingt wie blanker Hohn angesichts der Tatsache, daß die Bild selbst einseitig zugunsten Israels berichtete, wie im BILDblog sehr plastisch veranschaulicht wurde (siehe Einträge vom 08.08.06 und 09.08.06).

Natürlich hat die private Bild-Zeitung nicht den gleichen Auftrag zur unparteiischen und unabhängigen Berichterstattung wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Bekanntermaßen müssen sich Journalisten die für den Axel-Springer-Verlag arbeiten zur Solidarität mit Israel in ihrer Berichterstattung verpflichten. Trotzdem ist es natürlich verlogen wenn dann "'Bild am Sonntag' die Mahnung zitiert, dass in einem Krieg 'jede der handelnden Parteien ein eigenes Interesse bei der Zurverfügungstellung von Informationen' habe, und Medien deshalb Distanz wahren und vermitteln müssten" (BILDblog). Und so schreibt Peter Nowak für Telepolis:

"Die Macher der Medienstudie vergessen zu erwähnen, dass dem hehren Ziel der Ausgewogenheit in der Regel nicht Emotionalität, sondern unterschiedliche Interessen entgegen stehen. Darüber müsste der Springerkonzern, der jetzt so lautstark für die Ausgewogenheit im Nahostkonflikt trommelt, eigentlich am Besten Bescheid wissen. Dort müssen sich alle Journalisten zur Solidarität mit Israel in ihrer Berichterstattung verpflichten. Dafür mag es gute politische Argumente geben. Die sollte man dann aber auch diskutieren. Das ist allemal sinnvoller, als eine Neutralität und Ausgewogenheit zu fordern, die es gar nicht geben kann." (Telepolis, 16.08.06)

Nowaks Kritik an der Studie fußt darauf, daß dort eine Ausgewogenheit gefordert wird, die gar nicht geleistet werden kann. Weder von der ARD/ZDF noch der Springerpresse oder sonst wem. Daneben gibt es natürlich noch weitere Kritikpunkte. So haben ARD/ZDF Media Tenor abermals aufgefordert die Basisdaten offenzulegen, auf denen die Studie basiert. Und wieder hat sich Media Tenor dem verweigert (Wikipedia). Unter diesen Voraussetzungen fällt es schwer, die Studie tatsächlich als "seriös" wahrzunehmen, weil niemand verifizieren kann, wie die Ersteller zu ihren Ergebnissen gekommen sind. Die taz schreibt:

"Denn dass die blanke Erbsenzählerei des Bonner Instituts für Medienanalyse nicht eben wissenschaftlich überzeugt, ist ein alter Hut. Zumal auch dort nach den nackten Zahlen nochmal die große Interpretationsmaschine angeworfen wird, die in ihrer Tendenz ziemlich dicht am postmodernen Springer-Weltbild parkt." (taz, 14.08.06)

Zudem heißt es in der Einleitung der Studie auch klar, daß sie in Zusammenarbeit mit der Politikredaktion der BamS entstanden ist. Die Connection zwischen Springer und Media Tenor ist also offensichtlich. Die am Ende der Studie zitierten "Unternehmensgrundsätze" die u.a. "Unparteilichkeit" aufführen, sind angesichts der Verquickung der Studie mit der BamS-Redaktion und deren ARD/ZDF-Bashing vor dem Hintergrund der axel-springer-eigenen politischen Leitlinien ein schlechter Scherz.

Selbst wenn man der Studie recht geben will und ARD/ZDF das Leid der libanesischen Seite stärker fokussiert haben, müßte man überlegen, ob es dafür nicht gute Gründe gibt. So haben Bevölkerung und Infrastruktur auf libanesischer Seite nun mal deutlich mehr gelitten, als umgekehrt die israelische Bevölkerung und Infrastruktur. Die Raketeneinschläge in Süd-Israel haben weit weniger Schaden angerichtet, als umgekehrt die Bomben und Artellerie-Angriffe auf libanesische Seite, wo unter anderem ganze Stadtviertel von Beirut in Schutt und Asche gelegt wurden.

Bei der Darstellung der Zerstörung ist also klar, daß die libanesische Zivilbevölkerung stärker fokussiert wurde. Eine andere Frage ist die Darstellung der politischen Hintergründe, die zu diesem Krieg führten. Auch hier müßte man den Vorwurf der einseitigen Berichterstattung sicherlich empirisch stärker untermauern. Aufbau der Studie so wie die Umstände unter denen sie publiziert wurde, haben es ARD und ZDF jedenfalls leicht gemacht (vielleicht zu leicht), die Vorwürfe von sich zu weisen.

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