Donnerstag, Juni 05, 2008

Stress



Die französische French House Band "Justice" hatte im letzten Jahr ihren Durchbruch und gewann mit dem Video zu "D.A.N.C.E." den Video Star Award bei den MTV European Music Awards. Auch bei den MTV Video Music Awards waren sie mit "D.A.N.C.E." nominiert.

Ihre Musik galt als leicht und unverfänglich, ein Image mit dem die Band nun offenbar radikal brechen wollte. Der Clip zum neuen Stück "Stress" stammt von Romain Gavras (Sohn des berühmten Regisseurs Constantin Costa-Gavras) und gilt als absolutes Skandalvideo, das inzwischen von Musikkanälen verbannt wurde und auch bei YouTube nicht mehr zu finden ist.

Im Stil von Clockwork Orange zeigt der Clip ein paar Jugendliche die vandalierend, prügelnd und raubend durch die Stadt ziehen. Obwohl es sich um eine Inszenierung handelt, wirkt das Video stellenweise so realistisch, daß man es für eine Dokumentation halten könnte.

Auch gibt der Clip keinen dezidierten Hinweis, was seine Intention ist. D.h., ob die Gewaltexzesse nun aufrütteln, auf gesellschaftliche Mißstände aufmerksam machen sollen, oder aber, ob sie einfach nur gefeiert und verherrlicht werden, hängt von der Intepretation des Betrachters ab.

Kritisch wird auch gesehen, daß die Jugendlichen offenbar alle maghreb- bzw. subsahara-stämmig sind, also alle einen Migrationshintergrund haben. Das hat der Band den Vorwurf eingebracht, daß der Clip rassistisch sei, da er die Angst vor Schwarzen und Arabern verstärken und Gewalt pauschalisierend als etwas das von Migranten ausgeht inszeniert.

Wählt man die Kontakt-Telefonnummer der Künstlergruppe "Kourtrajme", der der Regisseur Romain Gavras angehört, landet man in der Parteizentrale des rechtsextremen Front National, wie es in einem Kulturzeit-Beitrag heißt.

Das Ganze ist natürlich als Provokation gemeint, "Justice" und Romain Gravas spielen mit der Angst der Franzosen. Der Clip weckt einerseits natürlich Assoziationen mit den Aufständen in den Pariser Banlieues im November letzten Jahres (auch weil in der letzten Szene ein Auto in Flammen aufgeht), andererseits geht er darüber aber auch hinaus, weil die Jugendlichen im Video nicht in den Banlieues bleiben, sondern nach Paris reinfahren. Sie stürmen in der Innenstadt ein Bistro und berauben im bekannten Montmartre-Viertel Touristen. Die Gewalt wird also aus den Banlieus in das Herz Frankreichs getragen und gerade das, so meinen einige Beobachter, führt bei vielen Franzosen zu Angst und Wut beim Anblick des Videos.

Geht es in dem Video also doch um Gesellschaftskritik, um das Vorführen der Reflexe des gutbürgerlichen Anteils der französischen Bevölkerung, der mit der Gewalt leben kann, solange sie nur in den sozial vernachlässigten Vorstädten bleibt? "Justice" selbst schweigen sich zum Thema aus, erklären nur lapidar, man wolle nicht zu Gewalt anstiften.

Auf der Website der Band soll es demnächst allerdings eben jene düsteren Lederjacken mit dem Bandsymbol drauf geben, die die Schläger auch im Video tragen -- zum Stückpreis von rund 600 Euro. Dies ist natürlich ein klares Indiz dafür, daß es hier mehr um eine skandalorientierte Marketingstrategie geht, denn um versteckte Gesellschaftskritik.

Auch wenn die musikalische Komponente in der Debatte keine Rolle spielt (es nur um die visuelle Umsetzung geht), bleibt festzuhalten, daß der unruhige, leicht panikerzeugende Track perfekt zum Video paßt.

Keine Kommentare: