"... Tatsächlich wirkte der Spiegel viel zu oft so, als säße der Chefredakteur irgendwo in Stade im Pferdestall oder so tief in die Ledersitze eines VW-Touareg oder Porsche 911 versunken, dass man kaum noch rausschauen kann. Mal erklärte das Nachrichtenmagazin auf dem Titel Hamburg zur coolsten Stadt der Welt, dann entdeckte er 'Second Life' oder pries die Klimakatastrophe als touristischen Heilsbringer für Sibirien. Die Strom-Industrie wurde quasi jede Woche anders bewertet: Mal klarsichtig als oligarchische Krake, dann wieder als letzter Hort der Vernunft in Zeiten der Klimahysterie.
... Diese Form der Wurstigkeit hat selbst den loyalsten Redakteuren mittlerweile klargemacht, dass etwas schief läuft beim Nachrichtenmagazin, und dass der Themenkanon des Chefredakteurs wohl doch nicht mehr ausreicht, um ein zeitgemäßes Blatt zu machen. Es gibt kein Bernsteinzimmer mehr auszugraben, keine Bugklappe der 'Estonia' zu heben, kein Gehirn der Meinhof mehr zu untersuchen - das waren so die Steckenpferde des Spiegel-Chefs, danach wurde er irgendwie lustlos. Zumal es auch nicht klappte, Joschka Fischer zu stürzen.
... Der Spiegel hat in einer immer ausdifferenzierteren Gesellschaft, in der etliche Lebensstile nebeneinander existieren, unbeirrbar ein zu großes Raster angelegt und immer neue Trends ausgerufen, die in Wahrheit nicht nur haarscharf an der Realität vorbeigingen. Der Kampf gegen die Windkraft, das Gerede vom 'neuen Bürgertum', der nicht nachlassende Furor gehen die politischen Gutmenschen, die es in der Zahl, wie sie der Spiegel bekämpft, ja nie gegeben hat - wen interessierte das denn noch?
Was hatte das mit der Realität außerhalb des Restaurant Borchardt zu tun, in dessen Sesseln Aust, Schirrmacher und Springer-Chef Mathias Döpfner einst den Sturm auf die Rechtschreibreform planten. Dass sich Aust in dieser Situation zum Büttel von Bild-Chef Kai Diekmann und dem Springer-Verlag hat machen lassen, ist eigentlich der größte Sündenfall in seiner Spiegel-Karriere..."
(Oliver Gehrs)
Freitag, November 16, 2007
Die Wurstigkeit des SPIEGELS unter Stefan Aust
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen