Donnerstag, März 31, 2005

Der nächste große Trend: Ausstieg aus dem Internet?

John Walker schreibt in seinem bei Telepolis veröffentlichten Artikel "Der Internetslum" über die Möglichkeit, daß der nächste große Trend sein könnte, sich aus dem Internet zurückziehen. Ein paar alte Granden aus der Urzeit des Internets haben diesen Schritt bereits vollzogen und er überlegt, es ihnen gleich zu tun.

Nach seiner Auffassung verkommt das Netz der Netze immer mehr zu einem Slum. Als Beleg dienen ihm Statistiken aus seinem eigenen Web-Alltag. Er beschreibt, wie sein Webserver permanenten Attacken unterliegt die er abwehren muß und seine Mailbox mit Spam vollgemüllt wird (natürlich nicht ohne zu betonen, wie effizient die von ihm selbst programmierten Abwehrtools dagegenhalten können).

Er selbst könne mit diesen Attacken, diesem Schmutz leben, weil er ein technisch versierter Nutzer ist. Aber dem Otto-Normal-User würden diese zunehemden Attacken deutlich mehr zu schaffen machen. Wirklich Abhilfe ist nicht in Sicht, folglich könnte ein massenhafter Ausstieg aus dem Internet der nächste Trend sein, weil die Nutzer einfach die Schnauze voll haben.

Beide Seiten, die Chaoten die Malware aller Art in Umlauf bringen und die Opfer auf der anderen Seite, die nicht die nötigen Kenntnisse zur Abwehr mitbringen, würden in den kommenden Jahren weiter stark anwachsen. Der vielleicht provokativste Absatz des Artikels sei hier im Wortlaut zitiert:

"... Ich bin einer dieser verabscheuungswürdigen Menschen, die nicht nur an die Existenz eines Intelligenzquotienten glauben, sondern ihm auch noch eine Bedeutung zuschreiben. Vom Beginn des Internet bis zur Mitte der 1990er Jahre schätzte ich den durchschnittlichen IQ der Internetnutzer auf etwa 115. Heute liegt er vielleicht irgendwo bei 100, dem Durchschnitt von Europa und Nordamerika. Der Unterschied im Internet von heute im Vergleich zu dem von vor 10 Jahren entspricht dem, was eine Standardabweichung (von 15 Punkten) des IQ nach unten ausmacht. Aber der durchschnittliche IQ der ganzen Welt liegt heute ein klein wenig unter 90 und man rechnet allgemein mit einer Verringerung auf einen Wert von 86 bis zum Jahr 2050. Wenn also Maßnahmen gegen die digitale Teilung ("digital divide") greifen und alle 10 Milliarden nackten Affen verkabelt sind, können wir eine weitere Absenkung der Standardabweichung im IQ des Internet zu sehen bekommen. Stellen Sie sich vor, wie das aussehen wird..."

*rofl* Brutal. Aber auch zutreffend? Okay, gehen wir mal davon aus, er hat recht und die Entwicklung verläuft wirklich derart negativ. Dann gibt es trotzdem einige Dinge, die an seinen Fallbeispielen stören.

Zunächst mal erhält der Durchschnitts-User vermutlich nicht derart viele Spam-Mails wie Walker (knapp 900 an einem Tag). Das wird sich auch in naher Zukunft nicht so unwahrscheinlich weit steigern. Darüber hinaus gibt es massive Bemühungen, daß Spam-Problem endlich in den Griff zu kriegen, sowohl auf juristischem wie technischem Weg. Der Weg dorthin ist steinig, aber er wird bereits begangen. Ein Internet ganz ohne Spam ist vermutlich wirklich eine Illusion, aber man kann das Aufkommen deutlich drosseln. Technisch unlösbar ist das Problem jedenfalls nicht. Und sein wir doch mal ehrlich, die Idee daß Email künftig wieder vom Telefax abgelöst wird, wie im Artikel angedacht, erscheint nicht sonderlich realistisch.

Zweitens wartet Walker seinen Webserver selbst, er ist also nicht nur für seine Website verantwortlich, sondern auch dafür, daß die Website erreichbar bleibt und nicht gedefaced oder geDoSed wird. Mal abgesehen davon, daß der Durchschnitts-User keine eigene Domain hat, hat er sie wenn, dann in der Regel bei einem Webspace Provider, der für ein entsprechendes Entgelt nicht nur den Webspace bereitstellt, sondern auch den Server wartet.

Bei allem Ärger über den kulturellen Zerfall des Netztes und der Gefahr, daß durch die ganzen Abwehr- und Eindämmungsmaßnahmen zukünftig nicht jeder zu jedem Verbindung hat, sondern es zu einer Spaltung in viele kleine Subnetze kommt: der kollektive Ausstieg aus dem Internet ist einfach nicht mehr denkbar, schon allein wegen der weitreichenden ökonomischen Interessen. Vielleicht wird das Internet so wie wir es kennen durch ein weiterentwickeltes, anderes Netz ersetzt, aber bis dahin werden die User dem jetzigen Netz treu bleiben. Weitreichende vernetzte Kommunikation wird es auch zukünftig geben.

Links:

- John Walker, "Der Internetslum", Telepolis Artikel vom 30.03.05

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