Mittwoch, März 07, 2007

In Memorandum: Jean Baudrillard

Gestern starb der bekannte französische Philosoph und Soziologe Jean Baudrillard, einer der wichtigsten Vertreter der Postmoderne.

Ursprünglich ein Deutschlehrer an einer französischen Oberschule, machte er sich zunächst mit Übersetzungen einen Namen. Parallel studierte er Philosophie und Soziologie und war danach auch für relativ kurze Zeit im akademischen Betrieb tätig, dem er sich aber nie wirklich zugehörig fühlte:

"Auch den akademischen Institutionen mochte er sich nicht anpassen, sie interessierten ihn einfach ebenso wenig wie die in ihnen aufgeführten Rituale nicht." (Florian Rötzer, Telepolis, 07.03.07)

Wie bei Vertretern der Postmoderne nicht ungewöhnlich, gibt es vermutlich selbst unter Experten nur wenige die behaupten können, sie hätten alles verstanden, was Baudrillard verfaßt hat. In der Wikipedia findet sich eine brauchbare wenn auch kurze Zusammenfassung:

"In 'Requiem für die Medien' entwirft er eine Art 'Anti-Medientheorie'. Seine berühmte Theorie über Simulation und Simulacren beschreibt, dass 'die Bilder der Medien mächtiger und wirklicher geworden sind als die Wirklichkeit selbst' und Freiheit in der Moderne nichts als Schein sei. Offiziell verkündete Werte stellen demnach nur Modelle, Simulationen dar, welche andere Antriebe maskieren. So parodiere Demokratie lediglich die Macht.

Bekannt wurde er vor allem durch seine Untersuchungen zur Bedeutung des Symbolsystems der modernen Gesellschaft. Baudrillards Denken ist bestimmt vom Zeichensystem (Signifikat und Signifikant), in dem Aussagen sich immer mehr von der Wahrheit entfernen, was z. B. die Verführung des Konsumenten möglich macht. Dadurch entsteht ein Raum permanenter Simulation von Realität, die in Hyperrealität (der Auflösung alles Greifbaren, Referentiellen) endet – so wie es etwa in der hinduistischen Vorstellung vom Alles überdeckenden 'Schleier des Maya' umschrieben wird.

Für ihn stehen Objekte in keinerlei symbolischer oder konkreter Beziehung mehr zu den Menschen, die sie umgeben, sondern sie sind 'reine Zeichen': Ein englischer Ledersessel, ein Ascher aus Jade, ein orientalischer Gebetsteppich existieren nicht als Gegenstände des Gebrauchs, sondern sie werden zuvörderst, in ihrer ideellen Dimension als Zeichen konsumiert. Konsumiert wird die Vorstellung von britischer Behaglichkeit, von Reisesouvenirs aus dem Morgenland, nicht das jeweilige Objekt. Der Konsum, so schloss Baudrillard damals, ist eine 'absolut idealistische Praxis'." (Wikipedia)

In einem Nachruf bei SPON heißt es:

"Seit Jahrzehnten predigt er seine These von der Scheinwelt aus Illusionen und Simulationen, die längst zum natürlichen Lebensraum geworden sei. Bilder waren für ihn im schlechtesten Fall so teuflisch wie moderne Götzendarstellungen; auf ihnen werde die Wirklichkeit überblendet und damit ausgelöscht. ("Frankreich trauert um Soziologen Baudrillard", SPON, 07.03.07)

Und in einem weiteren Artikel:

"Spätestens als der zweite Golfkrieg in Form grünstichiger, kaum erkennbarer Nachtaufnahmen über die Mattscheiben flimmerte, war klar: Frankreichs provokantester Kulturkritiker trifft den Nerv der Zeit. Die Wirklichkeit ist von ihrer medialen Repräsentation nicht zu unterscheiden, im Gegenteil: Das Reale ist immer schon Teil eines inszenierten Szenarios.

(...) Grundlegende Idee: So wie sich im Kapitalismus der Tauschwert verselbständigt und vom Gebrauchswert abkoppelt, so haben sich die Zeichen, die Informationen, von ihren Bedeutungen und Gegenständen entfernt. Ideologiekritik musste in der Folge also immer auch Sprachkritik sein - und die durfte keinesfalls so klingen wie der Jargon der Aufklärung, der ja selber nur eine illusionäre Verkleidung der Macht war.

(...) Spannender jedoch als seine Abgesänge auf Demokratie und Subjekt, Staat und Fernsehen ist sein Schreiben selbst. Dieser polemische und radikale Stil, der mit Annahmen und nicht bewiesenen Hypothesen operiert; der nicht darlegen, sondern provozieren will, hat etwas Verführerisches. Und Verführung war für Baudrillard das Mittel, die Strategien der Macht zu durchkreuzen. 'Sie unterläuft die Wahrheit und die Kräfte der Produktion, sie erledigt, parodiert den Sinn und lockt uns ins Spiel', schrieb der Denker. ("Willkommen im Second Life", SPON, 07.03.07)

Wie andere Interpreten des Postmodernismus auch geriet Jean Baudrillard im Zuge der sogenannten "Sokal-Affäre" in die Kritik. Der amerikanische Physiker Alan Sokal reichte bei der bekannten Fachzeitschrift "Social Text" einen Fake-Artikel ein, um die Pseudo-Wissenschaftlichkeit der postmodernen Philosophie zu belegen und der Coup gelang ihm:

"Kurz nach der Veröffentlichung bekannte Sokal in einer anderen Zeitschrift, Lingua Franca, dass es sich bei dem Aufsatz um eine Parodie handle. Er hatte die zusammengesuchten Zitate verschiedener postmoderner Denker mit dem typischen Jargon dieser Denkrichtung zu einem Text montiert, dessen unsinniger Inhalt bei Beachtung wissenschaftlicher Standards, so der Vorwurf an die Herausgeber von Social Text, als solcher hätte erkannt werden müssen." (Wikipedia)

Einige von Baudrillards Werken waren eine zeitlang bei textz.com online zu lesen, doch dieses legendäre und kontroverse (siehe 2002 und 2004) Website-Projekt verschwand leider (ein Comeback ist angekündigt).

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