Dienstag, Juni 05, 2007

Wer sind eigentlich die Globalisierungskritiker und was wollen sie?

Morgen beginnt der G8-Gipfel in Heiligendamm und die Globalisierungskritiker scheinen in den Medien sogar noch präsenter zu sein, als die eigentlichen Gipfel-Themen wie z.B. "Klimaschutz" und "Kampf gegen die Armut". Dies hat natürlich besonders mit den Gewaltausbrüchen am vergangenen Samstag in Rostock zu tun. Das 3sat-Magazin Kulturzeit fragt provokant:

"Was die Protestbewegung will, scheint klar: eine gerechtere Welt. Doch können altbekannte Strategien - Plakat-Aktionen, Performances, Konzerte - politisch überhaupt etwas erreichen? Ist der kulturelle Protest nur noch Massenspektakel? Oder gelingt es den Machern, eine politische Antwort zu erzwingen? Ist es womöglich effektiver, da medienwirksamer, Steine zu werfen? Protest ist Performance - und das ist eine Frage der Bildproduktion. Schließlich sollen Zeichen gesetzt werden. Am Tag danach ziehen sich die Demonstranten in die Camps zurück. Vermeintlicher Alltag. Über das, was geschehen ist, wird intensiv geredet." ("Subversiv und aggressiv", Kulturzeit, 04.06.07)

Also Steine werfen als logische Konsequenz einer medialen Aufmerksamkeits-Gesellschaft, in der nur noch derjenige wirklich Aufmerksamkeit erhält, der sich über gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzt? Sicher, die Staatsführer können sich der medialen Aufmerksamkeit auch so sicher sein. Aber die Protestler, müssen sie sich wirklich zwangsläufig in eine gewalttätige Richtung radikalisieren, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen? Natürlich nicht. Und wie kontraproduktiv die gewaltsamen Ausschreitungen sind macht Telepolis-Autor Thomas Pany deutlich, wenn er in einem Artikel einen Blogger zitiert:

"Nun hat ein Riot, der am seitens der Polizei erwarteten Ort zum erwarteteten Zeitpunkt von den erwarteten Leuten her stattfindet nichts subversives mehr an sich, sondern verkommt zum Ritual. Die Handelnden haben nicht das Spielbrett in der Hand, sondern sind Schachfiguren und damit nicht auto- sondern heteronom. Ein Schwarzer Block liefert genau die Bilder, die der Staatsapparat braucht, um seine monströsen Sicherheitsmaßnahmen zu rechtfertigen. Somit erfüllen auch Autonome (die, wie wir gesehen haben, hier gar nicht autonom handelten) eine Planstelle in der spektakulären Ökonomie und sind Bestandteil des kulturindustriellen Orchesters." (che2001.blogger.de, zitiert nach "Alle gut gelaunt, nur die Schwarzen nicht", Telepolis, 04.06.07)

Doch wer sind eigentlich die anderen zahlreichen Globalisierungskritiker, die in ihrer Mehrheit ohne Gewalt protestieren? Was für Formen des Protests wählen sie und gegen was richtet sich ihr Protest? Was für Gegenkonzepte haben sie? Im folgenden dazu eine Linkliste mit Websites sowohl von sog. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als auch von linken, globalisierungskritischen Gruppen. Viele der letztgenannten stellen auch gemeinsam Informationen auf extra dafür eingerichteten Websites (z.B. zu den Convergance Centers in Rostock, Hamburg und Berlin) bereit, auf denen man sich jenseits von den Mainstream-Medien über neuste Ereignisse informieren kann.

I) Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Attac
"Seit den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Genua ist die französische Organisation 'Attac' weltweit bekannt. Ursprünglich lag der Fokus der Organisation - das zeigt schon der Name, die französische Abkürzung für 'Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürgerinnen' - auf einer demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte und der Einführung der sogenannten 'Tobin-Steuer'. Inzwischen aber hat sich das Spektrum erweitert, man nimmt sich jetzt der 'gesamten Problematik neoliberaler Globalisierung an', wie es auf der Homepage von Attac heißt." (Spiegel Online, 02.06.07)

Global Marshall Plan Initiative
"Sehr konkret ist die Kritik der 'Global Marshall Plan Initiative', die zuerst von dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore entwickelt wurde: 'Im derzeitigen Weltwirtschaftssystem gibt es keine ausreichenden Spielregeln, die auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigen', sagt Frithjof Finkbeiner, Deutschland-Koordinator des 'Global Marshall Plan'. (...) Der 'Global Marshall Plan' fordert deshalb eine weltweite Marktwirtschaft mit verbindlichen sozialen, ökologischen und kulturellen Standards und eine intelligente Kopplung der Regelwerke von Uno, WTO, ILO, Unep, Weltbank und Internationalem Währungsfonds." (Spiegel Online, 02.06.07)

Weed
"Auch die internationale Nichtregierungsorganisation World Economy, Ecology & Development (Weed) kritisiert wie viele andere NGOs die 'sozialen und ökologischen Auswirkungen der Globalisierung'. Im Gegensatz zu anderen analysiert Weed dabei vor allem die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und fordert eine 'Wende in der Finanz-, Wirtschafts und Umweltpolitik'. 'Für uns sind die drei großen Bereiche der Volkswirtschaft relevant', sagt Peter Wahl, Finanzmarktexperte bei Weed. Zum einen müsse man sich von der immer weiter gehenden Liberalisierung verabschieden und die Finanzmärkte regulieren. (...) Der zweite Bereich ist laut Wahl die Schließung von Steueroasen und Offshore-Märkten. (...) Dazu komme die Regulierung der institutionellen Investoren." (Spiegel Online, 02.06.07)

Brot für die Welt
"Kritik an der ungehemmten Globalisierung kommt auch von Seiten der Kirchen, die aus einem christlichen Weltbild heraus argumentieren. (...) Die Agenda und die Regeln würden von den Industrieländern diktiert, die gleichzeitig die internationalen Institutionen dominierten und mit viel mehr Expertise unterschiedliche Voraussetzungen schafften. 'Da spielt die Bundesliga gegen die Kreisklasse', so Walter. Darüber hinaus verbrauche der Westen - etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung - rund 80 Prozent der Ressourcen. 'Um das zu ändern, müssen die Entwicklungsländer Zugang zu unseren Märkten und die Möglichkeit der Entwicklung bekommen', sagt Walter." (Spiegel Online, 02.06.07)

Oxfam
"Wie viele andere kritisiert auch die unabhängige Hilfsorganisation Oxfam den mangelnden Spielraum, den Entwicklungsländer durch die Vorgaben der Weltbank und die zunehmende Handelsliberalisierung haben. (...) Die armen Länder müssten die Möglichkeit haben, sich vor Dumpingpreisen zu schützen und ihre eigenen Märkte zu schützen, um sie überhaupt erst mal aufzubauen. In seinem Handeln beschränkt sich Oxfam auf klassische Lobbyarbeit, kämpft auf europäischer Ebene gegen die geplanten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, von der EU geförderte Abkommen über Freihandelszonen." (Spiegel Online, 02.06.07)

Evangelische Entwicklungsdienst (EED)
"'Gerade Entwicklungsländer brauchen mehr eigenen Spielraum, um ihre eigenen Märkte erst mal aufbauen zu können', sagt Michael Frein, Welthandelsexperte im EED. Sonst habe die einheimische Wirtschaft von Anfang an keine Chance im weltweiten Wettbewerb. Der EED fordert dafür zum einen, die Zollpolitik zu verändern, damit Entwicklungsländer ihre Zölle bei Bedarf auch erhöhen können - zum Beispiel um einheimische Produzenten vor hoch subventionierten Lebensmitteln aus der EU zu schützen. Zum anderen fordert der Entwicklungsdienst die Rechte am geistigen Eigentum, also dem Patentschutz, flexibel zu handhaben." (Spiegel Online, 02.06.07)

II) Globalisierungskritische Gruppierungen

Interventionistische Linke (IL)
"Aus Furcht, im Großbündnis gegen den G-8-Gipfel unterzugehen, haben sich linksradikale Gruppen und Einzelpersonen bereits vor zwei Jahren zum Netzwerk Interventionistische Linke (IL) zusammengeschlossen. Von einigen Autonomen und Anarchos misstrauisch beäugt, gibt es zum Teil personelle Überschneidungen mit Attac und linken NGOs. Weil die IL zugleich in der radikalen linken Szene fest verankert ist, kann man sie als radikal-reformerisches Netzwerk bezeichnen. Die IL organisiert die öffentlichen Blockaden (www.block-g8.org) und gibt die Zeitung G8 Extra heraus." (taz, 30.05.07). Beteiligte Gruppen sind laut Wikipedia unter anderem die Antifaschistische Linke Berlin (ALB), die Gruppe "Für eine linke Strömung (FelS)", die "Radikale Linke Nürnberg", die "Organisierte Autonomie" und Linksruck.

(Clandestine Insurgent) Rebel Clown Army (CIRCA)
"The Clandestine Insurgent Rebel Clown Army or CIRCA is a United Kingdom-based left-wing anti-authoritarian activist group that uses clowning and other non-violent actions to challenge corporate globalisation, war and similar actions that the group opposes." (Wikipedia) "Rebellen-Clowns nach dem Muster der 'Clown's Army' traten erstmals anlässlich eines Besuchs von George W. Bush in England im Jahr 2003 in Erscheinung. Seither versuchen sie vor allem am Rande von Demonstrationen, die Polizei spaßhaft zu irritieren. Sie imitieren Polizeimärsche, werfen sich wie von einer Kugel getroffen zu Boden oder stellen sich mit ernster Mine neben Beamte, die Demonstrationszüge flankieren. 'Rebell clowning' gibt es mittlerweile in vielen Ländern, in Deutschland sollen es etwa 500 Clownaktivisten sein." (Spiegel Online, 05.06.07)

Revolutionäres Bündnis
Ein weiteres Anti-G8-Bündnis mit einer antiimperialistischen Ausrichtung. Beteiligt sind laut Dissent-Wiki unter anderem das "Gegeninformationsbüro Berlin (GIB)", die "Revolutionäre Aktion Stuttgart (RAS)" und die "Gruppe Arbeitermacht".

Dissent!-Netzwerk
"Dissent! is the name taken for an international network of local groups, which came together to organise opposition to the G8 summit held in Gleneagles Hotel, Perthshire, Scotland in July 2005. Most groups shared an anti-capitalist orientation and anti-authoritarian organizing methods and the network declares itself to be open to anyone prepared to work within the Hallmarks of Peoples' Global Action, an international co-ordination of radical social movements and grassroots campaigns. Dissent acted as a networking tool and created infrastructure which was used by groups with methods of protest ranging from anti-border city tours and street parties to road blockades, graffiti and confrontations with the police. (...) The Dissent! Network in Germany is one of the networks mobilising against the 33rd G8 summit in Heiligendamm, Germany, since 2005. Since that time other Dissent! Networks were started in Sweden and the Netherlands." (Wikipedia)

III) Überblickseiten mit Informationen zum Gipfel

Alternativgipfel
"Der sogenannte Alternativgipfel soll eine Alternative zum Treffen der G8 darstellen. Er wird von einem breiten Bündnis (Attac, VENRO, Gerechtigkeit jetzt!, Via Campesina und weitere Organisationen) getragen und veranstaltet zeitgleich zum G8-Gipfel Podiumsdiskussionen und Workshops mit Persönlichkeiten wie Jean Ziegler, Annelie Buntenbach, Walden Bello, John Holloway und Vandana Shiva." (Wikipedia)

Gipfelsoli
Gipfelsoli stellt diverse Links und Materialien zu Gipfeln bereit, so auch natürlich zum aktuellen in Heiligendamm. Aus dem chronologischen Zeitablauf auf der Startseite kann man ablesen, was wann wo geplant ist. Außerdem stellt die Website die vermutlich ausführlichste Liste der beteiligten Gruppen bereit.

Convergence Center Rostock
"Ein Convergence Center ist seit den 1990er Jahren ein zentraler Platz für Wissensverteilung, Kommunikation und Aktionsvorbereitung von Personen, die zu Protesten gegen einen Gipfel oder die Konferenz einer internationalen Militär- oder Wirtschaftsorganisation, zum Beispiel der NATO anreisen." (Wikipedia) Das CC in Rostock wurde in einem Teil der ehemaligen Ehm-Welk-Schule in Evershagen eingerichtet.

Convergence Center Hamburg
Auch in Hamburg wurde ein Convergence Center eingerichtet, zu finden ist es in der Roten Flora.

Convergence Space Berlin
"Während man in Rostock und Hamburg auf ein 'Convergence Center' als zentralen Ort setzt, ist das Konzept in Berlin ein anderes: Die Mehrzahl der Veranstaltungen finden im öffentlichen Raum statt: In 'Parks, Plätzen, Straßen, Clubs und Cafés' soll sich 'ein Raum ohne Mauern und Grenzen' entwickeln, wo Globalisierung kritisch diskutiert werde, heißt es im Aufruf. So will man auch Menschen aus der Nachbarschaft ansprechen, die nicht nach Heiligendamm fahren, sich aber trotzdem gegen Globalisierung engagieren wollen. Das Konzept beruhe, so die OrganisatorInnen, auf einer 'anarchistische[n] Tradition, (...) die immer die Gesellschaft als Ganzes im Blick hat'. Die Trennung zwischen AktivistInnen und BürgerInnen solle überwunden werden. Es gebe in Kreuzberg viele kritische denkende Menschen, 'es wäre schade, wenn sie völlig inaktiv blieben', heißt es bei den OrganisatorInnen. Nicht nur die friedensbewegte Kindergärtnerin, sondern auch der arabische Kulturverein und vielleicht auch der Dönerbudenbesitzer sollten mit Ideen oder Aktionen teilnehmen können." (taz, 19.05.07)

Camping
"Die CampingAG ist ein Zusammenschluss aller am Aufbau von Camps interessierten Menschen. Einige davon sind in Organisationen oder politischen Gruppen aktiv, andere möchten sich einfach nur als Einzelpersonen mit einem globalisierungskritischen Anspruch engagieren. Wir wollen spektrenübergreifende, gemeinsame Camps organisieren, Protest ermöglichen, geschützte, friedliche Räume schaffen, in denen sich Menschen und Meinungen treffen können, sich streiten können, ohne sich zu behindern." (Eigenbeschreibung)

Move Against G8
"Neben den Konzerten in Rostock und auf den Camps haben wir einen Sampler produziert und zahlreiche Konzerte im Vorfeld des Gipfels. In der Arbeitsgruppe sind verschiedene kulturpolitische AktivistInnen engagiert. Wir arbeiten in antifaschistischen Gruppen, bei Attac, Avanti-Projekt undogmatische Linke und in der Interventionistischen Linken, bei linken Labels und in Veranstaltungsagenturen. Gemeinsam wollen wir ein deutliches Signal gegen den G8-Gipfel setzen." (Eigenbeschreibung)

G8 TV
"Auf der globale07 wurde auch das Konzept der Internetplattform g8-tv.org präsentiert, die von den Filmkollektiven ak kraak, KanalB und trojan tv und deren ausländischen Partnern erstellt wird. Bereits jetzt sind hier Videos über erste Aktionen in Heiligendamm zu sehen, außerdem englische Rechtshilfetipps für Demonstranten. Ab Anfang Juni sollen täglich mindestens drei aktuelle Videoberichte zum Download bereitgestellt werden. Vor Ort wird dazu ein Produktionszentrum mit Studios und Computerschnittplätzen eingerichtet. Dazu kommt jeden Abend eine 20minütige Live-Sendung, ein Tagesrückblick mit Nachrichtenclips und Interviews, moderiert auf deutsch und englisch, in weiteren Sprachen untertitelt. Die Videoaktivisten wollen viele Internetnutzer erreichen und weltweit 'public screenings' ermöglichen. Möglichst viele lokale Gruppen sollen in Kinos, offenen TV-Kanälen und sonstwo über den Gipfelprotest zu informieren." (junge Welt, 26.05.07)

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